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Überlichtantrieb

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Das war der letzte Check. Alles war in Ordnung. Die riesige Menge Sensoren funktionierten einwandfrei. Noch nie war ein Raumschiff mit Messfühlern und Kontrollgeräten so vollgestopft wie die Explorer. Eigentlich war das Schiff eine alte Kiste. Ein Fünfzig-Meter-Ernte-Raumschiff der ersten Generation. Zumindest rein äußerlich. Aber die Umbauten waren gewaltig. Zum Ernten war das Schiff nicht mehr zu gebrauchen. Brauchte man auch nicht, es gab jetzt Modernere und Größere.

Im Innern erkannte man es kaum wieder. Nicht nur der ehemalige Frachtraum war vollgestopft mit Aggregaten. Jeder freie Raum wurde für die neuen Maschinen genutzt. Sogar das Lebenserhaltungssystem wurde so reduziert, dass es nur noch für eine Person reicht. Dabei lebten einmal bis zu fünfzehn Menschen für Jahre hier. Aber für die gab es sowieso keinen Platz mehr. Die Steuerzentrale enthielt so viel Monitore und Aufzeichnungsgeräte, dass man die ehemaligen Steuerpulte kaum noch erkannte. Nur einen Leitstand hatte man großzügig ausgestattet. Hier kamen alle Informationen zusammen. Mehrere der leistungsfähigsten Computer sorgten dafür, dass die aus dem ganzen Schiff und dessen Umgebung eintreffenden Daten sortiert und der Wichtigkeit entsprechend dem Piloten angezeigt wurden. Hierzu diente ein überdimensionaler Bildschirm, der um den Pilotensitz herum einen Halbkreis bildete.

Dies war der Arbeitsplatz von Husani Nelson Mandela, einer der Top-Piloten Gäas. Das hatte er jetzt sogar schriftlich. Er wurde aus mindestens hundert Bewerbern für dieses Projekt ausgewählt. Dafür waren nicht nur seine hervorragenden Qualifikationen als Raumschiffpilot ausschlaggebend. Die konnten die anderen Kandidaten genauso vorweisen. Was Mandela auszeichnete, waren seine Charaktereigenschaften. Natürlich war er als Pilot ebenso ein mutiger Draufgänger. Aber nie verließ ihn sein Verantwortungsbewusstsein. Immer wusste er genau, wo die Grenzen lagen. Niemals hätte er eine Person oder auch nur ein Gerät, das ihm anvertraut wurde, in Gefahr gebracht. Darauf war er besonders stolz. Er behauptete immer, Verantwortung und soziale Kompetenz lägen in seinen Genen. Immerhin war er ein direkter Nachkomme von Nelson Mandela, worauf sein zweiter Vorname hinwies. Darauf legte er großen Wert und das erzählte er jedem, ob er es hören wollte, oder auch nicht.

Hier saß er nun, voll konzentriert und wartete auf das letzte O. K. von der Erde. Bis er den Startbefehl erhielt, würde es noch eine Weile dauern. Schließlich war er etwa eine halbe Lichtstunde von seinem Heimatplaneten entfernt. Für das große Experiment hatte er die Explorer aus der Ebene der Planetenbahnen in Richtung Polarstern herausgeflogen.

Eigentlich gab es kein konkretes Ziel. Er suchte nur eine Stelle im Raum, die möglichst von Meteoriten frei war. Für das was er vor hatte, war eine Begegnung mit einem Gesteinsbrocken das Letzte, was er brauchte. Einen ganzen Tag hatte er mit den Scannern des Schiffes die Umgebung abgesucht. Jetzt war er sicher, dass sich kein Hindernis im Umkreis befand, das näher war als die Reichweite seiner Ortungsgeräte. Alle Daten hatte er gerade zur Erde gefunkt, nun blieb ihm eine ganze Stunde, bis die Antwort kam. Entspannt lehnte er sich zurück und ließ die Gedanken schweifen. Er dachte an den Umbau des Schiffes, an dem auch er beteiligt war und an die Aufgabe, die jetzt auf ihn wartete.

Einen Transmitter hatte man in das Schiff eingebaut. Aber keinen Gewöhnlichen. Normalerweise dienten diese Maschinen zum zeitlosen Transport von Personen und Waren über große Entfernungen. Die Arbeitsweise eines solchen Gerätes war das Komplizierteste, was es auf der Erde gab. Menschen begriffen die Wirkungsweise nur rudimentär. Ausschließlich Nathan selbst war in der Lage, so etwas zu konstruieren. Verständlich, schließlich funktionierte alles auf dem gleichen Niveau, auf dem auch Nathans Gehirn arbeitete.

