Читать книгу Die Bewohner von Plédos - Richard Oliver Skulai - Страница 11

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Der Kyruppengraben

Auf ihrer Wanderung durch Rüsselschwein durchquerten sie ein unfruchtbares Wüstengebiet und die Freunde waren sich nicht sicher, ob ihre Vorräte ausreichen würden, die sie ihren beiden Eseln aufgeladen hatten. Auch schien die Sonne ziemlich prall herab.

„Wie lange ist es denn noch bis zur Nordküste?“, stöhnte der kleine Idan. „Ungefähr noch siebenhundert Kilometer bis zum Löwensee“, sagte Kuno Weißhaar.

„Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen“, erwiderte Idan. „Ich würde gar zu gerne wissen, wo wir jetzt sind.“

Kuno Weißhaar streckte dem kleinen Idan die Karte hin. „Siehst du, dieser Inselkontinent ist Rüsselschwein. Er heißt so, weil er aussieht wie eine fette Sau, deren Hinterbeine hinter einem Fettwulst versteckt sind und die sich nur noch auf den Vorderbeinen aufrecht hält. Schau, wie sie den hässlichen Rüssel, der oben eine Verdickung trägt, emporstreckt! Der Auswuchs rechts daneben ist ein unförmiges Ohr. Wir haben keinen guten Ruf bei den Bewohnern der anderen Inselkontinente! Unser Image ist ziemlich im Arsch, wenn man so sagen darf.“ Und einige Tränen kullerten seine Wangen hinunter. „Unser Kontinent sieht aus wie eine fette Sau und ich selbst habe eine Schweinsnase und riesige Ohren.“ Kuno Weißhaar schniefte.

„Ich finde nicht, dass er wie eine fette Sau aussieht“, sagte der kleine Idan. „Was ist denn das blaue Dreieck dort oben in der Mitte des Rüssels?“

„Das ist der große Löwensee“, erläuterte Kuno Weißhaar. „Dort versammeln sich große Löwenherden, um zu trinken.“

„Wenn man sich den See als einen Ausschnitt denkt“, fuhr Idan fort, „dann kann man auch eine andere Gestalt darin sehen.“

„Welche denn?“

„Eine tanzende Frau mit wehendem Kleid, die mit ihren Armen nach oben greift und mit Pauken zusammenschlägt oder einen Ball hält. Seht ihr: Das Schweineohr rechts ist dann der Kopf der Frau!“

„Idan hat Recht“, bemerkte Äffchen, „keine schlechte Beobachtung!“

„So habe ich die Sache noch nie betrachtet“, sagte Kuno Weißhaar. „Kleiner Idan, du hast unser Image gerettet! Du hast das Ansehen unseres Landes wiederhergestellt! Wir werden unseren Kontinent umbenennen! Wir werden ihn umbenennen in ‚musizierende Frau‘!“

„Nein“, sagte Äffchen, „es muss ein Name sein, der den anderen angeglichen ist, ein Name in einem Wort. ‚Frauentanz‘ wäre geeignet.“

„Also gut, ‚Frauentanz‘“, stimmte Kuno Weißhaar zu. „Das ist ein guter Name. Aber wir müssen ihn noch populär machen. Erst dann können wir das Ansehen unseres Kontinentes erhöhen!“

Äffchen kratzte sich nachdenklich an der Stirn.

„Was ist?“, fragte der Kuno.

„Mir fiel gerade ein: Mit dem Namen stimmt doch etwas nicht! Im Augenblick komme ich nur nicht darauf, was es ist!“

„Ich glaube, ich weiß, was du meinst“, sagte Kuno Weißhaar. „Die Namen der Kontinente beziehen sich auf Dinge, die man sehen und anfassen kann: Haihaupt, Stiefelburg, Totenmund und so weiter. Einen Frauentanz kann man nicht anfassen. Ob ‚Tanzende‘ der richtige Name wäre? Aber dann wäre er nicht aus zwei Wörtern zusammengesetzt. ‚Tanzfrau‘ vielleicht?“

„Ich weiß noch einen besseren Namen“, sagte der kleine Idan. „Was haltet ihr von ‚Jubelfrau‘?“

„Ausgezeichnet!“ lobte Äffchen. „Das ist der passende Name. Lasst uns von nun an Rüsselschwein so nennen! Unter uns zumindest!“

