Читать книгу DIE SNUFF-KILLER - Robert Blake Whitehill - Страница 20
Kapitel 14
ОглавлениеDies war das vierte – und abgelegenste – Haus am Wasser, das Chalk und sein Team heute Morgen abgesucht hatten. Er folgte einer Ahnung und ließ das heruntergekommene Bauernhaus, das in einiger Entfernung zum Ufer mitten in einem Wäldchen ausschlagender Ahornbäume lag, links liegen und inspizierte den wackeligen alten Steg und das graue Wasser der Chesapeake, das vor ihm lag. Verzogene Planken und schiefe Pfähle ließen ihn wie eine Achterbahn aussehen. Die Dämmerung warf nur wenig hilfreiches Licht auf das schlecht instandgehaltene Grundstück, aber Chalk konnte erkennen, dass kein Boot am Steg lag. Scheuerstellen von einem Seil an einem der Pfähle wiesen darauf hin, dass das nicht immer so war.
Earline Byrd, Gläans Bellendre und Felix Harrower standen in respektvollem, sogar vorsichtigem Abstand von gut drei Metern hinter ihm. Nach dem Ausreißer sowie dem Verlust von Sanders, Flynn und der verehrten Tahereh war ihnen klar, dass ihr Boss einen miesen Tag hatte. Dazu noch die Gerüchte der Standpauke, die sich Chalk von DePriest hatte gefallen lassen müssen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand verletzt oder vermutlich sogar draufgehen würde. Chalk mochte selbst sein schlimmster Feind sein, aber sein extravaganter Führungsstil war auch für seine Untergebenen nicht gerade von Vorteil.
Jimmy Clyster kam aus der Richtung eines kleinen Geräteschuppens, dessen Tür nun zerbrochen war und schief an einer einzigen verrosteten Angel hing. Er war ein ehemaliger Cop aus Detroit, der nach ein paar Jahren an der Schreibtischfront in den Ruhestand geschickt worden war. Ein undurchsichtiger Schusswechsel mit einem Minderjährigen war ihm zum Verhängnis geworden. Das Dezernat für interne Ermittlungen hatte nie beweisen können, dass er den jungen Drogenkurier erpresst hatte, aber für einen Polizisten, der Action liebte, war Schreibtischdienst auf dem Abstellgleis schlimmer als Gefängnis.
»War ein Vorhängeschloss dran. Rettungswesten, ein paar Angelruten, Krabbenkörbe und zwei Ruder«, berichtete Clyster.
Chalk grummelte. Er hätte vielleicht noch mehr von sich gegeben, aber in diesem Moment schlurfte ein älterer Mann aus dem Haus. Er trug einen vergilbten Pyjama und einen abgenutzten, blauen Bademantel, der locker über einem Bauch hing, der das Produkt vieler Jahre und Biere war.
Der Mann schaute zwischen den Fremden am Wasser, dem glänzenden, getönten SUV in der Auffahrt und seinem verschandelten Nebengebäude hin und her und schrie: »Wer zur Hölle seid ihr? Mein Schuppen! Himmel!«
Es war für Chalk schwer, den Mann zu verstehen. Er schien keine Vorderzähne zu haben.
Chalk wurde ernst und seriös. »Ministerium für Innere Sicherheit. Haben Sie ein Boot?«
Der angegraute Hausbesitzer wurde zunehmend verwirrt. »Ja, gleich dort … Hey! Wo zur Hölle ist mein Boot? Gott verdammt noch mal!«
Chalk hielt seine Stimme flach und professionell. »Wann haben Sie es zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern. Ich war gestern selbst damit draußen«, stammelte der alte Mann.
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich, Sie Idiot! Mein Arzt sagte, ich brauch' Bewegung und ich dacht' mir, das Boot ist quasi wie 'ne Rudermaschine.« Der verwirrte Senior wurde langsam sauer. Lange gehegtes Misstrauen gegenüber den Behörden machten die Angelegenheit nicht besser.
