Читать книгу Nie wieder Apfelkorn - Rich Schwab - Страница 14
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Heile, heile, Gänschen
Im Schrebergarten ließ ich das abgestandene Bier aus der Leitung laufen, zapfte mir ein frisches, suchte mir das Putzzeug zusammen und fing an, den Laden zu putzen. Heute ging’s einigermaßen. Nur einer hatte neben die Kloschüssel gekotzt, und im Damenklo fehlten nur zwei Glühbirnen. Dafür kehrte ich unter einem der Tische einen verkrumpelten Zwanziger zutage. My lucky day.
Fast. Mit einem Stereoknall flogen die beiden Schwingtüren auf, und mein Lieblingspärchen kam reingewackelt. Brikett-Fuss gekleidet wie letztes Mal, Nijinsky mit dem gleichen Unterhemd, aber ’ner anderen Hose. Es war ein riesiges, blank gescheuertes Stresemann-Modell mit breiten, passend grau-weiß gestreiften Hosenträgern. Der Eiserne Gustav. Ich war gerade im hinteren Raum dabei, die Stühle wieder auf ihre Plätze zu stellen, die ich zum Putzen auf die Tische gekippt hatte. Ich behielt mal einen in der Hand.
»Vierunfuffzichfuffzich«, sagte ich zum Fuss, »ohne Trinkgeld.« Er sagte nichts, nahm mir den Stuhl ab, warf ihn mit einer Hand beiseite und zog mich mit der anderen am Aufschlag meiner Jeansweste zu sich heran, um mir seine Tolle ins Nasenbein zu drücken. Damit hatte ich mittlerweile aber schon gerechnet. Ich machte einen Diener, und seine Stirn knallte auf meine. Einszunull. Ich zog mein Knie hoch. Aber da, wo eben noch seine Eier hingen, war jetzt sein Knie. Langsam is’ der auch nicht. Unentschieden. Meine Kniescheibe knallte gegen sein Schienbein. Mir wurde schlecht. Einszuzwei. Ich drehte mich von ihm weg, um mal kurz durchzuatmen. Das brachte mir einen Faustschlag in die Nieren ein. Einszudrei. Mir wurde noch schlechter, und ich begriff langsam, dass das jetzt ernst war. Ich ließ Durchatmen Durchatmen sein, vollendete meine Drehung etwas flotter als geplant und schaffte es, ihm meinen Ellbogen auf die Augenbraue zu pflanzen. Aufgeholt.
Und zu früh gefreut. Ihm war völlig klar, was als nächstes kommen würde, und mein Absatz, der seine Kniescheibe treffen sollte, verpuffte irgendwo an der Kante vom Billardtisch. Ersatzweise trat er mich in die Kniekehle. Ich knickte kurz nach hinten über, was ihm reichte, mir seinen Unterarm um die Gurgel zu biegen. Ich bog mich ein bisschen mehr mit, als ihm nötig war, packte seine Elvis-Tolle mit beiden Händen, ging noch ein Stückchen weiter in die Knie, machte einen Buckel und versuchte, ihn über mich zu werfen. Ich landete auf allen Vieren, ein Büschel roter Haare in der Hand.
Hinter mir ertönte ein Schrei, eine Mischung aus Schmerz und Wut. Gar nix mehr mit Punktezählen. Jetzt Leben oder Tod. Ich wischte um ihn rum, bekam die weiße Kugel zu packen – und hätte sie ihm auf den Hinterkopf gedengelt, wenn ich nicht den Queue aufs Handgelenk gekriegt hätte, den Nijinsky sich derweil in Ruhe ausgeguckt hatte. Der Queue kam auch gleich noch mal und traf mich im Nacken. Die weiße Kugel glitt mir aus der Hand wie ein nasses Stück Seife, ich küsste die Bande und hatte gerade noch Zeit genug herauszufinden, wie eine Billardtischbespannung riecht. Dann rissen mich die Fäuste vom Fuss wieder ans andere Ende des Tischs. Weg hier! Nur weg! Ich schlug blindlings mit beiden Fäusten über meinen Kopf nach hinten. Spürte, dass ich ein paar Zähne traf, und wie meine Knöchel aufgerissen wurden. Die Fäuste ließen eine Moment locker. Jetzt!
Nö. Das stumpfe Ende von Nijinskys Knüppel traf mich genau auf den Solar Plexus. Mir blieben die Luft, der Mut, die Wut und alle Lebensgeister auf einmal weg. Das letzte, was ich sah, war das grinsende Gesicht hinter dem Billardstock, der noch mal auf mich zu sauste.
