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6. Kapitel

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Das Dienstmädchen kam Tilly und Louis Adlon entgegen, um beim Ablegen der Mäntel zu helfen. Sie spürte die Spannung zwischen den Eheleuten.

»Brauchen Sie noch etwas, gnädige Frau?«, wandte sie sich an Tilly. Louis ging in den Salon und goss sich Whisky ein.

»Nein, du kannst zu Bett gehen.«

»Danke, gnädige Frau.« Das Mädchen knickste und verschwand.

Tilly folgte ihrem Mann, der sich bereits ein zweites Mal einfüllte.

»Der Bau ufert aus, die Kosten explodieren.« Louis trank auch dieses Glas in einem Zug aus. »Bei anderen Leuten erfahre ich den Stand der Dinge. Mit mir spricht Vater kein Wort darüber, aber wahrscheinlich mit Jeschke, dem Bastard.«

Er meinte seinen Stiefbruder, der aus einem Verhältnis seines Vaters zwischen den zwei Ehen stammte. Louis wollte sich nachgießen. Tilly hielt seine Hand fest.

»Der Papa weiß doch, wie viel du zu tun hast. Mit dem Continental und den beiden Restaurants bist du rund um die Uhr beschäftigt.«

Louis machte sich los und goss ein. »Die Tagesgeschäfte! Dafür bin ich ihm gut genug.«

»Schatzerl, was glaubst, für wen der Papa das alles tut?« Tilly streichelte Louis über den Arm. »Der Jeschke darf ein bisschen der Adlatus vom Papa sein, aber zu deiner Position kann er’s nicht bringen. Er ist doch nur ein unehelicher Sohn.«

Louis schaute wütend in sein Glas.

»Der Papa ist manchmal wie ein Kind. Der merkt gar nicht, wenn er dir schwere Stunden bereitet.« Sie gab ihm einen Kuss. »Sieh’s ihm nach. Du bist doch der Klügere.«

Das Palais Redern Unter den Linden 1, ein Schinkel-Bau mit einem Garten im Innenhof, gestaltet vom Landschaftsarchitekten Lenné, war gegen den Protest vieler Berliner abgerissen worden. Vor dem Brandenburger Tor befand sich eine riesige Baugrube.

Lorenz Adlon stand in einer Holzbaracke, die ihm auf der Baustelle als Büro diente, und betrachtete Materialproben für die Fassadengestaltung. Durch das von Zementstaub getrübte Fenster sah er seine Schwiegertochter aus einem Wagen steigen. Sie kam allein. Er öffnete die Tür.

»Meine liebe Tilly, was gibt mir die Ehre deines Besuches?«

Er küsste sie zur Begrüßung auf beide Wangen.

»Schwiegerpapa!«

Tilly genoss Lorenz’ Zuneigung, die er ihr vom ersten Tag ihrer Beziehung mit seinem Sohn entgegenbrachte. Sie schaute sich neugierig um und blieb vor den Gesteinsproben in unterschiedlichen Farbtönen von Zartgelb bis zu sattem Rot stehen. Lorenz nahm einen Stein in die Hand und hielt ihn ans Fenster.

»Ein Sandstein aus Südtirol«, erklärt er Tilly. »Wir haben den Sonnenuntergang hinter dem Brandenburger Tor, und mein Hotel wird also ab den Nachmittagsstunden stets in Licht gehüllt sein. Da brauchen wir Stein, der mit dem Licht geht.«

»Alle in der Stadt sprechen über Ihr Vorhaben, Papa.« Sie wanderte zum Modell des künftigen Hotels.

Er genoss ihr Interesse und nahm das Dach ab. Sie konnte nun von oben ins Vestibül schauen, dessen Zentrum von einer bemerkenswerten Treppe eingenommen wurde.

»Die Gäste werden beim Herunterschreiten gesehen werden.«

»Und sie werden das Gefühl haben, als wäre das Haus nur für ihren Auftritt gebaut«, nahm Tilly den Gedanken ihres Schwiegervaters auf.

Lorenz ging zu einem Tischchen und füllte zwei Gläser mit Likör.

»Auf unser Adlon!« Lorenz hob das Glas. Sie tranken.

»Sie dürfen den Louis nicht hinter den Lorenz Jeschke stellen«, sagte Tilly leise. »Das verletzt meinen Mann. Schließlich ist Lorenz Jeschke kein eheliches Kind.«

»Ich war längst Witwer, als Lorenz Jeschke auf die Welt kam«, verteidigte sich Lorenz Adlon.

