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Dingdong

Jetzt standen wir an der Theke im Silberne Saddel und tranken Stößjen, während Twiggy sich in Ruhe anhörte, was ich wusste, was ich wissen wollte – und was ich vorhatte.

»Britta, hey? Fine lady. Wie spät is das?« Es war kurz vor zehn. »Freie Abend for ol’ Twiggy, hey? Shit.« Er dehnte das Wort so, dass es zwei Silben hatte. »Auto?« Ich verneinte. Wir bestellten ein Taxi, er zog seinen schwarzen Lederblouson über sein Mothers-of-Invention-T-Shirt, und wir zogen los.

Der Wind hatte sich gelegt. Es war ein wirklich freundlicher Septemberabend, an dem die Singvögel in den Parks und Gärten von Junkersdorf noch einmal ihr Bestes gaben, bevor sich der Sommer endgültig aus diesem Jahr schleichen würde. Unterwegs waren wir uns einig geworden, dass es eigentlich nur eine gute Strategie gäbe. Wir würden klingeln, nach Britta fragen und dann weitersehen. Watt Earp und Doc Holiday.

Asterix und Obelix?

***

Das mit dem Klingeln klappte noch ganz gut, aber es ließ sich niemand blicken, den wir irgendwas hätten fragen können. Das Haus blieb dunkel und mucksmäuschenstill. Bis auf das sanfte Dingdong irgendwo da drinnen, wenn ich den Klingelknopf drückte. Shit. Wir gingen um das Haus herum, an einer verschlossenen Doppelgarage vorbei, öffneten ein kleines schmiedeeisernes Törchen und fanden hinter dem Haus einen großen dunklen Wintergarten. Ich ging vier Stufen hoch und probierte die Klinke einer Glastür. Sie war nicht abgeschlossen, und ich öffnete sie vorsichtig. Dann lag ich auf dem Rücken am Fuße der vier Stufen und ließ mir von einem langhaarigen Schäferhund den vertrauten Duft von halb verfaultem Pansen ins Gesicht blasen. Das Mistvieh hing einfach über mir, vielleicht fünfzig, sechzig Kilo schwer, und grinste mich an. Er sah fast aus, als wolle er bloß ein bisschen spielen, wären da nicht die gekräuselten Lefzen gewesen und das leise Grollen tief in seiner Brust.

Und er wusste nicht, dass mein Onkel Fred, bei dem ich mehr als die Hälfte meiner Kindheit verbracht hatte, Schäferhunde gezüchtet hatte, solange ich zurückdenken konnte. Ich sammelte so viel Speichel ich konnte und spuckte ihm ins Maul. Er zuckte kurz zurück und riss den Rachen auf. Ich rammte ihm die flache rechte Hand quer hinein und presste seine Zunge fest an seinen Unterkiefer. Gleichzeitig kniff ich mit der Linken hart in seine Nase. Er winselte und versuchte, mit ruckartigen Bewegungen seine Schnauze zu befreien. Ich drehte seinen Kopf, seinen Unterkiefer als Hebel benutzend, bis er nicht mehr auf mir hing. Ich wälzte mich auf die Knie, wo ich noch mehr Kraft entwickeln konnte. Es knackte. Sein Geheul musste ganz Junkersdorf aufwecken. Ich sprang auf, riss meine Hand aus seinem Maul und trat ihm gegen den Kiefer. Er überschlug sich und kroch winselnd und mit eingekniffener Rute in den dunklen Garten. Wenn er so gut dressiert war, wie es bei seinem lautlosen Angriff den Anschein gehabt hatte, würde er in ein paar Minuten wieder böse werden, aber er würde, was meine Person anging, etwas vorsichtiger sein. Schwer atmend drehte ich mich um.

»Dein freier Abend, wie?«, knurrte ich Twiggy an, der im Türrahmen stand, Hände in den Jackentaschen, Kaugummi kauend. Oder Haschisch?

»Nickt gänz, Tarzan«, brummte er vergnügt. Jetzt erst bemerkte ich, dass zu seinen Füßen ein Mensch hockte, sich den Magen hielt und würgte.

»Wen hammer denn da?«, fragte ich.

