Читать книгу Bob Dylan - No Direction Home - Robert Shelton - Страница 54
PROPHET MIT GELTUNG
ОглавлениеNur eine Dinkytown-Freundschaft, die mit Dave (Tony) Glover, überlebte all die anderen. 1963 beschrieb Bob Glover als »einen Freund für alles, was ich bin. Dave Glover, den ich wirklich liebe. Dave Glover, der genau wie ich fühlt und denkt und geht und redet.« Glover half mir, Dylans frühe Tage in Dinkytown zu rekonstruieren. Außerdem sah Glover Bob in Newport, Woodstock und besuchte einige seiner Aufnahmesessions in New York. Tony war ein harter Bursche und schweigsam, dabei aber freundlich, cool wie ein Bluesman und passioniert, was seine Musik und seine Freunde anging. Glover hatte den Spitznamen »Tony« gewählt, um Verwirrung zu vermeiden, als er mit Dave Ray im Trio Koerner, Ray and Glover sang. Morton nahm Tonys häufige Anfälle von Melancholie auf die Schippe, indem er »You Are My Sunshine« sang, so oft Glover auftauchte. Seine düstere, lakonische James-Dean-Manier flößte Bob das Gefühl ein, Tony trauen zu können.
Glover begann sehr behutsam mit dem Erzählen; er betonte: »Bob ist kein gewöhnlicher Mensch. Ich sehe in Bob zwei Menschen, den, welchen ich persönlich kenne, und den, der öffentlich auftritt. Wir waren hier beide am Rand der Szene, akzeptiert, aber doch außerhalb; was wohl auch unserem eigenen inneren Bedürfnis entsprach. Ich glaube, das war damals die wahre Grundlage unserer Freundschaft; ein Gefühl, dass da noch mehr war, etwas anderes, irgendwo anders. Er hat sich verändert. Heute, 1966, ist er in mancher Hinsicht fast ein alter Mann, der geduldig hinnimmt, dass das Leben ist und dass man nicht viel dagegen machen kann. Ich weiß nicht, ob er glücklich oder unglücklich ist. Vielleicht ist er ganz einfach, Punkt.«
Für Glover war es zum einen Teil Faszination, zum größeren ein Beschützergefühl: der Wunsch, dafür zu sorgen, dass Bob mit Verständnis behandelt wurde. Er führte ein komplettes Dossier mit Bändern, Zeitungsausschnitten und Erinnerungsgegenständen. Tony war einer der ersten, der wusste, dass Bob etwas schaffen würde. Als er noch ein Prophet mit fehlender Anerkennung in Minneapolis war, mochte er Bob ebenso sehr wie später, als er Triumphe feierte. Tony traf Bob im Mai 1960 bei einer Party für Gretel. Tony: »Ich sah Bob mit einer Gitarre in einer Ecke sitzen, und wir haben angefangen zu reden. Er trug einen Bürstenschnitt und Turnschuhe. Er schien nicht in den Raum zu passen und sich unbehaglich zu fühlen. Lynn Castner sang Woodys Lieder. Ein paar Leute wollten Bob nicht singen hören, und er wurde sehr ausfallend und sagte, er würde überhaupt nicht mehr singen. Einige haben gefragt, wofür er sich eigentlich hält.«
Glover, der Musikjournalist und Romancier wurde, war vielleicht der erste Musikerfreund, der es wagte, Bob zu kritisieren und ihm Ratschläge zu geben. Bob nahm das offenbar an, wenn auch nicht ohne Diskussionen. Mindestens zweieinhalb Jahre hielt Bob eine laufende Debatte mit Glover, Nelson und Pankake über die Aktualität politischer Songs aufrecht. Als er im August 1962 zu seinem dritten Besuch nach Minneapolis heimkehrte, gab es bei Bob Anzeichen, dass er die auf Tagesthemen bezogenen Protestsongs in Frage stellte. Es machte ihm Spaß, 1962 für seine Dinkytown-Freunde eine kleine Show abzuziehen. In seinem nasalsten Guthrie-Tonfall sagte Bob:
