Читать книгу Fake Face - Rita M.Arane - Страница 9
BASILIKUM
ОглавлениеObwohl der Himmel wolkenverhangen war, war es heute wärmer als sonst. Der Sommer kündigte sich an. Es war schon Mitte Mai. Elena war mittlerweile bereits seit einigen Monaten auf der Farm. Mr. Fireman ließ sie inzwischen im Hofladen aushelfen. Dort hatte sie sich schnell gut zurechtgefunden.
Es war spät am Nachmittag. Elena hatte die meiste Arbeit im Laden bereits erledigt, und es kamen immer weniger Kunden. Elena starrte durch die offene Ladentür auf eine junge Katze, die vor dem Laden in einer Ecke vor den leeren Gemüsekisten hockte. Die Pupillen der Katze waren weit aufgerissen. Ihr flauschiges Fell glänzte tiefschwarz. Aus ihrem Maul hing eine graubraune Feldmaus, mit der sie schon seit einigen Minuten zugange war. Sie zappelte. Immer wieder ließ die Katze die Maus auf den Boden fallen. Nach kurzer Orientierungslosigkeit rappelte sich das blutende Tier auf und versuchte mit letzter Kraft zu entkommen. Manchmal schaute die Katze mit ihrem lieblichen Gesicht zu Elena herüber. Bevor das verletzte Tier hinter den Gemüsekisten verschwinden konnte, wandte sich die Katze ihrem Opfer eneut zu und machte blitzschnell einen Satz nach vorn. Mit ihren scharfen Zähnen schnappte sie gnadenlos zu und packte sich ihre Beute mit herausgefahrenen Krallen. Je mehr die Maus zappelte, desto mehr grub sie ihre Krallen in das kleine Tier hinein. Plötzlich warf sie das Tier hoch und fing es im nächsten Moment wieder auf. Dann bohrte sie die Krallen ihrer Hinterpfoten in das hilflos zappelnde Tier hinein. Immer und immer wieder, erbarmungslos.
„Elena, hast du gehört, was ich dir gesagt habe?“ Mr. Fireman stand plötzlich neben ihr. Elena zuckte zusammen. Sie hatte ihn gar nicht kommen hören. Wenn im Laden nicht mehr so viel zu tun war, beauftragte er Elena damit, Lieferungen für ihn zu tätigen oder Post zur Poststelle zu bringen.
„Du musst Hafer zu einem Gestüt bringen. Ich habe dir die Adresse aufgeschrieben.“ Mr. Fireman deutete mit seinen faltigen Händen die Straße hinunter. „Wenn du die Landstraße hier runterfährst, dann kommst du direkt dorthin. Lieferscheine liegen bereits im Wagen. Danach bringst du die Briefe weg“, wiederholte er und vergewisserte sich mit prüfendem Blick, ob sie diesmal zugehört hatte. Seine Gesichtshaut war von all der Arbeit draußen dunkel und faltig geworden. Im nächsten Moment drückte er ihr den Autoschlüssel, ein wenig Geld und einen kleinen Stapel Briefe in die Hand. Elena holte ihren Rucksack hinter der Ladentheke hervor und packte die Briefe hinein. Als sie zum bereits beladenen Lieferwagen ging, hörte sie das für ihre Ohren unüberhörbare Knacken der Knochen der Feldmaus hinter den Gemüsekisten, als die Katze ihr endlich den Todesbiss verpasste.
Sie folgte der Wegbeschreibung von Mr. Fireman, und irgendwann sah sie die großen Ställe.
Wenig später hörte sie einige Pferde wiehern. Das Tor stand offen. Vorsichtig fuhr sie auf die große Einfahrt. Als sie ausstieg, kam ihr ein hagerer Hilfsarbeiter entgegen.
„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragte der Mann, während er auf sie zuging.
