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Ein Bewusstseinswandel verändert unsere Lebenswirklichkeit

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Dieses Buch, Die verkannten Grundlagen der Ökonomie, hat sich aus der Grundannahme heraus entwickelt, dass wir – wie Einstein erklärte – Probleme nicht mit der gleichen Denkweise lösen können, mit der wir sie geschaffen haben. Diese Grundannahme war der Ausgangspunkt für die Arbeit, die ich in den letzten vier Jahrzehnten verfolgt habe.

Mein Buch Kelch und Schwert. Unsere Geschichte, unsere Zukunft hat in den USA mittlerweile die 57. Auflage erlebt und wurde in 27 Sprachen übersetzt – unter anderem auch ins Deutsche. Darin führe ich eine neue Sichtweise bei der Betrachtung sozialer Systeme ein, die uns hilft, diese besser zu verstehen und herauszufinden, wie wir die Grundlagen für eine gerechtere und nachhaltigere Welt schaffen können. Diese Sichtweise, die den Analyserahmen für all meine Bücher und Aufsätze bildet, unterscheidet soziale Systeme in die Kategorien »Partnerschaftssysteme« (Systeme, in denen gegenseitiger Respekt herrscht) und »Dominanzsysteme« (Systeme, die durch eine Top-Down-Kontrolle gekennzeichnet sind).

Diese gesellschaftswissenschaftlichen Kategorien (bzw. diese Partnerschaft-Dominanz-Skala) sind integrale Bestandteile einer Kulturtransformationstheorie, die ich in früheren Büchern eingeführt habe. Sie bilden die Grundlage dafür, dysfunktionale wirtschaftliche Strukturen, Regeln und Praktiken zu verstehen und zu verändern. Betrachtet man Systeme unter dem Gesichtspunkt dieser Kategorien, wird nämlich klar, dass dysfunktionale wirtschaftliche Strukturen, Regeln und Praktiken in dominanzgeprägten Traditionen wurzeln, was in kapitalistischen wie sozialistischen Wirtschaftstheorien gleichermaßen zu einer verzerrten Wahrnehmung geführt hat.

Kapitalismus und Sozialismus sind in der Frühzeit der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Das allein wäre schon Grund genug, sie als zu veraltet für die Herausforderungen der postindustriellen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu betrachten. Doch das Problem wurzelt noch viel tiefer.

Weder Familien noch Politik, Bildung, Religion oder eben auch Wirtschaft entstehen in einem luftleeren Raum. Wirtschaft wird von Menschen geschaffen und wird von den Werten und Ansichten innerhalb der Gesellschaft bestimmt, zu der die jeweilige Wirtschaft gehört. Das Problem besteht darin, dass sowohl Adam Smith als auch Karl Marx ihre kapitalistische bzw. sozialistische Wirtschaftslehre in Zeiten entwarfen, in denen man sich in Europa und anderswo noch stark am Dominanzende der Partnerschafts-Dominanz-Skala orientierte.

Dabei waren sowohl Kapitalismus als auch Sozialismus eigentlich Versuche, eine dominanzgeprägte Wirtschaft hinter uns zu lassen, die uns den Großteil der überlieferten Geschichte begleitet hat – angefangen von der Top-Down-Wirtschaft der Stammesführer über die der chinesischen Kaiser und nahöstlichen Scheichs bis hin zu den europäischen Feudalherren. Smith stellte den Merkantilismus bzw. die durch Könige und Hofbeamte ausgeübte Top-Down-Kontrolle der Wirtschaft infrage. Marx wiederum übte Kritik am Kapitalismus und an der Ausbeutung der arbeitenden und bäuerlichen Bevölkerung durch die so genannten Adligen und die immer stärker wachsende Bourgeoisie.

