Читать книгу Die Bewohner von Plédos - Richard Oliver Skulai - Страница 5
ОглавлениеDie Kontinente der Inselwelt
Etwa viertausend Jahre braucht das Licht, um von einem großen weißen Stern zu unserer Erde zu gelangen. Dieser Stern wird von zwölf Planeten umbahnt. Der siebente unter ihnen ist eine geheimnisvolle Inselwelt. Unter den Weisen der Vorzeit, die noch über ein Wissen verfügten, das heute verschollen ist, wurde sie wegen der Vielfalt ihrer Lebensformen die Welt von Plédos genannt. Sie ist mit einem Umfang von über neunundfünfzigtausend Kilometern etwas größer als die Erde und ihre Achse ist nur wenig geneigt. Diese Inselwelt wird in einem Abstand von nur hundertfünfzigtausend Kilometern von einem großen dunklen Mond umkreist. Einige nennen diesen Mond einen Planetenmond. Sie nennen ihn deshalb so, weil sich beide Himmelskörper, Plédos und sein Mond, um eine gemeinsame Achse drehen, die etwa in der Mitte zwischen beiden liegt. Obendrein drehen sich beide relativ zu dieser Bahn auch um ihre eigene Achse und wenden einander stets unterschiedliche Seiten zu. Sie haben ein gemeinsames Schwerefeld und der Planetenmond besitzt eine Atmosphäre, die der von Plédos sehr ähnlich ist. Er ist im Verhältnis zur Welt von Plédos viel größer, als jeder gewöhnliche Mond im Verhältnis zu seinem Planeten ist. Sein Umfang liegt bei fünfundzwanzigtausend Kilometern. Die Bewohner der Welt von Plédos nennen ihn Pessian. Pessian besitzt wie Plédos einen reinen, blauen Himmel mit mäßiger Dunstbildung, aber er verfügt nur über wenige Meere, die sehr unrein sind. Der Planetenmond ist von vielen kleinen und großen insektenartigen Lebewesen bewohnt. In früheren Zeiten fanden von Plédos aus Raumflüge nach Pessian statt, aber das ist eine andere Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden soll.
Die Welt von Plédos ist, abgesehen von ihren beiden Polen, in sieben verschiedene Kontinente aufgeteilt, die sehr unterschiedlich geformt sind und eine ungeheure Vielfalt an Lebensformen beherbergen. Allein die Unterschiede zwischen den menschlichen Völkern sind vielfältiger als auf den anderen Welten vergleichbarer Größe, umso mehr die zwischen den Tieren.
Der Kontinent Stiefelburg gleicht am ehesten einem lang gestreckten Rechteck und läuft im Nordosten in den Kopf eines Seeungeheuers oder in so etwas wie einen gewaltigen, geschwungenen Damenstiefel aus. Es ist der Kontinent der Abenteurer. Die Völker von Stiefelburg stehen auf unterschiedlicher Kulturstufe. Die nördlichen Nationen sind mit den Kulturen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts vergleichbar, die kriegerischen, südlicheren haben viel Ähnlichkeit mit der Kultur des Mittelalters. Sie haben viele große Burgen und Ländereien und gehen in Rüstungen einher. Sie befinden sich im ständigen Krieg mit einer außergewöhnlichen Menschenrasse, die ebenfalls im Süden heimisch ist, – den Wildhörnern.