Auf ihren Eselchen zogen sie weiter. Endlich gelangten sie durch bewaldete Gegenden, die aber völlig unbewohnt und menschenleer waren. Der kleine Idan staunte über die vielen bunten Vögel, von denen es zahllose Arten gab. Einige von ihnen hatten Schnäbel, deren unterer Teil wie eine Schüssel oder ein Waschbecken aussah. Wenn sie zu ihren Jungen in ihre Nestbauten flogen, öffneten sie ihren Schnabel und ließen ihre Zöglinge trinken, die das Wasser eifrig aus der Schnabelschüssel becherten. Die Schnäbel anderer Vögel waren sternförmig, glichen Krallen und waren beweglich. Die Vögel fingen mit ihnen große Insekten aus der Luft. Rauschende Bächlein begleiteten die Kameraden. Ein weiteres beliebtes Nahrungsmittel waren die Schwebequallen. Sie bewegten sich mithilfe eines Gases durch die Luft, das sie in ihrem Inneren erzeugten. Oft kreuzten Rollmopskopffüßler ihren Weg. Das waren pelzige, kugelförmige Wesen auf zwei Beinen, die es vorzogen, auf steilen Strecken ihre Gliedmaßen einzuziehen und sich rollend fortzubewegen. Sie hatten einen Saugrüssel, der teleskopartig ein- und ausgefahren werden konnte, und verständigten sich durch pfeifende Töne. Der kleine Idan erwischte einen von ihnen und wollte ihn in seine Reisetasche stecken.

„Lass das, die sind ungenießbar“, belehrte ihn Kuno Weißhaar.

„Glaubst du denn, ich will ihn essen?“, fragte Idan mit beleidigtem Gesichtsausdruck.

„Was sonst?“

„Ich will doch mit ihm spielen!“

„Mit Rollmopskopffüßlern kann man nicht spielen, die beißen!“

„Wie sollten sie denn beißen? Sie haben doch einen Saugrüssel!“

Aber Kuno Weißhaar hatte Recht, denn schon zwickte den kleinen Idan etwas in seinen Finger.

„Der Saugrüssel enthält kleine Reißzähnchen“, ergänzte der Kuno, aber es war schon zu spät. Der kleine Idan rieb sich den wunden Finger. Und der Rollmopskopffüßler entwischte.

Endlich ging die Reise durch eine karge Gebirgslandschaft. Hier wuchsen nur wenige Fruchtbäume, und es gab nur vereinzelte Tümpel und kleinere Seen.

„Achtung“, sagte Äffchen, „wir nähern uns dem Kyruppengebiet.“

„Kyruppen? Was ist denn das?“, wollte der kleine Idan wissen.

„Oh, das sind Wesen, die aussehen wie aufrecht gehende Drachen. Sie sind etwas größer als Menschen – aber nicht sehr viel größer – und sie haben drei Beine. Ihre Füße haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Vogelklauen. Sie haben genau drei Zehen. Die kleinere, hintere Zehe dient ihnen zur Stütze, die beiden anderen sind nach vorn gerichtet. Auch ihre Hände haben nur drei Finger. Sie sind leicht gebaut und schneller als Laufvögel, zu denen sie eine gewisse Verwandtschaft haben. Sie haben scharfe spitze Zähne, aber eigentlich sind das gar keine Zähne, sondern die Ausläufer einer Hornkruste, die zu einem Schnabel gehört. Die Kyruppen sind neben den Plédo-Affen die einzigen Wesen, die eine menschliche Sprache besitzen und so vernünftig wie Menschen denken. Ich meine, wenn man von den Bewohnern des Komponischen Märchenwaldes absieht. Man möchte es eigentlich gar nicht glauben. Aber diese Kyruppen sind weise Wesen. Das Volk der Kyruppen wird von den sogenannten goldenen Drei angeführt. Das sind alles Weibchen. Denn du musst wissen, dass bei den Kyruppen die Weibchen dominant sind.“

„Was heißt dominant?“, fragte der kleine Idan.

„Nun, so nennt man jemanden, der über den anderen herrscht. Mit anderen Worten: Bei den Kyruppen herrschen die Weibchen über die Männchen.“

„Ist das nicht ungerecht, wenn Weibchen über die Männchen herrschen oder umgekehrt?“, fragte Idan.

„Nun, ob gerecht oder ungerecht – es ist nun einmal so! Bei den meisten höheren Tieren herrschen die Männchen. So sollte es ja auch sein!“

„Finde ich nicht“, sagte Idan.

