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h. Erwachen: Bedeutung versus Glauben

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Das Erwachen oder die Erleuchtung des Buddha ist ein höchst vielschichtiges Ereignis, das sehr unterschiedlichen Interpretationen zugänglich ist und dennoch als grundlegend für die Identität des Buddhismus angesehen wird. Ich vertrete die Ansicht, dass es eine schlichte Frage der Prioritäten ist, wie wir das Erwachen verstehen wollen. Einerseits können wir es auf eine Weise erklären, die mit dem Mittleren Weg, als grundlegendste und universellste Einsicht, die man aus Buddhas Leben und Lehren gewinnen kann, vereinbar ist. Andererseits könnten wir auf Grundlage einer anderen, traditionelleren Interpretation des Erwachens beginnen und diese dann auf den Mittleren Weg anwenden.

Aus den bereits in diesem Buch dargelegten Gründen, ist erstere Schwerpunktsetzung aus rein praktischen Gründen zu bevorzugen. Erwachen sollte in Begriffen interpretiert werden, die mit dem Mittleren Weg vereinbar sind, nicht nur, weil der Mittlere Weg das charakteristische Beurteilungsprinzip ist, das der Buddha anbietet, sondern, weil es für jeden, überall die beste Möglichkeit schafft, die Angemessenheit der eigenen Reaktionen auf Erfahrungen zu verbessern. Das Erwachen in einer Weise zu interpretieren, die mit dem Mittleren Weg vereinbar ist, bedeutet, dass das Erwachen nicht als ein absoluter oder diskontinuierlicher Zustand verstanden werden kann, der Zugang zu irgendeiner Form von absoluter Wahrheit gewährt. Es impliziert, dass wir, wenn wir die Leistung des Buddha beachten, der Methode des Buddha in seinen Begegnungen mit Alara Kalama und Udaka Ramaputta folgen sollten. Diese Methode besteht darin, von den Methoden und Errungenschaften eines spirituellen Lehrers zu lernen, sie aber nicht notwendigerweise als letztendliche Verwirklichung oder letztes Wort zu nehmen.

Andererseits könnten Sie sich dafür entscheiden, das Erwachen so zu interpretieren, dass die Autorität der Tradition dem praktischen Wert des Mittleren Wegs übergeordnet wird. Wenn Sie dies nur um der Tradition willen tun und nicht, weil es irgendwelche praktischen Vorteile in den von der Tradition vertretenen Ansichten gibt, dann machen Sie den Denkfehler, sich ohne Bedeutung auf Tradition zu berufen. Eine bestimmte Herangehensweise ist nicht auf Grund der Anzahl oder der Autorität der Menschen richtig, die sie in der Vergangenheit verfolgt haben, sondern wegen ihrer generellen Eignung für die menschliche Erfahrung. Unser Verständnis dessen, was für die menschliche Erfahrung am geeignetsten ist, muss unseren Grad der Unwissenheit berücksichtigen. Der wirksamste Weg, die gegenwärtige Unwissenheit zu berücksichtigen, besteht jedoch nicht darin, einer traditionellen Quelle absolute Autorität zu verleihen. Diese Quelle haben wir unweigerlich selbst gewählt und interpretiert und sie kann sich später als die falsche erweisen. Ein sinnvoller Weg besteht vielmehr darin, unsere Urteile vorläufig und schrittweise zu fällen, solange wir höhere Integrationsgrade entwickeln.

Eine Entschlossenheit, das Erwachen in einer Weise zu interpretieren, die mit dem Mittleren Weg vereinbar ist, bedeutet jedoch nicht, dass wir uns nicht tief von der Geschichte über das Erwachen des Buddha inspirieren lassen können. Wie bei jeder Geschichte, reicht ihre Bedeutung für uns weiter als die Überzeugungen, die durch sie möglicherweise hervorgerufen werden. Das Erwachen liefert ein bedeutungsvolles Symbol für das Ziel am Ende des Mittleren Wegs und der Buddha selbst kann dieses Symbol ebenfalls darstellen (s. Kapitel 6.e). Die Vorstellung, dass auch wir erwachen könnten, gibt einen Einblick in unser eigenes Integrationspotenzial. Die Schilderungen der Verwirklichungen des Buddha zur Zeit seines Erwachens geben uns auch eine vorläufige Vorstellung davon, welche Art von Einsichten wir durch eine stärkere Integration erlangen könnten.