Bei den Wildhörnern handelt es sich um die geheimnisvollste und außergewöhnlichste Menschenrasse auf Plédos. Ihr Blut ist besonders eisenhaltig und kann in besonderem Maße Sauerstoff binden, der ihr Gehirn und ihre Muskeln versorgt. Ihre Haut ist von matter, silbergrauer Farbe und ausgesprochen zäh und sie verschmähen es, Kleidung zu tragen. Sie haben große, grüne Katzenaugen und ihre Stirn ist wie ein Pilzdach oder ein Helm nach außen gewölbt. Ihr Haar gleicht einem einzigen langen Schweif, der sich in der Mitte des Kopfes befindet und von unterschiedlicher Farbe, aber meist feurig rot ist und sie tragen Hörner auf dem Kopf, wonach sie benannt sind. Sie besitzen lang gestreckte Burgen, die sich in der Unendlichkeit des Kontinentes verlieren. Frauen und Männer unterscheiden sich äußerlich kaum voneinander. Beide Geschlechter sind ungeheuer gewandt im Kampf. Da der Geburtskanal der Frauen wegen der Zähigkeit ihrer Haut und Muskulatur nur wenig dehnbar ist, kommen die Kinder ganz klein, kaum größer als ein Daumen, zur Welt. Schon im Säuglingsalter sind sie ungeheuer flink und gewandt und handhaben die Waffen ohne große Mühe. Trotz der großen Grausamkeit, die man ihnen nachsagt, sind die Wildhörner sehr auf Ästhetik und Sauberkeit bedacht. Unter den Stiefelburgern sind es die Gentlemen. Sie verfügen über große Spiralschwerter mit einer unglaublich dünnen Schneide von unübertrefflicher Schärfe, mit denen sie schnell und präzise umzugehen verstehen. Wenn sie damit auf ihre Gegner einschlagen, so bleibt das von diesen zunächst fast unbemerkt, vorausgesetzt, sie lassen ihre Arme dabei nicht senkrecht nach unten hängen. Im Gegensatz zu ihren Gegnern, den übrigen Südländern, lassen sie keine blutigen Leichen zurück, vorausgesetzt, die von ihnen so behandelten haben sich noch nicht von der Stelle bewegt. Tun sie dies aber, so kann es geschehen, dass sie in saubere Scheibchen zerfallen, aus denen dann erst, wenn sie in Panik davonzulaufen versuchen, langsam das Blut quillt. Ohne sich von der Stelle zu bewegen, können sie sogar einige Wochen überleben, essen und trinken und sogar Stuhlgang haben, wenn sie sich dabei auf den Beinen halten. Den Wildhörnern selbst ist es unbegreiflich, dass ihnen Grausamkeit nachgesagt wird. Vielmehr halten sie sich selbst für äußerst kultiviert. Sie verfügen auch über sehr viele Wissenschaften, die den meisten Menschen auf Plédos unbekannt sind. Da sie aber sehr traditionsbewusst sind, haben sie ihre Sitten und Kulturgüter seit Jahrtausenden nicht geändert. Dennoch gehörten sie zu den ersten, die sich für Sternkunde interessierten und eine Form der Weltraumfahrt entwickelten.
Es ist noch nie beobachtet worden, dass irgendein Wildhorn im Kampf gegen Menschen gefallen ist. Der Flinkheit und Stärke der Wildhörner ist niemand gewachsen, noch hat jemals ein gewöhnlicher Sterblicher ihren Erfindergeist ergründet. Dennoch treibt der Herrscher der Südländer, König Artobald, seine Ritter unter Androhung der Todesstrafe an gegen die Wildhörner, deren Grausamkeit er nie genügend hervorheben kann, zu kämpfen. Wer den Befehlen des Königs nicht gehorcht, muss unter entsetzlichen Qualen den Tod erleiden. Seine Güter verfallen an die Henkersknechte und seine Familie wird ehr- und mittellos. So wählen die Ritter des Königs lieber den Tod im Kampf. Es ist zu vermuten, dass den Wildhörnern diese Tatsache nicht bekannt ist. Wüssten sie davon, so würden sie die gegen sie anstürmenden Südländer gewiss schonungsvoller behandeln. So aber glauben sie im Recht zu sein, wenn sie sich verteidigen. Wahrscheinlich sagen sie sich, dass die mittelalterlichen Südländer ganz schöne Dummköpfe sein müssen, wenn sie nicht den Mut aufbringen, sich gegen einen König, der sie grausam unterdrückt, zur Wehr zu setzen. Wahrscheinlich können sie sich nicht vorstellen, dass ein Volk einen anderen König haben könne als den, den es selbst gewählt hat und der es repräsentiert. Wahrscheinlich sind sie deshalb so wenig geneigt, die Ritter, die von allen Seiten ihre Burgen anzugreifen suchen, als bloße bemitleidenswerte Opfer zu betrachten. Wer weiß es? Wie dann doch die Wildhörner am Ende eine Lösung des Problems fanden, die beiden Seiten zugute kam, das ist eine andere Geschichte, die später berichtet werden soll.
Einer der berühmtesten Nordländer von Stiefelburg ist hauptsächlich unter dem Namen „Männelein“ bekannt. Eigentlich nennt er sich Galun. Er war ein Einzelkind und wuchs bei seiner Mutter auf, mit der er in ständigem Konflikt stand. Gemeinsam mit seinem Freund Bilon, einem munteren Blondschopf, unternahm er Streifzüge durch die ganze Welt. Seine Abenteuer sind legendär. Über sie wird später noch zu berichten sein.
Östlich von Stiefelburg liegt Íoland. Íoland gleicht in der Gestalt einer Flunder mit erhobener Schwanzflosse. Der Kontinent ist vorwiegend von Fischern und solchen Menschen bewohnt, die auf ihren persönlichen Nutzen bedacht sind. Sie betreiben Handel, fahren zur See und haben prunkvolle Städte.
Es gibt nur zwei sehr große Kontinente auf Plédos, die untereinander durch eine Landbrücke verbunden sind. Den nördlichen nennen wir Windlanden, den südlichen Totenmund.