Wieder wach wurde ich von dem dumpfen Rhythmus, der meinem Magen empfahl, sich doch endlich auszukotzen. Es waren die Cowboystiefel vom Fuss, der mich überall dahin trat, wo ich meine schützenden Unterarme gerade nicht hatte. Rhythmisch begleitet von seinen heiseren Flächen und Drohungen:
»Du. Küss. Mir. Nimmieh. In. Die. Quer! Du. Mischs’. Dich. Nirjendswo. Mieh. En! Du. Häls. Ding. Dreckelije. Fress. En Zukumpf. Us Allem. Rus! Dich. Mach. Ich. Dermaßen. Platt …!«* Ich fühlte mich, als wäre eine Kolonne Kieslaster über mich hinweggerollt. Das, was jetzt kam, war nur noch der Bollerwagen von Opa Krumm. Ich mochte Opa Krumm nicht – er machte immer den Nikolaus in unserer Siedlung und drohte mir dreijährigem Daumenlutscher, mir mit seiner riesigen Schneiderschere den Daumen abzuschneiden. Selbst unter der Küchenbank war ich nie sicher vor ihm – da zogen sie mich schon raus, Mutti, Vati, Oma, Onkel Ernst. Die liebe Verwandtschaft. Wir wollen doch nur dein Bestes!
Ich griff zum billigsten Trick und krallte meine Faust um Opa Krumms Eier, so hart ich konnte. Dann hängte ich mich mit all meinem Gewicht daran. Fuss gab ein seltsames Jauchzen von sich und kam mir entgegen. Nein, ich lass nicht los! Das Jauchzen verwandelte sich in ein Kreischen, und Nijinskys Grinsen fror ein. Fror ein zu einer eisigen Temperatur, die mir von einer Stelle unterhalb des Nabels hochkroch bis zum Hinterkopf. Ach, Vera! Tschüs, Kathrin.
Die Tür schwang auf, und Twiggy sagte: «Hi, folks!«
***
Aus derselben Bewegung, mit der er mir den Schädel hatte eintreten wollen, drehte Nijinsky sich um seine eigene Achse, brachte die drei Meter zwischen sich und Twiggy hinter sich und schwang sein rechtes Bein in Richtung dessen Kinn. Twiggy knickte leicht in der Hüfte ein, hatte plötzlich Nijinskys Fuß mit beiden Händen gepackt und ließ sich wie ein einjähriges Baby nach dem ersten Gehversuch auf den Arsch plumpsen. Der Fuß sah auf einmal aus wie falsch angenäht, Nijinsky quiekte, versuchte, sich in der Luft noch zu fangen, konnte sich aber zwischen Schmerz und Wehtun nicht entscheiden und knallte mit dem Kopf gegen den Türpfosten. Was ihn nicht hinderte, sich gleich wieder rumzudrehen und eine Karatekralle Richtung Twiggy zu schicken. Der war aber schon ein Stück weiter ins Hinterzimmer vorgedrungen, wurde allerdings sofort wieder gebremst – der Fuss hatte von irgendwoher ein Stilett hervorgezaubert und hielt es mir an die Halsschlagader.
»Jangk noch eine Schritt, un’ du häss ’ne Fründ jehatt, Ami!«*
»Sure, Baby«, knurrte Twiggy, tat einen langen, fließenden Schritt zurück, legte seine Arme um Nijinskys Hals und machte eine ruckartige Bewegung. Es knackte laut, und Nijinsky kippte mit weißem Gesicht zu Boden. Fensterscheiben und Gläser klirrten. Twiggy verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich in den Durchgang. Kauend. Kein Ausdruck in seinem Gesicht.
»Your turn, Ruby.«* Was er kaute, schien ihm zu schmecken. Er schien sich überhaupt ziemlich wohl zu fühlen. Meine Arme und meine Rippen und meine Kehle und mein Schädel schmerzten. Aber das Stilett war weg. Ich rollte mich mühsam herum, weg vom Fuss, der halb gebeugt dastand, beide Arme an den Seiten herabhängend, und völlig fassungslos abwechselnd auf das leblose Bündel Nijinsky und auf Twiggy starrte.
Seine Erstarrung löste sich in einem rasselnden Fauchen. Er schleuderte das Stilett in Richtung Twiggy, der sich seitwärts weg duckte und mit zwei langen Sätzen, sich um sich selbst drehend, ins Hinterzimmer flog. Sein Fuß traf den Fuss kurz unter dem Herzen. Als dessen Kinn den Fußboden traf, zitterte sein Stilett immer noch in der Tür. Dann war es sehr still im Raum. Nur die Thekenkühlung summte, wie immer.
»Wollte nock ein letz’ Bier mit dir trinke’ before I take off, Boob.«
»Konntste nich’ kommen, bevor ich mit Putzen fertig war? Jetzt muss ich noch mal anfangen!« keuchte ich und rappelte mich hoch. Schwer genug, überhaupt hochzukommen. »Biste böse, wenn’s zu dem Bier noch ’n Cognac gibt?«
»N-nh. Make it double.«* Machte ich. Dann rief ich Stevie an und bat ihn, mich für heute zu vertreten. Zum Glück hatte er nichts Besseres vor. Besaufen konnte er sich ja auch hier, hinter der Theke.
