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DER LEHRER ERSCHEINT

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Dylan hatte dieses untrügliche Gespür auch bei der Suche nach seinem Idol, als er seinen geistigen Vater und sein musikalisches Vorbild in Woody Guthrie fand. Bob beschrieb ihn später:

he was the last idol

because he was the first idol

I'd ever met

that taught me

face t' face

that men are men

shatterin' even himself

as an idol …

Woody never made me fear

and he didn't trample any hopes

for he just carried a book of Man

an' gave it t' me t' read awhile

an' from it I learned my greatest lesson …[77]

(Er war das letzte Idol / weil er das erste Idol war / das ich je getroffen hatte / das mir beibrachte / von Angesicht zu Angesicht / dass Menschen Menschen sind / und sich dabei selbst zertrümmerte / als Idol … / Woody hat mir nie Angst gemacht / und er hat keine Hoffnungen zertrampelt / denn er besaß ein Buch vom Menschen / und gab es mir eine Weile zum Lesen / und daraus lernte ich meine größte Lektion …)

Guthrie war ein Walt Whitman, der sein Lied von der offenen Straße zum großen Highway trug, ein Farmersjunge wie Carl Sandburg, ein echter Hobo, ein Tramp und wandernder Sänger mit Dreck an den Händen. Als Dylan begann, Guthries Buch des Menschen zu studieren, hatte er Dinkytown nicht mehr nötig. Dylans Bekehrung war ein dramatischer, geradezu explosiver Wendepunkt, nicht unähnlich seiner späteren Unterwerfung unter Jesus.

Dylan verschlang Woodys frühe Autobiographie, Dieses Land ist mein Land (Bound For Glory), als ob er die Bibel entdeckt hätte. Eine Menge von Leuten ist sich erstaunlich sicher, Dylan geraten zu haben: »Bobby, du musst Woody lesen.« Whitaker war vermutlich der erste. Gretel erinnerte sich: »Nachdem David Bob auf Dieses Land ist mein Land hingewiesen hatte, wurde furchtbar viel über Guthrie geredet - was Woody eigentlich wollte, worum es bei ihm eigentlich ging. Bob verliebte sich beinahe in Woody Guthrie. Als er erfuhr, dass Guthrie in New Jersey im Krankenhaus lag, beschloss er, dass er hingehen und ihn besuchen musste. Ehe Bob uns verließ, sagte er immer wieder: ›Ich muss hier raus. Ich muss Woody Guthrie sehen.‹«


Woody Guthries Autobiografie (dt. Dieses Land ist mein Land).

Ein paar Erstausgaben von Bound For Glory, verlegt bei E. P. Dutton 1943, zirkulierten in Minneapolis. Bob lieh sich Webers Exemplar aus. Die letzten 200 Seiten waren noch unbeschnitten. Bob nahm das Buch mit ins Scholar und begann es zu verschlingen wie jenen verpassten Teller Hühnersuppe. Einige sagen, er habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen und die Seiten mit einem Küchenmesser aufgeschnitten. Wenige hatten Dylan je zuvor überhaupt etwas lesen sehen.

Harvey Abrams: »Das Buch war ein richtiger Schock. Die nächsten zwei Jahre hat er sein Leben nach dem ausgerichtet, was er da gelesen hatte. Bob begann, alles so zu machen, wie Guthrie es gemacht hatte. Viele Monate lang klang alles wie Guthrie, was Bob sang. Er wurde sehr gut darin, genau wie Woody zu singen. Er hat dagesessen und sich eine Platte angehört und sie dann wiederholt. Es war phänomenal. Sogar seine Redeweise begann sich zu ändern. Dieser Oklahoma-Slang, der noch viel extremer wurde, nachdem er hier wegging, kam in seine Stimme. Dieser unglaublich harte, knirschende Sound in seiner Stimme wurde mehr und mehr zu einem Teil von ihm. Es war wirklich weit mehr als nur Identifikation. Er war die Person selbst, mit der er sich identifizierte. Ich weiß nicht wie, aber er hat in nur ein oder zwei Tagen den ganzen ›Tom Joad‹ von Guthrie auswendig gekonnt. Er konnte diese Ballade wirklich ganz wunderbar singen. Leute, die Bob nicht gut kannten, waren von dieser Veränderung bei ihm abgestoßen oder verärgert, weil sie meinten, es wäre aufgesetzt oder er wollte bloß Geld machen. Manchmal haben wir gedacht, dass Guthrie und Dylan tatsächlich einander sehr ähnlich wären. Wir stellten uns vor, dass Bob mit diesem Wesen geboren wurde, dass es nur 18 Jahre lang dadurch verschüttet gewesen war, dass er in Hibbing in einer ziemlich bourgeoisen Umgebung gelebt hatte. Wir hatten wirklich das Gefühl, dass Bobs echtes Ich jetzt hervorkam.«

