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Kathrinchen

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Fly Like An Eagle!, säuselte mir Steve Miller mit neunzig Phon entgegen, als ich auf der Hohe Straße in den ersten Stock kletterte. Ein paar Schüler in grünen Parkas wühlten in den Plattenregalen und versuchten, mit ihren langen Haaren und ihren Kaugummis cool genug auszusehen, um Kathrinchen zu beeindrucken. Woher sollten sie auch wissen, dass man die mit gar nichts mehr beeindrucken konnte?

Sie thronte hinter der Kasse neben dem Ausgang und war allerdings für jedes männliche Wesen jeden Alters den Versuch wert. Sie trug goldlackierte Stiefel mit hohen Pfennigabsätzen, in denen eine hautenge Samthose steckte, die dasselbe Kupferrot hatte wie ihre streichholzkurz geschnittenen Haare. Von ihren Ohrläppchen herab baumelte ein Pfund goldener Kugeln, mit denen eine Familie in Ostheim ihren ganzen Weihnachtsbaum hätte schmücken können. Und einen Pullover. Ein flauschiges knallrosa Etwa, das ihren schönen, weißen Rücken fast ganz frei ließ, und dessen V-Ausschnitt ihre mächtigen Alabasterbrüste gerade so weit bedeckte, dass man die Lucky-Luke-Tätowierung zwei Fingerbreit über ihrer linken Brustwarze noch sehen konnte. Technicolor. Sie mochte ihren Busen nicht sonderlich, genoss aber seine Wirkung auf Männer, die sie sehr wohl zu nutzen wusste. Und sie liebte es, hart angefasst, bis an die Schmerzgrenze geknetet und gebissen zu werden (»Geht nix über ’nen anständigen Tittenfick, Büb. Und schwanger wirste davon auch nich’ …«). Der Anblick und die damit verbundenen Erinnerungen und Fantasien ließen meine Nacht mit Ela wochenlang her erscheinen. Wenn sie so’n Dekolletee tragen kann, also keine blauen und roten Flecken verstecken muss, hat sie vielleicht gerade keinen Lover …?

»Mittagspause! Zeit für’n Bier!«, schrie ich gegen Steve Miller an. Ein paar Köpfe ruckten erschrocken zu mir rum. Kathrinchen lächelte ihr süffisant-arrogantes Lächeln, was sie konnte, ohne eine Miene zu verziehen – es wirkte einfach von innen heraus so. Sie drückte auf den Knopf, der ihren Lehrling aus dem Lager nach vorne summte, nahm einen Fuffi aus der Kasse und zog sich eine kurze schwarze Lederjacke über. Dann rief sie den Kassenstand ab und warf mir ein goldenes Handtäschchen von der Größe zweier Zigarettenschachteln zu.

»Trägst du meine Tasche, Ivanhoe?«

»Bis nach Batavia, Herzchen. Du hast ja eh genug zu schleppen.«

»Arschloch!«, zischte sie und rammte mir im Vorbeigehen ihr Knie zwischen die Beine. Ich machte eine entsprechend artige Verbeugung und musste mir Mühe geben, nicht auf die Knie zu fallen. Mit zusammengebissenen Zähnen folgte ich den Sternchen, die um ihren wiegenden Hintern kreisten. Wie kriegt sie bloß immer diese Hosen an, ohne sie zu zerreißen?

***

Kathrinchens Erscheinen im Früh am Dom zauberte fast so etwas wie ein Leuchten auf das Gesicht des notorisch miesepetrigen Köbes in unserer Stammecke. Mit fröhlichem Schwung knallte er zwei Kölsch auf unsere Deckel, sagte tatsächlich: »Tach zesamme!« und leerte sogar den Aschenbecher. Und ihr Mettbrötchen brauchte sie bloß ein einziges Mal zu bestellen.

»Es dat Jary Cooper?«,* fragte er scheinheilig mit einem Nicken auf Lucky Luke.