„Das wundert mich“, erwiderte Äffchen. „Du wirst selbst einmal ein Mann sein!“

„Wieso? Man muss auch an andere denken.“

„Aber nicht, wenn man selbst dabei benachteiligt wird. Das ist zumindest einmal so meine Auffassung. Da ich selbst ein Männchen bin, würde ich benachteiligt, wenn bei den Plédo-Affen die Weibchen das Sagen hätten. Also, wo war ich stehen geblieben? Die Kyruppen werden von den goldenen Drei angeführt, die größer und weiser sind, als alle anderen Kyruppen. Ihre Namen sind Traula, Goa und Gran. Und die Gefährlichste und Stärkste von diesen dreien ist Traula. Sie und ihre Gefolgschaft wachen über ein Gebiet, das wir den ‚Kyruppengraben‘ nennen. Es ist eine Erdsenkung, die sich über viele hunderte Kilometer erstreckt. Dort wächst Petersilie.“

„Petersilie?“

„Ja, Petersilie in ungeheuren Mengen. Der ganze Graben ist voll davon, vom Boden bis zum Rand. Im Graben fließt ein Bach, den man ‚Silberpfad‘ nennt. Es heißt, dass er für das Gedeihen der Petersilie verantwortlich sei. Die Kyruppen wachen über die Petersilie. Wehe, ein anderes Wesen verirrt sich in den Graben und wagt, von der Petersilie zu kosten. Es ist des Todes und wird von ihnen sofort verspeist.“

„Sofort?“

„Sofort! Vorausgesetzt, es wird von den Kyruppen entdeckt. Was aber beinahe sicher der Fall ist. Denn die Kyruppen haben feine Nasen.“

„Und gibt es keine Möglichkeit, mit ihnen zu verhandeln? Du hast gesagt, die Kyruppen können sprechen und denken wie Menschen! Gibt es da wirklich keine Möglichkeit?“

„Doch“, sagte Äffchen nachdenklich, „eine Möglichkeit gibt es, eine einzige!“

„Und welche?“

„Du musst ihnen Rätsel aufgeben! Die Kyruppen lieben es, Rätsel zu lösen. Es gibt nur einen Haken.“

„Und der wäre?“

„Sie sind sehr klug. Und die Rätselfragen werden von den ‚Goldenen Drei‘ gestellt und beantwortet. Es ist nicht bekannt geworden, dass einer sie besiegt hätte.“

„Also Finger weg von der Petersilie!“, sagte Kuno Weißhaar.

Sie zogen weiter. Die Fruchtbäume wurden immer spärlicher. Weit und breit waren keine Seen und Tümpel mehr zu sehen. Einen ganzen Tag lang hatten sie nichts gegessen und getrunken. Der Abend dämmerte, und die tiefen Schatten der Berge, die das Land überzogen, kündigten an, dass es sehr kalt werden würde. Und dann begann der sogenannte Kyruppengraben. Er sah aus wie ein Wald aus baumhoher Petersilie, der eine Talschneise ausfüllte. Und tief unten leuchtete der Silberpfad.

„Lasst uns in den Petersilienwald hinabsteigen“, schlug Kuno Weißhaar vor. „Es wird sehr kalt werden heute Nacht.“

„Nein, das ist lebensgefährlich“, raunzte Äffchen.

„Nicht, wenn wir die Petersilie nicht anfassen“, erklärte der Kuno.

„Wie wollen wir das beweisen?“, fragte Erfinder-Äffchen.

„Brauchen wir nicht. Es heißt, dass die Kyruppen fühlen, wenn Petersilie gegessen wird.“

„Aber wir könnten die Petersilie zertreten“, sagte der kleine Idan. „ist das dann nicht dasselbe?“

„Da müssen wir eben aufpassen“, sagte Kuno Weißhaar. „Wir müssen zwischen der Petersilie hindurchgehen. Hauptsache, wir werden dadurch ein wenig angewärmt. Dieser Petersilienwald ist ein guter Wärmespeicher!“