Windlanden hat die Form eines schemenhaften, geschlängelten Menschen mit großem Kopf und ohne Gliedmaßen. Den Namen hat der Kontinent von den Luft- und Feuerstürmen, die dort wüten. Solche Stürme kommen und gehen in kurzer Zeit, richten ungeheure Verwüstungen an und sind so schnell vorüber, wie sie begonnen haben. Die Bewohner von Windlanden sind kaum eine Stunde vor solchen Stürmen sicher. Um sich vor den schrecklichen Winden zu schützen und nicht alle Tage ihr Hab und Gut zu verlieren, haben sie sich unterschiedliche Methoden ausgedacht. Viele ihrer Städte gleichen Spinnennetzen, die zwischen ungeheuer hohen, biegsamen Pfeilern ausgespannt sind. In diesen Netzen aus feuerfestem Material sind Häuser wie schwingende Gondeln eingewoben, ebenfalls feuerfest, die den Luft- und Feuerstürmen trotzen sollen. An anderen Orten befinden sich feuerfeste niedrige Häuser, deren wandelbare Dächer ihre Schräge verändern und sich der Windrichtung anpassen können. Die Einwohner gehen dort mit glatten, schimmernden Kleidern und großen Hüten aus einem asbestartigen Material durch die Straßen.
Durch den Kontinent erstrecken sich große, hohe Gebirgszüge. Hier wohnen in Höhlen und aus den Felsen gehauenen Wohnungen versteckt andere Völkergruppen. Viele dieser Felsendörfer sind in den nieder gelegenen Gebirgspässen fast vollständig vor den Luft- und Feuerstürmen geschützt.
Der Kontinent Totenmund gleicht einem menschlichen Totenschädel mit leicht geöffnetem Mund und vorgeschobener Unterlippe. Er ist von Hexen, Zauberern und Kobolden bewohnt, die ein eigenes Volk bilden. Diese Wesen sind von ausgesprochener Hässlichkeit und mit Alraunen vergleichbar. Sie sind äußerst zäh und widerstandsfähig und werden mehrere tausend Jahre alt. Sie wohnen in Höhlen und Hütten in dichten Wäldern, die von Nebelschwaden durchzogen sind. Mit ihren einfachen Fluggeräten eilen sie vom Wind getragen durch die Luft. Insbesondere die Völker im Bereich der an Windlanden angrenzenden Landbrücke haben sich diese Fähigkeit zunutze gemacht.
Östlich von Windlanden und Totenmund liegt der Kontinent Haihaupt. Seine Form ähnelt einem Bumerang. Dieses Land ist von mächtigen, etwa zehn Meter hohen Riesen bewohnt. Ihre Kultur ist sehr einfach und roh. Sie wohnen in Hütten, die aus Bäumen geflochten sind, und sind meist von unsäglicher Grausamkeit. Man sagt, dass einer von ihnen, der missgebildet war und zwei Hörner auf dem Kopf und ein weiteres auf der Stirn trug, sich auf eine einsame Insel im Ostmeer zurückgezogen habe, wo er sich von Bären ernähre, die er roh verzehren würde. Diese Insel nennt man die Grizzlyfresserinsel. Ihr Namensgeber ist auch für gestrandete Menschen sehr gefährlich. Seine Zähne sind spitz. Die Landsleute des Grizzlyfressers behaupten, dass dieser den Verstand verloren habe. Aber sie haben nichts unternommen, um ihren wahnsinnigen Bruder zurückzuholen. Sie lassen ihn gewähren.
