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IV. Zur „sittenbildenden Kraft“ des Strafrechts

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Ein früher vieldiskutiertes Problem besteht darin, ob bzw. inwieweit durch die Setzung von Strafrecht die Moral beeinflusst werden kann bzw. ob die Abschaffung oder verminderte Durchsetzung strafrechtlicher Bestimmungen Auswirkungen auf die Sozialmoral hat.[85] Noch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war bei manchen Autoren das Vertrauen in die „sittenbildende Kraft“ des Strafrechts enorm:

„Das Hauptverdienst der Strafe liegt in ihrer sittenbildenden Kraft. Sie ist das wirksamste Mittel, mit welcher der Gemeinschaftswille die soziale Wertwelt formt und festigt, neue Werte einprägt und alte im Gedächtnis erhält. Das Strafrecht predigt die sittlich-rechtlichen Grundsätze mit demjenigen Mittel, das zu allen Zeiten besonders eindrucksvoll war, mit der Macht.“[86]

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Empirisch dürfte die These von der sittenbildenden Kraft des Strafrechts allerdings kaum zu belegen sein.[87] Immerhin wird man sagen können, dass beispielsweise der Erlass des Embryonenschutzgesetzes im Jahr 1990[88] die Überzeugung von der Schutzwürdigkeit von Embryonen möglicherweise verstärkt hat; zumindest wurde den Befürwortern eines hohen Schutzniveaus ein zusätzliches Argument in die Hand gegeben. Dasselbe gilt möglicherweise für die Pönalisierung der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid (§ 217 StGB) im Jahr 2015.[89] Umgekehrt scheinen aber Tendenzen zur Entkriminalisierung selbst in moralisch besonders relevanten Kontexten nicht dazu zu führen, dass die Sozialmoral sich spürbar ändert, weil hier in der Regel (s.o. Rn. 29 f.) das Recht Entwicklungen nachvollzieht, die in der Sozialmoral bereits stattgefunden haben. Beispiele sind etwa die Entkriminalisierung des Suizids im 18. und frühen 19. Jahrhundert,[90] die Entkriminalisierung des Ehebruchs,[91] der Homosexualität unter Männern,[92] der Pornographie[93] oder des Schwangerschaftsabbruchs.[94] Ein aktuelles Beispiel für eine Liberalisierung aus dem Familienrecht ist etwa die Einführung einer „Ehe für alle“.[95]

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