Idan und Äffchen hörten auf Kuno Weißhaar, da dieser ein erfahrener Trapper war. Äffchen selbst hatte den Komponischen Märchenwald kaum je verlassen, ganz zu schweigen vom kleinen Idan. Tatsächlich wurde es bald empfindlich kalt und sie fanden in der Abenddämmerung kunstvoll angelegte Fußwege, die zwischen den Petersilienbeeten hindurchführten. Zwischen den üppigen Kräutern wurde es ihnen wieder warm. Und unten im Graben auf der rechten Seite des silbernen Flusses setzten sie ihre Reise fort. Sie gingen solange, bis es dunkel wurde und Äffchens Taschenlampe nicht mehr ausreichte, um die Umgebung zu erhellen. Dann kauerten sie sich nieder und schlugen am Flussufer ihr Lager auf. Der dichte Petersilienwald schützte sie vor der einbrechenden Kälte. Am nächsten Morgen zogen sie weiter. Ihren Durst konnten sie mit Wasser aus dem silbernen Fluss stillen, denn Kuno Weißhaar hatte versichert, dass solches erlaubt sei. Das Wasser sei in ständiger Bewegung, es plätschere über die Felsen und Steine, bilde allenthalben Wirbel und die Kyruppen, so überaus feine Sinne sie auch besäßen, stünden nicht immer mit dem Fluss in Verbindung und könnten nicht abschätzen, wann ein Mensch das Wasser berührte. Bei den Pflanzen sei das anders. Alles, was die Petersilie spüre, jede noch so geringe Bewegung der Angst, teile sich auch dem Volk der Kyruppen mit. Das Wasser des Silberpfades war sehr wohlschmeckend. Aber es reichte nicht, um auch den Hunger zu stillen. Und am Nachmittag überkam die Freunde ein schreckliches Hungergefühl. Äffchen und Idan konnten sich noch am besten beherrschen. Aber Kuno Weißhaar war das Hungern nicht gewöhnt. Und alle Ermahnungen in den Wind schlagend, auch seine eigenen Grundsätze, rief er aus: „Nur ein kleines, kleines Kräutchen! Ein winzig, winzigkleines Petersielchen, nur ein winzigkleines Petersielchen!“

Und schon war er über die Petersilie hergefallen, noch ehe Äffchen und Idan ihn daran hindern konnten, und hatte sich den Rachen damit voll gestopft. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ein feines Beben durch den ganzen Wald lief, ausgehend von der Stelle, an der sich die Freunde befanden. Und schon vernahmen sie Schritte, die im Dreitakt aufeinander folgten, Schritte von hunderten Wesen und ein jedes hatte seinen Takt. In der Ferne tauchten diese Wesen auf und sie kamen immer näher. Ihre Köpfe erhoben sich über die Petersiliewälder. Sie glichen grazilen Vogelköpfen mit langen, vorspringenden Schnauzen, die schnabelartig vorgewölbt waren. Und sie trugen keine Zähne im Maul, sondern gezackte Hornscheiden und ihre Körper waren schuppig und metallen glänzend. Sie alle hielten ihre scharfen Klauen vorgestreckt und gingen auf drei Beinen. Es waren unzählig viele. Sie verstopften die linke Seite des Kyruppengrabens und kamen geradewegs auf die Reisenden zu. Angeführt wurden sie von den Goldenen Drei, und diese waren leicht zu erkennen an ihren weißgoldenen Schuppenpanzern, die in der Sonne strahlten. Die größte Kyruppe schritt ihnen voraus und wie man sehen konnte, war es die größte im ganzen Heer. Sie kamen ganz nahe heran und machten erst unmittelbar vor den Gefährten halt. Die größte Kyruppe öffnete ihren Rachen und die Stimme, die aus ihm hervorging, formte Laute in der Menschensprache. Sie war grauenvoll und ungewohnt, aber ihre Worte waren klar und unmissverständlich: „Ich bin Traula, das Haupt der goldenen Drei, und diese, meine beiden Gefährtinnen sind Goa und Gran, meine Mitregenten. Ihr habt Petersilie gegessen. Ihr habt es gewagt, euch an unserem Wald zu vergehen. Dies ist der Grund, warum ihr sterben müsst.“

„Ich habe nur ein wenig ge … k … k … k … kostet“, stotterte Kuno Weißhaar. „K … k … kaum probiert!“

Die Kyruppen stießen hohe, lachende Trillertöne aus.

„Reicht schon, um selbst gefressen zu werden“, entgegnete Traula.

„W … w … wenn ihr uns fresst, w … w … was passiert dann mit unseren Eseln? Sie sind unschuldig! Wenn ihr sie leben lasst, müsst ihr uns leben lassen. Sie sind ja ohne uns hilflos.“

Wieder lachte Traula in hohen Tönen und die übrigen Kyruppen stimmten in ihr Lachen mit ein.