„Ja, guten Tag. Ich habe hier eine Lieferung von Mr. Fireman.“ Der Mann schaute zu dem Lieferwagen rüber. „Okay, ich sag‘ dem Boss Bescheid“, antwortete der Mann und verschwand schnell in einem der flachen Backsteinhäuser. Elena schaute sich um. Sie sah eine große Koppel mit weiten Weideflächen. Überall gab es schöne arabische Hengste und Stuten. Auf der Koppel. Vor den Ställen. Vor der Reithalle. Pferde reckten ihre Köpfe aus den Stallfenstern. Einige wurden von ihren Pflegern gebürstet. Andere gesattelt. Die Luft war erfüllt von Heu und Gras. Sie bemerkte nicht, dass sich ihr in der Zwischenzeit ein Mann genähert hatte.
„Sie haben eine Lieferung?“, vernahm Elena eine ihr nicht unbekannte Stimme.
„Sie?!“, sagte Elena überrascht, als sie sich umdrehte. Jack O‘Neil stand lächelnd vor ihr. Sie hatte zuvor gar nicht auf die Namen in der Lieferpapieren geschaut.
„Elena!“ Er kannte ihren Namen noch, obwohl ihre erste Begegnung mittlerweile einige Zeit zurücklag.
„Sie sind noch hier? Ich dachte, Sie wären schon längst weitergezogen“, fuhr Jack fort.
„Ich habe Arbeit gefunden. Auf der Farm von Mr. Fireman.“
„Ich nehme an, zur Erntesaison?“
„Genau, aber danach bin ich dann wirklich weg.“ Nachdem sie das gesagt hatte, zog sich sein Lächeln merklich zusammen.
„Ähm … Mr. Fireman hat mir Hafer mitgegeben. Hier sind die Lieferunterlagen, Mr. O‘Neil.“
Elena überreichte ihm ein paar zusammengeheftete Papiere. Jack schaute zu seinen Hilfsarbeiten herüber, die unweit von ihm standen. Er machte mit seiner Hand eine kurze Bewegung, woraufhin die Männer sofort begannen, die großen Säcke abzuladen. Dann schaute er wieder zurück zu Elena:
„Jack … Nennen Sie mich Jack.“
Zustimmend nickte Elena kurz. Während Jack die Lieferscheine überflog und die Ladung kontrollierte, schweifte Elenas Blick wieder über die Koppel. In die Ferne. Die Pferde wieherten zufrieden. Elena hörte das schallende Geräusch ihrer Hufen auf den Pflastersteinen. „Sie haben es sehr schön hier“, murmelte Elena gedankenversunken vor sich hin. Jack warf Elena einen Blick zu. „Das ist das Gestüt meiner Familie. Seit über 150 Jahren in unserem Besitz. Es war ein Viehbetrieb, bis mein Großvater mit der Pferdezucht begonnen hat“, begann Jack zu erzählen.
In diesem Moment spürte Elena, dass ihr lautlos gestelltes Handy in der vorderen Tasche ihres Overalls vibrierte. Sie fischte das Handy heraus und blickte flüchtig auf das Display. „Entschuldigen Sie, ich muss da kurz rangehen“, unterbrach sie Jack und entfernte sich ein paar Schritte von ihm, bevor sie das Gespräch entgegennahm.
„Mama!? … Bitte, ich kann jetzt nicht reden. Ich ruf dich später zurück, okay? … Ja, es geht mir gut.“ Verstohlen schaute sie zu Jack rüber, der gerade die Papiere unterschrieb. Elena versuchte leiser zu sprechen. „Nein, mach dir bitte keine Sorgen … Warum weinst du? … Mama … Wirklich, es geht mir gut. Ich arbeite immer noch auf der Farm. Ich habe hier viele nette Leute kennengelernt …aber ich kann jetzt wirklich nicht reden… Grüß die anderen von mir…Ja…ok… Ich melde mich später.“
Sie legte auf und schloss kurz ihre Augen, bevor sie das Handy wieder in die Vordertasche steckte. Elena erzählte ihrer Mutter stets dasselbe.