»Können Sie uns eine Beschreibung geben?«
»Es ist nur ein 3-Meter-Dingi. Weiß. Glasfaser. Es ist sicherlich nicht neu, aber gottverfluchter MIST!«
»Sie haben das noch nicht der örtlichen Polizei gemeldet?«
»Nein! Was zur Hölle haben Sie mit meinem Schuppen angestellt?«
Chalk verzog keine Miene. »Wir glauben, das war der Dieb.«
»Ich glaube, das war das Arschloch da drüben!« Der alte Mann zeigte auf Clyster. »Guckt euch das mal an! Ich bin schließlich nicht taub! Ich hab's doch gehört! Ihr bezahlt mir den Schaden!«
»Auch gut.« Chalk zog seine Glock G41 und Byrd, Bellendre und Harrower, die zwischen ihrem Boss und dem Hausbesitzer standen, traten flink zur Seite. Chalk drückte einmal ab und traf den alten Mann in den weiß behaarten Bauch. Der klappte zusammen und wand sich vor Schmerzen am Boden. Der leichte Regen verdünnte das Blut, das in den schäbigen Bademantel floss.
Chalk holsterte die Waffe unter seiner Jacke, als ihm plötzlich etwas Wichtiges einfiel. »Ach Scheiße!«, stieß er hervor und joggte zu dem sterbenden Mann hinüber, dessen Augen trüb wurden. »Hey Mann, Kumpel, hast du letzte Nacht hier jemanden rumschleichen sehen?«
In einem Augenblick, den sogar der aufgewühlte Chalk als surreal erkannte, flüsterte der Mann tatsächlich: »Nein«, bevor er einen halben Liter Blut erbrach.
Ungeduldig fragte Chalk: »War das: Nein, ich will nicht sterben, oder: Nein, ich hab niemanden gesehen? Hilf ein bisschen mit, Gevatter.«
Ein Schrei des Entsetzens von der Hintertür des Hauses lenkte alle Blicke auf eine füllige, weißhaarige Frau in einem gestreiften Hauskleid, die wild mit den Armen fuchtelnd auf sie zu gerannt kam.
Die Frau schrie: »Oh mein Gott! Lester! Oh mein Gott! Was ist passiert?«
Chalk zog wieder seine Waffe, wartete aber, bis die Frau nur noch zwei Meter entfernt war, bevor er ihr ins Gesicht schoss. Sie stürzte der Länge nach auf den Boden. Einzelne Haarsträhnen und Hirnbröckchen, die aus ihrem Hinterkopf ausgetreten waren, hatten Earline Byrds Regenjacke, Hals und Gesicht besudelt. Die lakonische Söldnerin hatte nicht einmal gezuckt und rührte auch keinen Finger, um sich zu säubern.
Chalk wandte sich wieder dem Mann zu seinen Füßen zu. »Lester? Hey, Lester! Bist du noch da?« Chalk stupste Lester behutsam mit seiner Schuhspitze an. Der alte Mann war dahingeschieden.
»Mist, Mist, Mist«, sagte Chalk. Er steckte seine Waffe weg. »Ist im Schuppen noch Platz?«
»Kümmer mich drum«, antwortete Harrower.
Während sein Team die Leichen aus dem Weg räumte und die zerbrochene Tür so gut wie möglich wiederherstellte, trat Chalk ans Ufer hinunter. Wie er die Chesapeake Bay hasste. Der Fischfang, das Krabbenfischen, all diese Freizeitaktivitäten kaschierten eine einzige, hässliche Wahrheit. Er hatte hier schon einmal versagt. Auf spektakuläre Art und in einer Weise, die ihn seines Status beraubt hatten, seines Selbstwerts und unsäglichen Reichtums, und die ihn in Demut kriechen und um Gnade flehend zurückgelassen hatte.
