Читать книгу Das Adlon - Rodica Doehnert - Страница 12

3. Kapitel

Оглавление

In den Speichen der dahineilenden Räder fing sich das Sonnenlicht. Zwei Droschken fuhren durch die Straße Unter den Linden. In der ersten Droschke saß der fünfzigjährige Lorenz Adlon im hochgeschlossenen schwarzen Mantel, auf dem Kopf trug er würdig einen Zylinder. Dahinter folgte die zweite Droschke mit vier Livrierten. Ihre Gesichter waren ernst, als wären sie sich bereits der historischen Tragweite ihres Auftrags bewusst.

Die Droschken hielten vor dem Tor des Berliner Stadtschlosses. Auf den Wink eines wachhabenden Leutnants öffneten die Soldaten eilig das Tor. Die beiden Wagen fuhren hinein und hielten nur eine Armlänge vom Portal entfernt. Die vier Livrierten sprangen heraus und entluden im Laufschritt ein Wunderwerk von Torte, das Modell eines Gebäudes in Safrangelb und Pistaziengrün mit einem Dach aus Schokolade.

Adlon entstieg dem Wagen. Auf sein Handzeichen schulterten seine Bediensteten das silberne Tablett und marschierten hinter ihrem Patron ins Schloss.

Aus den Fenstern schauten die Damen und Herren des Hofstaates … Impertinent! … Fabulös! … Der Adlon soll ja Millionen gemacht haben mit seinen Eisbechern! … Eis in Bechern! … Und seine Köche kommen aus Frankreich! …

Die kleine Prozession gelangte in den Audienzsaal. Dort stellten die Livrierten das exquisite Gebilde auf dem Besprechungstisch ab, vor dem der Hofstaat wartete. Ein weiteres Mal öffnete sich die Flügeltür, und Kaiser Wilhelm II. betrat den Raum.

»Ihre Majestät wollten ein Modell sehen.« Adlon machte eine großartige Geste. »Dieses Haus wird Berlin verändern.«

Kellner zauberten silbernes Besteck hervor, deckten Teller auf, arrangierten bestickte Servietten und zückten blitzende Messer und Tortenheber, während der Souverän um das Wunderwerk herumschritt. Alle hielten den Atem an. Der Kaiser griff nach einem Löffel, stach mitten hinein in die safrangelbe Sahne. Den Löffel schon im Mund, hielt er plötzlich inne.

»Aber das ist ja kalt. Eiskalt!«, stöhnte er.

Hofstaat und Lakaien erstarrten.

Lorenz Adlon behielt die Fassung. Er trat sogar einen Schritt näher an den Kaiser heran.

»Eine Kreation aus Sahneeis.«

Des Kaisers persönlicher Adjutant erklärte beflissen: »Seine Majestät müssen wissen, dass der Adlon sein Geld mit Eis gemacht hat.«

Der Kaiser winkte ab. Es war ihm bekannt, dass Lorenz Adlon ein Kaffeehaus auf den Zooterrassen führte. Mit großem Erfolg. Doch hier handelte es sich um keine gewöhnliche Torte. Das Kunstwerk aus Eiscreme war ein Modell. Dieser Adlon scheut keine innovative Idee, um mir zu gefallen, dachte der Kaiser und begann, die schmelzende Süßigkeit zu genießen, weil nun auch seine Zähne bereit dazu waren.

»Formidable! Adlon, ganz ausgezeichnet.« Seine Majestät naschte wie ein Kind. »Und das soll also Sein Hotel werden, Adlon?«

»Wir werden Berlin mit einem Haus ausstatten, das allerhöchsten Ansprüchen genügt.«

»Wir übertreffen London?«, fragte Wilhelm II. und dachte an seine verstorbene Tante Queen Victoria und ihr Ritz am Piccadilly.

Adlon nickte selbstbewusst und gratulierte sich insgeheim zu seinem Instinkt, der ihn zu diesem Spektakel inspiriert hatte.

»Wir übertreffen das Waldorf Astoria in New York?« Wilhelms Stimme klang kühn.

»Mindestens dreihundert Betten, fließend warmes und kaltes Wasser, Fahrstühle, Staubsaugersystem, Zentralheizung und natürlich die Suiten für die Gäste Ihrer Majestät. Französische Küche ganz selbstverständlich«, entgegnete Adlon.

Der Kaiser schluckte bei dem Gedanken an gutes Essen und drohte spielerisch mit dem Finger.

»Er will ein Haus errichten, das mein Stadtschloss in den Schatten stellt?«

»Ich werde ein Haus errichten, das die Hauptstadt Ihrer Majestät in höchstem Glanz erstrahlen lässt.«

Der Kaiser schlug Adlon auf die Schulter.