In Wahrheit hatte sie nicht viel Kontakt mit den anderen Erntehelfern oder mit irgendjemandem aus dem Ort. An den wenigen freien Abenden oder Tagen zog sie sich allein in ihr Zimmer zurück. Aber das Alleinsein kannte sie schon. Kindergarten, Schule, Job. Sie versuchte die Erinnerungen daran abzuschütteln und die aufsteigende Traurigkeit im Keim zu ersticken. Sie konzentrierte sich darauf, Geld zu verdienen, und nicht darauf, Freundschaften zu schließen. Ein Lehrer ihrer alten Schule hatte einmal zu ihr gesagt: „Raben ziehen gemeinsam. Der Adler fliegt allein“. Warum er das zu ihr gesagt hatte, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie nach vorne blicken und weiterziehen wollte, sobald die Erntesaison vorbei war.
Elena schaute zum Heck des Lieferwagens und sah, dass der Wagen bereits entladen war. Auf der Fahrerseite stieg sie ein. Jack überreichte ihr die unterschriebenen Papiere, bevor sie die Fahrertür schloss. „Danke. Für die nächste Lieferung werde ich mich bei Mr. Fireman noch einmal melden“, sagte er. Elena nickte kurz, noch in Gedanken an das Telefonat mit ihrer Mutter und fuhr los.
„Countville“, las sie am ausgeblichenen Eingangsschild an der Straße. Vor einem kleinen Geschäft hielt sie den Wagen an und stieg aus. Sie nahm eine kleine Flasche Wasser aus ihrem Rucksack und trank. Dabei ließ sie ihren Blick durch die Umgebung schweifen. Countville war ein „Dorf“. Oben am Ende der Straße befand sich eine alte Kirche. Die vom Moos bedeckten Dachziegel leuchteten in der prallen Sonne. Die Wolken hatten sich in der Zwischenzeit verzogen. In den meist zwei- bis dreigeschossigen Backsteinhäusern gab es nicht viele Geschäfte. Eine Bäckerei, eine Bücherei, ein Bekleidungsgeschäft, ein Juwelier, ein Blumengeschäft und direkt gegenüber an der breiten Straße ein Café. An den Tischen vor dem Café saßen einige ältere Menschen und genossen ihren Kaffee. Große Sonnenschirme waren aufgespannt und spendeten Schatten. Es war ruhig hier, schon fast idyllisch. Es roch nach Lilien und Gebäck. Während Elena sich umsah, blieb ihr Blick auf einer kleinen Seitenstraße hängen. Ein dunkelhaariger Mann an einem kleinen Stand winkte sie zu sich herüber. Elena schaute sich irritiert um, um sicherzugehen, dass sie gemeint war. Mit kleinen Schritten näherte sich Elena dem Mann. Jetzt sah sie, dass er mit einer kleinen Theke mit verschieden Eissorten vor einer Eisdiele stand. Ihr war dieser Laden vorher gar nicht aufgefallen, was vielleicht daran lag, dass trotz des schönen warmen Wetters hier kein allzu reges Treiben herrschte. Stühle und Tische vor der Eisdiele waren leer. Sie schaute durch das große Glasfenster in die Eisdiele hinein. Sie konnte einige Stühle und Tische erkennen. Und zwei Personen, die im Inneren saßen. Sie bemerkte ein Schild neben der Eingangstür. „Eis zum halben Preis“ stand darauf. Sie wollte gerade wieder kehrtmachen, als der mittelgroße, braunhaarige Mann mit einem italienischen Akzent ihr entgegenrief: „Kommen Sie, kommen Sie!“ Elena schüttelte den Kopf. „Ein anderes Mal, ich muss weiter. Tut mir leid.“ „Kommen Sie, Signorina. Ich habe leckeres Eis. Probieren Sie. Eis gratis für Sie.“ Elena überlegte kurz.