Die Erkenntnis, dass wir Erwachen sinnhaft finden können, ohne absolute Überzeugungen darüber zu haben, ist für den Mittleren Weg von zentraler Bedeutung. Das liegt daran, dass die Rolle des Körpers, uns mit Sinn zu versorgen, unser Ausgangspunkt ist, um Verabsolutierung zu vermeiden. Wir haben bereits festgestellt, dass Siddharthas Rückbesinnung auf seine Erfahrung unter dem Rosenapfelbaum ihm eine Alternative zur Askese bot, eben weil Jhana eine Erfahrung ist, die im Bewusstsein, den Körper anzunehmen wurzelt. Der Körper ist nicht nur wesentlich, um unser Leben aufrechtzuerhalten, sondern auch damit wir in der Lage sind, Symbole über Assoziationen mit Erfahrungen zu verknüpfen. Die Symbole können sowohl Worte als auch andere Sinneserfahrungen einschließen und die Assoziationen sind auch synaptische Verknüpfungen im Gehirn. Seit den 1980er Jahren wurden verkörperte Darstellungen von Bedeutung entwickelt.{35} In diesen kann die Bedeutung selbst abstraktester Sprache als metaphorische Entwicklung sehr grundlegender Assoziationserfahrungen verstanden werden, die oft im Kindesalter begonnen haben. Zum Beispiel ist die Idee des Mittleren Wegs selbst eine metaphorische, die von unseren Assoziationen zwischen diesem Begriff und unseren Erfahrungen, irgendeine Art Pfad zwischen Zielen auf beiden Seiten entlang zu gehen, abhängt (s. Kapitel 3.b). Bei dieser Art des Nachdenkens über Bedeutung, wie sie in unseren Körpern begründet ist (weiter ausgeführt in Kapitel 3.a und 7.g), haben Bedeutungen Vorrang vor Überzeugungen. Das liegt daran, dass Überzeugungen aus Bedeutungen aufgebaut sind und nicht umgekehrt.

Was bedeutet „Erwachen“ oder „Erleuchtung“ für uns? Es kann eine Extrapolation unserer begrenzten Integrationserfahrungen sein – vielleicht meditativer, religiöser oder ästhetischer Erfahrungen – bis hin zu ihrer äußersten möglichen Schlussfolgerung. Wir betrachten dies als die tiefe, klare, ekstatische Erfahrung, die wir gemacht haben, aber noch viel intensiver. Da unsere Energien oft miteinander in Konflikt stehen, kann es auch einen Blick auf ein potenziell größeres Selbst ohne diesen Konflikt bedeuten, den wir in uns selbst intuitiv wahrnehmen. Dies könnte wie ein Blitz wirken, der uns einer ganzen Landschaft gewahr werden lässt, an einer Stelle, von der wir vorher dachten, es gäbe nichts, aber nur für einen Augenblick. In unserer Erfahrung kann Erwachen also in engem Zusammenhang mit tatsächlicher oder potenzieller Integration stehen. Es kann die Überwindung von Konflikten in uns selbst sein, die uns besser in die Lage versetzt, all unsere Energien zu bündeln und die Welt um uns herum mit größtmöglicher Weisheit anzupacken. Unser Verständnis von Erwachen kann sich auch hauptsächlich aus Geschichten wie der des Buddha ergeben: aber das ist auch ein Bedeutungsverständnis, das in unserem Körper gründet, da wir eine inspirierte Reaktion auf die Person zeigen, der wir begegnen. Da diese Integration mit einer gewissen Skepsis einhergehen muss, können wir nie davon ausgehen, dass die Integration vollständig ist, weder unsere eigene noch die des Buddha. Dennoch macht der Umstand, dass sie unserer Erfahrung zugänglich ist, sie bedeutungsvoll.

