Читать книгу DIE SNUFF-KILLER - Robert Blake Whitehill - Страница 18
Kapitel 12
ОглавлениеDie American Mariner war völlig durchsiebt von den Schießübungen des Pax River Marinestützpunkts. Als Ben sie über das Wasser und durch den dichter werdenden Nebel betrachtete, schwelgte sein Künstlerauge im Farbenspiel, das sich ihm bot, wie die weiße Rumpffarbe in das rostige Orange-Braun von getrocknetem Blut verlief. Die grobschlächtige Zerstörung des alten Zielschiffes, die mit dessen Versenkung begonnen hatte und mit Bomben und Kugeln fortgeführt worden war, nahm nun in nachfolgenden Jahrzehnten einen natürlicheren Verlauf.
Blackshaw drehte den Außenbordmotor seines Schlauchboots voll auf und inhalierte genüsslich die steife Brise und den nebeligen Regen. Es fehlte an Bord des Frachters nicht an frischer Luft, solange einem der Geruch von Heizöl, Rost und längst vergangenen Seereisen, deren Besatzung schon lange begraben war, nichts ausmachte. Für Ben war da etwas unheimlich Lebendiges in den entfesselten Winden der Chesapeake, die sein unrasiertes Gesicht einfroren und Tränen in seine Augen trieben.
LuAnna und Tally würden auf dem Wrack allein klarkommen – oder zumindest redete Ben sich das ein. Ein kurzer Blick von seiner Frau, bevor er ging, verriet ihm, dass sie ihre eigenen Vermutungen hatte, was ihren Gast anging. Tally wurde einstimmig Asyl gewährt, sobald sie Bens Bersa abgegeben hatte. LuAnna behielt sowohl diese Pistole als auch die .45er in ihrem Gewahrsam. Die ehemalige Polizistin trug auch eine markige kleine .25er Beretta Jetfire an ihrem Knöchel, aber Tally musste davon nichts wissen.
Das Schlauchboot war schnell, aber brutal im Wellengang. Blackshaw hätte das Boot gern mit einer zweiten Person am Bug oder wenigstens Mitschiffs getrimmt, um sein eigenes Gewicht und das des Motors am Heck auszugleichen. Er hatte den tragbaren Benzintank so weit bugwärts gestellt, wie es die Treibstoffleitung zuließ. Der Tank war fast voll und sein Gewicht und die Platzierung halfen dabei, den Bug um ein paar Grad zu senken. Doch selbst so musste Ben einiges aushalten. Auf der anderen Seite kam es ihm vor, als ob die raue Fahrt eine Starre löste, die in den letzten Wochen auf dem Wrack langsam in seine Muskeln, Knochen und in seinen Kopf gekrochen war. Seltene Besuche von LuAnna, die Vorräte brachte, hatten geholfen, den durch Einsamkeit hervorgerufenen Wahnsinn abzuwenden, aber die Luft der Bucht und die weite See waren Bens Lebenselixier. Er ließ nicht vom Gas ab, bis er seinem Ziel nahe war.
Er raste durch die dunkleren Vorhänge stürmischer Böen an Stellen vorbei, die mit solchen Namen wie Northwest Middle Grounds und The Old Hannibal belegt waren. Hier, zwischen den Seezeichen 70 und 72, drückten die Gezeiten Streifenbarsche, Blaufische und Spanische Makrelen an die Oberfläche, wo Möwen sich tummelten und zeigten, wo die Angel auszuwerfen war.
Er bretterte weiter südlich zwischen Chumming und Mud Leads hindurch, was vor Ort als Shell Hill bekannt war. Immer noch außer Sicht des Ufers passierte er das Martin-Wildtierschutzgebiet, das nahe Smith Island nördlich des Big Thorofare lag und gleich gegenüber des Dörfchens Ewell. Dieser Zufluchtsort hatte den Smith-Island-Bewohnern seit Jahrhunderten als Jagdgebiet und Weideland gedient, bis Glenn Martin, der Luftfahrtpionier, im Jahr 1954 die ersten 1076 Hektar dem US Fish and Wildlife Service übergeben hatte. Über Nacht war aus den Smith Islandern, die dort Führungen machten oder den eigenen Tisch füllten, Wilderer geworden.
