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a) Zum Stellenwert des Individualrechtsschutzes
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In Deutschland,[103] Griechenland,[104] Großbritannien,[105] Italien,[106] Österreich,[107] Portugal,[108] der Schweiz[109] und Spanien[110] wird der Verwaltungsrechtsschutz in erster Linie als Instrument des Individualrechtsschutzes verstanden, das dem Schutz des Bürgers und seiner subjektiven öffentlichen Rechte bzw. Interessen dient. Dass der Verwaltungsrechtsschutz zugleich der Durchsetzung des Legalitätsprinzips dient, ist eine Art Kollateralnutzen.[111]
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Ist der Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt als Grundrecht ausgestaltet,[112] kommt darin zum Ausdruck, dass die Rechtsschutzgarantie – wie alle Grundrechte – primär den Einzelnen und seine Selbstbestimmung im Auge hat, weniger die institutionellen und funktionellen Weiterungen, die mit einem ausgebauten Rechtsschutzsystem einhergehen.[113] Als „formelles Hauptgrundrecht“[114] ist die Rechtsschutzgarantie insoweit eine „Bastion der Individualität“[115] und zugleich eine Systementscheidung für einen auf den Individualrechtsschutz konzentrierten Verwaltungsrechtsschutz.[116] Das gilt auch für Großbritannien, das unter Rückgriff auf die rule of law jedenfalls bei der Verletzung subjektiver Rechte eine quasi-verfassungsrechtliche Verbürgung von Verwaltungsrechtsschutz kennt[117] und obwohl die tribunals eine Zweckmäßigkeitskontrolle vornehmen, die zugleich der Korrektur der Verwaltung dient.
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In Frankreich[118] – aber auch in Belgien,[119] Polen[120] und Schweden[121] – werden Individualrechtsschutz und objektive Rechtmäßigkeitskontrolle hingegen nicht als dermaßen dichotomische Antipoden verstanden. Hier geht beides vielmehr Hand in Hand: (Gerichtliche) Rechtsbehelfe dienen der Sanktionierung rechtswidrigen Verwaltungshandelns und damit zugleich der Wahrung der Rechte und Interessen der Bürger, ohne dass Letzteres allerdings im Vordergrund stünde.[122] Obwohl Polen mit Art. 45 Abs. 1, Art. 77 Abs. 2 und Art. 78 Verf. über eine Rechtsschutzgarantie verfügt, räumt es dem Individualrechtsschutz keinen deutlichen Vorrang ein, sondern steht insoweit dem französischen Verständnis näher.[123] Der Akzent auf der objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle bedeutet freilich nicht, dass Rechtsverletzungen keiner (verwaltungs-)gerichtlichen Überprüfung unterlägen. Vielmehr lässt sich gerade der Entwicklung des französischen Verwaltungsprozessrechts in den vergangenen Jahren durchaus entnehmen, dass dort individuelle Interessen und Belange an Gewicht gewonnen haben.