„Zitrone, Erdbeere, Vanille …“, zählte er daraufhin breit grinsend auf. Elena schaute auf die fast unberührten, selbst gemachten Eissorten in der kleinen Theke vor sich. „Zitrone, bitte.“ Während der Eisverkäufer eine Eiswaffel holte und mit einem Eisportionierer eine Kugel Eis aus dem Behälter mit dem Zitroneneis herausfischte, bemerkte Elena, dass eine ältere Dame aus dem Inneren zur Ladentür ging und sie anstarrte. Nervös zupfte sie an ihrer faltenfreien, geblümten Bluse herum. Der Mann überreichte Elena das Eis. Elena bedankte sich und probierte. Im nächsten Moment verzog sie ihr Gesicht und räusperte sich. „Antonio, warum siehst du es nicht endlich ein. Dein Eis ist einfach scheußlich!“, rief die ältere Dame heraus. Der Eisverkäufer schaute Elena beschämt an. „Nein, nein, alles okay. Es ist nur … ein wenig bitter“, entgegnete Elena, nahm ein Taschentuch aus ihrem Rucksack und wischte sich den Mund ab. Der Eisverkäufer wandte sich an die alte Dame. „Judith, warum gehst du nicht einfach wieder rein!“ sagte er und warf ihr einen grimmigen Blick zu.
„Etwas weniger Zitronensäure, mehr Honig und vielleicht ein Hauch Basilikum, dann wäre es … genießbar“, murmelte Elena vor sich hin.
Die Frau schaute zu Elena, dann wieder zum Eisverkäufer. „Wenn du mich fragst, Antonio, dann würde ich auf sie hören. Schlechter kann es ja wirklich nicht werden!“, sagte die alte Dame spöttisch. Der Eisverkäufer drehte sich zu ihr um.
„Judith, geh wieder rein! Du vergraulst mir doch all meine Kunden mit deinem Geschwafel!“, ranzte der Eisverkäufer sie an und machte eine Handbewegung, als ob er eine Schar Hühner vertreiben wollte. „Na los, geh!“ Er wartete ab, bis sie wieder im Laden verschwunden war. „Basilikum … Basilikum? … im Eis!? Wer kommt denn auf so eine Idee?!“, murmelte er kopfschüttelnd und widmete sich wieder seiner Eistheke. „Hier, Post für dich, Antonio!“ Die Briefträgerin stand mit einigen Briefen wedelnd vor ihm. Heute war sie ganz besonders spät dran. Er schaute sich um, doch Elena war wieder gegangen, ohne dass er es bemerkt hatte. „Suchst du etwas?“, fragte sie, als sie seine suchenden Blicke bemerkte. Er nahm die Post entgegen. „Nein, nein. Grazie, bella donna“, sagte er augenzwinkernd und lächelte die junge, blonde Postbotin an. Als sie mit verlegenem Lächeln wieder gegangen war, schaute Antonio auf die Post in seiner Hand. Sein Blick wurde ernst. Es handelte sich wieder einmal um Rechnungen, die er nicht imstande war zu begleichen. Seitdem er den Laden von seinem Onkel geerbt hatte, lief das Geschäft schlecht. Er kam einfach nicht aus den roten Zahlen heraus. Ihm war bewusst, dass er zwar ein guter Verkäufer, aber kein guter Eismacher war. Ans Aufgeben dachte er jedoch nicht. Sein verstorbener Onkel hatte so sehr an dem Laden gehangen. „Basilikum … Schlechter kann es nicht werden …“, wiederholte er. Vielleicht hat die fremde junge Frau ja recht, dachte er.
Nachdem Elena die Briefe zur Poststelle gebracht hatte und zur Farm zurückgekehrt war, machte sie sich sofort auf den Weg zu Mr. Fireman. Sie wollte ihm die Unterlagen und das Wechselgeld geben. Um diese Uhrzeit saß er wahrscheinlich in seinem Büro. Auf dem Rückweg hatte Elena versucht, mit Wasser den bitteren Nachgeschmack vom Zitroneneis in ihrem Mund loszuwerden. Die Flasche Wasser hatte sie leer getrunken, aber der bittere Nachgeschmack war immer noch da. Sie klopfte an die Tür von Mr. Fireman und betrat den Raum. Mr. Fireman saß an seinem überdimensionalen massivbraunen Kirschbaumschreibtisch, eingehüllt im grauen Dunst seiner Zigarette. Im Raum waren noch zwei weitere Personen: seine Frau und ein Mann, den Elena nicht kannte. Sie saßen nebeneinander auf einem großen braunen Ledersofa direkt gegenüber der Tür. Mrs. Fireman war eine große, rothaarige, dünne Frau mit hervorstehenden Wangenknochen und blasser Haut. Ihr Blick war immer ernst.