Er konnte sein Haus auf Smith Island durch den grauen Regen hindurch nicht sehen, aber er spürte den Sirenenruf von Heim und Herd, der sein Herz in Sehnsucht tauchte. Eines Tages würde er als freier Mann über seine Türschwelle treten, lebendig und unter seinem eigenen Namen. Aber nicht heute. Nicht dieses Mal. Vorerst war er als Toter in allen Datenbanken aufgeführt, die solche Dinge verzeichneten, und in den schattigen Untiefen seiner Seele musste er diesem Urteil beipflichten. Das würde sich ändern. Es musste, oder er würde durch die Trauer über den Verlust seines alten Lebens den Verstand verlieren.
Mit der herannahenden Flut fuhr er zwischen Cheeseman und Shanks Island hindurch, die kaum mehr als Sandbänke waren. Dann kreuzte er nach Norden, um South Point und Peach Orchard Point herum. Nach kurzer Zeit steuerte er nordwestlich in die kleine Meerenge, wo sein Freund Knocker Ellis lebte.
Ellis' Saltbox lag in einer höheren Lage, die durch Zeit, steigendes Wasser und sinkendes Marschland von den anderen hundert Vollzeit-Seelen abgeschnitten worden war, die die Gesamtheit der hiesigen Zivilisation ausmachten. Ellis konnte zu Fuß über eine lange, umständliche Reihe von Stegen und groben Bohlenwegen zum Rhodes Point laufen, aber er zog es vor, das Deadrise Miss Dotsy zu nehmen, auf das er bis zu glücklicheren Zeiten für Ben aufpasste. Wenn das Passieren seiner eigenen Saltbox schon einen nostalgischen Gemütszustand herbeiführte, dann zog der Anblick von Miss Dotsy, wie sie mit ihren perfekt gespannten Vor- und Achterleinen im Wasser lag, Bens Lebensgeister nur noch mehr runter. Das Boot gehörte seinem früheren Selbst; wirklich einem ganz anderen Mann aus einer längst vergangenen Zeit.
Tatsächlich hatten sich mehrere anstrengende Monate und ein harter Winter vom Kalender geschält, seit er irgendeinen Teil des Smith-Island-Archipels betreten hatte. Aber nichts blieb für immer unverändert, nicht mal dort. Auf dem sumpfigen Hügel, den Ellis sein Zuhause nannte, fielen Ben ein paar Veränderungen sofort ins Auge. Etwa fünfzehn Meter vom Wasser entfernt stand ein großer, alter Geräteschuppen. Er protzte mit neuen Dachschindeln. Die alten, zerbrochenen Fenster waren durch neue Scheiben ersetzt. Diese Neuerungen waren verständlich, da Ellis nun unvorstellbar reich war. Das große Rätsel war nur, warum Ellis' alter Handrasenmäher, Rechen, Schaufel, seine Sense und andere Gerätschaften draußen gegen den Schuppen gelehnt im Regen standen. Ellis war sonst sehr gewissenhaft, was seine Werkzeuge anging.
Die achtlose Umsiedlung seiner Utensilien war nicht das Einzige, was Bens Aufmerksamkeit erregte. Ein neuer Weg war aus dem Rasen, der vom Schuppen bis zum Wasser reichte, herausgeschnitten worden. Ein bis zwei Tonnen Splitt machten diesen Pfad in den meisten Jahreszeiten begehbar. Am Wasserende des Weges stand ein Pfosten aus druckimprägniertem Kiefernholz auf einem Betonfundament. Obendrauf thronte ein nagelneuer Briefkasten. Verdutzt überquerte Blackshaw die kleine Grasfläche, die sich gerade vom Winter erholte, und klopfte an die zur Wasserseite gelegene Haustür der Saltbox.
