Читать книгу Duschen und Zähneputzen – Was im Leben wirklich zählt - Robert Atzorn - Страница 10

Ich war begeistert, vor allem von mir selbst

Оглавление

Die Neue Münchner Schauspielschule war bereits meine zweite Schauspielschule. Mein zweiter ernsthafter Versuch, den Beruf des Schauspielers zu ergreifen. Der erste Versuch war gescheitert. An der berühmten Falckenberg-Schule hatte ich nach einem Tag Unterricht gleich wieder gekündigt. Die Aufnahmeprüfung lief relativ problemlos mit einem zweimaligen Vorsprechen, aber den Unterricht konnte ich nicht aushalten. Ich hatte das Gefühl, dass es nur darum ging, wer besser und wer schlechter war, keinesfalls um die Qualitäten des Einzelnen. Rivalität und gegenseitige Bewertung, also Kampf auf allen Ebenen, war schon am ersten Tag zu spüren. Gegenseitiges Mustern und Einschätzen. Spannungsgeladen. Bei unserer ersten Aufgabe, einer Improvisation, schnitt ich am schlechtesten ab, dachte ich jedenfalls. Aber nach acht Vorgängern fiel mir keine neue Variante des gestellten Themas ein. Ich kam zuletzt dran, sollte einen »Sommertag am Ufer« in Szene setzen. Ich war blockiert, hatte keine neue Idee. Darum ging ich einfach weg, mitten im Unterricht. Ich war der festen Meinung, ich hätte mich zu sehr mit Unbegabtheit blamiert.

Direktor Gerd Brüdern schrieb mir tags darauf einen Brief und bot ein Gespräch an. Aber ich wollte nicht reden, ich wollte aufgeben. Plötzlich hatte ich verstanden, dass die Beurteilung von außen ein Teil des Schauspielberufs ist und mehr als schmerzlich sein kann. Ich war zutiefst verzweifelt. Der Beruf könnte ja toll sein, aber ich fühlte mich zu mickrig. Zu schlecht. Einen anderen Berufswunsch hatte ich jedoch nicht. Leere.

Ich dachte daran, mich umzubringen; vielleicht nicht wirklich, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Es gab keinen Menschen, dem ich diesen peinlichen Vorfall hätte schildern können. Also kaufte ich jede Menge rezeptfreier Schlaftabletten, schrieb einen unsentimentalen Abschiedsbrief und wanderte stundenlang mit den Tabletten in der Tasche an der Isar auf und ab. Keine Ahnung, ob diese zwei Röhrchen etwas gebracht hätten. Es kam glücklicherweise nicht dazu. Der Brief wurde von meiner Mutter auf meinem Schreibtisch gefunden. Mehrere erschrockene Menschen machten sich auf die Suche nach mir. Ein Kollege meines Vaters fand mich und holte mich aus meiner verzweifelten Sackgasse, indem er mir lange, wirklich lange zuhörte, nachdem ich es gewagt hatte, ihm mein Versagen zu offenbaren. Er machte mir klar, dass Niederlagen zum Leben gehören.

»Es geht nie nur steil aufwärts! Bei keinem Menschen.« Er brachte einige Beispiele aus seinem Leben. »Misserfolge sind die größten Chancen zum Lernen!«

Das beruhigte mich insoweit, dass ich mich leichten Herzens von den Tabletten trennte und sie in die Isar warf.

Vielleicht also doch mit Grafik weitermachen? Nach dem Abi war ich in Hamburg ein halbes Jahr lang auf die Kunstschule Alsterdamm gegangen. Ich hatte noch eine Mappe mit Zeichnungen und Bildern, die ich dort angefertigt hatte, und lief damit immer wieder um die Kunstakademie München herum. Wie geht das denn mit der Abgabe der Zeichnungen und Bilder? Wohin muss ich gehen? Ins Sekretariat? Ich traute mich nicht hinein und fuhr mit der Bahn wieder nach Hause. In Wirklichkeit wollte ich ja auch nicht unbedingt meine Zeit vor leeren weißen Blättern verbringen.