„Den Eseln geschieht nichts“, sagte sie. „Sie haben ja nichts getan. Wir werden sie zu uns nehmen und gut versorgen.

„Aber e … e … es gibt noch einen weiteren Grund, warum ihr uns schonen müsst“, rief Kuno Weißhaar. Er gab noch nicht auf. „W … w ... wir haben einen jungen Mammutfresser, der mit Fleisch versorgt werden muss. Deshalb sind wir aufgebrochen, um den Nordpol zu erreichen. Unsere Fleischreserven gehen uns aus. Wenn ihr uns tötet, wird der Kleine ohne Nahrung sein. Er wird ebenfalls sterben. Und er ist unschuldig!“


Traula stieß einen leisen Pfiff aus, als sei sie über die Unverschämtheit solch einer Lüge zu höchst entrüstet.

„Das ist wohl die unglaubwürdigste Ausrede, die ich je gehört habe“, sagte sie. „Wo ist denn dieser kleine Mammutfresser?“

„Z … z … zu Hause im Komponischen Märchenwald! Wir mussten ihn bei den Fleischvorräten lassen. Er wäre uns hier verhungert.“

„Also habt ihr auch keine Beweise. Und ohne Beweise gilt auch deine Ausrede nicht. Es ist beschlossene Sache, dass wir euch umbringen werden!“

„Halt!“, rief Äffchen. „Es heißt, ihr liebt Rätsel. Ihr müsst uns eine Rätselfrage stellen. Wir wollen um unser Leben kämpfen.“

„Gut, lasst uns Rätsel raten“, sagte die mächtige Kyruppe, „aber die Bedingungen stelle ich. Drei Fragen ihr, drei Fragen wir, aber seht euch vor: Wenn wir an der Reihe sind, werden die Fragen im Schwierigkeitsgrad ansteigen. Und in jedem Durchgang werden wir nur ein Thema behandeln. Mit anderen Worten: pro Durchgang ein Thema. Das tun wir, weil wir fair und unsere Fragen schwer sind. Von euch verlangen wir nicht dasselbe. Ihr habt die freie Wahl, weil ihr die Gäste seid und ihr fangt an, damit es spannender wird! Aber wohlgemerkt: Wenn ihr nur eine Frage falsch beantwortet und uns nicht spätestens im dritten Durchgang besiegt habt, habt ihr verloren. Und noch eine weitere Bedingung. Es sind nur Fragen nach Gegenständen oder Begriffen erlaubt. Jede Frage muss mit ‚Was ist das?‘ beginnen. Der kleine Mensch da soll anfangen. Er sieht so unbedarft aus!“

„Was ist das?“, fragte der kleine Idan. „Es ist klein, hat einen kleinen und einen großen Kopf und auf jedem Kopf ein Horn?“

„Ein junger Mammutfresser“, sagte Gran. „Hübsches Rätsel, aber leicht. Weiter!“

„Was ist das?“, fragte Kuno Weißhaar. „Es dreht sich immer um sich selbst und es wird ihm doch nicht schwindlig. Während es aber so tut, als ob es sich um sich selbst dreht, dreht es sich immer um einen anderen.“

„Das ist doch einfach“, erwiderte Goa. „Das ist ein Planet.“

„Was könnte es noch sein?“, fragte der Kuno.

„Das gilt nicht. Es ist nur eine Antwort gefordert.“

„Dann stelle ich die Frage als drittes Rätsel“, meldete sich Äffchen. „Was könnte es noch sein?“

Goa schluckte.

„Ich bin dran!“ zischte Traula. „Die Antwort ist: Ein Egoist.“

„Und warum?“, fragte Äffchen.

„Eine vierte Frage ist nicht erlaubt, aber du sollst es trotzdem wissen: Der Egoist dreht sich immer nur um sich selbst und glaubt, das ganze Weltall drehe sich um ihn. In Wahrheit dreht er sich um den Teufel! Wir sind dran!“

„Was ist das?“, fragte Gran. „Es ist im Wasser langsamer als in der Luft. Es wird überall zerbrochen, wohin es fällt und wenn es ganz zerbrochen zurückspringt, freuen wir uns und unsere Freude ist keine Schadenfreude.“

„Hmmm … das Licht! Licht!“, sagte Kuno Weißhaar. „Du beschreibst das Licht, wie es Farben erzeugt.“