Ja, er war nach der großen Tat augenblicklich zum Helden des Tages gemacht worden. Anhand der Lügen, die er erzählte, hatten die Medien ihn in den Heldenstatus erhoben. Er hatte Washington, D.C. vor der schmutzigen Bombe der Terroristen gerettet.
Aber die Menschen aus seinem Umfeld erinnerten sich noch. Es war kein sauberer Sieg gewesen. Die Bombe war schadlos auf einer Sandbank in der Mitte der Chesapeake hochgegangen, ohne Verluste von Menschenleben; zumindest gab es keine Opfer, von denen die Sensationsmacher wussten. Dann hatte jemand angefangen rumzuschnüffeln, wie viel Chalk von dem Komplott gewusst und wann genau er davon erfahren hatte. Diese Fragen hatten weitere Ermittlungen nach sich gezogen. Warum hatte Chalk versucht, es allein mit den Terroristen aufzunehmen? Für wen genau arbeitete er eigentlich? Innerhalb eines Nachrichtenzyklus hatte der faule Gestank einer Laufbahn im Geheimdienst angefangen, sich um Chalk herum zu sammeln und seine glanzvollen Zukunftsaussichten zu verderben. Nach einem glorreichen Leben in den Schatten war Ruhm letztendlich sein Verderben gewesen.
Sein Boss, Senatorin Lily Morgan, aus dem großartigen Staate Wisconsin verleugnete ihn. Während sie zur Ministerin der Abteilung für Innere Sicherheit aufstieg, hatte er in den Untergrund kriechen müssen, als er über Mittelsleute erfuhr, dass er einer Anhörung vor dem Senat nur entgehen konnte, wenn er augenblicklich verschwand.
Eine Zeit lang hatte er geglaubt, seinen größten Patzer in seinen umwerfendsten Erfolg verwandeln zu können. Am Ende hatte keinerlei Form von Meinungsmache, wofür Chalk Millionen Dollar an Schmiergeldern und für vergebliche PR-Kampagnen ausgegeben hatte, etwas an der Tatsache ändern können, dass die Detonation einer schmutzigen Bombe auf amerikanischem Boden derart schrecklich war, dass es die Angriffe vom 11. September 2001 überschattete. Irgendjemand musste dafür geradestehen. Chalk war nicht länger der Mann, der die Hauptstadt der Nation bewahrt hatte. Er war zum Unhold abgestiegen, der Amerika verraten hatte.
Und da war er nun wieder, an den Ufern dieser riesigen Jauchegrube, der Chesapeake Bay, auf der Jagd nach einer wertlosen kleinen Schlampe, nur damit er seinen widerlichen Job als Kerkermeister im Todestrakt behalten konnte. Seine Hände ballten sich unfreiwillig zusammen, betätigten eingebildete Abzugszüngel, die aus seinen Feinden Matsch und Knochensplitter machten.
»Oma?« Chalk drehte sich um und erblickte ein blondes Mädchen, etwa fünf Jahre alt, und einen Jungen, der ihr Zwillingsbruder sein musste, wie sie verschlafen und verdutzt an der Hintertür des Hauses standen. Clyster und Harrower waren gerade dabei, den schlaffen Leib der alten Frau an Händen und Füßen in den Schuppen zu tragen. Byrd und Gläans Bellendre zogen Pistolen.
Herrgottnochmal! Enkelkinder? Mir ist aber auch gar nichts gegönnt, dachte Chalk.
Er warf Byrd und Bellendre einen scharfen Blick zu und sagte: »Muss ich denn alles selber machen?«
Das kleine Mädchen begann zu weinen, als die zwei Söldner auf das Haus zu pirschten.
Chalk rief ihnen hinterher: »Hey, wenn ich so drüber nachdenke, schnappt sie euch lieber lebendig!«
Byrd und Bellendre holsterten ihre Waffen und beschleunigten ihren Gang.