»Du Jeck, wat soll ich dann met enem Schwule op d’r Memm?«,* fragte Kathrinchen zurück, was ihn so begeisterte, dass er gleich noch drei Gläser brachte. Ohne zu fragen schrieb er sie auf meinen Deckel, hob prostend seins und schüttete es sich auf einen Zug und ohne zu schlucken in den Hals. Dann wackelte er rüber, um seinen Kollegen diesen köstlichen Witz brühwarm zu erzählen. Kathrinchen lächelte ihr Lächeln und schob unter dem Tisch einen Fuß zwischen meine Beine.

»Tut’s noch weh?«

»Wenn du so weitermachs’, is mir dat och ejal«, warnte ich sie und versuchte, für meine Zigarette weniger als ein halbes Päckchen Tabak zu verbraten.

»Wie geht’s Vera?«, fragte sie mit einem gleichzeitig boshaften und lüsternen Funkeln in ihren großen, fast violetten Augen.

»Das müsstest du doch eigentlich besser wissen als ich. Oder trefft ihr euch nicht mehr?«

»Nicht mehr so oft. Leider. Die ist doch jetzt schon seit Wochen mit Iris zugange. Aber die is’ ja auch nich’ schlecht. Frisst nur zuviel Cappies un’ vergisst dann immer, was für lange Fingernägel sie hat. Aber vielleicht sollten wir zwei mal wieder mit Vera …«, sie fuhr sich kurz mit der Zungenspitze über ihre pulloverrosa geschminkten Lippen, »… einen trinken gehen.« Ich trank schnell noch einen Schluck Bier und versuchte, das Kribbeln am Ende meiner Wirbelsäule zu ignorieren. Das letzte Mal, als wir zusammen »einen trinken« waren, hatte ich morgens um sieben ’nen Kreislaufkollaps gekriegt. Es war aber nicht ganz klar, ob wegen der Mischung aus Sekt, Schnaps, Thai-Gras und Koks oder wegen dem, was die beiden die ganze Nacht mit mir – und miteinander – angestellt hatten. Würde mich die Gute Fee mal vor die Wahl stellen zwischen einem Gig im Madison Square Garden und solch einer Nacht, wüsste ich nicht, ob ich ruhmsüchtig genug wäre, mich für New York zu entscheiden.

»Apropos Schweinkram«, lenkte ich ab. »Wat macht der Stoff?«

»Alles im Griff, du kenns’ mich doch«, strahlte sie mich an. Allerdings fiel ihr dabei ein, dass sie nach dem halben Mettbrötchen – ihr Mittagessen und wahrscheinlich überhaupt das erste, was sie heute an fester Nahrung zu sich genommen hatte – und den zwei Bierchen gut einen Jägermeister vertragen könnte. Unsere dritte Runde kam schneller als die erste der drei Japaner am Nebentisch, die schon eine ganze Weile da saßen.

Ja, ich kannte sie. Ich hatte schon mit vielen Fixern zu tun gehabt (wieso sich eigentlich dauernd Fixerinnen in mich verknallten, würde mir auch ewig ein Rätsel bleiben), aber Kathrinchen war wirklich ein Phänomen gegen all die doch ziemlich kaputten Leidensgenossen. Sie machte seit Jahren straighte Jobs, und das so gut und souverän, dass sie kontinuierlich die Karriereleiter hochkletterte – immerhin hatte sie es mit ihren vierundzwanzig Jahren zur Filialleiterin gebracht, mit einem Nettogehalt, für das ich mindestens sieben Wochen die Republik rauf und runter trommeln müsste. Ohne Renten- und Krankenversicherung und was es da noch alles so gab. Alle zwei, drei oder auch mal vier Tage setzte sie sich nach der Arbeit einen Schuss (»Damit ich nich’ so mitkriege, was das Leben hier für’n Quatsch is’«) und war gut drauf. An ihr hatte ich auch noch nie so was wie Entzugserscheinungen erlebt, selbst wenn sie mal über ’ne Woche nix in den Venen hatte. Ich hatte sie auch noch nie einen Schuss setzen sehen; das passierte alles völlig unauffällig, während die meisten anderen eher eine Art Kulthandlung daraus machten. Von denen abgesehen, die so fertig waren, dass ihnen eh alles egal war. Aber Kathrinchen schien immer mit Heroin vom Feinsten versorgt zu sein, obwohl sie nie in irgendeiner der Fixerszenen rumhing oder engeren Kontakt zu den einschlägigen Dealern pflegte, wenngleich sie sie alle zu kennen schien und umgekehrt. Und wenn man sie so sah, wäre niemand je auf die Idee gekommen, dass sie irgendwas mit Drogen zu tun hätte – doch nicht diese auffällig, aber geschmackvoll und teuer gekleidete erfolgreiche junge Geschäftsfrau! Ich hatte es auch erst nach Wochen gemerkt, als sie einmal mit auffallend kleinen Pupillen und einem etwas trüben, abwesenden Blick aus dem Badezimmer kam. Aber es hatte nie auch nur im Geringsten unsere Beziehung beeinflusst.