Ellis öffnete die Tür so schnell, dass offensichtlich war, dass er Bens Nahen beobachtet hatte. Der Ankömmling bemerkte, wie dünn sein Freund geworden war, während er die Blutvergiftung bekämpft hatte, die er sich während ihres letzten Einsatzes durch eine spät behandelte Schusswunde im Bein zugezogen hatte. Seine schwarze Haut lag gespannt über den Sehnen an seinem Hals.
Ellis sprach, bevor Ben seinen Freund begrüßen und die Angelegenheit von Tally auf den Tisch bringen konnte. »Hey, Pilger«, sagte er und nahm eine Barbour Beaufort Feldjacke von einem Haken neben der Tür.
Ellis schien in Eile zu sein, als er sie anzog, und erklärte: »Muss die Post reinholen. Dann können wir Kaffee trinken.« Die eigenartige Begrüßung handelte ihm einen scharfen Blick ein, auf den er antwortete: »Jetzt komm schon. Bist du nicht eh schon nass?«
Bens Verwirrung wurde nur noch größer, als Ellis auf den renovierten Schuppen anstatt den Briefkasten zulief. Als Ellis das bemerkte, rief er über seine Schulter: »Wirst schon sehen.«
Er wartete auf Ben an der Vorderseite des Schuppens und sagte: »Wirf da mal ein Auge drauf.« Er öffnete das Garagentor, schaltete eine Deckenleuchte ein und beobachtete interessiert Bens Gesicht.
»Heiliger Strohsack. Ellis, was ist das?« Schuhe, Mopeds und Golfwagen waren die üblichen Fortbewegungsmittel auf Smith Island. Blackshaw beugte sich herab, um den schnittigen schwarzen Sportwagen, der in der einzigen Parkbucht des Schuppens Platz fand, genauer zu untersuchen.
»Bugatti Veyron. Schnellster straßentauglicher Serienwagen der ganzen Welt. Knapp zwei Millionen Dollar. Der schafft vierhundert Stundenkilometer und ein paar Zerquetschte.«
Ben starrte seinen Freund an. »Vierhundert Sachen sind natürlich mit Gold kaum aufzuwiegen.«
»Und damit kennst du dich ja aus, stimmt's?« Als Bens Partner bei der Bergung des gestohlenen Goldes vom Grund der Chesapeake akzeptierte Ellis dankbar seine vollen fünfzig Prozent Anteil an den Einnahmen durch die Kunstwerke, die sein Kompagnon produzierte. Ben teilte seine eigene Hälfte gleichmäßig unter dem Rest der Familien auf Smith Island sowie vielen Männern auf Tangier Island im Süden auf, die sich bei der blutigen Mission nützlich gemacht hatten. Diese vorteilhafte Aufteilung machte Ellis zum reichsten Mann auf Smith und im meilenweiten Umkreis auf dem Festland.
»Halleluja, Ellis. Was für 'n Gerät.« Dann betrachtete Ben die fünfzehn Meter Weg, die vom Schuppen zum Briefkasten am Ufer führten. Es gab sonst keine andere Straße auf diesem sumpfigen Stück Land.
»Machen wir 'ne Spritztour«, schlug Ellis vor.
»Wohin geht's?«
»Hab ich schon gesagt. Post holen.«
Blackshaw zwängte sich in den engen Spalt zwischen der Garagenwand und dem Auto und bemerkte dabei die polierten Wärmetauscher hinter dem Cockpit. Er dachte gerade an Miss Dotsys zweckdienlichen Vierzylindermotor, als Ellis sagte: »Tausend PS und mehr.«
»Und mehr?«
»Einiges mehr.«
»Na Gott sei Dank. Gehört Bugatti jetzt nicht zu Volkswagen?«
Ellis verzog das Gesicht. »Ich zieh dir gleich das Fell über die Ohren. Steig ein.«
Ben öffnete die Wagentür und schlüpfte in den engen Sportsitz aus hellbraunem Leder auf der Beifahrerseite. Mit seinem längeren und schmaleren Körperbau rutschte Ellis mit Leichtigkeit hinter das Steuer. Er drehte den Zündschlüssel und wartete, bis verschiedene Lichter auf der schlichten, geschwungenen Instrumententafel zum Leben erwachten. Nachdem ein paar Piepser anzeigten, dass alles betriebsbereit war, drückte Ellis den großen Startknopf auf der Mittelkonsole aus Stahl und noch mehr Lichter gingen an. Die große Maschine hinter ihnen brüllte bedrohlich. Der alte Schuppen wackelte von der enormen Kraft.
