Читать книгу DIE SNUFF-KILLER - Robert Blake Whitehill - Страница 12
Kapitel 6
ОглавлениеMaynard Pilchard Chalk starrte schockiert auf die zerschmetterten Überreste seines Handys. Er konnte sich nicht daran erinnern, es gegen die Betonwand seines Büros geworfen zu haben, aber er war sich dessen bewusst, dass er schon zu lange seine Psychopharmaka außer Acht gelassen hatte. Das war das Problem mit Psychosen, die Krankheit gaukelte dem Patienten vor, dass alles in Ordnung sei, und häufig auch noch mit dessen eigener Stimme. Davon abgesehen glaubte Chalk nicht, dass die Medikamente ihm dabei halfen, mit den tödlichen Begegnungen umzugehen, die in seiner Branche üblich waren. Tatsächlich fand er, dass die Pillen ihn schwächten und seine Reaktionszeit herabsetzten. Chalk hatte das Gefühl, dass er einmalig war – und einmalig irre zu sein, gefiel ihm und machte ihn seiner Meinung nach unberechenbar. Er trug Chaos wie ein Schild. Man konnte keinen Wirbelwind töten. Auf der anderen Seite bedeutete eine Nichtbeachtung seiner Rezepte noch mehr Schlamassel, den er zu beseitigen hatte, wenn sein Temperament mit ihm durchgegangen war. Ein hoher Preis, aber seiner Ansicht nach fair.
Chalk verstand die Drohung, die DePriest gemacht hatte. Er hatte kein Verlangen danach, mit Armand und Wallace zu tanzen. Nicht so kurz vor Schluss. Nicht so kurz vor dem Zahltag. DePriests Knaben mochten zwar zierlich aussehen, aber sie waren eiskalte Killer. Sie dienten außerdem als persönliches Schutzkommando, und Gott allein wusste, welche Aufgaben sie für den aufgeblasenen Pottwal hinter verschlossenen Türen verrichteten.
Während Chalk sich sammelte, spürte er das volle Ausmaß seines neuen Lebens als gefallener Held. Er hatte Washington, D.C. vor einem Terroranschlag durch eine schmutzige Bombe gerettet, so hatten zumindest die Medien berichtet. Als seine Chefin, Senatorin Lily Morgan, (R) Wisconsin, sich die Anerkennung unter den Nagel gerissen hatte und auf den freien Posten des Ministers für Innere Sicherheit befördert worden war (ein Posten, den Chalk durch die unauffällige Vergiftung ihres Vorgängers erst zugänglich gemacht hatte), vergaß sie alles, was sie ihm schuldig war, und ließ ihn dumm dastehen. Sie ignorierte einfach seine Anrufe. Wenn er hartnäckig blieb, drohte sie damit, ihn vor aller Welt bloßzustellen und sein wahres Ich zu enthüllen: Ein brillanter BlackOps-Stratege, der sich nicht mit Moral, Skrupel oder auch nur dem geringsten Respekt gegenüber menschlichen Lebens aufhielt.
Chalk hatte früher genug Geld auf diversen Konten auf der ganzen Welt für mehrere Lebenszeiten in ausschweifendem Luxus gehabt, aber Lily hatte alles gefunden und entweder eingefroren oder sich angeeignet. Chalk sagte sich, dass es nicht um das Geld ging und dass er nicht für ein Leben weit weg von der Front gemacht war. Lily Morgans Projekte waren ideal für ihn gewesen, da sie von ihrer ganz eigenen Marke an Wahnsinn geprägt waren. Zugegeben, Chalk vermisste die Action. Er machte sich gern die Hände schmutzig, blutig, mit dem zerfetzten Fleisch seiner Feinde tief unter seinen Fingernägeln. Und so hatte er die letzten Mitglieder seines BlackOps-Teams eingesammelt, die nach dem Bombendebakel noch am Leben waren.
Unter dem Deckmantel seiner Scheinfirma, Right Way Umzüge & Lagerung, hatten Chalk und sein sadistischer Kader bei Joachim DePriests faszinierendem Projekt angeheuert. Die Action war gut. Das Geld schadete auch nicht.
Als er sich von den Trümmern seines Telefons wegdrehte, bemerkte Chalk, dass er in dem fensterlosen Büro nicht allein war. Überraschung. Diese psychotischen Ausfälle ließen keine Langeweile aufkommen. Er wusste nie, wo er zu sich kommen würde oder bei wem. Sebastian Kentish, ein sportlicher, rothaariger Brite Mitte dreißig, der vom MI7 vor die Tür gesetzt worden war, stand mit offenem Mund und aufgerissenen Augen da, seine Waffenhand schwebend über seinem Schulterholster unter seiner Jacke. Kentish war als Ersatzmann aus Chalks Niederlassung in Bangkok gekommen, und obwohl er die Gerüchte gehört hatte, hatte er sich noch nicht an die launischen Ausbrüche seines Chefs gewöhnt. Das passte Chalk prima. Er zog es vor, wenn seine Neulinge und erfahrenen Männer gleichermaßen leise um ihn herumtraten, während eine Mischung aus Angst und Respekt ihre Handlungen bestimmte, vor allem, wenn sie nicht unter seinem direkten Befehl standen.