»Wenn du weißt, womit du dich da abgibst, und weißt, was du dir zutrauen kannst, ist das nicht riskanter als dein Bier«, hatte sie mir verklickert. »Du musst eben nur dich selbst gut kennen und das Zeug, das du nimmst – alles kein Problem für mich.«

Und hier saß sie mir als Beweis gegenüber – das blühende Leben. Eine gesund aussehende Haut, strahlende Augen, hellwach und sehr abgeklärt. Und ich sah schon vor mir, wie sie nach einer Stunde Mittagspause, sprich zwölf Bier und sechs Jägermeistern, aufrecht und fit in ihren Laden zurück stöckeln würde, während ich neben ihr versuchte, mir den Pudding in meinen Knien nicht anmerken zu lassen. Sie würde souverän wie immer den Rest ihrer Schicht abreißen und nach Ladenschluss, einen großen Cognac neben sich, noch den Kassenabschluss, die Warenbestandsaufnahme und die Bestellungen erledigen. Dann würde sie eine Bombe mit zigtausend Mark in den Nachttresor der Deutschen Bank schmeißen, ein Taxi nach Hause nehmen und sich für einen lustigen oder auch wilden Abend in der City parat machen. Und am nächsten Morgen nach knapp vier Stunden Schlaf wieder so fit sein wie ich nach einer Woche Sprudelwasser.

***

»Aber jetzt sag ma’, wieso du hier bist, Büb – biste pleite oder brauchste mal wieder ’ne Abwechslung in deinem langweiligen Sexualleben?« Wie fang ich’s am klügsten an? Is’ aber eigentlich egal, die wird dich sowieso gleich durchschauen. Also, klug wie immer: Klartext.

»Pleite bin ich doch immer, dat weißte doch, un’ über die Abwechslung könn’ wir gleich gerne ma’ reden. Aber worum es mir jetzt erst mal geht, ist: Du hast doch ’ne ganze Zeit für den Bilderbuch-Schnäuzer gearbeitet? Und kennst den auch so ganz gut, wenn ich die eine oder andere Porschefahrt richtig deute?« Alles in einer einzigen kurzen Bewegung: Nicken für ja, hab ich, gleichgültiges Schulterzucken für richtig gedeutet, na und? und eine Augenbraue hochziehen für erzähl weiter, aber langweil mich nicht!

»Warum sollte der die Blaue Britta kidnappen wollen?« Sie starrte mich ein paar Sekunden völlig verblüfft an, dann kriegte sie einen Lachanfall. Ich nickte dem Köbes zu – zwei Kölsch, eine Kräuterbrühe. Als die Runde vor uns stand, hatte sie sich wieder beruhigt.

»Der Meyer? Kidnapping? Haste ’n Rad ab? Der ist zwar der cleverste Schleimer von Agent, der hier rumläuft, un’ is’ in seinem Business dat Schweinchen Schlau – aber ansonsten is’ der doch doof wie ’n Stuhl! Der un’ so ’ne Nummer? Wie kommste denn da drauf?«

Ich erzählte ihr die ganze Story. Kathrinchen hörte mir aufmerksam zu und unterbrach mich nicht ein Mal. Dabei vergaßen wir aber nicht, den Köbes zu beschäftigen. Was dem gar nicht zu missfallen schien. So wie er mein Gegenüber jedes Mal beäugte, mochte ich wetten, dass seine Frau heute Abend Grund haben würde, sich zu wundern. Hennes! Dat is’ ja schon dat dritte Mal dies’ Woch’! Aber er würde sie gar nicht hören. In seinem Kopf lief ein anderer Film. Der weibliche Star seines Films kaute nachdenklich an seiner eigenen rosa Unterlippe.