Da dieser Mann und Mr. Fireman sich sehr ähnlich sahen, folgerte Elena, dass das sein Bruder sein musste. Nur war dieser jünger und schlanker. Elena begrüßte alle und gab den Grund ihrer Anwesenheit an. Mr. Fireman inhalierte noch einmal an seiner Zigarette, bevor er nach Lieferscheinen und Wechselgeld griff. Elena schaute auf den vollen Aschenbecher neben ihm auf dem Tisch, wo er kurz darauf die weiß-graue Asche seiner Zigarette hineinschnippte. „Danke, Elena.“ Erneut zog er an seiner Zigarette, als ob er fürchtete, dass die Glut ansonsten in der nächsten Sekunde erloschen würde. Sie versuchte flacher zu atmen, um zu verhindern, dass der zerstörerische Qualm zu tief in ihre Lungen gelangen konnte, während Mr. Fireman die Unterlagen und das Geld prüfte. Der Rauch und der bittere Eis-Nachgeschmack vermischten sich zu einem unangenehmen Kratzen in ihrem Hals. Auf dem Tisch standen eine Karaffe mit Wasser und einige unbenutzte Gläser. „Darf ich?“ Elena deutete darauf. Mr. Fireman nickte. Elena trank einen Schluck Wasser, und ihr Blick schweifte zu Mrs. Fireman und dem Mann. Sie unterhielten sich über die Ernte und den Hofladen. Dann – es war nur ein Bruchteil einer Sekunde, für andere Menschen womöglich nur schwer erkennbar, aber für Elena war es, als ob sie durch eine Lupe hindurchsehen würde und jede kleine Regung in deren Augen erkennen konnte – sah sie etwas in dem Blick dieses Mannes. Etwas, das sie irritierte. Es war ein Blick, der viel zu vertraut, viel zu innig war. Ein Blick, den man keiner verheirateten Frau und vor allen Dingen nicht seiner Schwägerin zuwarf. Elena schaute zu Mr. Fireman. In seiner Mimik war keine Reaktion zu erkennen. Hatte nur sie das wahrgenommen? Oder hatte ihm einfach die dichte Nebelwand seiner Zigarette den Blick auf die beiden versperrt?
In Elena machte sich ein bedrückendes Gefühl breit. Eine Vorahnung, dass das, was sie gesehen hatte, sie in etwas hineinziehen würde, in das sie nicht hineingezogen werden wollte. Denn Mrs. Fireman erwiderte „diesen“ Blick!
In den darauffolgenden Wochen versuchte Elena so gut wie möglich, diesem Mann aus dem Weg zu gehen, wann immer er auf der Farm auftauchte. Doch an diesem Vormittag arbeitete Elena im Hofladen, als er den Laden betrat. Mrs. Fireman war ebenfalls anwesend.
„Ed, was machst du denn hier? Dein Bruder müsste auf den Feldern sein“, sagte Mrs. Fireman nicht sonderlich überrascht, als sie ihn sah.
Elenas Vermutung hatte sich bestätigt. Ed war tatsächlich Mr. Fireman‘s Bruder.
Er antwortete nicht, sondern nickte nur zur Begrüßung.
Elena füllte die leeren Kisten im Laden wieder auf. Hinter ihr standen einige Frauen aus dem Ort, die sich aufgeregt unterhielten. Es ging um das Übliche: Angebliche Trennungen, Verlobungen, Affären, Magersucht, unangebrachte Kleidungsstile, eigenartige Lebensweisen, seltsame Ausdrucksweisen, Streitereien usw. Manchmal hatte Elena das Gefühl, sie wäre mitten im Zentrum gelandet – im Zentrum des Klatschs und Tratschs. Da, wo keine Zeitung hätte mithalten können. Neue Gerüchte wurden gesät oder verbreitet. Jeder redete über jeden. Wenn eine Person gegangen war, wurde sofort über sie hergezogen. Elena versuchte meistens wegzuhören. Doch manchmal, wenn der Laden voll war, verspürte sie den Drang, sich zurückzuziehen. Sie wusste ganz genau, woran das lag. In unbeobachteten Momenten ging sie schnell in eine kleine Kammer im hinteren Teil des Hofladens. Dort stand sie dann für einen kurzen Moment am offenen, kleinen Fenster, das zum Hinterhof führte. Sie atmete ein paarmal bewusst tief ein und aus und versuchte ihren Puls in den Griff zu bekommen.