Ein paar engen Freunden gegenüber gab Dylan zu, dass die Veränderung im Sommer 1960 aus einem wirklichen Bedürfnis nach einer neuen Identität erwuchs: Mit seinem früheren unkonturierten, ziellosen Ich war er einfach nicht mehr einverstanden. Gretel: »Er war da ganz offen zu uns. Er hat erklärt, dass er einen Charakter aufbaut.« Tony Glover setzte hinzu: »Er sagte, es wäre anfangs Schauspielerei gewesen, aber nur für zwei Tage. ›Danach war das ich.‹« Bob wollte Kontakt mit dem kranken Woody aufnehmen, der im Greystone Hospital in New Jersey an einer ererbten Krankheit, der Huntington-Chorea[78], dem Tode entgegensiechte. Morton: »In dem Herbst gab es bei Whitaker eine ganze Reihe Partys. Bob hat sich betrunken und dann Guthrie angerufen. Bob sagte zu Guthrie, er würde ihn besuchen kommen. Natürlich wurde er wegen dieser Sache aufgezogen; einmal kam es zu einem üblen Streich. Irgendjemand in Dinkytown rief Bob an und sagte ihm, Woody sei eben bei einer Party aufgetaucht. Dylan rannte hin, kam keuchend und rot im Gesicht an und fragte: ›Wo ist Woody? Wo ist er?‹«

Wer war dieser »Held mit den tausend Gesichtern«? Woody Guthrie war der Archetyp eines amerikanischen Troubadours, ein Sänger, Geschichtenerzähler, Dichter, Prophet, Gelegenheitsarbeiter, Organisator, Gewerkschafter, Reisender, Journalist, Pfirsichpflücker, Anhalter, Vagabund, Wanderarbeiter, Flüchtling. Er war ein unsteter Rebell, ein sehr früher Dropout. Er wurde zur Stimme der besitzlos gewordenen Okies und Arkies (Wirtschaftsflüchtlinge aus Oklahoma und Arkansas), die durch die Dürren und Staubstürme der dreißiger Jahre von ihrem Land verweht worden waren. Er war der Barde der Depression, ein wandernder, singender, fluchender, trinkender Vater der Beatniks der Fünfziger, der Hippies der Sechziger und einiger der politischen Aktivisten der Siebziger. Woody bestand zu gleichen Teilen aus Whitman, Sandburg, Will Rogers und Jimmie Rodgers. Welche Einflüsse und Traditionen er auch immer verkörpern mochte, er selbst blieb ein kompromissloser Individualist, der seine Kunst genutzt haben mag, um sich weiterzuentwickeln, der aber gleichzeitig Musik, Literatur und seine eigenen Leute gefördert hat.

Der Guthrie von Dieses Land ist mein Land und der Zeit der Plattenaufnahmen war noch ein junger, gesunder Mann. Woody war in Wahrheit zu klein, um ein Gigant zu sein, zu hager und mit zu feinem Gesicht, um für heroische Statuen zu posieren, zu sehr der Sprache bewusst, um ein Dichter zu sein. Seine Stimme war zu flach und zu unausgeprägt, als dass er ein großer Sänger hätte sein können. Und dennoch war er all dieses: ein gigantischer Humanist, eine heroische Gestalt der amerikanischen Kultur, ein großer und heute noch weitestgehend unentdeckter Dichter und der Sänger und Komponist einiger unserer größten Lieder. Woody symbolisierte die stärksten Seiten der amerikanischen Volkskultur - Mitgefühl mit den Unterdrückten, Ablehnung von Heuchelei, Freude an Musik, die Unabhängigkeit eines Mannes, der nicht zu kaufen ist, und ein Gerechtigkeitsempfinden, das ihn zwang, laut zu werden oder zu singen, wenn er sah, dass Leute herumgestoßen wurden. Dieser schmächtige Hobo und Autodidakt sang, wie Whitman, von sich selbst, aber dieses Selbst war eine Vielheit. Er hatte die berauschende Vision von einem Amerika, das Offenheit, Vielfalt, Hoffnung und Charakter besitzen sollte, und war sehr aufgebracht, als diese Hoffnung von Bankern, Spinnern und Heuchlern »zerstört« wurde, von Menschen, die einen »mit einem Federhalter« ausrauben, wie er in »Pretty Boy Floyd« schrieb.

