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ОглавлениеIch radle durch den ausklingenden Tag. Die Sonne steht schräg gegen mich, der Mond hängt bleich am noch hellblauen Himmel. Meine Gedanken kreisen um Horus’ Kampf gegen die Mächte der Finsternis. Wie Friedrich II. reite ich durch die ägyptische Nacht. Ich schaue auf den Jagdfalken, der auf meiner Faust sitzt. Sein Kopf ist mit einer Kappe bedeckt, sodass er blind ist für die Abenteuer, die noch vor ihm liegen.
Als ich das Neubaugebiet passiere und mich Lasses Haus nähere, mustere ich das weiße Gebäude, in dem nun Luisa wohnt. Wie ein Blitz durchfährt mich der Gedanke, wie es wohl wäre, Clara zur Nachbarin zu haben.
Ich lehne mein Fahrrad an den Carport von Lasses Eltern und klingle. Zwei Augenblicke später ruft mir Lasse aus dem offenen Badezimmerfenster zu, dass er gleich kommt. Und als er einen Moment später die Tür öffnet, frage ich ihn unvermittelt: »Na, wie geht’s ihr?«
Er blickt mich finster an.
»Wem?«, will er wissen und weiß genau, wovon ich rede.
»Deiner neuen Nachbarin«, sage ich grinsend. »Hast du eigentlich Angst vor ihr, so wie du abgehauen bist? Was hat sie dir denn getan?«
»Willst du schon wieder gehen?«, fragt mich Lasse und macht Anstalten, mir die Tür vor der Nase zuzudrücken.
Schnell schiebe ich einen Fuß in den Spalt.
»Hey, alles cool«, sage ich. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Lasse die Entschuldigung annimmt.
Endlich in seiner Sauna unter dem Dach, mit Cola und Chips vor dem Monitor, rufen wir die Seite von horus-spiel.com auf. Eine Werbeanzeige tickert über den Bildschirm: »Power Beads, Amulette, Talismane«, unterlegt mit eigentümlichen Kreuzen und Totenköpfen. Und was macht Lasse, der Idiot? Er klickt die Leiste an. Als hätten wir jede Menge Zeit. Ich glaube, er tut es, um mich zu ärgern. Die Anzeige führt uns zu einem Onlineverkauf von allem möglichen Hokuspokus: Wunderkugeln, Glücksbringern, Geruchsstoffen, die böse Geister fernhalten, darunter auch ein Horus-Kopf, den ich zwar gern hätte, aber wir verlieren nur wertvolle Zeit im Krieg gegen Seth. Und außerdem hätten wir das unnütze Herumdaddeln auch während der Medienstunde hinter uns bringen können.
»Los, wir sind nicht zum Spaß hier!«, sage ich, und Lasse lässt den Aberglaubenplunder endlich vom Bildschirm verschwinden.
Danach versuchen wir durch einen Trick, die vertändelte Zeit wieder aufzuholen. Auf einer Nebenleiste, die die unterschiedlichen Figuren des Spiels vorstellt, entdecken wir einen Wächter mit einer Streitaxt, der erstmals in Stufe fünf aufgerufen wird. Wir klicken ihn an, um zu versuchen, gleich auf Stufe fünf anzufangen. Aber das misslingt. Dennoch geben wir uns nicht geschlagen und probieren noch eine Weile, das Computerspiel zu überlisten. Als wir schließlich zermürbt erkennen, dass es so nichts wird, beginnen wir lustlos den Kampf nach den vorgegebenen Regeln. Wir schaffen es gerade bis zur zweiten Stufe.
Als ich unter den gelben Lichtkegelbögen der Laternen nach Hause fahre, macht es keinen Spaß, sich vorzustellen, dass ich Friedrich II. bin. Ich denke an Clara. Warum zum Kuckuck hat sie mir diese Einladung gegeben?