Landläufig nannte man es den Hyperraum. Eine für Menschen nicht erreichbare Dimension, die auch auf geistiger Ebene kaum erfassbar war. Die menschlichen Gehirne waren einfach nicht dafür ausgelegt, fünfdimensionale Begriffe zu verarbeiten. Nathan benutzte zur Erklärung der Wirkungsweise immer Metaphern: „Alle Materie ist auf Quantenebene, in sogenannten Quantenschaum, energetisch gekoppelt. Um etwas von A nach B zu transportieren, werden mit dem Transmitter die beiden betreffenden 'Blasen' A und B des Schaums so miteinander verbunden, dass sie sich berühren. Weil es in dieser fünften Dimension weder Zeit, Raum noch Entfernungen gibt, ist alles nur eine Frage der Energie,“ Behauptete jedenfalls Nathan.

Der Transmitter der Explorer war aber noch außergewöhnlicher. Er sollte ja auch etwas Besonderes transportieren – nämlich die Explorer selbst. Wenn es funktionierte, wäre das Schiff das erste Objekt, das sich schneller als das Licht bewegt, sieht man von den kurzen Transmittersprüngen auf der Erde einmal ab. Um bei den Metaphern Nathans zu bleiben, die Explorer würde sich an den eigenen Haaren aus dem Quantenschaum herausziehen. Mit unbemannten Sonden hatte man das Prinzip schon erfolgreich getestet.

Man baute sozusagen einen Tunnel durch den Hyperraum, durch den das Schiff dann mit seinem ganz normalen Antrieb flöge. Die Wissenschaftler nannten das ein 'Wurmloch'. Das war auch die Bezeichnung für natürliche Raumkrümmungen mit ähnlicher Wirkungsweise. Solche hatte man zwar noch nie entdeckt, jedoch mathematisch die Möglichkeit der Existenz nachgewiesen. Eigentlich war das Prinzip einfach. Der Transmitter baut einen Tunnel auf. Erkennbar war aber nur ein Tor. Flog man hindurch, war man sofort am Ziel. Man musste nur eine Steuerung benutzen, die das Tunnelende an den gewünschten Ort brachte. Der Rest wäre, wie Nathan zu sagen pflegte, „nur eine Sache der Energie.“

Leider ergaben sich in der Praxis doch einige Schwierigkeiten. Das größte Problem war, dass niemand vorhersagen konnte, ob sich im Bereich des Austrittspunktes Objekte befanden. Schlimmer noch, mit welcher Geschwindigkeit diese sich bewegten. Selbst mit den starken Schutzschirmen der Gäa-Schiffe wäre es unangenehm, direkt auf einen Planeten oder auch nur einen kleinen Asteroiden zu treffen. Dafür hatte man sich besondere Sicherheitsmaßnahmen ausgedacht. Der Tunnel wurde seitlich vom Raumschiff aufgebaut. Dadurch trafen Objekte, die sich zufällig auf Kollisionskurs mit dem Austrittspunkt befanden, nicht das Schiff, falls sie durch das Tor gelangten. Vor jedem Sprung wurde eine Erkundungssonde vorgeschickt. Erst wenn am anderen Ende keine Gefahr bestand, sprang das Schiff. Eine weitere Sonde blieb so lange zurück und hielt mit ihrem Kraftfeld den Tunnel offen, bis der Sprung sicher vollzogen war. Nachdem auch die letzte Sonde durch das Tor gesprungen war, fiel die Verbindung in sich zusammen. Das war zwar ein erheblicher Aufwand, doch dafür kam man so bis zu einem Lichtjahr weit. Bei größeren Entfernungen würde die Ansteuerung des Austrittspunktes zu ungenau.

Es war so weit. Nathan hatte grünes Licht für den ersten Sprung gegeben. Mandela arbeitete die Startprozedur wie ein Uhrwerk ab. Zuerst kam das Ausrichten des Austrittspunktes, dann der Aufbau des Tunnels. Alles lief perfekt. In einem Sicherheitsabstand von zehn Kilometern erschien ein schwach leuchtender Kranz mit einem Durchmesser von fünfhundert Metern. Mehr war von dem Tor nicht zu erkennen. Sah man durch das Tor hindurch, erkannte man auf der anderen Seite den Weltraum so, wie er am Zielort zu sehen war. Die Erkundungssonde startete, trat durch das Tor und funkte zurück. Alles in Ordnung. Jetzt bewegte sich auch die Explorer auf den Tunnel zu. Vorher setzte Mandela noch zwei Funksprüche ab. Einen zur Erde und einen speziell für Testzwecke in Richtung seines Ziels.