»Dass die zwei Asis gelegentlich ’n bisschen Drecksarbeit für den Meyer machen, is’ nix Neues. Aber die Britta abschleppen? Wofür? Die bringt doch nich’ mal ’n Hunni Lösegeld. Un’ den würdest du dir dann wahrscheinlich noch bei mir pumpen kommen – wer sollte sonst für die zahlen? Der Meyer is’ zwar ’n Sklaventreiber, aber Mädchenhandel …? Nö. Un’ mit dem Strich hat der auch nix am Hut. Der hat zwar seine Finger in allen möglichen Drecksdeals, aber dafür is’ der zu weich. Un’ wenn der was für die Kiste haben will, braucht der in seinem Büro doch bloß mit den Fingern zu schnipsen. Un’ seine Helma hat er au’ noch. Die is’ au’ nich zu verachten. Aber der steht ja sowieso mehr aufs Zugucken. Da zahlt der ja sogar für.«

»Was für Drecksdeals?«, hakte ich ein. Scharfsinnig, Marlowe!

»Dat Übliche. Wat brauchste – ’nen Mercedes? ’n Porsche? ’nen neuen Führerschein? Reisepass? ’n Tütchen Koks? ’ne Nachtkonzession für deine Kneipe? Zehn Tribünenkarten für dat ausverkaufte Spiel vom KEC? ’ne Knarre? ’n Schlägertrüppchen? Un’ wat glaubste, wo ich immer mein Stöffchen her kriege? Alles im Angebot. Meinste, mit seinen Konzerten alleine wär’ der so stinkreich un’ in der Stadt so wichtig geworden? Der geht doch mit dem OB zum Frühschoppen un’ mit dem Intendant vom WDR in die Sauna. Der Nijinsky arbeitet auch für andere – ich glaub, hier biste falsch.«

»Un’ die Hütte in Junkersdorf?«, gab ich zu bedenken.

»Haste ’ne Ahnung, wie viel Häuser un’ Wohnungen der Meyer in Köln un’ drumherum hat? Dat heißt noch gar nix. Der hat doch soviel schmutziges Geld im Sack, dass er froh is’ über jede Gelegenheit, dat sauber zu waschen. Un’ wenn du dem ’ne anständige Miete zahlst, fragt der garantiert nich’ groß nach, wofür.«

»Meinste vielleicht, ich setz’ mich jetz’ hin un’ dreh Däumchen un’ warte, datt die Britta vielleicht irgendwann mal wieder auftaucht? Oder datt die zwei Köpp wieder aus ihrem Loch gekrochen kommen?«

»Was willste denn machen? Clint Eastwood spielen?«, fragte sie mich mit einem ironisch-mitleidigen Unterton. Lucky Luke grinste dazu an seiner Kippe vorbei. In meinen Lenden summte es.

»Ich geh einfach erst mal davon aus, dass der Meyer seinen Schnäuzer da drin hat – schon allein, weil ich den nich’ leiden kann. Ich geh nachher mal in sein Büro un’ sag ihm dat.«

»Och, Büb! Willste neben dem Zak landen? Da kommste ohne deinen Ami-Bullen doch gar nich’ heil wieder raus! Weißte wat? Ich bin morgen Abend auf ’ner Fete beim Schmecker – da is’ die ganze Meyer-Mischpoke garantiert auch. Da nehm’ ich mir mal den Assmann zur Brust un’ horch den mal ’n bisschen aus. Der is’ eh schon länger scharf auf mich. Un’ du gehs’ in deinen Schrebergarten, zapfst Bier un’ hältst dich erst mal wat zurück.«