»Ich werd euch ein Lied singen, das eigentlich keins ist … es ist eigentlich gar nicht zulässig.« (Er stimmt seine Gitarre.) »Hallo. Hier spricht Bob Dylan aus Paris. Das ist ein Lied, das ich für CORE[88] geschrieben habe. CORE ist eine weiße Organisation für Schwarze. Es hängt mir zum Hals raus, Lieder für alle und jeden zu schreiben. Das könnt ihr ruhig mit eurem Tonband aufnehmen und all euren Freunden von der Little Sandy Review vorspielen. Ich habe großen Respekt vor der Little Sandy Review … Jon Pankake ist ein viel größerer Mann als ich, soviel will ich gesagt haben. Ich improvisiere jetzt ein paar Strophen, aber die letzte Strophe ist die, wegen der ich den ganzen Song geschrieben habe. Ich hab ihn geschrieben, weil er mir gerade so durch den Kopf ging. Mein Mädchen ist in Europa. Sie ist mit dem Schiff rübergefahren. Am ersten September kommt sie zurück, und bis sie zurückkommt, werde ich nicht mehr nach Hause gehen. Manchmal sind die Sachen ganz schön vertrackt. Manchmal geht's einem dreckig, aber manchmal auch nicht. Das ist eigentlich nicht mein Stil«, sagte Dylan, während er ein paar Akkorde strich, »das ist der Pete-Seeger-Stil. Ihr wisst schon, das ist der ältere Bruder von Mike Seeger.«
Bob sang »Black Cross«, ging dann zu einem Teil des Liedes über, das später zu »Tomorrow Is A Long Time« wurde. Dann trug er einen Talking Blues vor, in dem es um die Frage ging: »What kind of hippo is a hypocrite?« (Welche Art Hippo ist ein Hypokrit?) Als Nächstes folgte ein Song, den er zu einer überlieferten Melodie geschrieben hatte: »A Long Time Coming«. »Mögt ihr das Lied? Ich hab ungefähr den halben Text dazu erfunden. Den Song hab ich für mich geschrieben. Ich finde, ich hab zu viele Songs für andere gemacht. Schließlich bin ich zu dem Punkt gekommen, wo ich mir gesagt hab: ›Dylan, du hast ja kein einziges Lied über dich geschrieben; du musst mal jemand finden, der ein Lied über dich schreibt.‹ Dann hab ich mir gesagt: ›Du schreibst Songs. Ich kann genauso gut Songs über mich schreiben wie sonst jemand.‹ Deshalb hab ich dann in einer Woche ungefähr zehn Songs über mich geschrieben.« Bob wollte »Bob Dylan's Blues« singen, konnte sich aber plötzlich nicht mehr an den Text erinnern. Dann sang er »Corrina, Corrina« und »Deep Down Blues«. Die Party ging bald in die Brüche, weil Dylan nur noch ein Lied nach dem anderen singen sollte. Schließlich ging er, nicht ohne Kommentar: »Hier in Minneapolis lädt jeder bloß alles bei mir ab.«
Im Sommer 1962 begann Bobs Unzufriedenheit mit seinen »Songs für andere«, aber er war noch weit davon entfernt, um mit seiner ersten »engagierten« Periode fertig zu sein. 1963 stattete der sehr radikal gewordene Dylan Tony Glover, Paul Nelson und anderen einen weiteren Besuch ab. Es kam zu einer hitzigen Debatte. Tony erinnerte sich: »Paul sagte dauernd, Bob müsste ›eine bessere Balance finden zwischen seinem traditionellen Stil und seinem individuellen Stil‹. Bob sang eines seiner neuesten Lieder nach Art von ›Only A Pawn In Their Game‹ und versuchte uns klarzumachen, dass es etwas behandelte, was in der Gegenwart geschah, wenn es auch nicht im strengen Sinne traditionell sei. Paul argumentierte, Folkmusik sei nicht allein deshalb gut, weil es um eine gute Sache gehe. Dylan stimmte ihm grundsätzlich zu, hielt ihm aber vor, man könne einen Song nicht allein deswegen abwerten, weil er sich mit etwas beschäftigte. Er vertrat die Ansicht, das Soziale sei wichtiger als die Musik.«
Dylan lieferte einen regelrechten Soundtrack zu dieser Debatte, indem er seine neuen Songs vortrug, die größtenteils einen gesellschaftsbezogenen Inhalt hatten. Mit der Reaktion seiner Zuhörer nicht zufrieden, sagte Dylan: »Folkmusik und Politik bleiben trotzdem zwei verschiedene Dinge. Es handelt sich nicht um Musik, wenn man durch die Straßen geht. Musik kann man auf seinem Plattenspieler laufen lassen, die ist aber nicht da, wenn man nach draußen geht.« Seine Stimme zeigte Ungeduld und Frustration über die Freunde, die er hinter sich gelassen hatte.
