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»WENN DER SCHÜLER BEREIT IST, WIRD DER LEHRER ERSCHEINEN«[75]

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Weber und Abrams zeigten sich offen für Neues, andere waren nicht zu Kompromissen bereit. Zu diesen gehörte der damals amtierende Guru von Dinkytown, Dave Morton, der wahrscheinlich 1961 an die Westküste ging. Morton, ein hartnäckiger Avantgarde-Experimentator mit alternativen Kulturen und Dinkytowns Bindeglied zwischen den Beatnik-Mystikern der 50er und den aufkommenden Hipsters der 60er, hatte einigen Einfluss auf Dylan. Er war hager, fast zwei Meter groß und sah aus wie Abraham Lincoln, zurechtgemacht fürs East Village. Seine gesamte Erscheinung war Haar; er hatte Stirn locken, einen Vollbart, und ein Wust von Haaren zeigte sich auf seinem Rücken. Er strahlte geläuterte Weisheit aus und war einer der besten Lehrer in Dylans außeruniversitärem Lernsystem. Morton, dem die Ehre zuteil geworden war, Leadbelly 1948 live auftreten zu sehen, war vermutlich der Erste, der im alten Ten o' Clock Scholar Folkmusik spielte, wenn er auch anfangs nur vier oder fünf Akkorde kannte. Außerdem schrieb er vor allen anderen nicht sonderlich gute Songs über die Atombombe und Präsident Eisenhower.

Dylan erinnerte sich: »Da gab es sehr viel Unruhe … Frustrationen … eine Ruhe, wie vor einem Sturm … Immer wurden da sehr viele Gedichte rezitiert … Kerouac, Ginsberg, Corso und Ferlinghetti … Ich bin zum Schluss reingekommen … und es war die reinste Magie …« Ich traf Morton 1966 in Los Angeles. Er war zum »Senior Hipster« der Küste geworden, malte, gab das avantgardistische Literaturmagazin Regent heraus, studierte das I Ging und leitete eine Folkrockband, The New Improved Jukes Savages. Als »Ober-Wilder« spielte Morton Gitarre, Klavier und Kazoo: »Damals in Minneapolis habe ich Mathematik studiert, bin aber nicht weit gekommen. Meistens war ich mit der neuen All American Gallery beschäftigt, im Feuerwehrgebäude von Dinkytown. Da habe ich Bobby Dylan im Herbst 1959 das erste Mal gesehen, auf einer Party. Bob war ziemlich lebhaft, lustig und nervös. Sein Bein hüpfte immer, wenn er sich hinsetzte. Er hat nie viel über Hibbing geredet, wenn er auch mal für einen Tag oder zwei hochgefahren ist. Die Iron Range ist eine internationale Gemeinde mit einer eigenartigen Form von Isoliertheit. Eine seltsame Gegend, um dort aufzuwachsen. Sie scheint den Leuten einen besonderen Stempel aufzudrücken. Ich hab mir damals einigen Spott anhören müssen, weil ich mir drei oder vier Monate lang die Haare wachsen ließ. Jetzt machen's alle, sogar Dylan.«

Morton beschäftigte sich mit asiatischer und indianischer Philosophie und war tief vertraut mit Mythologie und psychedelischen Erfahrungen. Konnte er mit Hilfe letzterer die alten Zeiten mit Dylan rekonstruieren? Während seiner Antwort schien er in Trance zu fallen: »Nach indischer Anschauung gibt es drei Schritte hin zur Erlösung. Der erste ist Liebe. Der zweite ist Sinnengenuss. Und der dritte ist das Dharma: die Pflicht gegenüber einer Familie und Kindern, einem Job oder auch der Gesellschaft. Ja, darüber haben wir damals geredet. Ich hatte eine feine Erfahrung mit Acid, als ich Paterson von William Carlos Williams gelesen habe. Acid öffnet ganz einfach die Museen des Geistes. Auf Acid reist man durch kosmische Plätze der Geschichte und des Mythos. Man kann den ganzen Garten Eden im Geiste wiederherstellen. Eine Erfahrung, die ich hatte, war das Gefühl, dass meine Stimme nicht direkt mit meinem Ego verbunden war. Die Wörter schienen von irgendwo anders zu kommen, aus meinem Gedächtnis oder meinem Unterbewusstsein.« Morton machte eine Pause. Wir begriffen beide, dass er eine Phase von Dylans Schreiben präzise beschrieben hatte. »Einige Künstler hätte man schon immer als psychedelisch bezeichnen können. Seurat hat Farben zu kleinen Punkten aufgebrochen. Auf Acid habe ich Farben so gesehen, wie van Gogh sie gemalt hat, zusammenfließend wie frühe persische Tapisserien. Picassos Surrealismus ist für mich realistisch und war es auch immer, seit ich ihn auf dieser neuen Ebene wahrgenommen habe.«

