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Waidmanns Heil

Bin zur Metro, einkaufen. Vorsicht! In dem Apfelsaft ist kein Korn drin!, stand auf dem Zettel, der zwischen den beiden Eierbechern auf dem Küchentisch steckte. Ein Schinkenbrot, Kräuterquark, eine Tomate – alles, was man für ’nen anständigen Tagesauftakt braucht. Dazu volle Möhre Litte Feat’s Last Record Album, was will man mehr?

Aber schon als ich das zweite Ei aufschlug, fiel mir Zaks einbandagierter Schädel wieder ein. Und Britta. Und die dreckige Fresse vom Brikett-Fuss. Ende der Idylle.

Passend bei Lowell George’s I See No End To The Dead End war ich mit meinem Frühstück fertig und machte mich auf den Weg zum Marien-Hospital. Unterwegs besorgte ich noch zwei neue Kassetten, damit der arme Zak sich nicht zu Tode langweilen musste. Es ging ihm weder besser noch schlechter als am Tag vorher. An seinem Bett saßen drei seiner Taxikollegen und spielten Schieberramsch. Dabei erzählten sie, wo sie Nijinsky und Fuss schon überall vermutet, aber noch nicht aufgestöbert hatten, und was den beiden blühen würde, wenn. Einer der Jungs, der Ex-Legionär Algerien-Fred, zeigte mir »ming Lalla«. Ich kenne mich mit Waffen nicht so aus, aber das Ding sah ganz so aus, als könne man mit einer Magazinladung den Gürzenich in Schutt und Asche legen. Wie die drei redeten, klang es ganz so, als wüsste schon die ganze Stadt, dass Kölns Taxifahrer auf dem Kriegspfad seien. Wenn die beiden Schläger nicht ganz so blöd waren, wie sie aussahen, saßen sie jetzt irgendwo in Düsseldorf und mucksten sich nicht.

Ich wünschte Waidmanns Heil und zog los, um Kathrinchen zu treffen, die auf der Hohe Straße in einer dieser poppigen neuen Filialen einer großen Kette von Plattenläden als Geschäftsführerin arbeitete.

***

Auf dem Weg dorthin stieg ich am Friesenplatz aus, um kurz nach Twiggy zu sehen. Er wohnte am Kaiser-Wilhelm-Ring, sechs Stockwerke über Dr. Müllers Sex-Shop, in einem Raum, der wohl früher mal der Trockenspeicher gewesen war. Das Ding war ungefähr so groß wie das Foyer vom Agrippa-Bad und, von den schrägen Dachwänden abgesehen, ähnlich gemütlich. Twig hatte, um Bad, Kochnische und Schlafecke ein wenig abzuteilen, ein paar mannshohe, rot-weiße »Wände« aus leeren Beck’s-Bier-Büchsen gestapelt. Neben der Kochnische stand eine runde, gläserne Duschkabine, die bis obenhin mit vollen Büchsen zugebaut war. Aus der Dusche lief Tag und Nacht kaltes Wasser darüber. Ich holte mir zwei raus und ging dem Gesang nach – bzw. dem, was Twiggy dafür hielt. Ray Charles war wahrscheinlich erblindet, als und weil er diese Version von Take These Chains From My Heart mal gehört hatte.

Der Interpret lag in der Badewanne und badete Jackie O., die ihren drei Meter langen, armdicken, gold-braun-schwarz gefleckten Leib genüsslich um seine Beine gleiten ließ. Ihr Gesicht schien wohlig zu grinsen – aber so sah sie auch aus, wenn sie die lebendigen Karnickel verschlang, die ihr Herrchen ihr in dem Grüngürtel aus Parks und Schrebergärten, der sich um Köln herumzog, mit einer Art Luftpistole mit kleinen Betäubungspfeilen jagte. Die Tigerpython fraß auch die Reste der Calamares, die Twiggy bei Stephanidis pfundweise zu verdrücken pflegte. Und sie liebte Beck’s Bier. Nach zwei Büchsen davon rollte sie sich auf dem Bett zusammen und schlief vier bis fünf Tage lang ihren Rausch aus. Und wehe, es war kein Karnickel da, wenn sie wieder wach wurde – dann war Twiggy der einzige, der sie davon abhalten konnte, ein paar Rippen zu knacken.

»Hi, Jackie«, begrüßte ich sie höflich und reichte Twig eine der Büchsen. Sie gab keine Antwort. Sie mochte mich nicht besonders, seit ich eines Nachts mal besoffen in ihr Terrarium gekotzt hatte. Das Steak, das ich ihr am nächsten Tag als Versöhnungsgabe mitgebracht hatte, blieb zwei Wochen unbeachtet liegen, bis sie sich herabließ, den stinkenden Brocken zu verschlingen.

»Any news, Boob?« Ich erzählte ihm, was ich bisher wusste. Was schnell passiert war – es war ja nicht viel.

»So what’s next?«

»Jetzt geh ich erst mal Kathrinchen interviewen, und danach werd ich wohl mal das D.O.M.E.-Büro beehren. Vielleicht gibt es da ja irgendwen, der mich was schlauer machen kann.«

»Want me to come?«

»Nö, ich denke doch, dass mir in dem Büro nix passieren wird. Oder?« Ein Schulterzucken. »Zur Not schmeiß ich ’n paar Schreibtische aus’m Fenster. Morgen und übermorgen bin ich übrigens mit Penner’s Radio on the road.«

»Da’s good – ick wollt’ an Wockenend’ kleine trip nach Belfast mäcken. Have a litte fun.« Ach du Scheiße! »A little fun in Belfast« hieß bei Twiggy, mit einer geliehenen Cessna selbst hinfliegen, mit seinen Kumpels von der I.R.A. tagsüber in den finstersten Untergrundkaschemmen ein paar Flaschen Whiskey leer machen, diese abends mit Benzin füllen, mit einem Lappen verschließen und nachts als Molotow-Cocktails auf die »Fuckin’ British Army« schmeißen. Jackie O. kriegte dann freitags ihr Bier und pennte bis mindestens Dienstag.

»Ich hoffe, du lebst noch, wenn ich Montag wiederkomme. Und ich hoffe, die Britta auch.«

Noch ein Schulterzucken und ein beruhigendes Kopfschütteln.

»They wanna snuff her, they done it right away at the Schreber joint. Shouldn’t worry ’bout that. Yet.«* Wie tröstlich. Ich trank mein Bier aus, platzierte die Büchse vorsichtig auf einer der Blechwände und ließ die beiden weiterplanschen.

Nie wieder Apfelkorn

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