»Mein Schloss ist eine Bruchbude. Hier ist es kalt. Es zieht.« Er wandte sich an seinen Hofstaat. »Wer hat kein Rheuma?«

Klagende Gesichter. Sie kränkelten alle. Womöglich aber nicht von der Kälte im Schloss, sondern vom Nichtstun und vom Überdruss.

»Baue Er das beste Haus am Platze, Adlon«, befahl Wilhelm II. begeistert und gab seine Eistorte mit einer Handbewegung für die Damen und Herren des Hofes frei. Die stürzten sich auf die kühle Köstlichkeit und pikten mit dem Finger in die Stücke, die sie haben wollten.

»Wo soll Ihr Haus denn stehen? Ich will zu Fuß rüberkommen«, raunte Seine Majestät Adlon ins Ohr.

»Es gibt nur einen Platz, der diesem Haus angemessen ist. Der Pariser Platz.«

»Wo will er denn da bauen? Ist doch alles schon voll am Brandenburger Tor.«

»Ich dachte an die Stelle von Palais Redern …«

Adlon wusste, dass er jetzt zum Höhepunkt seiner Darstellung vorstieß. Die nächsten Minuten würden alles entscheiden.

»Unverkäuflich, Adlon!«, schnarrte der Kaiser.

Lorenz Adlon verneigte sich untertänig, um sich sofort wieder zu voller Größe aufzurichten.

»Es geht nur dort.«

Den Leuten des Hofes stand der Mund offen vor so viel Impertinenz.

»Er will das Gebäude einreißen, das Meister Schinkel gebaut hat? Lieber Adlon, er hat mich schon weit gebracht, aber hier kann und darf ich nicht zustimmen. Seiner Denkmalbehörde ist auch ein Kaiser verpflichtet.«

Adlon deutete wiederum eine Verneigung an.

»Das Palais Redern sanieren, um darin ein Hotel unterzubringen? Ihre Majestät werden verstehen, dass dies unserer Vision keinesfalls angemessen ist.«

Der Kaiser atmete hörbar aus. »Finde Er ein anderes Grundstück, Adlon, und bringe Er mir dann die Pläne.«

Seine Majestät beendete die Audienz und verließ den Saal.

Das Hotel aus Eis wankte. Ein erstes süßes Rinnsal floss über den Rand des Tabletts auf das Parkett. Die Fassade sackte in sich zusammen.

»Natürlich ließ sich Lorenz Adlon nicht von seinem Konzept abbringen.«

Sonja machte eine Pause, trank einen Schluck Kaffee und sah in die Gesichter der Architekten und in das ihrer Enkelin. Sogar Laura, die frischen Kaffee gebracht hatte, war an der Tür stehen geblieben und lauschte der Erzählung.

Ein paar Tage nach dem ersten Gespräch ließ der Kaiser Lorenz Adlon zu sich rufen. Diesmal standen sie im Salon neben dem Thronsaal. Adlon nahm die intimere Situation zufrieden wahr. Wilhelm II. ging unruhig auf und ab.

»Eine marode Florentinische Fassade erhalten oder Platz schaffen für das Moderne? Das geht mir nun nach Seinem letzten Besuch nicht mehr aus dem Kopf.«

»Soweit mir bekannt ist, wollte Ihre Majestät das Brandenburger Tor umbauen lassen als Symbol einer neuen Weltzeit. Davor, auf dem Pariser Platz, könnte das Grandhotel seiner Weltstadt stehen.«

Der Kaiser schwieg. Adlons Vorschlag war so verführerisch wie seine Eistorte.

»Wir haben jede Möglichkeit, die Gesetze zu verändern. Schließlich geht es hier ums Prinzip!«, sinnierte der Kaiser.

»Alles ist eine Frage des Prinzips. Und nur ein Kaiser kann über Prinzipien entscheiden«, stimmte Adlon zu.

Wilhelm II. schaute den Hotelier verblüfft an. Der Mann hatte recht. Er war der Kaiser. Er legte die Prinzipien fest.

»Schreiben Sie«, wandte er sich an seinen Sekretär, »der Redern soll seine Vermögensverhältnisse offenlegen. Wenn er nicht sanieren kann, steht meine Entscheidung fest. Abriss! Punktum!«

Sonja hatte die Geschichte so bildhaft erzählt wie einstmals Gustaf Schadt. Alle hofften, dass sie fortfahren würde. Und das tat sie.

»Während sich Lorenz Adlon in jenem Frühling 1904 seinen Lebenstraum zu erfüllen begann, wurde ich geboren.«

Das Adlon

Подняться наверх