»Assmann? Die Ratte? Da musst du ja anschließend drei Stunden in Kernseife und Essigessenz baden!« Allein bei der Vorstellung, wie dieses schleimige Ekelpaket zwischen Kathrinchens Titten herumsabberte, schüttelte es mich. Köbes! Assmann war Meyers Spannmann, Mädchen für alles, Bote, Prügelknabe, Chauffeur, Aufreißer, Wichtigtuer – man konnte nie so genau sagen, wer von beiden Jekyll und wer Hyde war. Assmanns Hobby war der CB-Funk. Die halbe Nacht, oft genug auch die ganze, kreuzte er in einem aufgemotzten alten Opel Kapitän durch die Stadt und mischte sich in anderer Leute Funkgespräche ein. Er hörte Polizeifunk und Taxifunk und Fernfahrerfunk und Telefone ab, und es gab jede Menge Figuren, die ihm so manchen Gefallen nicht abschlagen konnten, weil sie Schiss hatten, er könnte aus dem Nähkästchen plaudern. Außerdem hielt er sich für die Rock’n’Roll-Koryphäe und laberte mir, wenn wir uns über den Weg liefen, was viel zu oft der Fall war, ständig die Ohren voll, was Penner’s und ich alles für Fehler machten, und wie weit wir es bringen würden, wenn er unser Management in die Hand nähme. Er hatte auch nur noch eine, die rechte. Die linke war aus Leder – ein gekrümmtes, schwarzbraunes Teil, mit dem er gerne unter Röcke fasste, weil ihm das Kreischen so gefiel. Es hielt sich hartnäckig das Gerücht, ein jugoslawischer Dealer hätte ihm die Hand abgehackt, weil ein Köfferchen mit fünf Kilo Haschisch unauffindbar verschwunden war. Er dementierte dieses Gerücht nie, aber als ich ihn kennen lernte, war er vielleicht dreizehn, vierzehn gewesen und hatte dieses Ding schon getragen. In dem Alter gib man den Jugos alles, was sie von einem haben wollen. Und Assmann war selbst heute, ein Dutzend Jahre später, weit davon entfernt, den Helden zu spielen. Aber in einem hatte Kathrinchen recht – er würde mit Sicherheit wissen, ob der Meyer die Finger in meinem Fall hatte. Mein Fall – mein Gott, Marlowe!

»So, ich muss wieder«, kippte sie ihr letztes Glas runter und winkte dem Köbes mit ihrem Fuffi. »Wo bist du denn morgen Abend, Büb?«

»In Braunschweig. Und Sonntag in Billerbeck. Krach machen.«

»Wow!«, tat sie begeistert. »Wieder eine dieser großen Tourneen, wa’? Die Stones und wir!« Das war mir keine Antwort wert, zur Strafe bedankte ich mich aber auch nicht dafür, dass sie (mal wieder) einen ausgegeben hatte. Immer im Kampf für Gerechtigkeit. Büb Bronson.

Ich brachte sie noch rüber in ihren Laden. Das verbesserte meine Laune wieder, denn ich erntete jede Menge neidischer Männerblicke. So’n Teilchen hatte lange nicht jeder am Arm. Oben im Lagerraum bekam ich dann noch einen sehr langen Jägermeisterkuss. Dann trug ich meine Erektion in Richtung Schrebergarten. Auch blöd – vierzehn Bier im Bauch und nicht mal pissen können!

***

Oder sollte ich doch mal in Meyers Büro? Natürlich würde mir da kein Schwein erzählen, was ich wissen wollte, aber vielleicht würde mein Instinkt …? Das Büro war in einer Jugendstilvilla am Sachsenring, einem der letzten Stückchen der Kölner Ringe, das noch halbwegs so aussah, wie es sich der Stadtbaumeister Josef Stübben 1880 ausgedacht hatte. Dessen Ringe waren einmal ein Nachtboulevard nach Pariser Vorbild und die größte Grünfläche der Kölner Neustadt gewesen. Aber Spekulantenklüngel im Verein mit dem Bombenteppich des Zweiten Weltkrieges hatten dafür gesorgt, dass von dem löblichen Vorbild nur noch der eine oder andere gebrauchte Pariser übrig blieb. Moderne Zeiten. Die hatten allerdings auch die Frittenbude zwei Ecken weiter mitgebracht, in der ich erst mal meinen Hunger stillen, pinkeln und das Bier neutralisieren wollte.

Mein Instinkt! – An einem der Stehtische stand Bernd Assmann und tunkte eine Frikadelle abwechseln in Currysauce, Senf und Mayo.