***
Ich stand gerade hinten in der Küche und ließ Twiggy checken, ob ich irgendwas gebrochen hatte, als wir die Eingangstür klappern hörten. Er wischte raus in den Laden und auf die Straße, konnte aber nur noch den gelben Capri mit qualmenden Reifen lospreschen sehen. Dann kam er zurück. Ich hatte nichts gebrochen.
»Wie haste denn das mit dem Nijinsky hingekriegt?« Er kicherte in sich hinein.
»Good trick, ey? Is einfack – look!« Er nahm einen der Apfelkornkanister, schlang seine mächtigen Arme darum wie um ein menschliches Genick, presste eine Hand zwischen seinen rechten Bizeps und seinen Brustkorb und ließ gleichzeitig laut all ihre Fingergelenke knacken. Absolut glaubwürdig. Man lernt doch nie aus.
Als Stevie eintraf, bestellten wir uns ein Taxi und ließen uns zu Veras Wohnung fahren. Ich quälte mich raus, und Twiggy fuhr weiter zu seiner Cessna.
»Have a nice weekend!«, wünschte er mir noch mit einem mitfühlenden Grinsen. »Next Wocke wir geh’n mal bisschen mack Ordnung in de Scheisenest, ey, Boob?«
Ich brachte nur ein mühsames Grunzen zustande. Nächste Woche war so weit weg wie meine Silberne Hochzeit.
***
»Ich wette, du hast in den letzten zehn Minuten mehr gestöhnt und gejammert als während der ganzen Schlägerei«, sagte Vera und machte eine Pause, um sich eine Zigarette anzuzünden. Ich hatte eine halbe Stunde geduscht, heiß, kalt, heiß, kalt, lag jetzt auf dem Bett in ihrem Gästezimmer und schwitzte. Seit zehn Minuten massierte sie mich mit einer Mischung aus Massageöl und flüssig gemachter Beinwellsalbe, sanft, wo sich überall schon blaue Flecken und Blutergüsse abzeichneten, fester, wo meine Muskeln verkrampft und hart wie Knorpel waren. Also hauptsächlich sanft. Mein Körper brannte, als hätte ich schon den ganzen Tag nichts getan als raus aus der Sauna, rein in den Schnee und raus aus dem Schnee und rein in die Sauna. Der Grog, den sie uns gemacht hatte, tat ein Übriges. Ich nahm noch einen Schluck und sah sie an.
Ihr sanftes, blasses, mütterliches Gesicht glühte, von der Anstrengung, von dem Grog und vor Ärger und Empörung. Ihr dünnes, hellblondes Haar klebte ihr an den Schläfen und Wangen. Sie trug eins von meinen verwaschenen, eingelaufenen Penner’s-Radio-T-Shirts – man konnte so gerade noch die zufrieden grinsende, bierbäuchige Ratte mit der Sprechblase Kölsch bringt’s! erkennen – und einen dunkelblauen Slip, zu dessen Farbe die blonden Schamhaare, die sich rechts und links davon hervor kringelten, ausgezeichnet passten. Ihre schweißfeuchten Schultern, ihre Arme und Schenkel glänzten, wie sie da rittlings auf meinen Oberschenkeln hockte. Ich trank schnell noch einen Schluck. Mein Mund war so trocken.
»Guck mich ja nicht so an!«, ermahnte sie mich und klemmte hart meine Beine ein, dass ich laut aufstöhnte. Aber ein Blick an mir herab ließ erkennen, dass das schon keine Sache von Kopfentscheidung mehr war.
»Du bist unmöglich!«, musste sie wider Willen lachen. »Halbtot geprügelt und schon wieder nix als Sauereien im Kopp!« Sie drückte ihre Zigarette aus und machte weiter mit ihrer Massage, die aber immer mehr ihren medizinischen Charakter verlor. Heilsam erschien sie mir trotzdem. Die heilenden Hände konzentrierten ihre Kreise immer mehr dorthin, wo es einem am wohlsten tut. Vera zog sich ihr T-Shirt über den Kopf und legte sich auf mich. Wir küssten uns zärtlich, träge und feucht. Für einen Augenblick spürte ich wieder mal den alten, leisen Stich der Eifersucht. Warum bin ausgerechnet ich mit ’ner Frau verheiratet, die mehr auf Frauen steht? Andererseits – was kann mir bei meinem Lebenswandel besseres passieren? Sie ist immer noch die beste Ehefrau, die ich je hatte. Und die beste Freundin.
Außerdem ändert Eifersucht auch nix. Tut sie nie. Und die heilenden Hände, die mich so gut und schon so lange kannten wie keine anderen, machten weiter. Meine blöden Gedanken verwandelten sich in Geigenmelodien, pumpende Bassriffs und Schlagzeugsoli. Ein wildes Zittern überkam mich, mit dem ich jede Anspannung in meinem Körper von mir schüttelte. Vera verrieb die milchig gewordene Spannung zwischen unseren dampfenden Körpern. Dann rollte sie von mir herunter und zog sanft meinen Kopf zwischen ihre Beine, damit ich mich revanchieren konnte.