Von all seinen Trips zurück nach Dinkytown war derjenige im Juli 1962, als sein Durchbruch als großer Folk-Star auf nationaler Ebene kurz bevorstand, vermutlich der prägendste. Er erzählte dort den Leuten von seinen Reisen nach London und nannte seinen Manager Albert Grossman »einen schönen Mann, ein Genie«. Dann wurde ihm bewusst, wie weit er schon gekommen war, und er wurde ganz unverhohlen sentimental: »Ich habe diese Stadt auf dem Highway verlassen, ich denke, es war der Highway 12. Ich habe überhaupt nicht nachgedacht - hier war es zum ersten Mal, dieses Nicht-Denken. In den dreieinhalb oder vier Jahren danach habe ich mich um überhaupt nichts geschert. Einfach die Zeit und Gelegenheiten, Mann, genau deshalb steh' ich jetzt hier. In den ganzen USA gibt es Millionen wie mich. Sie alle sind unruhig, doch sie können sich nicht von dem Ort lösen, an dem sie sind.« Er gab sich selbstironisch und sprach von sich selbst als Galionsfigur des Liedguts, der Dichtung und der Führerschaft. Whitmans »A Song Of Myself« und Guthries »The Great Historical Bum« - ihr Credo war nun Dylans geworden - die besten Balladenschreiber waren auch nur Reporter, sie protokollierten die Poesie der Menschen.
Schon 1961 hatte Tony Bänder von Bob aufgenommen, wie er R & B-Songs von Chuck Berry sang. Bei Bobs erster Rückkehr nach Dinkytown, im Mai 1961, stand er noch immer sehr unter Guthries Einfluss. Auf einem wichtigen Treffen von Musikern der Twin Cities hörte Tony Bob erstmals einen eigenen Song singen, seinen »Song To Woody«. Bob sagte zu Tony, Joan Baez wolle das Lied aufnehmen. Tony: »Ich weiß nicht, ob es was genützt hat, aber ich habe Bob gesagt: ›Behalt den Song für dich selbst. Du kannst damit etwas viel Besseres machen als sie.‹«
Bob kehrte im Dezember 1961 erneut nach Minneapolis zurück, nachdem er seine erste LP aufgenommen hatte. Gretel: »Das Erste, was Bob tat, war, uns den Ausschnitt aus der New York Times[89] zu zeigen. Er hat nur kurz und sehr schnell gesprochen. Er hat dann die Gitarre ausgepackt und gesagt: ›Hört mal, was ich gemacht habe. Hört euch bloß an, was mit mir passiert ist!‹ Aber als dann andere Leute auftauchten, ist er fast schüchtern geworden. Aus ihm war auf einmal ein wirklich guter Geschichtenerzähler geworden. Er und David konnten stundenlang dasitzen und Geschichten erzählen und Witze ausdenken. Er war hinreißend. Ich weiß nicht, wie viel Bob von Lenny Bruce gesehen hatte, denn Bruce war bei uns damals ein gehüteter Heiliger. Viele Leute hier haben Lenny-Bruce-Nummern erfunden.« Der Einfluss von Lenny Bruce war vermutlich indirekt und ging über Hugh Romney. Romney und Bruce - beide Jünger des verstorbenen Lord Buckley, eines Künstlers der Satire - hatten in dem Club Minor Key in der City von Minneapolis gespielt, als Dylan noch in der Stadt war. Beide pflegten die Aufmüpfigkeit der späten Fünfziger, schwarzen Humor, Wortspielereien, Parabeln und Lügenmärchen, die Dylan sehr stark beeinflussen sollten.
Im Dezember 1961 war »seine Veränderung ungeheuer groß«, sagte Gretel. »Er begann gerade erst, mit Lyrik zu experimentieren und zu begreifen, was Lyrik wirklich sein müsste.« Ein jüngerer Kumpel, Bill Golfus: »Alle waren sprachlos, dass wirklich einer aus Dinkytown eine Platte gemacht hatte. Der Einzige, der begriff, was tatsächlich geschah, war Dave Morton. Wir anderen waren sämtlich Kinder, die Beatnik spielten.«