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Eins

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»Gelosa smania – deluso amore ...« – Clara konnte nicht anders. Wenn Pavarotti seine Arien aus der Traviata schmetterte, musste sie einfach mitsingen. Sie kannte die Worte seit der Kindheit auswendig, auch wenn sie sie nur sinngemäß verstand. So ganz genau musste der Text auch nicht sitzen, denn die Klänge aus Jans Anlage übertönten sowohl das Geräusch der Dunstabzugshaube als auch ihren eigenen Katzengesang.

Aus dem Augenwinkel kontrollierte sie die sanft köchelnde Weißweinsoße und die Schüssel mit dem Rucola-Salat, während sie frische Salbeiblättchen zerzupfte, die sie auf dem ausgerollten Nudelteig verteilte, und sich zwischendurch eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Küchen-Rushhour. So liebte sie das. Sie musste sich beeilen. Gleich war es halb sieben und bis dahin musste sie noch den Wein öffnen, zwei Gläser füllen und versuchen, schnell die gröbste Unordnung zu beseitigen, sonst ...

»Ma é tempo ancora«, schwappte es aus dem Lautsprecher und sie trällerte aus vollem Hals mit, als die Musik plötzlich abbrach.

»Meine Güte, man hört dich bis ins Treppenhaus. Und wie sieht es hier aus!« Hinter ihrem Rücken durchschnitt Jans Stimme die Stille.

In Claras Magen verkrampfte sich etwas, das sie nicht wahrhaben wollte. Nicht heute Abend, nicht schon wieder!

Sie holte tief Luft, drehte sich zu ihm um und hob die Arme. »Hallo Schatz, ich habe dich gar nicht kommen hören. Der Pinot Grigio liegt noch im Kühlschrank«, ergänzte sie und versuchte, entspannt zu lachen, während sie hinter sich etwas von der Arbeitsplatte griff. »Hier, fang! Tartufo Bianco di Alba, frisch eingeflogen!«

Jan legte die kleine Knolle naserümpfend auf den Tresen. »Dieses Chaos! Du weißt, dass ich das nicht mag!«

»He, du bist eine halbe Stunde zu früh!«

»Willst du mir jetzt vorschreiben, wann ich meine Wohnung betreten darf?«

Wieder meldete sich dieses Ziehen in Claras Magen. Wie lange ging das schon mit seinen Launen? Eigentlich hatte es vor ein paar Monaten schon angefangen, kurz nach ihrem Einzug in sein Super-Designerloft nahe der Frauenkirche. Aber sie war doch auf sein Drängen gekommen, hatte alles zurückgelassen, ihre süße kleine Wohnung im Glockenbachviertel, ihre durchgesessenen Möbel, die sie verschenkt hatte, sogar ihre ausgewählten Lieblingsbücher, die seitdem in fünf Umzugskisten im Keller lagerten, weil sie nicht zu der großflächigen zeitgenössischen Kunst an den unverputzten Betonwänden passten.

Jan hatte inzwischen auf dem Barhocker am Küchentresen Platz genommen und fummelte an seinem i-Phone herum. Er sah unwiderstehlich aus, wenn er die dunklen Haare zurückgegelt hatte und sich wie jetzt auf seiner Stirn eine steile Falte bildete. Dank Überstunden und vielen Abenden im Fitnessstudio hatte er in den letzten Wochen abgenommen, so dass er trotz seiner Fünfundfünfzig zehn Jahre jünger wirkte. Seine schwarzen Augen funkelten allerdings zornig, als sie sich mit ihren trafen.

Clara umrundete den Tresen, wischte sich die Hände an dem kurzen, engen Rock ab, nahm sein Gesicht in die Hände und begann, es mit kleinen Küssen zu bedecken, wie er es liebte.

»Einen für den schlechten Tag, einen für das Novemberwetter, einen für den Stau, einen für die böse Clara und einen für all die anderen Gründe, die einem schlechte Laune ...«

Diesmal endete ihr Spiel allerdings nicht wie sonst in Gekicher und wildem Geknutsche oder gar mehr, sondern in einem »Sei nicht so kindisch« und einem zurückgebogenen Kopf.

