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Kalt und warm
»Jetz’ tu’ mir bloß dat Tier vom Hals!«, schimpfte Ela, als wir in ihren Laden in der Bismarckstraße kamen. »Dat jibt doch nur widder Ärjer!«
»Nä, nä, Ela«, beschwichtigte ich sie, »mir sin’ dienstlich unterwegs. Mach uns mal zwei Jedecke!«
»Datt ich nit laache – dienstlich! Dä Haschischfresser un’ der Appelkorn-Junkie! Dabei war dat so ’ne jemütliche Abend bis jetz’ …« Aber dabei zapfte sie schon und stellte unsere Getränke vor uns hin. Zwei Bier, ein doppelter Jack Daniels, ein doppelter Apfelkorn. Dann kam sie um die Theke rum und kniff mich in mein Pittermännchen (so heißt in Köln ein Zehn-Liter-Fässchen Kölsch. Manche – wie ich – tragen so’n Ding ständig mit sich rum. Unterm Hemd.). »Weißte eijentlich, wie lang du dich nit has’ sehen lassen, du treulose Tomat’?« Ich nahm sie in den Arm und streichelte ihren Rücken. Sie war mindestens zehn Jahre älter als ich, hatte aber die Figur einer Achtzehnjährigen. Ihr Alter sah man ihr nur an, wenn man auf die feinen Falten um ihre Augen und ihren Mund achtete. Es gab keinen Grund, darauf zu achten – sie war wunderschön.
»Du weiß’ doch, dass ich auf Tour war. Ich …«
»Jaja, dat weiß ich. Ein’ Ansichtskart’ von der Raststätte Dammer Berge, ein’ von der Raststätte Würzburg. Un’ auf beiden steht hinten drauf bloß: Büb. Müsst ihr et immer eilig haben!«
»Jaja, die Menschen sin’ schlecht, Ela, weißte doch. Un’ …«
»Un’ die, die nit schlecht sin’, sin’ doof«, ergänzte sie meine Lieblingsweisheit unisono. »Lass dir mal wat Neues einfallen, Büb! Sons guck’ ich mich emal en bisschen unter dä andere Jungens um.«
»Guck’ dich doch um«, sagte ich. Positiv verstärken, Dr. Klütsch! »Wer hätte denn ’ne Chance gegen mich?« Das brachte mir einen Tritt gegen das Schienbein ein. Scheißtyp!
»Na ja – heut’ Abend seh’ ich da auch eher schwarz. Aber sei dir nit so sicher!«
»Wat is’ schon sicher? Sicher is’, datt mir im Moment richtijen Ärjer am Hals haben. Un’ damit mein’ ich nit dat Roswitha.« Die war gerade zur Tür reingekommen und hatte Twiggy natürlich prompt entdeckt. Der konnte sich auch schlecht hinter irgendjemandem verstecken. Also Vorwärtsverteidigung.
»Darlin’!«, ging er mit weit ausgebreiteten Armen auf sie los, begrub sie an seinem mächtigen Brustkorb, küsste ihr ganzes Gesicht und flüsterte ihr eine Weile ins Ohr. Nach zwei Minuten hatte er gewonnen. Roswitha strahlte:
»Is’ dat wahr, Büb – ihr sucht mich schon seit zwei Stund’?«
»Dä fing ald an, sickig ze weede, weil mir dich nit jefunge han«, versicherte ich ihr. »Du muss och nit immer esu unjeduldig sin, Rösjen!«* Fragen sie Frau Irene!
»Wat denn für ’ne Ärjer?«, fragte Ela, nachdem Roswitha sich wieder ihrem Verlobten zugewandt hatte. Ich erzählte ihr die ganze Story, während uns ihr Barmännchen weiter mit Stoff versorge.
»Das Blöde is’, ich weiß ganz genau, dass mir der Name Dieter O. Meyer schomma untergekommen is’. Aber ich komm’ zum Verrecken nich’ drauf!«
»Mensch, Büb, wie lang’ machs’ du schon Musik in dä Stadt, hä? Oder haste dir dat bisschen Jehirn schon janz wegjesoffen? Bei dem hat doch früher dat Kathrinchen jearbeitet!« Shit! Ich schlug mir mit dem Handballen gegen die Stirn.