„Das ist korrekt. All diese Eigenschaften treffen auf das Licht zu. In dieser Runde gebe ich mich geschlagen.“

„Ich aber nicht“, rief Goa siegessicher. „Was ist das? Wer es sieht, fühlt sich eins mit dem All. Ruhige Freude umhüllt ihn. Und doch vollführt der Tänzer mehr Sprünge, als wenn er in Unruhe ist. Tanzt aber der Tänzer um ein Drittel weniger, dann wirkt er unruhig und glühend.“

„Du beschreibst die Farbe Blau“, erwiderte Äffchen. „Und das andere ist ihre Komplementärfarbe Orange.“

„Ihr seid nicht die Dümmsten“, sagte Traula. „Ja, das ist korrekt. Aber jetzt bin ich dran. Kannst du mir auch sagen, warum der Tänzer mit vielen kleinen Sprüngen Blau erzeugt und mit wenigen großen Gelb, warum er bei vielen Sprüngen ruhiger wirkt und bei weniger Sprüngen unruhiger?“

„Der Tänzer ist das Lichtteilchen“, erwiderte Äffchen. „Je höher das Lichtteilchen schwingt, desto lockerer ist der Verband, in dem es sich bewegt, desto zerstreuter ist das Licht. Deshalb macht die Farbe Blau einen so gelösten Eindruck auf uns und befreit unsere Seele, während wir Orange als dichter, glühender, aufreizender empfinden.“

„Ausgezeichnet“, erwiderte Traula. „Du bist ja ein richtiger kleiner Wissenschaftler. Bisher sind alle an spätestens dieser Frage gescheitert. Ihr seid dran! Jetzt geht es um die Wurst!“

„Ich weiß nichts mehr“, sagte entmutigt der kleine Idan.

„Hihihi! Der kleine Pimpf gibt auf!“, tönte Traula mit schrillem Lachen. „Ihr beiden anderen werdet auch aufgeben müssen. Früher oder später. Das sehe ich kommen!“

„Keineswegs“, sagte Äffchen. „Was ist das? Man verwechselt beide miteinander. Zu Unrecht gibt man ihm denselben Namen. Und doch ist das eine wahr, das andere falsch. Das eine umschreibt die Angst vor der Strafe, das andere Verantwortung aus Mitgefühl.

„Eine leichte Frage. Du meinst das schlechte Gewissen.“

„Das ist leider richtig“, knurrte Äffchen.

„Weiter!“, forderte Traula.

„Was ist das?“, fragte Kuno Weißhaar und seine piepsende Stimme klang zaghaft und weinerlich. „Man verwechselt beide miteinander. Im einen Falle foltert man sich selbst und fühlt sich vernichtet in Anbetracht seiner Schwäche, im anderen Fall betrachtet man ruhigen Mutes seine Fähigkeiten, indem man sich als Glied eines großen Ganzen fühlt. Beide Geisteshaltungen haben verschiedene Namen, aber von den Unkundigen werden sie oft verwechselt. Um welche Namen handelt es sich?“

Gran und Goa zögerten mit der Antwort. Aber Traula kam ihnen zuvor.

„Du meinst den Unterschied zwischen der quälenden Selbstzerknirschung, die man auch Kleinmut nennt, und der wahren Demut des Weisen“, sagte sie.

„Einer Demut, die du nicht kennst“, bemerkte zähneknirschend der Kuno.

„Eure Rätsel langweilen mich“, sagte Traula, ohne auf Weißhaars Bemerkung einzugehen, „es dürfte wohl keine Frage geben, die ich nicht beantworten kann. Ich denke, jetzt bist du wieder dran, Plédo-Affe, da es dem kleinen Menschen die Sprache verschlagen hat und der Kuno eben erst dran war! Gib lieber auf, du kleines, freches Äffchen, und füge dich ins Unvermeidliche und ich verspreche euch einen schnellen Tod!“

Äffchen biss sich auf die Lippen.