Wenn Erwachen eines dieser Dinge (und vielleicht auch viele andere Dinge) bedeutet, dann besteht es in Bedeutung. Das bedeutet nicht nur, dass „Erwachen“ ein Wort ist, das wir in der Kommunikation verwenden können (was auch immer es, wenn überhaupt, anderen mitteilt), sondern auch eines, das eine emotionale Wirkung auf uns hat, das uns bewegt. Diese Wirkung ist unabhängig von irgendwelchen Überzeugungen, die wir darüber haben. Tatsächlich sind die Überzeugungen, denen wir anhaften, wahrscheinlich eine Folgereaktion darauf, dass wir sie mit einem Netz konzeptueller Informationen in Verbindung bringen. Wir können sie verwenden, um vorläufige, nicht-absolute Überzeugungen zu formulieren, die durch Erfahrung einfach überprüft werden können, wie etwa, dass „Buddhisten Erwachen mit dem Buddha assoziieren“. Dennoch verwenden Buddhisten und andere es auch häufig, um absolute Überzeugungen zu formulieren, die sich nicht unbedingt in gleicher Weise mit Erfahrungen in Verbindung bringen lassen, wie etwa „Der Buddha erkannte die höchste Wahrheit“ oder „Der Buddha sah die Dinge, wie sie wirklich sind“ oder „Der Buddha befreite sich aus dem Kreislauf der Wiedergeburten“. Diese Überzeugungen sind kein notwendiger Aspekt, um das Erwachen inspirierend zu finden – sie sind ein Nebengedanke, der von einer Reihe abstrakter Annahmen abhängt, denen wir die unmittelbare Bedeutung von „Erwachen“ zugeordnet haben. Häufig sind sie ein Weg, um in eine Gruppe aufgenommen zu werden, die solche Überzeugungen als Abkürzung zu gesellschaftlicher Akzeptanz nutzt. Sie haben in der Währung dieser Gruppe wesentlich mehr Bedeutung als in der persönlichen Erfahrung spiritueller Praxis.

Absolute Überzeugungen über Erwachen sind eindeutig unvereinbar mit dem Mittleren Weg, wie Siddhartha ihn entdeckt hat. Siddhartha ging gerade wegen der Verabsolutierung von Annahmen in diesem traditionellen Umfeld aus dem Palast fort. Er erkannte, dass dies seine Fähigkeit, auf die Bedingungen um ihn herum einzugehen, stark einschränkte. Aus den gleichen Gründen lehnte Siddhartha die absoluten Annahmen der spirituellen Lehrer und der Askese ab. Werden wir wirklich das frühe Leben des Buddha durcharbeiten, diese Punkte vor dem Erwachen würdigen und sie dann gegen ein Paar Ad-hoc-Rationalisierungen eintauschen, wenn wir zum Erwachen gelangen? Werden wir das Erwachen wirklich in einer völlig inkonsistenten Weise behandeln, verglichen mit dem Rest der Geschichte?

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf wollen wir uns die Passagen im Pali-Kanon ansehen, die Buddhas Erfahrung des Erwachens beschreiben. Lassen Sie uns dies tun, während wir darüber nachdenken, was sie zur Bedeutung des Erwachens für uns beitragen könnten, und vielleicht auch, welche vorläufigen Überzeugungen sie rechtfertigen könnten.

Die Ausführlichste Beschreibung des Erwachens im Pali-Kanon findet sich in der Mahasaccaka Sutta.{36} Sie beginnt mit Buddhas Aufstieg durch die vier niederen Jhanas, wobei er auf jeder Stufe hinzufügt: „Aber jenes angenehme Gefühl, das in mir aufstieg, drang nicht in meinen Geist ein und blieb nicht dort“.{37} Dies lässt vermuten, dass die zunehmend verfeinerten und angenehmen Erfahrungen nicht verabsolutiert wurden, und der Buddha seine ausgeglichene und forschende Herangehensweise an seine Erfahrungen beibehielt. Seine Verwirklichungen begannen erst dann, als „mein konzentrierter Geist auf solche Weise geläutert, klar, makellos, von Unvollkommenheit befreit, formbar, geschmeidig, beständig und zur Unerschütterlichkeit gelangt war“{38}: eindeutig ein hochgradig integrierter Zustand.

Die Verwirklichungen des Buddha werden dann in Form der „drei Schauungen“ erläutert, die jeweils einer von drei Nachtwachen zugeordnet sind. Diese bestehen aus „Wissen von der Erinnerung an frühere Leben“, „Wissen vom Sterben und Wiedererscheinen der Wesen“ und „Wissen von der Auslöschung der Befleckungen“.