Welch ein Glück, dass ich meinen Frust bei zwei exzessiven, rockmäßigen Drum-Spektakeln in der amerikanischen Flint-Kaserne rausschmettern konnte. Fantastische Hamburger und sehr viel Bier schafften den Rest. Gott sei Dank musste ich nicht den Kleinbus der Band heimfahren. Als ich am nächsten Tag wieder einigermaßen wusste, wo oben und unten war, raffte ich mich auf und telefonierte mit der Schauspielerin, die mir vor der Falckenberg-Schule Unterricht gegeben hatte, der Kollegin von Wolfgang Reichmann. Sie war sehr mitfühlend, hatte sie doch selbst schon viele Enttäuschungen erlebt, und bot an, mir weiterhin Schauspielunterricht zu geben. Ich war glücklich und begann, wieder mit ihr zu arbeiten. Sie half mir, neue Rollen zu finden, knetete diese mit mir durch und riet mir nach ein, zwei Monaten, auf einer Privatschule bei ihr um die Ecke vorzusprechen. Inzwischen hatte sie mich so weit stabilisiert, dass ich mich dort tatsächlich zur Aufnahmeprüfung anmeldete.

Dort sah ich SIE zum ersten Mal. Wir hatten die Aufnahmeprüfung am gleichen Tag absolviert – und bestanden. Ich sah sie in irgendeiner Rolle – nicht besonders überzeugend, wie ich fand –, aber ihr Aussehen! Ich war paralysiert. In den folgenden gemeinsamen Rollenstunden lernten wir uns näher kennen. Vom ersten Moment an fand ich sie besonders. Sie war knapp 16 Jahre alt, ging noch zur Schule, durfte aber nebenbei die Schauspielausbildung machen. Bei den sogenannten Partnerübungen versuchte ich stets, in ihrer Nähe zu sein oder ihr Spielpartner zu werden. Leider klappte es nicht immer. Ich litt ein bisschen, denn es gab ja auch noch ein paar andere ansehnliche Schüler.

Trotzdem gelang es mir immer wieder, sie mit kleinen Aufmerksamkeiten zu umgarnen: Manchmal lud ich sie in ein Café ein oder holte sie vom Gymnasium ab und ging mit ihr in unsere Schauspielschule. Am Abend brachte ich sie galant nach Hause oder ging ins Kino mit ihr. Irgendwann gelang das erste Händchenhalten. Der erste Kuss. Ich war berauscht.

Das Unaussprechliche drängte und wurde stärker. Aber wo? Wir hatten kein Zimmer. Im Zimmer ihres Zuhauses waren die Wände zu dünn. Man fühlte sich ungeschützt. Bei mir war es indiskutabel, ich teilte ein Zimmer mit meinem kleinen Bruder. Damit das unvermeidbar Schöne endlich passieren konnte, überredete ich eine Schauspielkollegin, mir ihre kleine Schwabinger Wohnung für einen Nachmittag zu überlassen. Sie kam mit. Ein Gläschen Sekt oder zwei … Es war unbeschreiblich. Sie war nackt noch viel schöner als Jane! Behutsam fiel ich auf sie drauf und in sie hinein. Ich war begeistert – von ihr, aber besonders von mir selbst. Ich wusste, diese Frau behalte ich, komme, was da wolle. Mit ihr wollte ich für immer zusammenbleiben.

Wir wurden beide zusammen an der Esslinger Landesbühne engagiert. Großer Sieg. Große Freude! Nach zwei Jahren Schauspielschule hatte ich nämlich gedacht, ich wüsste nun wirklich genug. Was sollte der Quatsch? Immer nur üben, üben, üben! Nein, Schluss! Es war Zeit für die Praxis, an einem richtigen Theater. Geld verdienen. Deshalb hatte ich mich ganz schlau bei einem Theateragenten um ein Engagement für uns beide bemüht. In aller Heimlichkeit. Unsere Lehrerin war entsetzt, als sie dahinterkam. Zutiefst beleidigt, dass so etwas hinter ihrem Rücken passiert war.

»Die Ausbildung ist ausgelegt auf drei Jahre! Ihr dürft das nicht!«, wetterte sie. Wir klappten die Ohren zu, verließen die Schule und waren nur glücklich. Endlich richtig auf einer Bühne stehen, das tun, wovon jeder junge Schauspieler träumt.

Mit der Eisenbahn fuhren wir nach Esslingen. Von heute auf morgen war es die schönste Stadt Deutschlands mit dem besten Theater der Welt geworden. Wir suchten eine kleine Wohnung. Woran wir überhaupt nicht gedacht hatten: der Kuppelparagraf. Niemand wollte einem unverheirateten Paar eine Wohnung vermieten, erst recht nicht, wenn die Frau noch minderjährig war. Außerdem hörten wir immer wieder, wir seien viel zu jung und unsere Gagen viel zu gering, um damit eine Miete nebst Lebenskosten zu stemmen. Keiner wollte uns, es war extrem frustrierend. Nach mehreren Wohnungsbesichtigungen und ernüchternden Gesprächen saßen wir bei Flammkuchen und Federweißem in einer fürchterlich braven Gaststätte.