„Dieses Rätsel wirst du nicht beantworten können. Wer ist das: Er wurde auf einer Insel geboren und ist auf einer anderen, kleineren Insel gestorben. Er war kein König, sondern erst Soldat, wurde aber zum Herrscher eines großen Weltreiches. Er hat viele Kriege geführt und am Ende haben ihn seine Feinde auf der kleinen Insel festgesetzt, wo er gestorben ist. Wer ist es?“

„Eine solche Person kenne ich nicht“, antwortete Traula. „Sollte mich wundern, wenn sie je existiert hätte.“

Äffchen stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

„Ätsch, gewonnen! Wir haben gesiegt! Die Antwort ist Napoleon!“

„Napoleon? Wer soll denn das gewesen sein?“

„Siehst du, du weißt es nicht! Das ist eine echte Bildungslücke!“

„Ein Napoleon hat sicher auf unserem ganzen Planeten niemals gelebt“, sagte Traula. „Die Ereignisse, die du anführst, hat es nie gegeben. Das würde ich wissen.“

„Wer sagt denn, dass er auf unserem Planeten gelebt haben soll? Hat er natürlich nicht. Sein Heimatplanet wird von seinen Bewohnern so ähnlich wie Ea genannt und ist viertausend Lichtjahre von hier entfernt.“

„Das gilt nicht“, erwiderte Traula. „Woher willst du denn so etwas wissen? Das ist nur ein Ablenkungsmanöver. Man kann viel zusammenfantasieren über Dinge, von denen man keine Kenntnis hat und haben kann.“

„Verdammt, sie hat mich durchschaut“, murmelte Äffchen.

„Dann gibt es also gar keinen Napoleon?“, flüsterte der kleine Idan.

„Woher soll ich das wissen“, flüsterte Äffchen zurück, „ich habe ihn bloß erfunden. Habe gehofft, sie fällt auf den Trick herein.“

„Du langweilst mich mit deinem Gewäsch“, sagte Traula mit durchdringend heller Stimme. „Offenbar willst du nur Zeit gewinnen! Stelle mir eine intelligentere Frage oder lass es bleiben und lass dich fressen. Du hast sowieso nichts mehr vom Leben! Und es wird dir wenig nützen, deine Frist hinauszuschieben. Besser ist’s, ihr lasst uns ein Ende machen! Ich werde euch von eurer Angst befreien! Je schneller desto besser!“

„N … n … n … nein!“, schrie Kuno Weißhaar.

„Doch! Wirst sehen, dass ich Recht habe“, lockte Traula mit flötender Stimme. „Wirst nichts spüren, wenn dir meine Kiefer das Genick zerbrechen!“

„Wir geben nicht auf“, rief Äffchen, aber es merkte, dass ihm die Ideen ausgingen. „Wie schnell ist das Licht?“

„In einer Sekunde fünfmal um unsere Welt. Die Frage ist ungültig. Zu eurem Glück! Das war eine reine Wissensfrage. Es sind aber nur Was-Ist-Das-Fragen erlaubt. Du darfst nicht glauben, dass ich etwas nicht wüsste, was mit unserer Welt zusammenhängt. Rätselfragen sind mir aber lieber, da denkt man etwas dabei! Ich möchte eine Rätselfrage gestellt bekommen! Aber eine, die mit unserer Welt zusammenhängt, bitte schön!“

Erfinder-Äffchen holte tief Luft.

„Mit unserer Welt zusammenhängt, mit unserer Welt“, murmelte Kuno Weißhaar und es ging ihm ein Licht auf. „Denk an die Frau“, flüsterte er.

Äffchen begriff sofort. „Was ist das? Eine tanzende Frau mit wehendem Kleid hält einen Ball in die Luft, eine Rassel, eine Pauke, ein Musikinstrument. Sie ist in freudigem Taumel. Und jeder, der seine Augen auf unsere Welt richtet, kann sie erkennen!“

„Was ist das schon wieder? Soll wohl wieder so ein Trick sein! Nie von einer solchen Frau gehört! Sollte mich wundern, wenn es sie gäbe. Vielleicht ist es eine Tänzerin in Íoland oder in Stiefelburg. Aber dass jeder, der unsere Welt sieht, seine Augen auf ein solch unbedeutendes Mädchen richtet, wäre mir neu! Das hast du sicher erfunden!“

„Es ist Rüsselschwein!“, rief Äffchen. „Hinter dem Kontinent Rüsselschwein verbirgt sich solch eine Gestalt!“

Und wie zum Beweis hielt Kuno Weißhaar der großen Kyruppe den Plan vor Augen.

„Ja“, sagte er, „es ist nicht alles immer so, wie es scheint. Manchmal verbirgt sich Schönheit hinter dem Hässlichen!“

Traula stand da mit offenem Maul und stieß einen lauten, melodischen Pfiff des Staunens aus.