Und Dylans Reaktion auf ihn? »Bob hat immer aufmerksam zugehört. Wenn er auch mit vielen Leuten kaum geredet hat, haben wir doch immer kommunizieren können. Ich bin nicht überrascht davon, dass Bob das alles erreicht hat. Er schien damals an etwas zu arbeiten; keiner von uns war mit ihm auf seinem Trip. Dylan war sein eigener Guru … Wenn der Schüler bereit ist, sagt das alte Sprichwort, wird der Lehrer erscheinen …«

Hugh Brown war seit der High School in Portland, Oregon, Mortons Kumpel gewesen. Der freundliche und bescheidene Hugh studierte die Klassiker, schrieb Lyrik und wurde später Straßenbauingenieur. Brown: »Ich habe Bob immer gemocht. Damals, glaube ich, habe ich besser Gitarre gespielt als er. Schließlich sind wir zusammengezogen, mit Dave und Max Uhler und ein paar anderen. Die Wohnarrangements änderten sich von Woche zu Woche. Als wir auf der 15th Avenue Southeast wohnten, drei Blocks von Dinkytown entfernt, habe ich manches Mal versucht, ihn zu wecken, wenn er einen wichtigen Test im College hatte, und das war immer ein Kampf. Einmal drohte er mir, mich die Treppe runterzuwerfen. Meistens hat er auf seiner Gitarre gespielt. Bob hat davon gesprochen, nach New York zu gehen, um Guthrie zu besuchen. Er hat auch gesagt, er wollte nach New York, um groß rauszukommen. Im Scholar haben ihn die meisten gemocht, obwohl er damals eigentlich nicht besonders gut war. Er war auf einem Odetta-Trip und hat Lieder von anderen gesungen. Ich weiß nicht, wieso Harvey Abrams sagt, dass er sich damals Dillon geschrieben hätte. Ich erinnere mich nämlich, dass er sich Dylan schrieb. Natürlich hat er viele Sachen gesagt, die sich als unwahr herausgestellt haben. Er hat versucht, damit fertig zu werden, dass er aus Hibbing kam.

Zu meiner Heirat hat Bob uns ein Hochzeitsgeschenk gemacht, einen Toaster und ein Bügeleisen. Beides hatte längst mir gehört, aber Bob machte das nicht aus. Er sah sie immer noch als Geschenke an. In Minneapolis war er beliebt. Die meisten Leute, die ihn heute nicht mögen, haben damit erst angefangen, als er berühmt war. Eine Weile gab es eine Hasst-Dylan-Bewegung. Ich verstehe das eigentlich nicht. Er war zwar stolz, wenn er einen Plattenvertrag unterschreiben konnte, aber er war nicht besonders egoistisch. Es ist schwer, einem wie Bob gegenüber gleichmütig zu bleiben. Er sagt einige ganz schön aufwühlende Dinge, mit seiner Musik und seiner Person. Wir alle fanden es ganz komisch, als er nach New York ging und da zu Ruhm und Reichtum gelangen wollte. Er ließ Leute zurück, denen er eine Menge Geld schuldete, aber wir alle schuldeten einer Menge Leute Geld … Als Bob noch da war, begannen die ersten radikalen Bewegungen den amerikanischen Collegecampus zu beeinflussen«, fuhr Hugh fort.

»Bei denen, die versucht haben, hier einen radikalen Club auf die Beine zu stellen, waren Harvey, Whitaker und Herschel Kaminsky, der aus Mississippi kam, ganz aktiv. Wir haben ein Fair-Play-for-Cuba-Komitee organisiert. Bob ist zu keiner Versammlung gekommen, aber er war mit dabei. Möglicherweise ist Bob eher durch Guthrie als durch die politisch engagierten Leute vom Campus zur Politik gekommen. Jedenfalls hat er damals nicht den Eindruck gemacht, politisch besonders helle zu sein.«

In Dinkytown gab es eine Redensart: »Als er ein kleiner Junge war, hat Dylan einmal eine Extraportion Hühnersuppe nicht bekommen und sich dann den Rest seines Lebens gefragt, was er wohl verpasst hatte und warum.« Hugh Browns Feststellung: »Wenn man versucht, jemanden wie Bob zu entschlüsseln, stellt man bloß fest, dass da mehr und immer mehr ist, hinter das man einfach nicht kommen kann. Wir haben alle Ginsbergs Lyrik gemocht. Ich weiß nicht, wie groß zu der Zeit sein Einfluss auf Bob war. Drogen wurden damals nicht viel genommen. Ein paar Leute hatten Marihuana und Peyote probiert, aber keiner von uns hatte von LSD auch nur gehört. Ich hatte mit 18 Aldous Huxleys Die Pforten der Wahrnehmung gelesen, wo Huxley Experimente zur Bewusstseinserweiterung mit Hilfe von Mescalin beschreibt. In McCoshs Buchladen gab es ein paar kleine literarische Zeitschriften, aber nicht sehr viele. Niemand hat sich damals um The Village Voice gekümmert. Als sich der Kreis in Dinkytown auflöste, sind die meisten nach Westen gegangen, vor allem nach Los Angeles. Nach New York ist kaum einer gegangen. Außer Bob.«

Bob Dylan - No Direction Home

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