Читать книгу Duschen und Zähneputzen – Was im Leben wirklich zählt - Robert Atzorn - Страница 13
Eine ganz andere Frau
ОглавлениеIch kam von der Probe von Schillers Maria Stuart in Dortmund, wo ich den Mortimer spielte, und war missmutig, da sie sehr holprig gelaufen war. Ich war übereifrig. Laut Regisseur sollte ich aufhören, mit meinen Händen rumzufuchteln. Das engte mich ein. Machte mich nervös und ärgerlich, denn ich fand mich eigentlich sehr natürlich. Man bewegt sich doch beim Reden? Unterstreicht Dinge gestisch? Es gab mehrere Dispute, besser gesagt harsche Meinungsverschiedenheiten. Aus heutiger Sicht war der Vorwurf des Regisseurs absolut gerechtfertigt, denn ich versuchte wohl, mangelnde innere Vorstellungskraft durch große Gesten zu ersetzen. Wie dem auch sei, damals fand ich mich ungerecht beurteilt, denn ich war ja noch experimentierend und ausprobierend unterwegs. Premiere erst in drei Wochen.
Unzufrieden stolperte ich durch den Eingangsbereich des Theaters, da sah ich die »Neue«: Angelika Hartung. Auch ich war neu im Ensemble, zu Beginn der Spielzeit von Köln nach Dortmund gewechselt. Schicksalsübereinstimmung? Sie stand deprimiert vor den Besetzungslisten der nächsten Stücke. Nirgends war ihr Name aufgeführt, sie hatte also im nächsten halben Jahr so gut wie nichts zu tun außer der Minirolle der Hofdame in Maria Stuart. Sie interessierte mich, ich hatte sie während der Leseprobe beobachtet und war von ihrer Präsenz und Neugier fasziniert, sie hatte einige sehr interessante Bemerkungen zu Maria Stuart gemacht.
Wie ich erfahren hatte, war sie Tänzerin an der Hamburgischen Staatsoper gewesen. Nebenbei hatte sie eine Schauspielausbildung gemacht. Wie, nebenbei?
»Alle Achtung«, dachte ich, »so viel Energie, wie kann man das zeitlich schaffen?«
In Hamburg war ich früher oft im Ballett gewesen, die Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers faszinierten mich. Ich selbst war ziemlich unsportlich, mehr an Roth-Händle und Bier interessiert. Die starke Körperlichkeit von Angelika zog mich magnetisch an. Vielleicht hatte ich sie sogar schon mal in der Staatsoper auf der Bühne gesehen? Das wollte ich genauer wissen.
Dortmund war Angelikas erstes Schauspielengagement. Ich atmete tief durch und sprach sie behutsam an: »Na, du?«
Sie wandte mir ihr trauriges Gesicht zu.
»Alles okay?«
»Na ja, geht so!«
Ich glaubte allerdings, versteckte Freude in ihren Augen auszumachen.
»Geht’s wirklich?«
Keine Reaktion.
»Kommst du mit zum Essen? Ich gehe zum Jugoslawen. Ich habe keine Lust, mir daheim Spiegeleier zu braten. Unsere Kantine ist auch nicht der Hit. Meine Probe war so schwierig, immer soll ich alles anders machen, ich brauche eine Belohnung.«
Ein Zögern.
»Hast du was anderes vor?«
»Nein.«
»Also, was ist?«
Noch ein Zögern. »Ja, gut!«
Sie kam mit. Ich erfuhr ihre private Situation. Mit ihrem Freund in Hamburg hatte sie gerade Schluss gemacht. Mein Herz schlug etwas schneller. Sie erzählte aus Hamburg. John Neumeier hätte sie engagiert, aber sie hatte leider schon gekündigt, weil sie mit dem Tanzen aufhören wollte. Sie wollte in die Schauspielerei – Ziel Musical. Aufgrund dessen hatte sie keine Abfindung bekommen wie der Rest des gekündigten Ensembles. Sehr ärgerlich. Und jetzt spielte sie hier in Maria Stuart nur eine Hofdame. Das bedeutete Langeweile für eine an harte Arbeit gewöhnte Tänzerin – und viel Alleinsein. Warten auf eine neue Chance ist eine harte Prüfung.
Ich fand sie entzückend. Ich musste sie tatsächlich in einer Aufführung gesehen haben: Apollon musagète! Choreografie George Balanchine.
»Da warst du dabei? Tatsächlich?«
»Ja, klar!«
»Das war sensationell, großartig! Ich weiß nicht, was ich sagen soll … toll … ich bewundere dich!«
Ich konnte mich natürlich nicht direkt an sie erinnern. Aber die Aufführung war legendär gewesen.
Ihre schönen, ungewöhnlichen, leicht verschiedenen Augen ließen mich nicht mehr los. Was mache ich mit dieser Frau? Wie kann ich sie fröhlich stimmen? Eine Idee schoss mir durchs Hirn.