Tahereh Heydar, noch eine Person, die er nicht in seinem Büro erwartet hatte, war eine heimtückische Iranerin von atemberaubender Schönheit. Sie war einst die hochrangigste weibliche Dschihadistin einer al-Qaida-Zelle in den Staaten gewesen. Chalk hatte ihr Team auf seiner letzten Mission abgefangen und langsam aber vollständig vernichtet. Tahereh war seine Geliebte geworden, erst aus überlebenstaktischen Gründen, doch schließlich hatte sie sein kühnes Draufgängertum lieben gelernt. Keine Drohung und keine materiellen Hindernisse konnten sie dazu bringen, jetzt von seiner Seite zu weichen. Nur ihr Herz blieb gefangen. Die beiden verband eine toxische Art von Liebe, auf die gleiche Weise, wie Schorf auf einer brandigen Wunde klebte.
Tahereh kniete besorgt über der zukünftigen Leiche von Matt Flynn, der ein paar Schluckbeschwerden hatte. Genauer gesagt erstickte er an seiner zerdrückten Luftröhre. Ups! Saubermachen in Gang Drei, dachte Chalk. Musste ein ziemlicher Ausraster gewesen sein, wenn er spontan einen seiner eigenen Männer ausgeschaltet hatte. Das war nun mal der Preis für ein Leben am Rande des Wahnsinns.
Chalk schätzte schnell Flynns Überlebenschancen ein und sagte zu Kentish: »Rotschopf, bring unseren Burschen in den Kühlschrank, solange er noch frisch ist.«
»Ja, Sir«, war die zackige Antwort.
Sowohl Kentish als auch Tahereh wussten es besser, als sich um einen Doktor für Flynn zu bemühen, selbst wenn sie gewollt hätten. Nur Tahereh wusste, dass Chalk sich nicht um Flynns Arztkosten drückte. Während eines psychotischen Schubs, der Chalk eher gesprächig als gewalttätig gemacht hatte, und der mit einer glühenden Runde Sex zusammengefallen war, die in den meisten Staaten auch ohne die Gegenwart eines verdutzten Leguans illegal gewesen wäre, hatte er sich ihr gegenüber verplappert. Es schien, dass die medizinische Untersuchung, der jeder neue Angestellte beim Eintritt in Right Way unterzogen wurde, volle Blut- und Genuntersuchungen einschloss, die archiviert wurden, um Organentnahme und -verkauf auf dem Schwarzmarkt zu erleichtern. Falls der Agent umkam oder wie in Flynns Fall kurz davor war, strich Chalk das Sterbegeld ein. Es hielt die Pensionskasse überschaubar. Selbst wenn ein Agent auf einer Mission Mist baute, sonst aber gesund war, so brachte Chalk die Patienten-Akte des armen Schweins in mehreren Schwarzmarkt-Organdatenbanken in Umlauf, um zu sehen, ob nicht gut betuchte Empfänger ein oder zwei Ersatzteile bitternötig hatten. Eine Kugel und der geschickte Umgang mit dem Skalpell dünnten die Lohnliste effektiv aus und verschafften Chalk einen netten Profit. Außerdem blieb dadurch der Rest des Teams höchst motiviert. Verdächtigungen in den Reihen wurden niemals ausgesprochen. Gerüchte mochten unbestätigt kursieren. Niemandem war entgangen, dass es nicht allzu viele Right-Way-Pensionäre gab, die bei der Firmen-Weihnachtsfeier vom Leder zogen. Chalk betrachtete diesen eigentümlichen Rentenplan als die rote Uhr.
Nachdem Kentish den noch immer zappelnden Flynn im Gamstragegriff auf seine Schultern gehievt und das Büro für den kurzen Trip zum Tiefkühlraum verlassen hatte, klang Chalks Stimme eher kleinlaut. »Ziemlich übel, glaub' ich.«
Tahereh konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Warte ab. Seb kommt gleich in frischer Hose zurück.«
Chalk schätzte Taherehs gute Meinung. Er war dankbar, dass sie trotz seiner tödlichen Tendenz zu psychotischen Marotten nicht weniger von ihm hielt. Er sagte: »DePriest meint, dass wir den Ausreißer schnappen müssen.«
Tahereh seufzte und rollte ihre verführerischen Rehaugen. »Hab ich mitbekommen. Hätte er mich doch Ortungs-Chips bei denen anbringen lassen, wie ich's wollte.«
»Nicht wahr? Aber ich kann verstehen, was ihn gestört hat. Alles, was wir verfolgen können, kann auch jemand anderes aufspüren. Und die Kosten gehen vom Profit ab.«
»Mehr noch als verschwundene Ware?«
»Du rennst offene Türen ein, Schatz. Lass uns ein Team aufsatteln. Wir gehen den Zaun ab und schauen mal, was Sache ist. Und nein, wir warten nicht bis Tagesanbruch.«
Tahereh zuckte mit den Schultern. »Ich folge dir überallhin.«