»Der Kanaldeckel’s Büb!«, schrie er, wie immer drei Nummern zu laut, und hieb mir sein Lederpfötchen ins Kreuz, als sei er wunders wie begeistert, mich zu sehen. Kanaldeckel nennen sie mich, weil ich an meinem Schlagzeug die dicksten Becken hängen habe, die man überhaupt auftreiben kann – zwei bestehen aus Autofelgen. Die feinen, dünnen, schön klingenden türkischen halten bei mir nie sehr lange, und ich muss schon ständig genug Kohle ausgeben für die Knüppel und die Felle, die auf der Strecke bleiben. Rock’n’Roll. Ich kniff ihn freundschaftlich in die Backe, dass die Frikadelle in seine Pampe fiel und ihm das Wasser in die Augen trat.

»Ah, du Wichser! A’s klar?«, begrüßte ich ihn. Manche Leute steh’n drauf, wenn ein Künstler wie ich so mit ihnen redet. Das ergänzt sich aber ganz gut – mir macht es nichts aus, so mit denen zu reden. Im Gegenteil. Aber angesichts dieser Fresse war mit Bier neutralisieren auch nix mehr. Ich holte mir ’ne Flasche und bestellte mir ’ne Bratwurst mit Fritten und Tomatensalat. Tomaten sind gut für’n Kreislauf. Dann ging ich wieder an seinen Tisch und hörte mir an, mit was für wichtigen Leuten er heute schon telefonisch verhandelt hatte, wen er alles für das absolute Bombenkonzert in die Stadt geholt hatte und noch holen würde, welche Frauen er diese Woche schon gevögelt hatte, welche nächste Woche dran kämen und was der neue Kurzwellenapparat kostete, mit dem er mit CB-Funkern in Australien dirty jokes austauschen konnte. Mein Essen war fertig. Ich holte es mir ab, zusammen mit einem weiteren Fläschchen. Ich bot Assmann, der derweil natürlich nicht aufgehört hatte zu labern, eine Fritte an und fragte ihn mitten im Satz:

»Haste ’ne Ahnung, wo die Blaue Britta steckt?« So wie seine blassblauen, leicht vorstehenden Augen mit einem Mal stumpf wurden und sein Gesicht den Ausdruck von jemandem bekam, der beim Kartenspielen mogelt, hätte ich schwören können, er hatte. Er ignorierte die Fritte.

»Wat, Büb – auf die biste immer noch scharf?« Ganz schnell hatte sich sein Gesicht wieder zu seinem gewohnten lüsternen Grinsen verwandelt. Das hatte er auch besser drauf als ’n Pokerface. »Da würd’ ich doch nich’ mal mehr drauf pissen! He, ich hab’ letztens im Santa Cruz eine kennen gelernt, das wär’ was für dich. Die –« Mir war schwer danach, ihm meine Pulle in die Schnauze zu hauen. Aber sie war noch halb voll. Er hatte es auch so mitgekriegt. »Nä, wo die Britta rumhängt, weiß ich auch nich’. Ich hab gehört, sie hätte Ärger mit irgendwelchen Jungs …«

»Irgendwelche Jungs?«, unterbrach ich ihn wieder.

»Ja, Genaueres weiß ich auch nich’. Aber wenn es dich so interessiert, kann ich ja mal ’n bisschen rumhören. Du weißt doch: Der Assmann erfährt alles hier. Aber jetzt muss ich erst mal wieder los, ins Büro. Der Meyer is’ nich’ da und ich muss den Laden alleine schmeißen.« Er kramte einen Zehner aus seiner Hemdtasche und warf ihn mit großer Geste auf den Tisch, »Ich ruf dich an, Büb.«

»Assmann …!«, rief ich sanft, als er die Tür erreicht hatte. Er drehte sich um. Für eine kurze Sekunde sprühten seine Augen Gift und Galle. »Ich bin sehr interessiert.«

»Alles klar, Büb«, er hob nach Rennfahrerart seinen rechten Daumen. »Du hörst von mir.«

Ich beendete mein Mittagessen. Es schmeckte nicht besonders.

Nie wieder Apfelkorn

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