***
Das hätte ich nicht tun sollen. Ich saß anscheinend doch nicht so stabil auf meinem Hocker, wie ich dachte, kippte mitsamt dem Scheißding nach hinten und donnerte gegen den Nebentisch, den ich gleich mit zu Boden riss. Einer von den Jungs am Tisch wollte mich festhalten, flog aber gleich in eine andere Ecke, weil Twiggy nicht mitbekommen hatte, was passiert war, und ihn mir prophylaktisch mal vom Hals schaffen wollte. Schon machten drei Kollegen Front gegen Twig. Aber Ela schob sich schnell dazwischen.
»Wehe euch!«, klirrte sie. Da keiner so genau wusste, worum es eigentlich ging, fror die Szene erstmal ein, als warteten sie alle darauf, dass jetzt von der Regie die Zeitlupe eingespielt würde.
Ich rappelte mich hoch und trank erst mal mein Bier aus, das ich mit der Linken während der ganzen Nummer instinktiv so gehalten hatte, dass ihm nix passieren konnte. Menschen, Tiere, Sensationen.
»Alles okay!«, grinste ich. »Kein’ Hektik! Minge Fähler – kutt, ich jevv ’n Rund us!«*
»Dat is aber dann auch die letzte!«, beschied Ela und nickte ihrer Theke ihr Einverständnis zu. »Du jehs’ dann jlaub’ ich besser in et Bett, Büb!«
Na ja, danach wollte ich jetzt auch nicht mehr mit ihr streiten, nahm mein Bier entgegen, prostete der Runde zu und setzt mich ruhig in die Ecke.
***
D.O.M.! D.O.M.E.-Concerts! Da hatte wohl wirklich kurzzeitig das kranke Hirn ausgesetzt. Dieter Otto Meyer war seit drei, vier Jahren einer der erfolgreichsten Konzertveranstalter der Stadt. Ich war ihm persönlich erst einmal begegnet, als Kathrinchen mich mal auf ein Abba-Konzert in die Sporthalle geschleppt hatte. Da musste man natürlich hin – vier Nummer Einsen in diesem Jahr, davon allein sieben Wochen Fernando, das konnte hierzulande natürlich nur die George Baker Selection von der Berufsholländer-Fraktion mit ihrer fröhlichen Paloma Blanca überbieten – fröhlich wie ’ne lauwarme Flasche Fanta …
Aber dass ich mir selbst und meiner Kapelle noch ’nen Hit schuldig war, das wusste ich ja schon lange – dringender war ja wohl im Moment rauszufinden, wo die Blaue Britta war und was dieser Porsche fahrende Schnösel damit zu schaffen hatte. Für die Asche, die der jede Woche in seinen super-säuberlich gestutzten Schnäuzer investierte, könnte ich mir wahrscheinlich gut ’n Paar neue Stiefel machen lassen. Kathrinchen hatte damals auf der After-Show-Party darauf bestanden uns vorzustellen, aber ich mochte ihn nicht – Augen so lebendig wie die einer Forelle blau und ein Händedruck wie vom selben Tier, als es noch lebte. Auf seine obercoole Art machte er Kathrinchen den Hof wie blöd und versuchte so zu tun, als sei ich gar nicht mehr da. Er war wohl von mir auch nicht so begeistert.
»Wo mein Bier is?«, fragte ich sie, als ich das Spielchen leid war. Das brachte zumindest seinen Schnäuzer mal kurz zum Zucken. Als sie dann aber tatsächlich losstöckelte, um mir eins zu holen, ertappte ich ihn dabei, wie seine Wangenmuskeln wackelten. Ich drehte eine Zigarette, so dick und krumm ich konnte, und wollte sie ihm zum Trost anbieten, aber da hatte er plötzlich inmitten all der Catering-Geier Hello! Agneta! entdeckt, der er dringend den Rüschenkragen verkrumpeln musste. Vielleicht mochte sie keinen Qualm.
Der schöne Abba-Abend hatte damit geendet, dass ich nachts um drei aus der Bar vom Interconti rausflog, weil ich zwei Flaschen Apfelsaft und eine Flasche Korn bestellt und diese dann in einem Cocktail-Shaker zusammengeschüttet hatte. Leider war der Shaker für diese Menge gar nicht groß genug gewesen.