Clara schluckte und ließ die Hände sinken. »Dann ein Glas Wein?«

Sie ärgerte sich, weil sich ihre Stimme so bettelnd anhörte. Was sie hier veranstaltete, um ihn aufzuheitern, grenzte fast an Demütigung! Vor allem, weil Jan immer öfter als mürrischer Sieger aus diesem Treiben hervorging. Trotzdem versuchte sie es wieder. Sie waren doch keine Kinder mehr und hatten sich vor einem halben Jahr bei vollem Bewusstsein und nach jahrelanger Prüfung endlich zusammengetan. Auf sein Drängen!, sagte Clara sich wieder vor. Was war denn nur los mit ihm?

»Komm, Schatz, erzähl. Du hast Ärger gehabt im Büro, stimmt’s? Aber heute ist Freitag. Wochenende! Entspann dich! Ich habe ...«

Sein i-Phone klickte leise und er starrte auf das Display, als verheiße es ihm ewige Glückseligkeit.

»... Salat vorbereitet, und anschließend gibt es selbst gemachte Salbeipasta alla casa unter einer dicken Schicht von Trüffelspänen ...«

Früher hätte Jan spätestens jetzt seinen Spruch von der »besten Köchin unter der Sonne Münchens« gebracht, doch jetzt rollte er mit den Augen.

»Clara, lass gut sein. Du weißt doch, dass ich gleich wegmuss.«

»Was? Am Freitag? Aber wohin?«

»Tu nicht so, als hättest du es vergessen. Ich habe es dir schon etliche Male gesagt.«

»Aber ...« Clara zwinkerte ratlos.

Kein Wort davon war wahr, sonst hätte sie sich nicht solch eine Mühe mit dem Einkaufen und Kochen gegeben. Es würde allerdings nur wieder neuen Streit geben, wenn sie ihm das vorhalten würde. Allmählich kam auch ihr die gute Laune abhanden.

Jan rumorte bereits hinter der halbhohen schlichten Schrankwand, die den Schlafbereich vom Rest des großen Raums abschirmte.

»Wo ist das Hemd mit den lila Streifen?«

»In der Wäscherei.«

Sein Gesicht kam zum Vorschein, krebsrot. »Sag mal, was tust du eigentlich den ganzen Tag außer kochen?«

Vor Claras Augen begann es zu flimmern, automatisch fuhren ihre Hände in die Hüften und es half nichts, sich innerlich langsam Zahlen aufzusagen.

»Basta«, murmelte sie leise zu sich, um sich zu fangen.

»Wie bitte? Du sagst basta zu mir? Gute Güte, wenn du wüsstest, wie mir dein Pseudo-Italienisch auf die Nerven geht! Basta, pasta, tartufo ... du kannst die Sprache doch gar nicht. Lass es also sein! Beginn, dich vernünftig zu verhalten. Altersgerecht.«

Clara schnappte nach Luft. »Altersgerecht? Und was ist mit dir? Du bist genauso alt wie ich. Aber seit Wochen lässt du deine schlechte Laune an mir aus wie ein kleines Kind und ich ...«

»Du wirst theatralisch. Das steht dir nicht.«

Jan brachte einen kleinen Louis-Vuitton-Koffer zum Vorschein. »So, und nun bussi, ich muss los. Bin schon zu spät.«

Clara zeigte auf den Koffer. »Wohin gehst du? Wann kommst du? Ich dachte ... ist das denn kein geschäftliches Abendessen?«

»Siehst du, jetzt ist es dir eingefallen – jedenfalls fast. Du weißt, dass ich über Nacht in der Post bleibe. Die Besprechung wird dauern, und ich werde danach wohl um ein, zwei Bier nicht herumkommen. Da fahre ich die Strecke von Sauerlach nicht mehr heim. Das haben wir schon tausendmal durchgekaut.«

»Stimmt doch gar nicht.«

»Schätzchen, es ist zu spät zum Diskutieren. Und entschuldige wegen meiner Bemerkung vorhin, du weißt schon, darüber, wie du den Tag verbringst. Das war gemein von mir. Wir sollten nicht immerzu streiten. Komm her, Süße, gib Onkel Jan einen Kuss. Mmmmh, einen richtigen ... mmmmh ...«

Er hatte seinen Koffer abgestellt und fuhr mit seinen Händen langsam über ihre Brüste, während seine Zunge mit ihrem Ohr spielte. Er wusste, wie empfindlich sie an dieser Stelle war. Ihre Haut begann zu prickeln, erregt sah sie ihm in die Augen, öffnete den Mund ... aber Jans Hände rutschten zu ihrem Po und gaben ihr einen Klaps.