Der Übergang war zeitlos und auch sonst nicht zu spüren. Nur die Sternenkonstellation veränderte sich geringfügig. Nun wurde die Schlusssonde eingeholt. Mandela hatte die Explorer um fünf Lichtminuten versetzt. Das zeigten auch die Navigationsgeräte an Hand der Sternverschiebungen an. Dann kam es zu einem Novum. Aus dem Funklautsprecher hörte man eine Stimme. „Hier spricht Husani Mandela, ich sende Grüße aus der Vergangenheit.“ Das war der endgültige Beweis, er hatte seinen eigenen Funkspruch überholt. Er sprang jubelnd vom Sitz hoch. „Geschafft!“ Am liebsten wäre er jetzt durch das ganze Schiff getanzt, doch dafür war es zu eng. „Gefeiert wird, wenn ich wieder zu Hause bin. Zurück zur Arbeit!“

Nun hieß es, die Daten der Sensoren sammeln und als Bericht zur Erde zu senden. Für den zweiten Sprung wartete er keinen Startbefehl mehr ab. „Noch mal das Ganze.“ Wieder versetzte er sich fünf Lichtminuten weiter. Alles funktionierte einwandfrei. Nur seinen Funkspruch hatte er verpasst, die Vorbereitungszeit war zu lange. Dann wendete er und macht sich auf den Rückweg. Diesmal sprang er die zehn Lichtminuten auf einmal.

Allmählich wurde alles zur Routine. Mandela wusste, dass dies ein gefährlicher Moment war. Hier fing bei Experimenten, frei nach Murphys Gesetz, meist die Schlampigkeit an. Aber nicht bei ihm. Gewissenhaft bereitete er den Sprung vor. In solchen Situationen zeigte sich seine Zuverlässigkeit. Er ließ sich von keiner Euphorie ablenken.

Ohne Zwischenfall erreicht er wieder den Ausgangspunkt. Bis alle Routinearbeiten abgearbeitet waren, traf auch die Botschaft von Nathan ein. Er beglückwünschte Mandela und gab ihm die Erlaubnis für größere Sprünge, er sollte nur innerhalb des Sonnensystems bleiben.

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Sogleich machte er sich daran, einen Kurs an den Rand des Systems zu programmieren. Ein einziger Sprung sollte ihn bis hinter die Umlaufbahn Neptuns, an den Rand des Kuipergürtels, bringen. Das waren knappe sechs Lichtstunden. Endlich eine Entfernung, die des Antriebs würdig war. Sorgfältig bereitete er alles vor.

Diesmal zeigte sich die Nützlichkeit der Sicherheitsmaßnahmen. Kaum hatte sich das Tor aufgebaut, flog schon ein kleiner Gesteinsbrocken heraus. In dieser Größe würde er zwar keine Bedrohung für das Schiff darstellen, doch hätte es auch ein dickerer Brocken sein können. „Ein Zufall wie zehnmal den Hauptgewinn in einer Lotterie hintereinander“, bemerkte Mandela.

Er schaltete den Materieauflöser ein und zerstörte den Irrläufer. „Der hatte zwar kaum einen Meter im Durchmesser, aber sicher ist sicher. Wir wollen hier ja keine unkontrollierten Kometen basteln.“ Dann schickte er die Erkundungssonde los. Diesmal sendete sie ein Gefahrensignal, allerdings nicht besonders dringlich. „Ich bin wohl etwas zu dicht am Kuipergürtel.“ Es gab ein Objekt, einen Meteoriten am Rand des Erfassungsbereichs. Mandela schätzte die Gefahr ab, die davon ausging. Er stellte fest, dass die Entfernung ausreichend groß war. Die Zeit bis zur Kollisionsgefahr reichte problemlos aus, um einen Ausweichkurs zu fliegen, sobald er dort war. Mandela sprang, sechs Lichtstunden weit. Sekunden später flog er am Rand des bekannten Sonnensystems. Die Bildschirme zeigten ihm eine kleine, blass leuchtende Sonne. Sie unterschied sich kaum noch von den Hintergrundsternen. Mandela beeindruckte das nicht mehr. Hier war er schon einmal mit einem Forschungsteam, aber damals hatte die Reise ein ganzes Jahr gedauert.