»’n biss’n Valuss is’ imma!«, versuchte ich den Barkeeper ein paar Mal zu belehren, aber der war einer von den beurkundeten Besserwissern und nach dem dritten Mal nicht mehr bereit dazuzulernen. Also Tschüs, Interconti. Und Tschüs, Kathrinchen, die nach ihrem achtzehnten Jägermeister mit Zosche unbedingt von einem Porsche nach Hause gebracht werden wollte. Ich hatte mal wieder keinen dabei.
***
»Hier, dann mach dä Rest au’ noch weg!«, stellte Ela mir eine Flasche vor die Nase. Daneben legte sie einen Schlüssel. »Un’ dann jehste rauf un’ legst dich scho’ma’ in die Heia. Du siehs’ ja aus, als würdste hier am Tisch schon wegknacken!«
Ganz Unrecht hatte sie wohl nicht. Ich trank den Schluck Apfelkorn gleich aus der Flasche. Als ich mich noch von Twiggy verabschieden wollte, stellte ich fest, dass der mit seiner Roswitha schon abgezogen war. An der Theke saß noch ein Fünfer-Clübchen und spielte Kampftrinken – ein Würfel, jeder einen Wurf; wer die niedrigste Augenzahl hat, gibt ’ne Runde Schnaps aus; wer ’ne Sechs wirft, bestellt Bier. Das konnte sich noch hinziehen. Ich war schon versucht, mich noch in die Runde einzuklinken, aber ein warnender Blick von Ela riet mir davon ab. Dann eben Nacht zusammen.
Ich ging zur Hintertür raus und arbeitete mich hoch zum ersten Stock. Die vier Runden mit dem Türschloss gewann ich klar durch technischen k.o., und drinnen schaffte ich es sogar, mich alleine und komplett auszuziehen. Ich kriegte sogar das Radio noch an, wo Elmar Gunsch gerade Hot Chocolate ankündigte: »… mit ihrem Titel Tears on The Telephone – Tränen auf dem Telefon …« Der gute, alte Elmar.
Die erste Strophe bekam ich schon nicht mehr mit.
***
Wieso hab ich so ’nen kalten Rücken? Was machen diese kalten Spinnen auf meinem Bauch? Und wieso ist mein Hintern dann so warm? Ich wühlte mich hoch aus einem Traum, in dem gelbe Ford Capris, überladen mit rothaarigen Barhockern aus blutdurchtränktem Gips, gesteuert von Asiatinnen mit langen schwarzen Haaren, die alle das Gesicht von Britta hatten, über die Hohenzollernbrücke auf einen Strand zu segelten, an dem langschwänzige Neger mit Schäferhundschnauzen Apfelkorn aus Zehn-Liter-Kanistern tranken. Sie trugen rote Trainingshosen und graninifarbene Turnschuhe und grölten Und du bist mein Sofa! Ich versuchte verzweifelt, den Dreck unter meinen Walzen loszuwerden, aber auf meinem Rücken hing ein riesiges Hundevieh, das mir das Ohr leckte. Ein geiles Gefühl …!
Und es war auch kein Hund, sondern Ela, die zu mir ins Bett gekrochen war. Vorher hatte sie sich noch ihren Kneipenmief weggeduscht, als letztes offenbar kalt, und sich nicht abgetrocknet. Sie hatte ihre Hände, ihre Füße, ihre Schenkel, ihre Zunge, ihre Zähne überall und gab leise, gurrende Töne von sich. Ihre Brustwarzen waren hart und so kalt, dass sich auf meinem Rücken eine Gänsehaut bildete, und ihr Unterleib so heiß an meinem Hintern, dass das Wasser schon verdampft sein musste. Da soll ein Mensch bei schlafen können. Aber besser als dieser blöde Traum war es allemal. Eine Stunde später waren wir beide klatschnass. Und erheblich lauter.
Als ich wieder einschlief, von ihren Armen und Beinen umschlungen, ein paar Zentimeter von mir immer noch in ihr, fühlte ich mich wohl wie ein gerade gestillter Säugling und so gut wie lange nicht mehr. Wenn sie einen Reißverschluss gehabt hätte, wäre ich ganz in sie reingekrochen.