Allerdings schenken weder die kapitalistische noch die sozialistische Wirtschaftslehre der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen oder der essentiellen Bedeutung des Umweltschutzes in irgendeiner Form Beachtung. In beiden Theorien wird die Natur lediglich als Objekt betrachtet, das es zu beherrschen und auszubeuten gilt. Smith träumte von unbegrenztem Wirtschaftswachstum, das sich unter der Leitung der unsichtbaren Hand des Marktes und der Verfolgung reiner Eigeninteressen entfalten sollte. Die Vision von Marx beinhaltete eine grenzenlose Expansion der Industrie kontrolliert von der Diktatur des Proletariats.

Die überlebensnotwendigen Haushalts- und Pflegearbeiten wie die Versorgung von Kindern und Kranken oder die Führung eines sauberen und gesunden Haushalts galten sowohl für Smith als auch für Marx eher als »reproduzierende« denn als »produzierende« Tätigkeiten. Keiner von beiden erkannte den Wert der Fürsorgearbeit, angefangen von der Säuglingspflege bis hin zur Pflege der Alten und Kranken. Auch der wirtschaftliche Wert eines sauberen und gesunden Wohnumfelds entging ihnen vollständig, was sich auch auf ihre Einstellung gegenüber dem Umweltschutz – also die Pflege des natürlichen Umfelds übertrug. Für sie war die Sichtbarmachung dieser »Frauenarbeit« kein Thema, denn diese sollte umsonst in von Männern kontrollierten Haushalten geleistet werden.

Noch Mitte des 19. Jahrhunderts, als Marx über den Sozialismus schrieb, galt sowohl die in Privathaushalten als auch die auf dem Markt geleistete Arbeit von Frauen rechtlich als das Eigentum ihrer Väter bzw. Ehemänner. Wenn eine Frau fahrlässig verletzt wurde, konnte sie keine Klage deswegen einreichen, während ihr Ehemann das Recht hatte, Schadensersatz für die ihm dadurch entgangenen Dienstleistungen einzufordern.

Heute gelten Frauen – zumindest in einigen Teilen der Welt – nicht mehr als Eigentum ihrer Väter oder Ehemänner. Aber die Abwertung von Care-Arbeit, also Fürsorge- und Pflegearbeit, ist in der Wirtschaft immer noch die Norm, weil Kapitalismus wie Sozialismus auf einem Wertesystem beruhen, das Menschen je nach Geschlecht mit unterschiedlichem Maß misst. In den meisten Teilen der Welt wird immer noch davon ausgegangen, dass die Arbeit, die Frauen in Haushalten leisten, unbezahlt erbracht wird – und auch die auf dem Markt übliche Bezahlung von Pflegekräften ist jämmerlich gering: So verdienen laut US-Arbeitsministerium Menschen, die als Hundesitter arbeiten, mehr als Menschen, die in der Kinderbetreuung tätig sind.

Die aktuellen Wirtschaftskennzahlen wie zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) machen deutlich, dass auch der Schutz und die Pflege unserer natürlichen Lebensgrundlagen allgemein immer noch als irrelevant für die Wirtschaftsleistung betrachtet werden. Aus diesem Grund werden auch von Unternehmen verursachte Umweltschäden im Wirtschaftsjargon als »Externalitäten« bezeichnet, obwohl es ohne die natürlichen Lebensgrundlagen überhaupt keine Wirtschaft gäbe. Gleiches gilt für Schäden, die Menschen, darunter auch zukünftige Generationen, durch Aktivitäten entstehen, die im BIP als »produktive Aktivitäten« betrachtet werden.

Dadurch, dass unser Wirtschaftssystem auf derart irrationalen Prämissen fußt, fehlt ihm jeglicher Bezug zur Realität. Das bedeutet, dass wir Wirtschaft von Grund auf neu denken müssen und das bedeutet wiederum, dass wir dabei Bereiche berücksichtigen müssen, über die uns beigebracht wurde, dass sie rein gar nichts mit Wirtschaft zu tun hätten: nämlich diejenigen Bereiche, die – wie wir auf den folgenden Seiten sehen werden –, die eigentliche Grundlage der Wirtschaft darstellen.

Die verkannten Grundlagen der Ökonomie

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