»Modesty Blaise?«, sagte Twiggy, packte die Gestalt am Kragen und hob sie hoch, sodass ich ihr ins Gesicht sehen konnte. Er hielt sie mühelos an seinem ausgestreckten Arm, wobei ihre Füße vierzig Zentimeter über dem Erdboden schwebten. Es war Zaks Asiatin, Haare bis zum Arsch. Gut ging’s ihr nicht.

»Suzie Wong! Jetzt haust du auch schon kleine Mädchen?«

»Wenn dunkel, erst beruhigen, dann fragen«, sagte er. »Alte Regel bei de cops.«

»Na dann fragen wir sie doch mal ’n bisschen was«, meinte ich. Er drehte sich um, mit dem Mädel an der ausgestreckten Faust, und ging durch den Wintergarten ins Haus. Wir betraten ein riesiges Wohnzimmer. Ich fand einen Lichtschalter. Ein paar Sessel, zwei Sofas, ein Glastisch, der so groß war, dass ich bedauerte, keine Schlittschuhe dabei zu haben. Die meisten Möbel waren mit weißen Laken zugedeckt. Urlaubsstimmung.

Twiggy setzte Suzie Wong in einen der Sessel und drückte sie kurz hinterm Ohr. Sie verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig.

»Erst de Haus«, meinte er. Auch nicht dumm. Also nahmen wir uns erst »de Haus« vor. Vom Keller bis zum Speicher. Fast überall das gleiche Bild – mit Laken verdeckte Möbel. Kein Mensch. In einem der Schlafzimmer im ersten Stock waren zwei getrennt stehende Betten benutzt worden. An deren Fußende stand eine Campingliege, an deren Gestell ein Paar Handschellen befestigt waren. In meinem Kopf ertönte das Stahlnetz-Thema. Aber es wollte dann doch nicht so recht zu der Fototapete am Kopfende der Betten passen – ich hatte das Foto schon mal in irgendeiner Zeitschrift gesehen, aber nicht im Format drei mal fünf Meter: ein afrikanischer Sandstrand, Palmen, Fischerboote. In den Booten standen hochgewachsene, nass glänzende schwarze Männer, die sich auf lange Stäbe stützten. Die meisten von ihnen hatten Pimmel, die ihnen fast bis zum Knie reichten. Black Hammer. Wir waren wohl im Mädchenzimmer gelandet.

Wir trabten wieder runter ins Wohnzimmer. Es war leer.

»Verdammt zäh, diese Asiatinnen, wie?«

»Yeah«, knirschte Twiggy. Ich sah ihn an und ritt nicht weiter darauf herum. Nicht alles in Vietnam hatte ihm gefallen.

»Warte hier. Und denk an den Hund«, schlug ich ihm vor. »Ich guck mir noch mal das Büro an.« Er nickte bloß. Das hat man nun davon, wenn man einem nicht allzu wehtun will! konnte ich ihn förmlich denken hören.

In dem Arbeitszimmer im zweiten Stock, schräge Wände, eine Dachhälfte verglast, riss ich die Laken vom Schreibtisch und einem Wandschrank. Leer. Nichts. Nada. Nix Urlaub – weg! Ich warf noch mal einen Blick ins Bad und den einen oder anderen Schrank. Absolutely nothing. Nichts, was irgendeinen Rückschluss auf die Hausbesitzer oder Mieter zuließe. Mieter?! Ich rannte die Treppe runter zum Vordereingang. Daneben hing, in die Wand eingelassen, der Briefkasten. Werkzeug!

»Twig?« Er kam in den Flur und begriff sofort. Er trat einmal kurz mitten auf das Briefkastentürchen. Es bog sich ein schönes Stück nach innen, und die Ränder klafften auf. Er bog den unteren nach oben. Man kann sich doch immer darauf verlassen, dass die Post irgendwas verschlampt. Ich holte zwei Briefumschläge aus dem Kasten. »An alle Haushalte«. Absender der Quelle-Versand. Scheiße! Aber der hier: An Hrn. Dieter O. Meyer, Nachtigallenweg 4, 5000 Köln-Junkersdorf. Abs.: Der Polizeipräsident, Köln. Die Mahnung für ein beschissenes Zwanzig-Marks-Knöllchen wegen Falschparkens am Wallraf-Richartz-Museum! Bingo!

»Besser als nix«, grinste Twiggy. »Time for a drink, hey?«

In beiden Punkten konnte ich ihm nicht widersprechen. Wir verpissten uns.

Nie wieder Apfelkorn

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