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ОглавлениеObwohl ich zu Fuß zur Schule gekommen bin, nehme ich den Weg durch den Fahrradkeller. Das passiert mir ab und zu, dass ich nach der Schule nicht weiß, ob ich mit oder ohne Rad gekommen bin. Diesmal ist mir von Anfang an klar, dass mein verzweifeltes Rumgesuche, wo mein Fahrrad denn stehen könnte, nie zum Erfolg führen wird. Es dient neben der Tarnung auch dazu, Claras Rad auszumachen und gleichzeitig Lasse oder andere mögliche Beobachter zu entdecken. Da fällt mir ein, dass Clara ja mit ihrem Skateboard gekommen ist. Ich gehe also zum Ausgang – und tatsächlich sehe ich ihre braunen Beine auf dem Board oben an der Auffahrt. Ich gehe zu ihr hoch.
»Du hast geschrieben ›im‹ Fahrradkeller, nicht ›vor‹ dem Fahrradkeller«, sage ich.
Die Sonne bullert nun genau über uns vom Himmel. Im Keller war es angenehm kühl, jetzt schmilzt man nur so weg.
»Gehen wir?«, fragt sie. Und ich muss erst mal überlegen, was die bessere Idee ist, möglichst schnell und ungesehen das Schulgelände zu verlassen oder so zu tun, als hätten wir uns zufällig getroffen und würden noch ein paar Worte wechseln. Aber Clara ist schon losgerollt, und ich muss laufen, um sie einzuholen und auf ihrer Höhe zu bleiben.
»Woher kennst du mein Geheimfach in der Federtasche?«, will ich wissen.
Clara lacht: »Deine Federtasche ist dick wie eine Wurst. Aber es sind nur drei Stifte drin. Dein Geheimfach ist nicht so supergeheim, wie du denkst.«
Ich kratze mich am Kopf. Sie hat recht. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. »Und was willst du?«, frage ich sie.
»Kommst du heute Abend?«, fragt sie sofort zurück. Natürlich meint sie den Falkenabend. Ich will einerseits endlich wissen, was es damit auf sich hat, aber andererseits will ich den Kampf mit Seth nicht noch weiter aufschieben.
»Eigentlich hatte ich schon andere Termine.«
»Termine?«, fragt sie zurück. Ihre Stimme klingt spöttisch.
»Ich meine, es kommt etwas plötzlich«, erläutere ich. Auf keinen Fall kann ich Clara sagen, warum ich nicht kann.
»Ja. Stimmt. Weil es ein Notfall ist«, erwidert sie und fügt hinzu: »Ich hab keine Zeit an unserem Geburtstag. Obwohl ich es versprochen habe.«
Der Themenwechsel vom Falken zum Geburtstag kommt zu abrupt, und ich verstehe nur noch Bahnhof.
»Wieso?«, frage ich. »Was hast du versprochen?«
»An unserem Geburtstag mit dir eine Radtour zu machen«, erwidert sie.
Schnell schaue ich mich um, ob das auch niemand gehört hat. Ich bin doch ein Schweinehund des Glücks! Manchmal fällt mir alles in den Schoß. Tagelang manövriere ich mich nach allen Regeln der Kunst in eine Sackgasse, und dann kommt Clara und öffnet mir eine Hintertür.
Als ich mich Clara zuwende, kneift sie die Augen hinter ihrer Brille zusammen. Ich weiß nicht, ob sie mich durchschaut hat.
»Ja, äh, das ist aber schade«, sage ich, und als ich Clara ansehe, dass sie tatsächlich ein schlechtes Gewissen hat, lege ich noch einen drauf. »Ich hatte mich schon auf unseren Ausflug zum See gefreut. Na ja. Aber wenn es ein Notfall ist. Wieso eigentlich?«
»Der Falke«, gibt Clara zurück.
Sie meint ganz offensichtlich den unbekannten Vogel, von dem in ihrer Broschüre die Rede war.
»Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, mit mir eine Woche auf ihn aufzupassen«, sagt sie dann.
Auf einmal habe ich keine Spucke mehr im Mund. Clara will mit mir Ferien machen! Dass sie dabei irgendwelche Viecher vorschiebt, ist ein schlau ausgedachter Trick. Ich hätte es wahrscheinlich genauso gemacht, wenn ich Clara hätte einladen wollen. Es ist irgendwie leichter, eine Geschichte zu haben, die einem einen Vorwand gibt, als direkt mit der Sprache rauszurücken.
»Wieso aufpassen? Muss der denn erst fliegen lernen?«, versuche ich einen Witz zu machen und mir nicht anmerken zu lassen, dass ich geschmeichelt bin. Aber Clara bleibt ernst.
»Es gibt noch immer Falkenjagden wie im Mittelalter. Nicht nur in arabischen Ländern, auch bei uns in Deutschland. Außerdem gibt es einen großen Markt für ausgestopfte Falken. Falken sind begehrte Sammlerobjekte.«
»Wer will denn solche toten Viecher haben? Museen?«, frage ich. Dass es schlecht ist, mit einem gut dressierten Falken auf der Faust durch Ägypten zu reiten, will ich nicht so ohne Weiteres zugeben, immerhin haben die beiden Menschen, die mir gegenwärtig am nächsten sind, Friedrich und der Sultan, das auch getan. Aber tote Falken will ich auch nicht.
Clara schüttelt zornig ihren verschwitzten Kopf.
»Die Nachfrage an Falkentrophäen ist riesig. Und für seltene Vögel werden enorme Preise bezahlt. Die Jagd auf Falken ist natürlich verboten und der Markt ganz geheim, aber es geht um so viel Geld, dass sich kaum ein Jäger von den Strafen abhalten lässt. Es gibt einen regelrechten Schwarzmarkt.«
»Wann denn?« Friedrich II. mit seinen Falken ist in meinem Kopf, groß und gegenwärtig.
»Am Montag. An unserem Geburtstag. Und dann die ganze Woche bis Pfingsten. Sie haben niemanden, der in dieser Zeit freihat«, gibt sie zurück.
Ich beiße mir auf die Lippen. Ich habe mich genau in dieser Zeit mit Lasse zum endgültigen Kampf gegen Seth verabredet. Ich frage mich allmählich, ob den Kampf gegen Seth nicht Clara führt.
»Aber dazwischen sind noch zwei Schultage«, wende ich ein und komme mir wie ein blöder Streber vor.
»Da passiert doch eh nichts«, sagt Clara. Damit hat sie zwar recht, aber zwei volle Tage zu schwänzen, ist doch etwas heikel.
»Was ist denn?«, fragt Clara, als ich nichts sage.
»Nichts, nichts. Geht’s nicht vielleicht ein andermal?«, schlage ich vor.
»Nein. Für die folgenden Wochen gibt es bereits Freiwillige. Ich habe mich schon angemeldet. Entweder kommst du mit, oder ich fahre alleine.«
»Nee, nee. Ich komme mit. Klar«, sage ich, »mal ein bisschen auswildern ist cool«, und könnte mir im selben Augenblick in den Hintern beißen.
»Schön«, sagt Clara. »Ich freue mich, dass du dabei bist.« Ich habe das Gefühl, überall auf der Haut gefriert mein Schweiß.
»Also, ich müsste schon noch meine Eltern fragen«, sage ich schnell, um wenigstens einen Ausweg zu haben. Immerhin kann es ja sein, dass sie mir verbieten, mit Clara auf Falkenwacht zu gehen.
»Ja, das ist klar«, sagt Clara.