»Aber Sie haben seine Mutter nicht geheiratet. Lorenz Jeschke ist nun einmal kein Mitglied der Familie.«

»Louis trägt die Titel, die ich ihm gebe. Aber er ist kein Hotelier«, erwiderte Lorenz Adlon und musste an sich halten, vor seiner Schwiegertochter nicht abfällig über seinen leiblichen Sohn zu sprechen. »Der Jeschke ist auch mein Blut, und der arbeitet so fleißig, wie ich es getan habe.«

»Zweimal kann sich eine Familie nicht hocharbeiten«, sagte Tilly mit einem schönen Lächeln und ging dem Alten um den Bart. »Sie haben es doch für Ihre Kinder getan, Papa. Jetzt geben S’ dem Louis eine Chance, dass er zeigen kann, was in ihm steckt.«

In diesem Augenblick kam Jeschke in die Baracke.

»Frau Adlon, guten Tag!« Er nahm eilig seinen Hut ab.

»Herr Jeschke«, erwiderte Tilly kühl. Seine Anwesenheit gab ihr recht.

Adlon wollte sich keine Blöße geben und sagte bestimmt: »Die liebe Tilly hat mich gerade gebeten, den Louis stärker in die Arbeit einzubeziehen.«

»Das würde mich auch sehr freuen«, erwiderte Jeschke ehrlich. Er mochte nicht, dass der Vater einen Keil zwischen ihn und seinen älteren Halbbruder trieb, er wünschte sich vielmehr, anerkannt zu sein, gemeinsam mit Louis und dem Vater den Bau zu errichten und später dann auch gemeinsam zu leiten.

»Jetzt muss ich aber g’schwind zu meiner Susanne.«

Tilly stellte ihr Glas ab und ließ sich von ihrem Schwiegervater zum Abschied auf die Wangen küssen, nickte Jeschke zu und verließ die Baracke.

Lorenz Adlon schloss die Tür. Sie waren unter vier Augen.

»Gut, dass du da bist. Es gibt schlechte Nachrichten. Die Hotelbetriebs-AG hat sich zum Angriff entschlossen. Leopold Koppel hat Unter den Linden 2 gekauft.«

Adlon ging zu dem Grundriss, der ausgebreitet auf einem Tisch lag, und strich mit einem Zimmermannsbleistift das Grundstück durch, das neben dem rot schraffierten lag, auf dem gerade das Adlon errichtet wurde.

»Aber wir müssen erweitern.«

Lorenz Jeschke verstand das Problem nur zu gut. Die Kosten für den Bau hatten sich verzehnfacht, und entsprechend musste nun das Zimmerkontingent des künftigen Hotels erweitert werden, um für Einnahmen zu sorgen, die die Kredite tilgen sollten.

Zur gleichen Zeit stellte Louis Adlon seinen Wagen, einen Mercedes-Simplex, hinter der Tribüne ab. Auf der Rennbahn war um diese Tageszeit wenig los. Ein paar Arbeiter hatten in den Pferdeställen zu tun. Sein Stallbursche erwartete ihn. Der Hengst war bereits gesattelt und warmgeritten. Louis begrüßte seinen Stallburschen und klopfte dem noch jungen Tier auf den Rücken. Dann schwang er sich in den Sattel. Das Pferd sträubte sich zuerst, ließ sich dann aber auf die Führung seines Reiters ein. Louis ging im Schritt, steigerte das Tempo und ließ sich auf der Rennbahn in Trab fallen. Als sich Pferd und Reiter wieder aneinander gewöhnt hatten, wechselte Louis zum Parcours.

Die Rennbahn füllte sich langsam, zuerst mit Jockeys, die ihre Pferde zu trainieren begannen, und dann mit Zuschauern, die auf der Tribüne oder auf der Terrasse des Restaurants Platz nahmen. Die Kellner brachten Frühstück und Erfrischungen. Die Damen öffneten ihre Sonnenschirme. Man nutzte die Ferngläser, um nach den Reitern zu schauen. Das allgemeine Interesse lenkte sich auf Louis Adlon. … Sein Vater hat das Redern abgerissen … Für ein Hotel wird ein historischer Bau geopfert … Was für ein Skandal … Der Kaiser soll den Adlon protegieren … Nun, man weiß ja, dass Seine Majestät keinen Geschmack hat … kein Gespür für die Künste, für den Wert eines Werkes … gibt die Genehmigung für einen Neubau. Am Brandenburger Tor! …

Kommerzienrat Leopold Koppel stand hinter der palavernden Gesellschaft. Häme und Neid waren eine Währung, die für den Innovativen und Tüchtigen bestimmt war, dachte er mit Respekt für Lorenz Adlon. Dann schaute er hinüber zur Rennbahn, wo der junge Adlon gerade sein Training beendete und den Hengst dem Stallburschen übergab.