Dylan identifizierte sich leidenschaftlich mit Guthries wilder Unabhängigkeit, seiner reichen Sprache, den gefühlvoll-verspielten Balladen, dem Übermaß an persönlicher Kreativität, der Mundharmonika, der Gitarre und der kratzigen Stimme. Endlich hatte er ein Vorbild, nach dem er sich selbst formen konnte. Endlich war es ihm möglich, sich von der Hibbing'schen Mittelschicht zu verabschieden. Endlich hatte er seinen Big Brother und spirituellen Vater gefunden, nach dem er so lange gesucht hatte. Woody war Dylans erster Tambourine Man, und auch als er sich sein eigenes Image längst aufgebaut hatte, trug Dylans Persönlichkeit weiterhin Guthries Stempel.

Guthrie hatte einen besonderen Blick auf die Welt. Die meisten seiner etwa 1000 Songs strahlen eine umfassende Liebe zu Menschen aus, eine Freude am Lachen der Kinder und die Würde gemeinsamer Arbeit.

»Ich hasse Lieder, die einem sagen, dass man nichts taugt. Ich hasse Lieder, die einem einreden, dass man ein geborener Verlierer ist. Dass man verlieren muss. Für niemanden taugt. Zu nichts taugt. Weil man entweder zu alt oder zu jung oder zu fett oder zu dünn oder zu hässlich oder zu dies oder das ist. Lieder, die einen fertig machen oder verspotten, weil man Pech gehabt oder zu schwer geschuftet hat. Ich werde diese Sorte Lieder bis zu meinem letzten Atemzug und meinem letzten Blutstropfen bekämpfen. Ich will Lieder singen, die dir beweisen, dass dies deine Welt ist, wenn sie dich auch noch so hart geschlagen und ein Dutzend Mal über den Haufen geworfen hat; egal wie schlimm sie dich niedergemacht und plattgewalzt hat, egal welche Hautfarbe du hast, wie groß du bist, wie du gebaut bist; ich werde die Lieder singen, die dich stolz sein lassen auf dich und deine Arbeit. Und die Lieder, die ich singe, sind größtenteils von allen möglichen Leuten gemacht worden, Leuten wie dir … «[79]

Woody ging mit 17 auf die große Straße, und sie ließ ihn nicht mehr los. Er sammelte Frauen und Ex-Frauen, einen Haufen Kinder, Rechnungen und Schulden. Seiner zweiten Frau, Marjorie (Arlo Guthries Mutter), sagte er einmal, er wolle schnell Zigaretten holen gehen, und drei Wochen später schrieb er ihr eine Postkarte von der Westküste. Wenn Dylan je sagte, er sei etwas anderes als ein Dichter oder Folksinger, war dies ein Zitat aus Dieses Land ist mein Land:

»Ich schätze, ich bin das, was Sie einen Wanderarbeiter nennen würden. Ich schätze, Sie mussten sich wohl irgendeinen Namen für mich ausdenken. Ich ziehe umher, ja, wenn Sie das meinen, in Ihren Akten und scheußlichen Amtsstuben … Bleiben Sie ruhig sitzen und nennen Sie mich alles, was Sie in Ihrem Buch an Namen finden können, aber lassen Sie mich raus zu meinem Job, während Sie hier das Namennennen besorgen. Auf die Art können wir Zeit und Geld sparen und mehr Arbeit getan kriegen … Ich ziehe rum, Teufel, ja, ich ziehe rum … Wenn ich aufhören würde, müssten Sie aufstehen und Ihren Job sausen lassen und mit Rumziehen anfangen; da ist nämlich verdammt viel Rumziehen, das erledigt werden muss …«[80]