Sie meinte melancholisch: »Die letzte Wohnung hätte mir schon gefallen, oder die erste!«

»Ja, mir auch. Die erste mit dem Minibalkon fand ich auch super, sie war auch überhaupt nicht teuer.«

Wir knabberten den weichen Flammkuchen, er schmeckte so gar nicht.

»Wir müssen wohl zwei Apartments mieten. Oder wollen wir in eine Wohngemeinschaft?«

»Gibt’s hier so was überhaupt?«

»Weiß ich nicht.«

»Ne, das find ich doof. Das kann ich nicht … so mit anderen … und alles teilen. Moment mal!« Ich strahlte sie an, mir war ein genialer Gedanke durchs Hirn geschossen. »Weißt du was? Weißt du, was wir machen?« Meine Stimme überschlug sich, so aufgeregt war ich.

»Ne, was denn?«

»Du, wenn das hier so spießig ist … Wir wollen doch zusammen sein und Theater spielen, dann … dann … dann heiraten wir eben!«

»Was?!«

»Ja, wir heiraten!«

Sie schaute verblüfft. Offener Mund.

»Was hältst du davon?«

Ihre Gesichtsfarbe wechselte in leuchtendes Rosa. Sie musste dieses Angebot verarbeiten.

Ich schob nach, fühlte mich unbesiegbar: »Stell dir vor: Wir heiraten und können endlich machen, was wir wollen! Wir sind frei!«

»Frei! Tolle Idee!«, stimmte sie freudig zu. »Das machen wir! Ja! Super!«

Wir küssten uns.

»Morgen gehen wir zu der Vermieterin und teilen ihr mit, dass wir heiraten werden. Vielleicht kriegen wir die Wohnung.«

»Meinst du, die tut das?« Ein Hoffnungsschimmer.

»Keine Ahnung. Wir versuchen es.«

Die Vermieterin ließ sich nicht umstimmen, aber das war uns egal. Wir fuhren nach München mit diesem traumhaften Plan, der alles versprach.

Am nächsten Tag kaufte ich einen großen Blumenstrauß, zog das einzige Sakko an, das ich hatte, dazu ein weißes Hemd mit Fliege. So suchte ich die Wohnung der Angebeteten auf. Ihre Mutter öffnete, ließ mich ein und freute sich über die Blumen.

Außer mir vor Aufregung stammelte ich ganz förmlich, wie ich es in einem Film gesehen hatte: »Ich möchte Sie um die Hand Ihrer Tochter bitten.«

Die Mutter schmunzelte, der Antrag hatte wohl etwas von Opas Theater. Doch sie war gerührt und umarmte mich glücklich. Meine Eltern hatten auch keine Einwände, im Gegenteil, sie mochten dieses Mädchen. Also heirateten wir kurz darauf standesamtlich. Eine kleine Feier im engsten Familienkreis fand bei meiner Schwiegermutter statt. Meine junge Frau war stolz darauf, dass sie mit 17 Jahren die Erste in ihrer Schulklasse war, die heiratete. Von nun an war die Wohnungssuche in Esslingen kein Problem mehr.

In Esslingen erwartete mich meine erste Rolle. Meine Frau hatte, wie damals üblich, meinen Namen angenommen. Aus diesem Grund wollte das Theater nicht, dass wir gemeinsam in einem Stück spielten. Zweimal derselbe Name im Programm mache einen schlechten Eindruck, war die Ansicht. Sie bekam eine kleine Rolle in einem anderen Stück. Ich spielte »Volk« in einem Sternheim-Stück. Dabei musste ich in einer Versammlung einen Satz über alle hinwegschreien. Das Ergebnis war, dass ich jeden Abend nach der Vorstellung fast heiser nach Hause ging. Stimmübungen hatten noch nie zu meinen Lieblingsfächern gehört. Das rächte sich jetzt. Am nächsten Abend war die Stimme zunächst wieder da, hinterher wieder weg. Man besetzte mich dann im Weihnachtsmärchen als Hans im Glück, allerdings auf der wesentlich kleineren Studiobühne. Die Stimme hielt.

Der Intendant wollte nach Würzburg wechseln und nahm mehrere Schauspieler des Ensembles mit. Uns beide nicht. Enttäuschung! Doch mit Wolfgang Reichmanns Hilfe hatten wir glücklicherweise genau zu diesem Zeitpunkt im Züricher Schauspielhaus ein Vorsprechen und wurden genommen. Riesige Hochstimmung, das war ja noch viel besser! Ein legendäres Großstadttheater. Na, dann mal los!

Duschen und Zähneputzen – Was im Leben wirklich zählt

Подняться наверх