„Frühere Leben“ werden natürlich normalerweise kosmologisch interpretiert: als Buddhas Erinnerung an alle früheren biologischen Leben in einer Folge von Wiedergeburten. Doch genau wie das Leben des Buddha als solches nicht historisch sein muss, um wertvoll für die Entwicklung von Einsicht zu sein, ist es auch ohne Belang, wann diese früheren Leben stattgefunden haben. Es ist auch unerheblich, ob es sich um biologische Wiedergeburten oder psychische Erfahrungen zyklischer Prozesse innerhalb eines Lebens handelt. Wichtig ist, dass der Buddha aus seinen früheren Erfahrungen gelernt hat. Jhana kann einen durchaus unerwartet mit Erfahrungen aus der Vergangenheit in Kontakt bringen, vielleicht, weil über bisher nicht genutzte synaptische Verbindungen ein neuer Zugang für Energie entsteht. Der Buddha konnte seine vergangenen Erfahrungen Revue passierten lassen und das bot ihm eine großartige Reflexionsquelle (wie ein Wissenschaftler es ausdrücken könnte, eine große Datenmenge). Über diese Informationen nachzudenken half ihm zu erkennen, in welcher Weise das Verharren in begrenzten Anschauungen ihn in einem Kontext sich verändernder Bedingungen einschränkte oder schädigte. Es zeigte auch, wie er in der Lage gewesen war, auf dem Pfad einen Schritt voranzugehen, indem er die Verabsolutierung von Annahmen in diesen vergangenen Situationen vermieden hatte und in der Lage war, seine Reaktion in die Rahmenbedingungen zu integrieren. Über unsere früheren Erfahrungen nachzudenken kann uns in ähnlicher Weise dabei helfen, den Mittleren Weg zu verstehen.

Natürlich hatte er nicht nur die Erfahrungen aus seinem eigenen früheren Leben, sondern auch die aus denen anderer. Es ist nicht notwendig, Siddhartha Allwissenheit zuzuschreiben, die es ihm ermöglichen würde, „das Sterben und Wiedererscheinen aller Wesen“ zu sehen, um die Bedeutung der zweiten Nachtwache für uns zu erkennen. Alles, was der Buddha tun musste, war zu erkennen, wie die ihm bereits bekannten Personen, in größerem oder kleinerem Umfang, auf dem Pfad vorangekommen zu sein schienen. Wenn sie sich voran bewegten, erkannte er, dass dies auf die Überwindung von Verabsolutierung und das sich Beschäftigen mit Rahmenbedingungen zurückzuführen war. Der Mittlere Weg gab ihm einen neuen Schlüssel zur Geschichte, versetzte ihn (und uns) in die Lage, über eine Beziehung zur Geschichte in Form von leidenschaftslos zusammengetragenen oder ideologisch angeeigneten Fakten hinauszugehen. Stattdessen war er in der Lage, vergangene Ereignisse als reichhaltige Datenquelle über die Art von Zuständen und Überzeugungen zu erkennen, die dazu beitragen, den Bedingungen gerecht zu werden und solche, die dies nicht tun.{39} Wenn wir zudem unseren Unsicherheitsgrad in Bezug auf vergangene Ereignisse anerkennen, können wir daraus niemals die Art von Gewissheit über ein Karma-Gesetz herleiten, die die bisherige buddhistische Tradition zu besitzen vorgegeben hat. Wir können aber die Leben aller Wesen nutzen, um sowohl ein sich entwickelndes Verständnis der besten Wege wie Menschen im Allgemeinen mit Bedingungen umgehen können zu prägen und auch zu bestärken.

Die „Befleckungen“ (Asavas), auf die im Zusammenhang mit Buddhas drittem „Wissen“ in der dritten Nachtwache Bezug genommen wird, sind Genusssucht, Gier nach Existenz und Ansichten.{40} Diese stehen in engem Zusammenhang mit den bereits besprochenen Merkmalen des Mittleren Wegs. „Begierde“ (Kamsava) als eine Befleckung kann leicht als die Verabsolutierung des Begehrens (einschließlich Hass und Angst, die umgekehrtes Begehren sind) verstanden werden. Die Begierde nach uns selbst oder nach anderen Menschen oder Dingen, „zu existieren“ oder „nicht zu existieren“ (Bhavasava) kann als die grundlegendste Form von Verabsolutierung angesehen werden. „Ansichten“ (Ditthasava) können leicht als verabsolutierte Überzeugungen interpretiert werden.

