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2.3 Das unsichtbare Bewertungssystem

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Gäbe es keine Fürsorge für Kinder, Kranke und Alte, dann wäre niemand von uns am Leben. Und wenn niemand sich um unsere alltäglichen Bedürfnisse wie Nahrung, saubere Kleidung und eine wohnliche Unterkunft kümmern würde, wäre es schlecht um uns bestellt. Ohne Fürsorge gäbe es keine Arbeitskräfte, die ihrer Arbeit nachgehen und in Unternehmen tätig sein könnten.

Warum wird dieser elementaren Care-Arbeit also so wenig wirtschaftlicher Wert beigemessen? Warum wurde Rücksichtslosigkeit in Unternehmen systematisch gefördert – gemäß dem alten Rechtsgrundsatz caveat emptor 7 ? Warum werden Menschen, die sich unermüdlich für eine sozialere und gerechtere Gesellschaft einsetzen, oft als »Gutmenschen« oder »sentimentale Spinner« verunglimpft? Und warum gelten Frauen (und zunehmend auch Männer), die sich in der nicht monetären Wirtschaft der Privathaushalte und des Ehrenamtes rund um die Uhr um Kinder, Kranke und Ältere kümmern, immer noch als »wirtschaftlich untätig«?

Die Abwertung der für uns überlebensnotwendigen Care-Arbeit – und die damit einhergehende Abwertung der Fürsorge an sich – entbehrt jeglicher Logik. Sie beruht einzig und allein auf Überzeugungen, die aus einer Zeit stammen, als unsere Gesellschaft noch sehr viel mehr von einem Dominanzsystem geprägt war: einer Form der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisation, die auf von Angst und Zwang gestützten Hierarchien basiert.

Ein Grundpfeiler dieses hierarchischen Systems bestand darin, dass die männliche Hälfte der Menschheit der weiblichen Hälfte übergeordnet war – was dazu führte, dass Männer und stereotyp »Männliches« automatisch als wertvoller betrachtet wurden als Frauen und stereotyp »Weibliches«. Das heißt, im Zuge der Unterordnung der Frauen unter die Männer wurde alles, was mit »echter« Männlichkeit assoziiert war, höher bewertet als das, was typischerweise mit Frauen und Weiblichkeit verbunden wurde, wie zum Beispiel Fürsorge und Care-Arbeit. Dieses Bewertungssystem spiegelt sich in allen Wirtschaftssystemen wider, die Fürsorge und Care-Arbeit nur geringen oder gar keinen Wert zuerkennen – unabhängig davon, ob sie stammesgesellschaftlich, feudalistisch, kapitalistisch, sozialistisch oder kommunistisch organisiert sind.

Die Abwertung von Eigenschaften oder Tätigkeiten, die stereotypisch mit Frauen assoziiert werden, ist integraler Bestandteil der unsichtbaren Bewertungsmaßstäbe in Dominanzsystemen. Selbstverständlich handelt es sich hierbei um Geschlechterstereotype und nicht um etwas, was Männern oder Frauen angeboren ist. Doch diese Stereotype und die Abwertung alles »Weiblichen« sind fest in unsere wirtschaftlichen und sozialen Regeln und Modelle eingebettet, die wir aus früheren, noch stärker dominanzgeprägten Zeiten übernommen haben.

Die aktuellen Wirtschaftskennzahlen wie BIP und BNE spiegeln diese Abwertung wider und setzen sie fort. Und was in diesen Kennzahlen berücksichtigt wird – oder eben nicht – hat direkte Auswirkungen darauf, was in der Politik Berücksichtigung findet. Auf diese Weise hat unser unsichtbares, auf Geschlechterstereotypen basierendes Bewertungssystem unsere Wirtschaftspolitik geformt.

Man kann sich dieses unsichtbare Bewertungssystem wie den nicht sichtbaren Teil eines Eisbergs vorstellen – ein massives Hindernis auf dem Weg zu einer gesünderen, effektiveren und menschlicheren Wirtschaft.


Die verkannten Grundlagen der Ökonomie

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