Читать книгу Bob Dylan - No Direction Home - Robert Shelton - Страница 51
DER PLATTENSAMMLER
ОглавлениеZwei Begeisterte, die mitgeholfen haben, Minneapolis auf die Folk-Landkarte zu bringen, waren Paul Nelson und Jon Pankake. Mit ausgeprägten Ansichten zu Stilfragen starteten die beiden fast ohne Kapital eine hektographierte Publikation, Little Sandy Review. Die streitbare und lebendige Little Sandy machte bald Eindruck. Sie war zwar nicht gegen die Linke, stellte aber die musikalischen Werte höher als die sozialen. Scharfe persönliche und musikalische Argumente wurden jahrelang zwischen Nelson, Pankake und Dylan ausgetauscht. Little Sandy war die erste Publikation, die »enthüllte«, dass Bob seine neue Persönlichkeit und seinen neuen Namen »erfunden« hatte.
Paul Nelson, der später Redakteur von Sing Out! und freier Autor und Kritiker wurde, konnte Dylans Reifeprozess dokumentieren: »1959 spielten Bob und Koerner das Standardrepertoire; sie waren beide gute Gitarristen und Sänger, aber viele andere waren genauso gut. Dylan schien so unglaublich schnell zu lernen. Wenn man ihn zwei Wochen nicht gesehen hatte, hatte er Fortschritte für drei Jahre gemacht. Er hörte Jack Elliott zuerst auf einer Topic-LP aus England. Dylan ging innerhalb von zwei Wochen von Songs wie ›Jerry‹ und ›Timber‹ zu Guthrie-Interpretationen über. Alle Akzente stimmten, und auch vieles von der Gitarre und Harmonika. Ein normaler Sänger hätte zwei Jahre gebraucht, um das zu schaffen, was Dylan in zwei Wochen hinkriegte! Er schien immer ein untrügliches Gespür für einen großen Song zu haben, etwa ›Constant Sorrow‹ … Die Person, die er in Minneapolis gewesen ist, hat nichts mit der Person zu tun, die er hier im Osten ist … er redet anders, benimmt sich anders. Das alte Dylan-Ich hat sich in Luft aufgelöst. Als er in den Osten kam, sagte er ein paar sehr seltsame Dinge, wie ›Ich wusste nicht, was ein Folksong ist, bevor ich nach New York kam‹. Das ist zu 100 Prozent falsch. Er ist in Minneapolis nie sonderlich beliebt gewesen, doch er hat seitdem eine Menge dazugelernt. Niemandem von uns war klar, wie unglaublich einnehmend er sein konnte. Ich denke, Dylan wusste es selbst nicht. Die meisten von uns waren sehr erstaunt, als er in den Osten kam, es dort ganz allein schaffte und eine Scheibe bei Columbia rausbrachte. Was uns alle am meisten beeindruckt hat, war, wie schnell Bob sich veränderte. Alle paar Wochen wurde er zu einer anderen Person mit einem anderen Stil.«
Jon Pankake: »Mein erster Eindruck von Dylan war, dass er schon anfing, sein Spiel zu verändern, noch während er über seine Akkordwechsel nachdachte. Ich war an Bob als Musiker oder Person nicht besonders interessiert. Dafür wollte Bob von mir alles an Musik lernen, was er nur bekommen konnte. Ich habe ihm einen texanischen chain-gang-Song[76] von einer Alan-Lomax-LP vorgespielt. Er sagte, für ihn sei es wichtiger, die Leute direkt zu hören und so von ihnen zu lernen, als von Platten. Er schien keine Platten machen zu wollen, er wollte nur ein großer Name in der Kaffeehausszene sein, der Mädchen und Aufmerksamkeit anzieht.«
Pankake verließ für ein Wochenende seine Bude; gemäß den Gepflogenheiten des Campus ließ er die Tür unverschlossen. Bei der Rückkehr entdeckte er, dass etwa 20 seiner Platten fehlten.
»Mein erster Verdacht richtete sich gegen Dylan«, erzählte mir Jon, »weil er immer an meinen Platten herumgefummelt hatte. Tony Glover sagte, er sei überrascht gewesen, bestimmte Platten bei Bob gesehen zu haben, darunter ein paar englische Aufnahmen von Jack Elliott. Er nahm sich auch andere Platten - von der schwarzen Sängerin Elizabeth Cotten, Mountain Music, Bluegrass Style. Auch einiges von Woody Guthrie war dabei. Er hatte einen sehr guten Geschmack. Als ich herausfand, dass Bob sie hatte, sind Tony, Paul und ich bei Dylan reingeplatzt. Ich hab ihn hochgerissen, gegen die Wand gelehnt, ihm ein paar geknallt und ihm gesagt, das würde ich nicht so einfach hinnehmen. Ich war ein ziemlich guter Schauspieler in der Rolle des harten Burschen. Ich hatte sogar eine Zigarre, die ich die ganze Zeit zwischen den Zähnen gelassen habe. Ein paar von den Platten hat er mir sofort zurückgegeben, die übrigen wollte er am nächsten Tag rüberbringen. Bob hat darauf bestanden, dass ich seine Gitarre als Sicherheit nehme. Er hat einen Haufen knallharter Lügen erzählt, dass ein paar von den Jungs die Platten einfach irgendwo liegen gelassen hätten. Am nächsten Morgen brachte Dylan die fehlenden Platten zurück und tauschte sie gegen seine Gitarre ein. Ich glaube, er hat sich entschuldigt, aber sicher bin ich nicht. Danach ist er nie mehr bei mir vorbeigekommen. Das Komische dabei ist, dass ich nicht das Gefühl hatte, hinter dieser Plattenklauerei stecke Böswilligkeit. Wahrscheinlich hat er geglaubt, er brauche sie dringender als ich. Für mich bedeutete das aber eine Geringschätzung meiner Person, weil man ja nicht von Leuten klaut, die man respektiert.«
»Ich glaube nicht, dass Bob mir je nachgetragen hat, was da passiert ist«, setzte Paul hinzu. »Offenbar ist er von einer ganzen Reihe Leute verfolgt worden. Er war ziemlich schnell durch eine Reihe von Apartments gezogen. Wenn diese Episode nicht gewesen wäre, hätte Jon ihn sicherlich sehr gemocht, aber diese Geschichte hat einfach seine ganze Haltung Dylan gegenüber geprägt. Wir haben damals ausgerechnet, dass es bei den Platten um einen Wert von etwa 100 Dollar ging. Er hatte nur die allerbesten genommen. Er hatte ein sicheres Gefühl für das, was man nehmen muss.«