Die eigentliche Idee des „Wissens“ kann vorläufig oder absolut formuliert werden. Ist „Wissen“ eine Darstellung dessen, wie die Dinge wirklich sind (in diesem Fall wäre es absolut), oder ist es lediglich eine vorläufige Darstellung? Eine vorläufige Darstellung unterliegt anerkanntermaßen begrenzenden Annahmen, Modellen und Metaphern, die zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort entwickelt wurden, wobei allerdings Universalität angestrebt wird, soweit sie nachvollziehbar ist. Im allgemeinen Sprachgebraucht wird „Wissen“ manchmal als vorläufig verstanden, häufiger jedoch als absolut angenommen. In seiner gebräuchlichsten philosophischen Definition als „gerechtfertigte wahre Überzeugung“ bekräftigt es die allgemeine Annahme, dass „Wissen“ als wahr bestätigt. In Hinblick auf unser Verständnis des Mittleren Wegs ist es jedoch von entscheidender Wichtigkeit, eine Unterscheidung zu treffen, damit allgemeine, aber vorläufige Ansprüche nicht zu absoluten abgleiten. Sie haben dies zu oft getan, auch in der buddhistischen Tradition. In meiner Entwicklung der Philosophie des Mittleren Wegs habe ich es aus diesem Grund vermieden, den Begriff „Wissen“ in der Bedeutung von vorläufiger Überzeugung zu verwenden.{41} Ich würde behaupten, dass die Einsichten des Buddha beim Erwachen am besten als gerechtfertigte allgemeine Überzeugungen beschrieben werden können. Alles, darüber hinaus noch Stärkere, beginnt die Einsichten an sich zu untergraben.

Die entscheidende Einsicht des Buddha beim Erwachen ist also die der Bedingungen und der Notwendigkeit, ihnen entgegenzutreten. Dies spiegelt sich auch in der alternativen Darstellung von Buddhas Erwachen wider, die sich auf seine Erkenntnis der zwölf Nidanas oder Glieder des abhängigen Entstehens konzentriert.{42} Auf die Interpretation der buddhistischen Lehren zum abhängigen Entstehen werde ich in Kapitel 6.a näher eingehen. Für den Moment ist es jedoch am wichtigsten, die Beziehung zwischen dem Mittleren Weg und den Bedingungen gerecht zu werden zu verstehen, ohne einen absoluten Glauben an die Bedingtheit als kosmisches Gesetz.

Wir setzen uns am wirksamsten mit den Bedingungen auseinander, indem wir Verabsolutierungen vermeiden, einschließlich – als wichtiges Beispiel – des Selbst (Thema einer dritten kanonischen Darstellung des Erwachens{43}). Wir werden allgemein bessere Ergebnisse erzielen, indem wir uns mit diesen Bedingungen auseinandersetzen, als wenn wir in Illusionen verharren. Wir kreieren Illusionen, indem wir einen bestimmten, begrenzten Zustand verabsolutieren und davon ausgehen, dass sei schon alles. Eine pauschale Behauptung über die menschliche Situation kann jedoch immer als vorläufig interpretiert werden. Wir erkennen an, dass dies bisher der Fall zu sein scheint, aber, dass wir nicht über alle möglichen Informationen über alle menschlichen Lebenslagen verfügen und daher keine Gewissheit darüber haben.

Auf der anderen Seite wird Bedingtheit oft absolut interpretiert, was zu Konflikten mit der eigentlichen Handlungsweise auf dem Pfad führt, auf den uns die Doktrin drängt. Absolute Interpretationen der Bedingtheit sind meist deduktiv. Sie beginnen mit einer allgemeinen Behauptung darüber, wie Bedingtheit funktioniert, wobei sie diese auf Grund der Autorität buddhistischer Tradition akzeptieren, aber unsere Rolle bei der Interpretation der Tradition ignorieren. Daraus leiten sie dann andere allgemeine Behauptungen darüber ab, was wir glauben oder wie wir handeln sollten. Der Glaube an ein Karma-Gesetz, das sicherstellt, dass Menschen immer von guten Taten profitieren oder für schlechte leiden werden, ist ein Beispiel für solch eine absolute Ableitung aus einem Verständnis von Bedingtheit. Die Wiedergeburt ist wiederum eine weitere Ableitung aus dem Karma, die erforderlich ist, um karmische Wirkungen konsistent zu halten, wenn sie nicht innerhalb eines Lebens eingetreten sind.