„Wirklich, ihr habt Recht! Ihr habt das Rätselspiel gewonnen!“

„Werdet ihr uns leben lassen?“

„Ja, wir werden euch leben lassen“, erwiderte Goa. „Und nicht nur das. Euer Rätsel hat einen Preis verdient!“

„Einen hohen Preis“, sagte Gran, „denn ihr habt uns zu einer Erkenntnis gebracht. Zu der Erkenntnis, dass das Land, das wir bewohnen, die Gestalt einer tanzenden Frau hat. Ja, auch wir sind Frauen.“

„Und wir wollen so schön werden wie diese tanzende, jubilierende Frau, die unseren Kontinent bildet“, ergänzte Traula. „Könnt ihr uns dabei behilflich sein?“

„Wie sollten wir das?“, fragte Kuno Weißhaar verwundert und misstrauisch, als vermute er eine Falle. „Wenn wir dazu ein Rezept wüssten, wären auch wir Kunos sicher keine Kunos mehr.“

„Es gibt da eine Möglichkeit. Es geht um die Frage, was entsteht, wenn die sieben Strahlen des Lebens vereinigt werden.“

„Die sieben Strahlen des Lebens?“, murmelte Äffchen. „Das habe ich doch irgendwo schon einmal gehört!“

„Würde mich wundern, wenn dem so wäre“, erwiderte Traula. „Davon wissen nur die höchsten Eingeweihten. Der Fairness halber stellen wir so etwas nicht als Rätselfrage. Dieses Geheimnis ist selbst dem Volk der Kyruppen verborgen geblieben. Nur wir Anführerinnen haben Kenntnis davon. Wir selbst wurden von unsren Vorgängerinnen darin eingeweiht.“

„Und doch kommt es mir irgendwie bekannt vor“, sagte Äffchen. „Ich habe es bestimmt schon irgendwo gehört.“

„Jedenfalls“, fuhr Traula fort, „habt ihr die Kenntnis, die Intelligenz und den Mut, die erforderlich sind, um die sieben Strahlen des Lebens zu entdecken. Wenn ihr sie entdeckt habt, wenn ihr das Geheimnis erfahren habt, wie man sie herstellen kann, dann kommt zu uns und wir werden euch eine Linse geben, mit der ihr sie sammeln könnt. Dann werden wir gemeinsam unsere Vollendung finden.“

Die Freunde folgten den goldenen Drei und wurden von ihnen in eine Stadt geführt. Solch eine Stadt hatten sie noch nie gesehen. Die Gebäude sahen aus, als seien sie aus Bäumen geflochten, deren Äste sich spiralförmig emporwanden. Kein Haus war völlig in sich abgeschlossen. Kein Turm hatte ein Dach oder war völlig vom Regen geschützt.

„Was ist das?“, fragte der kleine Idan.

„Das ist Trodonk, die große Donnerstadt, Hauptstadt des großen Kyruppenreiches“, erwiderte Traula. „Wir haben einige Hundert solcher Städte, aber Trodonk ist die größte.“

„Warum heißt sie denn Donnerstadt?“, wollte der kleine Idan wissen.

„Blick nach oben!“, forderte Traula. „Was siehst du?“

Idan folgte der Aufforderung. Er sah, wie sich hoch über ihnen der Himmel in drohenden Gewitterwolken zusammenballte. Die Wolken waren fast schwarz. Und dazwischen lagen helle, gleißende Stellen freien Himmels, die wie Blitze zwischen ihnen aufzuckten.

„Das ist der Grund“, fuhr Traula fort. „Trodonk ist so gebaut, dass sie Gewitterwolken anzieht und es regnen lässt.“

„Aber eure Häuser haben keine Dächer“, sagte Idan. „Sie sind überhaupt nicht dicht!“

„Es ist nicht die Nässe, die wir fürchten. Das Wasser perlt von unserem Panzer ab. Es ist die Trockenheit. Unsere Türme laden die Atmosphäre auf. Sie erzeugen Elektrizität. Und diese brauchen wir genauso wie die Feuchtigkeit.“

Tausende Kyruppen standen zu beiden Seiten der Straße und grüßten die Freunde.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Idan.

„Das bedeutet, dass ihr die Ersten seid, die das Rätselraten überlebt haben.“

Bei diesen Worten taumelte der kleine Idan und drohte zu stürzen. Erst jetzt wurde ihm so recht bewusst, in welcher Gefahr er sich befunden hatte. Und vor Entsetzen darüber wurde er ohnmächtig.

Die Bewohner von Plédos

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