In der Nähe der Stallungen wusch sich Louis Gesicht und Hände, als ein Schatten auf ihn fiel. Er wandte sich um und sah im Gegenlicht eine dunkle Gestalt.

»Sieh da, Adlon junior reitet einen vorzüglichen Stil, genauso vorzüglich, wie sein Alter das Grandhotel am Brandenburger Tor begründet.«

Louis trat einen Schritt zurück und erkannte nun den Berliner Bankier Leopold Koppel. Der lüftete seinen Zylinder.

Louis wischte sich mit einem Taschentuch übers Gesicht. »Das sagt die Konkurrenz?«

»Meine Geschäftspartner und ich, wir schauen mit großem Interesse auf diese Unternehmung. Zwei Millionen Goldmark soll Ihr alter Herr für sein neues Hotel im Sparstrumpf haben.«

Louis ging zu seinem Wagen.

»Was wollen Sie, Herr Koppel?«

Der Bankier folgte.

»Im Vertrauen, Herr Adlon, ich komme gerade von der Vorstandssitzung der Bankvereinigung. Wie wir erfahren haben, hat Ihr Herr Vater seine Bausumme inzwischen verzehnfacht.«

»Mein Vater weiß stets sehr genau, was er tut«, erwiderte Louis, innerlich entsetzt über diese Information.

Koppel schien das zu spüren und bohrte seinen Stachel tiefer in Louis’ Fleisch.

»Nun, da würde ich mich an Ihrer Stelle nicht in Sicherheit wiegen. Ich spreche aus der gleichen Erfahrung wie Ihr Herr Vater: Wenn unsereins die Lust auf Selbstverwirklichung packt, kennen wir kein Besinnen.«

Koppel lachte vergnügt und wurde dann plötzlich ernst.

»Nein, im Vertrauen, Herr Adlon, man macht sich auch Gedanken über diesen Lorenz Jeschke, den Ihr Herr Vater bei all seinen Entscheidungen befragt und dem leiblichen Sohn vorzieht. Ein Neffe Ihres Vaters, schreiben die Zeitungen.« Koppel wusste, wie sehr er Louis traf. »Aber im Zweifel wird der Neffe die Schulden seines Onkels«, er sprach es mit unüberhörbarer Ironie aus, »nicht tilgen müssen. Da wird man Sie zur Kasse bitten, Herr Adlon.«

Ein Blitzlicht ging. Louis zuckte zurück. Koppel beugte sich näher zu Louis.

»Verstehen Sie unser Gespräch als ein vertrauensvolles unter Geschäftsleuten«, raunte er ihm ins Ohr. Und ehe Louis zurücktreten konnte, blitzte es ein zweites Mal. Der Fotograf hatte den Vorsitzenden der Hotelbetriebs-AG, Lorenz Adlons größten Konkurrenten, und Louis Adlon im scheinbar einvernehmlichen Gespräch aufgenommen.

Leopold Koppel hatte sein Ziel erreicht. »Ich darf mich empfehlen und Ihnen einen guten Tag wünschen, Herr Adlon.«

Koppel lüftete seinen Hut und schlenderte zur Terrasse des Restaurants. Dort beobachtete er, wie Louis Adlon aufgebracht seinen Wagen startete und davonfuhr. Koppel winkte dem Kellner. Er hatte sich ein Frühstück verdient.

Louis fuhr von Hoppegarten direkt in die Friedrichstraße ins Hotel Continental, wo sich das Büro seines Vaters befand. Er erhoffte sich sofortige Aufklärung. Doch der Vater war nicht da, und der Portier teilte dem Sohn mit, dass Adlon senior bis Mittag auf der Baustelle sein werde. Ungeduldig begann Louis die Unterlagen auf dem Schreibtisch seines Vaters durchzusehen. Er bemerkte nicht, dass Jeschke in den Raum trat und sich peinlich berührt räusperte.

