Читать книгу Flug der Falken - Robert Habeck - Страница 6

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Die Oberfläche des Nils ist vom Wüstenwind gerippt. Schräg laufen die kleinen Wellen auf das Ufer zu. Weiter im Norden wird der Fluss braun. Er ist dann so reißend, dass seine Wellen nicht aus Wasser, sondern aus mitgespültem Schlamm bestehen. Bei Edfu ist der Nil noch schmal, fließt ruhig dahin und nimmt sich Zeit für einen Strand. Auf dem Sand spielen Wasser und Sonne Fangen. Die Stadt sieht aus wie Schaumkronen. Die Häuser sind ins Land gesprenkelte Gischt. Ein heißer Wind bläst den Geruch von Falafeln und Gewürzen zum Fluss.

Hier steht der riesige alte Tempel des Gottes Horus. Im Osten steigt steil die Arabische Wüste an.

Ein junger Mann geht an den Säulen des Horus-Tempels vorbei. Während die anderen Menschen aus Edfu sich nicht für diese Steine, die schon vor über zweitausend Jahren aufeinandergewuchtet wurden, interessieren und auch nicht für die Gänge und Hallen hinter den dicken Mauern, für die Reliefs von Kriegen und Festen, bleibt er einen Moment andächtig vor dem Tempel stehen und senkt den Kopf. Als er weitergeht, hat er die Sonne im Rücken. Hinter der Moschee biegt er in eine kleine Gasse ein. Händler mit Karren voll Zuckerrohr und eine Ziegenherde kommen ihm entgegen, und er muss sich in eine Nische drücken, um die Tiere vorbeizulassen. Die Straße ist nicht gepflastert, und der Staub steigt bis zu den oberen Fenstern der Häuser auf. Der Mann hat schwarze Haare, die ihm bis zum Kinn reichen und die er mit einem schmalen Reifen nach hinten geschoben hat. Seine Haut ist braun, fast bronzefarben, und sein Gesicht ist glatt und schmal, schmaler als die Gesichter der Händler, denen er eben ausgewichen ist. Der junge Mann zieht einen Schal vor Mund und Nase. Er trägt nicht wie die anderen Männer in der Stadt einen Burnus und die arabische Kopfbedeckung, sondern ein kariertes Hemd und weite Leinenhosen. Jetzt überquert er die Gasse und öffnet ein kleines Eisentor. Es führt in einen Innenhof, in dem Grabstätten dicht nebeneinandergedrängt liegen. Der junge Mann geht zwischen den Gräbern hindurch. Der gesamte Friedhof liegt im Schatten, hohe Häuser stehen ringsum. Die Sonne fällt nur mittags in den Hof. Ihn fröstelt.

Das Grab, vor dem der junge Mann stehen bleibt, liegt in der hintersten Ecke des Hofes und ist ein einziger großer Steinblock. Auf der Vorderseite ist ein Relief zu sehen, das eine junge Frau auf einem Thron zeigt. Ihr Gesicht ist im Profil zu sehen und ähnelt den feinen Zügen des jungen Mannes – eine schmale Nase, lange Wangen und geschwungene Augenbrauen. Auf der hohen Rückenlehne des Throns sitzt ein Raubvogel. Er hat die Schwingen gespreizt und wie einen Lorbeerkranz um den Kopf der jungen Königin gelegt.

Der Mann kniet nieder und legt seine Stirn an den Stein. So verharrt er, die Augen geschlossen. Schließlich hebt er den Kopf.

»Ich fahre nach Deutschland. Der Falke ist dort. Jetzt wird alles gut.«

In diesem Moment fällt ein schmaler Streifen Licht durch die Häuserfront. Der Mann steht auf und geht.

Flug der Falken

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