»Sechzehn Zylinder. Vier Turbos.«
Ben musste seine Stimme über den Lärm erheben, um zu fragen: »Holst du deine Post nich' mehr aus 'm Postamt in Ewell?«
»Klar doch«, erklärte Ellis mit großer Geduld. »Und dann leg ich sie in den neuen Briefkasten dort. Dann gehe ich ins Haus und trinke 'ne Tasse Kaffee. Ich hab 'ne neue Espressomaschine. Bitte anschnallen.«
Trotz der Dringlichkeit seines Besuchs kam er der Anweisung nach. Ellis machte noch ein paar Anpassungen, die sein Freund nicht sehen konnte. Als Ben einen Servo winseln hörte, schaute er über seine Schulter und sah, wie der Heckflügel in der Karosserie verschwand, wodurch der gesamte Wagen noch tiefer am Boden zu kauern schien.
Ellis spielte an den Bedienelementen am Lenkrad und das Grollen des Motors wechselte die Tonart. Die Bestie schob sich langsam aus dem Schuppen. Ben wappnete sich gegen den Moment, in dem sein Freund aufs Gas stieg, den Splitt regnen ließ und sie bis zum Hals ins Wasser katapultierte, oder vielleicht bis nach Brasilien. Aber Ellis kam nicht über Schneckentempo hinaus.
Stattdessen machte Ellis das Beste aus dem kurzen Weg, wobei er die Aussicht genoss und hin und wieder zu Ben herübersah, während er das Lenkrad mit zwei Fingern seiner linken Hand festhielt. Nach ein paar Augenblicken erreichten sie den Briefkasten, ohne kaum ein Kieselchen bewegt zu haben. Mit einem sanften Antippen der Bremsen blieb das Raumschiff auf Rädern am Briefkasten stehen.
»Es gibt auch eine Hi-Fi-Stereo-Anlage, aber mir geht's nur um den Motor-Sound«, sagte Ellis. »Warte kurz.« Er kletterte aus dem Wagen, holte ein paar Postwurfsendungen aus dem Briefkasten und legte das rote Fähnchen um. Zurück im Wagen reckte er den Hals und setzte den Veyron langsam zurück, bis an seinen Platz im Schuppen, wo er den Motor wieder ausmachte.
»Bist du auch Mitglied beim AAA?«, fragte Ben. »Mit so'ner Kutsche will man nicht am falschen Ende der Stadt liegen bleiben.«
»Pannensichere Reifen«, sagte Ellis, als spräche er mit einem Idioten.
»Hätte ich wissen müssen.«
»Das stimmt. Und ja, ich hab 'nen Schutzbrief. Bin ja nicht blöd.«
»Doppelt hält besser.«
»In der Tat.«
Sie saßen eine Weile schweigsam im Auto, lauschten der Motorkühlung und schauten dem Regen zu. Nachdem dieser seltsame Ausflug beendet war, wirkte Ellis schwermütig.
»Was meinst du, wollen wir die Espressomaschine testen?«, fragte Ben.
Ellis war für einen Augenblick still, bevor er zustimmend nickte. Er stieg langsam aus dem Wagen und ließ die Post zurück, gemeinsam mit den Wurfsendungen der vorherigen Tage, die hinter Bens Sitz lagen.
Ben folgte ihm zur Saltbox. »Du bist ziemlich gelangweilt, hm?«
»Nein, ich bin alt«, konterte Ellis. »Aber ich bin reich und wir sind Freunde. Du kannst dir meinen Wagen jederzeit leihen.«