»So, ich muss dann!«

Ein letzter Blick auf die Armbanduhr, dann der Griff zum i-Phone ...

»Du kannst so nicht gehen!«, hörte sie sich rufen. »Verdammt, Jan, bleib hier! Du kannst mich so nicht abfertigen. Was ... was bildest du dir ein, du verdammter ...«

Doch er hörte es nicht mehr, wortlos war er vorbeigegangen, sein Blick hatte sie nur kurz und entsetzlich gleichgültig gestreift, dann war er zur Tür hinaus.

Alles in Clara erkaltete in diesem Augenblick, ihre Erregung, ihr Ärger, ihre Lust, ihre Hoffnung ...

»Basta«, wiederholte sie noch einmal leise. »Basta, du Idiot!«

Sie sollte es wirklich langsam kapieren: Es war alles anders geworden, seitdem sie hier war. Bei ihm einzuziehen und sich in seine Abhängigkeit zu begeben, war der größte Fehler gewesen. Er behandelte sie nur noch wie ein ausgesessenes Möbelstück, ohne Respekt, ohne Freude, ohne Wert.

So ging das nicht weiter. Das durfte sie sich nicht gefallen lassen. Vielleicht sollte sie sich wieder eine eigene Wohnung suchen, demnächst müsste ja der Verlag den Vertrag für das neue Kinderbuch unterschreiben, dann würde sie schon über die Runden kommen. Vielleicht würde eine räumliche Trennung ihre Beziehung wieder entspannen. Vor ihrem Einzug war es ja auch fünf Jahre gutgegangen. Wenn sie ganz ehrlich war, passte sie ebenso wenig in diese nüchterne Umgebung wie ihre Kochbücher oder ihr kleiner verbeulter Aluminiumkocher, der einsam neben der hochmodernen Espressomaschine stand, oder wie ihre abgestoßene Emaillepfanne, die sie nun trockenrieb und in den Schrank aus matt schimmerndem Edelstahl einräumte.

Um Fassung ringend begann sie aufzuräumen. Stück für Stück kämpfte sie sich durch ihr Schlachtfeld, schnitt die Nudeln zu Tagliatelle, die sie vielleicht morgen zubereiten würde, knabberte am Salat und räumte die Zeitungen weg, die Jan entgegen seiner Gewohnheit auf dem Tresen zurückgelassen hatte. Dabei rutschte ein Computerausdruck heraus, den sie zunächst nur kurz überflog, bevor sie ihn noch einmal las, jetzt gründlicher.

Er hatte über Weihnachten ein Doppelzimmer gebucht, im Hotel Dei Dragomanni, Venedig, direkt am Canal Grande, wie auf dem Zettel stand.

Venedig! Clara entfuhr ein leiser Glücksschrei. Sie sah sie schon vor sich, die maroden Paläste an den Kanälen, die Gondeln, die übervollen Marktstände, die fröhlichen Menschen, sie roch förmlich das brackige Meerwasser, den Duft von Espresso und frischem Fisch, von Seetang und Wind, von Basilikum und reifen Zitronen und erdigen Trüffeln ... Als wäre sie schon einmal dort gewesen. Endlich, endlich würde sie es sehen, endlich würde sie bella Italia betreten! Lange genug hatte Jan sich ja wegen ihrer unerfüllten Italiensehnsucht lustig gemacht. Und jetzt, wo sie sich in einer Krise wähnte, genau jetzt würde er ihr ihren größten Wunsch erfüllen.