Als Mrs. Fireman die letzte Kundin im Laden bedient hatte, ging Ed zu ihr. Elena überkam noch immer ein ungutes Gefühl, wenn sie die beiden zusammen sah.
Es hallte wie ein Echo in ihr und wurde immer stärker. Sie hasste dieses Gefühl. Instinktiv verließ Elena den Laden und befüllte die Kisten, die vor dem Laden aufgestellt waren. Sie versuchte, nicht ins Innere des Ladens zu schauen. Das geht dich nichts an, vernahm sie eine innere Stimme. Im Augenwinkel konnte sie jedoch erkennen, dass sie nah beieinanderstanden und redeten, nein, sie flüsterten. Wenn Elena sich darauf konzentrieren würde, würde sie genau hören können, was die beiden miteinander besprachen, aber das wollte sie nicht. Elena schaute auf die schwarze Katze hinunter, die in diesem Moment neben ihren Beinen stand. Sie schmiegte sich an Elenas Beine und begann zu schnurren. „Elena, ich muss kurz weg. Du hältst hier die Stellung.“ Mrs. Fireman stand plötzlich an der Ladentür.
Elena schaute den beiden hinterher, als sie in Mrs Firemans Wagen stiegen und davonfuhren. Im gleichen Moment fuhr ein großer schwarzer Pick-up in die Einfahrt hinein. Oh nein, dachte Elena, als sie die Personen im Wagen erkannte. Es war das Fahrzeug von Mr. Spike. Ein älterer, barscher Herr. Er hatte eine Ranch mit unzähligen Rindern etwas außerhalb von Countville. Sie hatte ihn schon mehrmals mit Mais beliefern müssen. Der Wagen hielt direkt von dem Laden. Mr. Spike stieg aus und zupfte sein Lederweste um seinen korpulenten Körper zurecht. Er war nicht allein. Sein Vorarbeiter Steve war auch dabei. „Wo ist Fireman?“, fragte Mr. Spike in seiner üblichen ruppigen Art, kaum dass er ausgestiegen war. Sein Gesicht war rot und verschwitzt.
„Ich nehme an, im Büro“, antwortete Elena. Ohne ein Wort wandte er sich ab und ging in Richtung des Büros. Steve grinste Elena an, so wie er es immer tat, wenn er sie sah. Fast schüchtern hob er seine Hand, um sie zu grüßen. Seine blonden Locken hingen ihm wirr ins Gesicht. Irgendwie wollten die feinen Züge seines Gesichts nicht zu seiner bulligen Statur passen. Elena war sicher, dass ihn andere Frauen als attraktiv bezeichnen würden. Obwohl Mr. Spike diese abweisende und auch ruppige Art an sich hatte, war es Steve, an dem Elena sich viel mehr störte. Immer, wenn er versuchte, sie in einen Smalltalk zu verwickeln, hatte sie das obskure Gefühl, etwas Falsches zu tun, wenn sie mit ihm redete. Außerdem verspürte sie eine Art Fluchtreflex, wenn er auftauchte. Dementsprechend schnell verschwand sie im Inneren des Ladens, bevor er wieder ein holpriges Smalltalk-Gespräch beginnen konnte.
Gedankenversunken schweifte Elenas Blick zur Kasse. Es war bereits spät am Nachmittag. Sie wusste, dass auch diesmal am Abend die Kasse gut gefüllt sein würde. Bei der Kasse handelte es sich lediglich um eine einfache grüne, metallische Geldkassette. Keine feste Anlage. Ein einfacher, kleiner Schlüssel hing vorne am Schloss. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Geldkassette oder das Geld darin einfach mitgehen zu lassen … dachte sie.