Woodrow Wilson Guthrie wurde 1912 in Okemah, Oklahoma, geboren, im Land des Ölbooms. Ein paar Tage nachdem sein Vater, ein vormals wohlhabender Schweinezüchter und Bodenspekulant, ein Sechszimmerhaus gebaut hatte, brannte es nieder. Kurze Zeit später kam Woodys 14-jährige Schwester in den Flammen einer Kerosinexplosion ums Leben. Seine Mutter starb ebenfalls an der degenerativen Nervenkrankheit, der Huntington-Chorea. Dann starb sein Vater bei einem Brand; vielleicht war es Selbstmord. Woody wurde bei verschiedenen Pflegefamilien untergebracht. Mit 17 brach er auf nach Galveston und zum Golf von Mexiko. Er schloss sich der Westwanderung der ländlichen Okies, Arkies und Texaner an. In Kalifornien zahlten einige Obstrancher diesen »Dust Bowl Refugees«[81], einen Dollar pro Tonne fürs Pfirsichpflücken. Woody sang bald für sie und hatte für einen Dollar pro Tag eine tägliche Radioshow im Sender WKDV, Los Angeles. Wie Steinbecks Tom Joad, der Held von Früchte des Zorns, gehörte Guthrie zu den entwurzelten, entrechteten, verarmten Umsiedlern.

Woody war teils Country-, teils Folksänger. Von seiner Mutter lernte er alte Balladen und Volkslieder. Aus dem Radio und von den Leuten auf der Straße hörte er Countrymusik. Woodys Vetter, Jack Guthrie, war ein Countrysänger. Woody übernahm sein Gitarrespiel und Dutzende der Lieder - zu denen er neue Texte schrieb - von Aufnahmen der berühmten Carter Family, die die Countrymusik von 1927 bis zum Zweiten Weltkrieg bestimmte. (Die »neue« Carter Family, die Mutter Maybelle und ihre drei Töchter, sowie Verwandte und Kollegen von Johnny Cash stiegen in den späten Sechzigern wieder zum Pantheon der Countrymusik auf.)

Zwei Männer in Los Angeles stimulierten Woodys politische Bildung - Will Geer, der Schauspieler, und Mike Quin, Dichter und Kolumnist von The People 's World, der kommunistischen Tageszeitung der Westküste. Quin gilt allgemein als Entdecker von Guthrie. Genau wie Dylan hatte Woody ein Talent dafür, Freunde, Bekannte, Helfer und Mitarbeiter sowie Einflüsse anzusammeln. Cisco Houston, der Hobo und wandernde Sänger, wurde Woodys Reisegefährte. Als Woody 1939 nach Osten kam, begegnete er Pete Seeger und reiste mit ihm. Pete, ein Aussteiger aus Harvard, war aus auf Erfahrungen mit Musik und der Organisation von Gewerkschaften. 1940 begab sich Woody mit 28 Jahren ins Archive of Folk Culture der Library of Congress, um dort seine Lieder und seine Lebensgeschichte für Alan Lomax aufzunehmen. Drei Stunden aus diesen Aufnahmen wurden später auf Elektra veröffentlicht.

Woody machte auch kommerzielle Aufnahmen, auf Victor, dann auf Decca und Stinson und schließlich bei dem Folkmusikunternehmer Moses Asch auf seinen verschiedenen Labels, vor allem Folkways. Als Woody dann nach New York kam, war er längst der Liebling der Linken. Fast genau 20 Jahre später wiederholte sich die Umarmung durch die New Yorker Folk-Linke bei Dylan.

1940 ging Woody nach Westen, zurück zu seiner ersten Frau und ihren drei Kindern. Seeger, Lee Hays und der Autor Millard Lampell bildeten die später sehr einflussreiche Folkgruppe The Almanac Singers, und Woody trat ihnen im Juni 1941 bei. Die Almanacs unterhielten auf der 10th Street in Greenwich Village eine frühe Kommune. Pete Seeger: »Wir bekamen Auftritte für fünf Dollar hier und manchmal sogar zehn Dollar da, und mit harter Arbeit haben wir es gerade eben geschafft, Körper und Seele zusammenzuhalten. Am Sonntagnachmittag gab es ein offenes Haus; wir nahmen 35 Cent Eintritt, und wir wie auch Freunde sangen dann den ganzen Nachmittag. Wir nannten das ›Hootenannies‹[82].«

1939 verdiente Woody geradezu verschwenderische 200 Dollar pro Woche mit der Radioserie Model Tobacco. Später verschaffte ein Agent den Almanacs einen Auftritt im glitzernden Rainbow Room hoch auf dem Rockefeller Center. In Dieses Land ist mein Land beschreibt Woody genüsslich, wie die Gruppe streikte und das Lokal verließ, als man sie in kitschige Hillbilly-Kostüme stecken wollte.