Als Erstes führte er einen System-Check durch. Alle Systeme arbeiteten einwandfrei. Nur der Kollisionsalarm fing leise an zu piepsen. Es wurde Zeit für ein Ausweichmanöver. Das konnte er jetzt in Ruhe einleiten. Später hätte er vielleicht hektischer reagieren müssen. „Also erst mal um diesen Brocken fliegen.“ Er gab einen neuen Kurs ein und ließ die Automatik den entsprechenden Schub des Gravitationsantriebes steuern.

Plötzlich brach die Hölle los. Der Raum dröhnte von den vielen Alarmgeräuschen. Genauso konfus sah sein Bildschirm aus. Es schien nichts mehr zu funktionieren. Er verlor langsam den Überblick. Es blieb ihm nur übrig, erst mal die etwas unwichtigen Störungsmeldungen wegzuklicken. Dann kam er der Ursache näher.

Der Gravitationsantrieb war ausgefallen. Das war vollkommen unverständlich für ihn, gerade funktionierte er noch, schließlich flog er damit durch den Tunnel. Er probierte es mit der manuellen Steuerung. Wieder nichts. Bis zum Anschlag schob er den Hebel nach vorne. Dann bemerkte er doch etwas. Das Schiff bewegte sich, aber nur ganz langsam. Die Steuerdüsen erzielten eine stärkere Beschleunigung als der Hauptantrieb. Schwerfällig, viel zu langsam, änderte die Explorer ihren Kurs. Sie verhielt sich wie ein beladener Lastenkahn, den man nur mit ein paar Paddeln versuchte, zu bewegen. Mandela brauchte eine halbe Stunde, um den Kurs so zu ändern, dass er nicht mehr auf Kollisionskurs mit dem Gesteinsbrocken war. Die akute Gefahr war vorbei, aber in diesem Zustand war die Rückreise nicht mehr möglich. Dummerweise hatte das Schiff keine Schubtriebwerke, die nach dem Rückstoßprinzip arbeiteten. Die mussten aus Platzgründen weichen. Nur noch die kleinen Korrekturtriebwerke waren vorhanden.

Jetzt fiel es ihm wieder ein. Das Phänomen kannte er doch! Es lag nicht am Schiff. Wie konnt er so dumm sein! Der Gravitationsantrieb funktionierte auf Anziehung oder Abstoßung. Der Antrieb bildete einen Gegenpol zur herrschenden Gravitation. Aber hier draußen war die Anziehungskraft der Sonne extrem gering und Planeten gab es in der Nähe auch keine. Es fehlte der Gegenpol, an dem sich der Antrieb abstieß.

Die Ursache war erkannt, aber so kam er nicht nach Hause. Schlimmer noch, das Schiff flog mit der Geschwindigkeit, mit der er aus dem Tunnel kam, von der Sonne weg. Er trieb immer weiter in den Kuipergürtel hinein. Glücklicherweise befand er sich außerhalb der Planetenebene. Dort war auch die Dichte der KBO’s, der 'Kuiper Belt Objects', sehr gering, jedoch nicht vernachlässigbar. Die nächste Annäherung war nur eine Frage der Zeit. Noch einmal versuchte er, mit dem Hauptantrieb abzubremsen. Aber selbst bei voller Leistung war die Wirkung nicht größer, als ob man sich gegen einen rollenden Zug stemmen würde. Auf diese Art dauerte das Bremsmanöver Jahre.

Im Grunde sorgte er sich nicht um seine Person. Er fühlte sich im Schiff relativ sicher. Die Lebenserhaltungssysteme und Nahrungsversorgung reichten, dank der Kreislaufsysteme, nahezu unbegrenzt lange. Viel mehr befürchtete er das Scheitern des Projektes. Da hatte man einen perfekten Überlichtantrieb gebaut, der schon beim ersten Mal optimal funktionierte, und dann scheitert alles an einem dummen Denkfehler! Bei den herkömmlichen Schiffen waren die beiden Antriebe miteinander gekoppelt. Wurde der eine schwächer, setzte automatisch der andere ein. Eine folgenschwere Automation. Weil sich der Pilot nicht darum kümmern musste, machte er sich darüber auch keine Gedanken.