Sechs Tage, bis zum neunundzwanzigsten Dezember, würden sie dort verbringen, über dreitausend Euro kosteten allein Übernachtung und Frühstück, ganz abgesehen von Flug und Verpflegung. Großzügig war er ja immer gewesen. So durfte sie auch hemmungslos mit seiner Kreditkarte bezahlen, was sie aber – außer für den Kauf von ganz besonderen Delikatessen – niemals ausnutzte, auch wenn er ab und zu an ihrer Frisur und an ihrer bequemen Kleidung herummäkelte und sie zu Gerhard Meir und in die Maximilianstraße schicken wollte.

Fassungslos vor Glück studierte sie noch einmal die Buchungsbestätigung. Italien! Seit ihrer Kindheit hatte sie immer nach Italien fahren wollen, es aber nie geschafft, und das war ein falsches Thema, wie Clara an dem glühenden Punkt merkte, der sich in ihrer Brust zusammenzog. Sie wollte nicht über ihre Vergangenheit nachdenken, schon gar nicht über ihre traurigen Jahre in Baden-Baden im Schatten ihrer kalten Mutter.

Clara legte den Ausdruck zurück auf den Tresen und schämte sich ein bisschen, als sie an die Szene zurückdachte, die sie Jan vorhin hier in der Küche gemacht hatte. Wie hatte sie nur so aufgebracht sein können, so ungerecht! Dabei hatte sie wahrscheinlich nur ihre verletzten Kindheitsgefühle auf Jan übertragen. Vielleicht hatten sie deshalb in letzter Zeit so viele Missverständnisse und Dispute gehabt, weil sie alles an ihm falsch interpretierte. Aber das war jetzt vorbei, hier hielt sie den Beweis in der Hand, dass alles gut werden würde und dass er sie liebte und verstand und immer noch ihre geheimsten Träume erfüllen wollte.

Fast bedauerte sie, dass sie sich nun um ihre Weihnachtsüberraschung gebracht hatte, andererseits war sie aber auch froh zu wissen, dass sie Jan etwas bedeutete, dass er also nicht vollkommen entnervt und enttäuscht von ihr war, wie sie es die letzten Wochen und Monate angenommen hatte.

Sie wollte ihn anrufen und sich mit ihm aussöhnen, doch leider hatte er sein Handy ausgeschaltet.

Also musste ihre beste Freundin sich anhören, was geschehen war beziehungsweise geschehen würde.

»Doppelzimmer in Venedig? Für euch beide?«, wiederholte Simone merkwürdig reserviert.

»Stell dir vor, ja! Das ist so lieb von ihm! Du kennst ja meinen Italienspleen. Und ich dachte schon, Jan würde ... also, ich meine, Jan hätte ...«

Clara stockte, weil ihr das Schweigen am anderen Ende seltsam vorkam. Vielleicht sollte sie sich eine Schilderung des jüngsten Streits verkneifen. Immerhin war es ja Simone gewesen, die ihr von Anfang an zum Zusammenziehen geraten hatte, und in letzter Zeit war sie manchmal richtig komisch, wenn sie von dem ewigen Gezänk hörte.

»Was meintest oder dachtest du?« Immer noch klang Simone sonderbar, fast abwesend, doch dann ging Clara auf, warum dem so war.

»Oh Simone, gib es zu!«

»W... was??«

»Du hast es von Anfang an gewusst. Vielleicht hast du es ihm sogar vorgeschlagen.«

»Äh, wie bitte? Was meinst du jetzt genau?«

»Mensch, hörst du mir überhaupt zu? Wir reden von Jans Weihnachtsüberraschung für mich! V-e-n-e-d-i-g!«

»Ach so, ja das. Toll. Du, sorry, ich krieg gleich Besuch. Kannst du mich morgen wieder anrufen?«

»Natürlich. Kein Problem. Und ich, ich verwöhne mich jetzt! Ich bereite mir ein wunderbares Omelett mit Trüffeln zu. Wenn dein Besuch nicht zu lange bleibt, kannst du gerne ...«

Aber Simone hatte schon aufgelegt, und das trug nicht unbedingt zu Claras Seelenfrieden bei.

Das Kalte Haus

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