Ein weiterer, noch weiter östlich gelegener Kontinent ist Ómuo. Er besteht eigentlich aus zwei größeren Inseln, einer kleineren südöstlichen und einer relativ kleinen, nordwestlichen, die durch eine Landbrücke miteinander verbunden sind. Die kleinere, südöstliche, wird von ihren Bewohnern Omonu genannt. Die größere, nordwestliche nennen die zivilisierten Völker Sonnenostun. Sie heißt deshalb so, weil sie, wie auch die Halbinsel Omonu, im sogenannten Sonnengürtel des Planeten liegt, der sich durch außerordentliche Hitze auszeichnet. Sonnenostun hat eine nordwestliche Ausbuchtung, die der Karikatur eines menschlichen Gesichtes im Profil gleicht, und läuft südwestlich in eine riesige Zacke aus, die einem Bart ähnelt und sich in mehreren kleinen Inseln fortsetzt. Für das zusammenhängende Festland hat sich der Name Ómuo eingebürgert. Die Vegetation auf Ómuo ist in besonderem Maße schwefelhaltig und erzeugt Ausdünstungen, die das Sonnenlicht sammeln und eine unerträgliche Hitze verursachen, sodass selbst die Haut der schwarzen Völker unter ihrer Einwirkung verbrennen würde. Es hat sich daher auf Ómuo eine besondere Menschenrasse herausgebildet, die statt Pigmenten Chlorophyll in der Haut trägt und daher grün erscheint. Selbst ihre Augäpfel sind grün. Sie besitzen die Fähigkeit der Fotosynthese, können daher von Licht und Wasser leben und sind weder Vegetarier noch Fleischesser. Sie brauchen nicht zu arbeiten, um sich Nahrung zu beschaffen, was bei der unerträglichen Hitze tagsüber auch kaum möglich wäre. Sie haben es daher auch nie zu einer höheren Kultur gebracht. Ihre Zähne sind klein und spitz und werden außer zum Abschaben von Steinen nur zur Selbstverteidigung benutzt. Auch ihre selbst gefertigten Waffen, große, lange Speere, setzen sie nur zur Verteidigung ein. Sie tragen keine Kleidung, behängen sich aber mit Schmuck. Die grünen Völker bekämpfen sich nicht untereinander, da sie friedliebend sind. Es gibt aber viele große gefährliche Tiere auf Ómuo, die fast alle fleischfressend sind. Selbst viele Pflanzenarten auf Ómuo sind fleischfressend. Wegen der aufsteigenden Schwefeldämpfe gedeihen grüne Pflanzen nur schlecht. Viele haben sich daher auf ein Dasein als Zwitterwesen – halb Tier, halb Pflanze – spezialisiert und lauern ihren Opfern aus dem Hinterhalt auf. Da die Eingeborenen von Ómuo, besonders die Kinder, nicht immer Waffen bei sich tragen, müssen sie sich oft ihrer kleinen Zähne bedienen, um die Pflanzen zu zerstückeln, die sie überraschend ergreifen, um sie zu verzehren. Darüber hinaus müssen sich die grünen Völker gegen die Fischer aus Íoland und die Abenteurer aus Stiefelburg verteidigen, die nach Ómuo reisen. An der Eroberung des Kontinentes sind diese bisher gescheitert.
Der Kontinent Rüsselschwein im Osten von Ómuo gleicht einer plumpen Sau auf zwei südwestlichen Beinen mit gewaltigem Kopf, den man als eine Mischung aus Schwein und Elefant bezeichnen könnte, und der im Norden in einen riesigen, aufgerichteten Rüssel ausläuft. Unter allen Kontinenten von Plédos ragt Rüsselschwein – von seinen Bewohnern „Kirisag“ genannt – durch seine reiche Tierwelt hervor. Manche dieser Tiere sind denen auf der Erde ähnlich. Gewöhnliche Menschen gibt es in Rüsselschwein nur wenige, aber es leben dort einige Riesen- und Zwergenvölker. Unter diesen stechen die fünf Meter hohen Giplomben, blaue, dumpfe Riesen mit Stielaugen, und die Zwergenrasse der Kunos hervor. Ausgewachsene Kunos werden in der Regel siebzig Zentimeter hoch, haben Schweinsnasen, dicke Bäuche und langes, struppiges Haar. Im Norden des Landes befindet sich der ausgedehnte Löwensee, wo sich Herden großer löwenartiger Tiere treffen. Weiter südlich liegt die große, eintausend Kilometer tiefe Ganganjer-Schlucht. Sie ist das Wahrzeichen des Kontinentes. Alles, was in diese Schlucht stürzt, wird an ihrem Grund zu Staub zermalmt. Man sagt, dass diese Schlucht entstanden sei, als sich einst in grauer Vorzeit der Planetenmond Pessian von Plédos trennte. Damals sei der Inselwelt diese große Wunde gerissen worden.
Am nördlichen Rande der Ganganjer-Schlucht befindet sich der Komponische Märchenwald. Er wurde von den beiden Riesen Idan und Oler gepflanzt, die über ihn wachen. Sie sind Brüder und vor Jahrhunderten aus Haihaupt geflohen, weil sie die Grausamkeit der dortigen Bewohner nicht mehr ertrugen. Idan und Oler sind die größten und mächtigsten Wesen in Rüsselschwein. Auf einer Reise nach Windlanden rettete Idan einst einen Menschensäugling, dessen Eltern von Wegelagerern umgebracht worden waren. Er nahm ihn mit sich und zog ihn groß. Er gab ihm den Namen: „der kleine Idan“. Der kleine Idan ist in Rüsselschwein der einzige richtige Mensch. Im Komponischen Märchenwald können die Tiere sprechen – wenigstens erscheint es dort dem kleinen Idan so – und sie leben in Frieden zusammen. Und hier ist es, im Komponischen Märchenwald, wo unsere Geschichte beginnt.