»Langweilen sollst du dich nicht. Was hältst du davon, wenn wir für die Schauspieler hier ein körperliches Training nachmittags oder vor der Vorstellung zum Warmwerden anbieten?« Ich dachte dabei in erster Linie an mich selbst. »Du hast doch so viel Ahnung von Bewegung! Um die Lebendigkeit zu steigern!«
»Wird jemand Lust dazu haben?«
»Wir fragen mal.«
Das fand sie wunderbar. Das Essen war beendet.
»Nachspeise?«
Sie zündete sich eine Zigarette an.
»Du rauchst, als Tänzerin?«
»Fast alle rauchen, man muss so mit dem Essen aufpassen.«
»Ich rauche nicht mehr, hab’s mir abgewöhnt«, berichtete ich mit Stolz in der Stimme.
»Seit wann?«
»Elf Tage!«
»Wie geht’s dir damit?«
»Meistens gut, aber zwischendurch kommt tierischer Frust. Verlangt großen Willen!«
»Ich wollte auch aufhören!«
»Warum tust du es nicht?«
»Äh, ich weiß nicht …«
»Dann fang doch einfach an, auf was wartest du?«
Leichte Aggression blitzte auf. »Wenn du glaubst, ich schaffe das nicht …«
Sie drückte ihre Zigarette aus und hat tatsächlich nie wieder geraucht.
»Geht doch!«
»Okay, dann Nachspeise! Was gibt’s denn?«
Wir bestellten Eis mit Sahne, ich erzählte von mir, und mein Missmut war verschwunden.
Wir organisierten ein Körpertraining für die Schauspieler. Es klappte. In Köln hatte ich viel von dem englischen Regisseur Geoffrey Reeves gelernt, der größten Wert auf körperliche Präsenz legte. Und so trainierten wir zweimal pro Woche nachmittags fünf bis sieben Schauspieler. Das kam gut an.
Besonders ich kam gut bei ihr an, wie mir schien. Wenn wir uns berührten, fuhren Blitzschläge durch meinen Körper, das Verlangen nach Nähe wurde stärker. Es blieb nicht aus, das Unvermeidliche musste passieren: Eines Abends waren wir mit mehreren Kollegen bei mir zu Hause. In meiner kleinen, schräg eingerichteten Wohnung. Ein beliebter Treffpunkt. Mahavishnu Orchestra, Cream, Udo Lindenberg. Austausch und Musik. Dazu Hähnchen mit Pommes aus einer Braterei nebenan, wo mehrmals Nachschub geholt wurde. Wie immer gab es viel zu trinken, natürlich billigst, keiner verdiente viel. Die Stimmung war gelöst und aufgedreht. Nach und nach gingen die meisten, am nächsten Morgen war Probe. Übrig blieben zwei Frauen: Angelika und meine Ophelia aus unserer Hamlet-Aufführung. Sie wollte auf keinen Fall nach Hause laufen, warum wohl nicht? Also komplimentierte ich sie in mein Bett: »Du bist doch schon seit einer Stunde todmüde, schlaf doch schon mal.«
Das fand sie zunächst super. Sie wartete wohl darauf, dass ich mich dazulegte.
Ich fragte Angelika: »Soll ich dich nach Hause bringen?«
Zögern. Und noch mal Zögern.
»Du könntest ja auch hierbleiben.«
»Wo soll ich denn schlafen?«, fragte sie unsicher.
Jetzt oder nie: »Du, ich habe eine große Luftmatratze. Ich blase sie einfach mal auf, okay? Dann kannst du sehen, was dich erwartet.«
Auf derselben landeten wir. Unsere erste gemeinsame Nacht. Es war so aufregend, berührend, zärtlich und schön, dass eine Fortsetzung nicht auszuschließen war.
Ophelia war nicht besonders glücklich am nächsten Morgen. Sie hatte sicher einiges mitbekommen, obwohl wir sehr, sehr leise gewesen waren. Bemüht leise. Auf jeden Fall konnte sie sich denken, dass etwas passiert war. Die Hamlet-Vorstellungen gingen nun ohne besondere Augenkontakte weiter. Wir schauten gezielt aneinander vorbei.
Das Weihnachtsmärchen für Kinder wurde besetzt. In diesem Jahr stand Aschenputtel und der Prinz auf dem Spielplan – mit uns beiden in den Hauptrollen. Wir waren inzwischen so vernarrt ineinander, dass wir für uns auf der Probebühne Extraproben ansetzten. Zum einen natürlich, um die Inszenierung zu verbessern. In Wirklichkeit aber, um uns nahe zu sein, um miteinander etwas auf die Beine zu stellen, um ein gemeinsames, bombiges Projekt zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Aschenputtel und der Prinz auf einer Bühne jemals so verliebt waren.
Dem Ensemble war unsere Affäre natürlich nicht verborgen geblieben. Es hagelte zynische Bemerkungen, da ja auch bekannt war, dass ich verheiratet war.
Für Angelika und mich war dies eine unvergessliche Zeit. Und der Beginn einer neuen, ernsthaften Beziehung. Jede Aschenputtel-Vorstellung war ein Genuss – das Hinterher noch mehr!