Louis hielt inne und drehte sich um.

»Vater muss jeden Moment kommen«, warnte Jeschke.

»Dann sind wir ja alle zusammen.« Louis klappte die Unterlagen zu.

»Louis, es tut mir leid, wenn du glaubst, dass ich mich in irgendeiner Art vordränge.«

»Bleiben wir doch beim Sie, Herr Jeschke. Denn ich werde Sie ganz sicher nicht in unsere Familie aufnehmen.«

Der Schlag saß. Jeschke wandte sich zum Gehen. An der Tür stieß er mit dem Vater zusammen, der Louis’ Worte gehört hatte.

»Wer Teil unserer Familie ist, bestimme ich«, fuhr Adlon seinen Sohn Louis barsch an.

Jeschke war die Situation unangenehm.

Lorenz trat an seinen Schreibtisch und sah erstaunt, dass die Unterlagen nicht mehr an ihrem Platz lagen.

Louis ging in die Offensive.

»Vater, ich bitte dich, mir deine Pläne und die Kosten offenzulegen.«

Erneut wollte Jeschke das Büro verlassen. Doch der Vater hielt ihn zurück.

»Bleib bitte und höre dir die ängstlichen Argumente deines Bruders an. Vielleicht kannst du ihn beruhigen.«

Louis fuhr Jeschke an: »Ja, vielleicht können Sie mir erklären, Herr Jeschke, warum noch das Nachbargrundstück gekauft und bebaut werden soll.«

Jeschke antwortete zögernd. »Wir haben eine mögliche Auslastung des Hauses gegen das Darlehen gestellt und sind uns sicher, dass wir mit einem Drittel mehr Zimmern die Außenstände zufriedenstellend tilgen können.«

»Da sind Sie sich sicher«, attackierte ihn Louis ironisch. »Als Berater meines Vaters können Sie sich in allem Möglichen sicher sein. Aber haben Sie mal gerechnet? – Der Bau am Pariser Platz verschlingt Millionen.«

Ruhig fiel ihm der Vater ins Wort. »Und wir werden damit Millionen verdienen.«

»Die Zimmerpreise wird kein Mensch bezahlen können und wollen, Vater. Du treibst die Gäste in die Arme der Konkurrenz.«

»Im Gegensatz zur Konkurrenz beschäftige ich mich mit den Bedürfnissen meiner Gäste.« Lorenz wurde ärgerlich.

Doch Louis ließ nicht locker. »Ich habe mir die Zahlen der Berliner Hotels angeschaut. Niemand macht nennenswerte Gewinne. Die Leute wollen übernachten, und das so billig wie möglich.«

»Im Adlon wird man nicht übernachten. Im Adlon wird man leben«, donnerte Lorenz. »Es kostet, was es kostet!«

Es herrschte Stille. Louis nahm seine Sachen. An der Tür drehte er sich um.

»Vater, das sind Fantasien. Fantasien!«, wiederholte er verzweifelt. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

Lorenz griff nach der Mappe mit den Bauzeichnungen.

»Machen wir uns an die Arbeit«, sagte er zu Jeschke. Der zögerte, wollte etwas einwenden. Doch dann unterließ er es, zog sich einen Stuhl an den Schreibtisch und begann, die Blätter auszulegen.

Lorenz beobachtete ihn berührt. Er liebte diesen jungen Mann. Und hätte er es sich aussuchen können, hätte er Lorenz Jeschke zu seinem Erben erklärt. Doch genau das konnte er nicht. Die Gesetze und die Konventionen verboten es ihm. Die Beziehung zu Jeschkes Mutter war kurz gewesen in einer Zeit, als Adlon alle Hände voll zu tun hatte, seine Geschäftsideen zum Erblühen zu bringen. Vom gemeinsamen Sohn, den sie nach ihm benannt hatte, erfuhr er erst, als der Kleine bereits einige Monate alt war. Da war Lorenz Adlon schon mit seiner zweiten Frau verheiratet. Es war Ehrensache, dass er die Verantwortung übernahm.

»Ich habe deiner Mutter versprochen, dass es dir an nichts fehlen wird.«

Jeschke nickte. Er wusste, dass er sich auf seinen Vater verlassen konnte, so wie der sich auch auf ihn verlassen konnte.

Das Adlon

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