Ebensogut konnte Woody die Heuchler in den progressiven oder linken Kreisen wittern. Er verschmähte den Begriff Folkmusik, weil ihn das möglicherweise in den gleichen Topf mit den »Balladisten in Seidenstrümpfen« geworfen hätte. Diese Haltung von Guthrie hilft, Dylans Widersprüchlichkeit zu erklären, wenn er sich weigerte, sich als Folk- oder Protestsänger zu bezeichnen. Auch Dylans Absage, sich »Dichter« zu nennen, war ein Rekurs auf Woody: »Ich bin kein Schriftsteller. Das möchte ich klarstellen. Ich bin bloß ein kleiner Gitarrenzupfer.«

Seeger ermutigte Woody, Dieses Land ist mein Land in Angriff zu nehmen. In Harvard hatte Pete Charles Olson kennengelernt, später ein Kritiker und Lyriker. 1942 bat Olson Woody, für das kleine Magazin Common Ground zu schreiben. Woody lieferte einen brillanten Essay ab, welchen er »Ear Music« nannte. Zahlreiche Anregungen gingen ein, dass Woody über sich selbst schreiben solle. Er stürzte sich in die Arbeit an seiner Autobiographie; veröffentlicht wurde sie auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs. Das Buch war sofort ein Renner. Nach kurzer Zeit mit Cisco Houston in der Handelsmarine ließ Woody sich vorübergehend auf Coney Island, Brooklyn, nieder. 1942 heiratete er Marjorie Mazia Greenblatt. Bis in die späten vierziger Jahre schrieb er weiter zahllose Lieder und Gedichte, zeichnete und machte Plattenaufnahmen. Wie Dylan wechselte Woody zwischen Perioden intensiven Redens und Schaffens und Perioden der Stille und des Nachdenkens. Auf der ausgefallenen Party bei Amy Vanderbilt, zum Erscheinen seines Buches, sagte Woody den ganzen Abend lang kein Wort.

Der verstorbene Cisco Houston erzählte mir 1959: »Woody ist der größte Folkdichter, den wir je hatten. Er ist wie die biblischen Propheten, die ihre Botschaft sangen. Woody hat nie Wert auf Materielles gelegt, außer auf ein gutes Auto, einen Füllfederhalter oder eine Schreibmaschine und eine gute Gitarre. Wer wie wir mit dem Güter-Pullman und dem sonnenverbrannten Daumen gereist ist, hat sich immer ein Auto gewünscht. Alle, die wussten, wie ein hartes Leben aussieht, haben gespürt, dass Woody für sie sprach. Sie haben sich mit ihm identifiziert.«

Woody schrieb mindestens 1000 Lieder, von der Folknationalhymne »This Land Is Your Land« zum klassischen Abschiedslied »So Long, It's Been Good To Know You«, von seinen Kinderliedern wie »Car Car« zu nationalen Gesängen wie »Pastures Of Plenty«. Er schrieb sehr wenige eigene Melodien, sondern baute auf Folk- und Countrymelodien auf, wobei er daraus mit seinen eigenen Texten völlig neue Songs machte. Er liebte die Gesetzlosen, die Antihelden, die im Prinzip nur gegen die Missstände der Gesellschaft waren.

Ende der Vierziger begann Woodys Gesundheit nachzulassen, und seine große Stimme und wortgewandte Feder verstummten. Ab 1954 brachte ihm die Huntington-Chorea 13 Jahre des Elends im Krankenhaus. Die von seinem Agenten Harold Leventhal, Seeger und einem weiteren Freund, Lou Gordon, eingerichtete Woody Guthrie Children's Trust Society ordnete seine Schriften und Zeichnungen. Ich gab eine Sammlung davon heraus, Born To Win, veröffentlicht bei Macmillan, 1965[83]. Durch Dylans Werk erhielt Woody letztendlich ein großes zeitgenössisches Publikum, und der Erfolg von Woodys Sohn Arlo Guthrie erinnerte eine neue Generation an das, was Woody geleistet hatte. In einer der Schriften, »People I Owe« (Leute, denen ich etwas schulde) in Born To Win, versuchte Woody, den menschlichen Quellen seiner Kunst gerecht zu werden. Er fühle sich nur als Reporter, der die Dichtung der Leute aufzeichne: »… Ich habe mein Leben aus den Werken eures Lebens geborgt. Ich habe eure Energie in mir gefühlt und meine sich in euch bewegen sehen. Man hat euch vielleicht beigebracht, mich einen Dichter zu nennen, aber ich bin nicht mehr ein Dichter, als ihr es seid. Ich bin nicht mehr ein Verfasser von Songs, als ihr es seid, und kein besserer Sänger.«[84]

Bob Dylan - No Direction Home

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