Angenommen, Sie übernehmen die allgemeine Behauptung, dass sich mit den Bedingungen auseinanderzusetzen zu besseren Ergebnissen führt, als es nicht zu tun. Angenommen, Sie folgern dann daraus, dass es ein Karma-Gesetz gibt, demzufolge alle schlechten Handlungen (einschließlich geistiger Handlungen), die ich jetzt ausführe, in Zukunft zwangsläufig negativ auf mich zurückfallen werden. Dies ist eine absolute Schlussfolgerung, die deutlich über die Grenzen gerechtfertigten Glaubens eines verkörperten Menschen hinausgeht. Wir können nicht jeden Fall hinreichend verstehen, insbesondere nicht die Fälle, die weit von unserem eigenen Kontext entfernt sind, um irgendeine derartige Schlussfolgerung ziehen zu können. Noch wichtiger, bei jeder Gelegenheit, bei der ich versuchen könnte, solch ein absolutes Karma-Gesetz auf einen spezifischen Fall anzuwenden, wird es zu Unklarheiten bei der Interpretation kommen. Diese Unklarheiten machen es in der Praxis als Handlungsleitfaden nutzlos. Bedeutet das Karma-Gesetz, dass ich freundlich handeln, die Wahrheit sagen, nicht töten oder lügen sollte? Ja, aber nur, wenn ich weitere Annahmen über die Auswirkungen dieser Art von Handlungen treffe, die nicht allein durch das Karma-Gesetz ersichtlich sind.

Dennoch kann alternativ dieselbe allgemeine These über Bedingungen als eine sinnvolle Behauptung angesehen werden, die ich für den Augenblick akzeptiere, wobei ich für alternative Möglichkeiten offen bin. Wenn ich beispielsweise jemanden belüge, dürfte sich wahrscheinlich ein Unverständnis von Bedingungen, die ich selbst sehr wohl verstehe, verbreiten und in diesem Prozess zu Konflikten mit der Person, die ich belogen habe, führen. Es mag Ausnahmefälle geben, in denen Lügen die Bedingungen tatsächlich besser berücksichtigt. Ich muss die spezifischen Bedingungen jeweils sorgfältig interpretieren, um dies beurteilen zu können. Wenn ich jedoch grundsätzlich davon ausgehe, dass Lügen, vorläufig betrachtet, negative Auswirkungen hat, dann ist dies eine potenziell nützliche Anwendung allgemeiner Anerkennung von Bedingtheit.

Die Interpretation buddhistischer Lehren über Karma und Wiedergeburt sowie Bedingtheit auf eine mit dem Mittleren Weg vereinbare Weise wird in Abschnitt 6 ausführlicher erörtert. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es indes zwei wichtige Punkte. Erstens sollte Erwachen in Begriffen, die mit dem Mittleren Weg vereinbar sind, interpretiert werden. Zweitens erfordert eine solche Interpretation, dass Bedingtheit und Karma eine allgemeine Erwartung bieten, die unsere Erwartungen eher zu einem Provisorium macht, statt zu einem kosmischen Gesetz. Es ist eine Sache, immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass unsere guten Taten belohnt werden und unsere schlechten Taten bestraft werden könnten. Dies gibt uns die Chance, durch umfassenderes Bewusstsein von destruktiven Handlungen Abstand zu nehmen. Es ist aber eine ganz andere Sache, grundsätzlich diesen Anspruch bei unserer Interpretation von Anhaltspunkten aufzuerlegen, was unser Gewahrsein einengt. Das „Wissen“ des Buddha (d.h. gerechtfertigte, allgemeine Annahmen), dass das Beseitigen von Befleckungen erforderlich ist, um auf dem Pfad voranzukommen, ist mit einem klaren Vertrauen in den Mittleren Weg gleichzusetzen. Das „Wissen“ über Karma und Wiedergeburt, das oft damit verbunden wird, muss jedoch als eine kulturell bedingte und nicht notwendige Folgerung aus einer als absolut interpretierten Bedingtheit verstanden werden.

Wenn wir nach Buddhas Erwachen weitergehen in die Zeit seines Wirkens, wird eines unserer Hauptanliegen nicht nur darin liegen, was der Buddha gelehrt hat, sondern auch, wie er seine Lehren umgesetzt hat. Das wird uns auch einen Hinweis auf ihre praktische Bedeutung für ihn geben. Ist der Mittlere Weg die offensichtliche Grundlage für die Urteile Buddhas? Oder vermittelt uns sein Wirken stattdessen ein Bild von jemandem, der dazu neigt, andere durch Rückgriff auf absolute Lehren als Machtinstrument zu kontrollieren? Ich werde darlegen, dass eine nicht-absolute Interpretation des Erwachens nicht nur ein praktisch nützlicher Ansatz für uns ist, sondern viel mehr im Einklang mit den späteren Handlungen des Buddha steht.

Buddhas Mittlerer Weg

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