Nach den Ergebnissen seiner Ortungssysteme war er im Moment außer Gefahr. Es war kein Objekt in bedrohlicher Nähe. Er konnte sich also Tage Zeit lassen, um nach einer Lösung zu suchen. Zuerst verfasste er einen Bericht mit allen Daten, den er zur Erde schickte. Vielleicht fand er eine Möglichkeit, bevor von Nathan eine Antwort kam. Das würde sowieso über zwölf Stunden dauern.

Mandela unterbrach erst mal seine Arbeit um zu essen und etwas Körperpflege zu betreiben. Die leichte Kombination, die er trug, war vollkommen durchgeschwitzt. Er ließ sich sogar Zeit für eine Dusche. Schließlich wusste er nicht, wann er noch mal Gelegenheit dazu bekam. Frisch gestärkt machte er sich wieder ans Werk. Er sammelte alle Informationen, die ihm über die Ressourcen des Schiffes zur Verfügung standen. Nein, einen provisorischen Antrieb zu bauen war nicht möglich. Dummerweise waren sämtliche Geräte, die vielleicht weiter halfen, aus Platzgründen ausgebaut worden. Er musste nach einer anderen Lösung suchen.

„Also gut! Was kann ich mit dem Vorhandenen vollbringen? Besser gesagt, was ist brauchbar und hilft mir weiter?“ Er prüfte alle Antriebseinrichtungen durch. Der Hauptantrieb war vernachlässigbar, die Steuertriebwerke auch zu schwach. Dafür funktionierte der Überlichtantrieb einwandfrei, nur konnte er nicht durch den Tunnel fliegen. Er brauchte eine Energie, die ihn zu dem seitlich vom Schiff aufgebauten Tor brachte. Die Antriebskräfte, die ihm jetzt zur Verfügung standen, reichten nicht aus. Außerdem flog er ja noch in entgegengesetzter Richtung.

„Ich könnte versuchen, die Sicherheitseinrichtung zu manipulieren. Wenn mir das gelänge, wäre es ein Leichtes, den Tunnel direkt vor dem Schiff aufzubauen. Mit der Flugrichtung befasse ich mich später. Vielleicht schaffe ich ein Swing-By-Manöver, wenn ich einem richtig großen Brocken begegne. Das kann dauern, ungeduldig darf ich jetzt nicht werden. Also los, her mit den Handbüchern!“

Erstaunlich schnell fand er, was er suchte. Alles war gut beschrieben, nur die Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen, war sehr knifflig. Aber nach sechs Stunden Lesen und Programmieren hatte er es geschafft. Probeweise ließ er einen Tunnel aufbauen. Jetzt war es ihm möglich, das Tor zu bewegen. Aus einer Entfernung von zehn Kilometern, der normalen Sicherheitsentfernung, zog er es mit der manuellen Steuerung zu sich her und setzte es vor das Schiff. Das klappte also. „Nun noch die Funktion der Sonden blockieren, die funktionieren ja auch nicht richtig hier draußen. Das ist jetzt eine Kleinigkeit. Wenn ich je nach Hause komme, werde ich mit Nathan reden. Was ich hier improvisiere, muss man unbedingt als Funktion in die Steuerung integrieren.“

Der Überlichtantrieb funktionierte also. Zwar ohne die Sicherheit der Sonden, aber immerhin. Nur die Richtung konnte er nicht bestimmen. Jetzt galt es, etwas zu finden, das ihn zumindest abbremste. Irgendwann würde er dann wieder zurück ins Sonnensystem fallen. Ein klein wenig Schwerkraft war ja noch vorhanden. Er suchte den Raum vor sich nach großen Objekten ab. „Typisch, wenn man so einen Brocken braucht, ist keiner da!“

Jetzt war er zur Untätigkeit verdammt. Mehr konnte er nicht tun. Ihm blieb nur noch das Abwarten. Aber das war nicht so einfach. Schon nach einer Stunde wurde er unruhig und fing an, die Handbücher von Neuem zu durchsuchen. Seine ganze sprichwörtliche Gelassenheit war dahin.

Wie ein eingesperrter Tiger steifte er zwischen den Aggregaten hin und her. Immer in der Hoffnung, beim Anblick der Geräte auf eine Idee zu stoßen. Nach ein paar Stunden stand er kurz vor einer Panikattacke. „Unmöglich, jetzt sitze ich noch nicht mal einen halben Tag hier fest und fühle mich schon so beschissen! Dabei muss ich damit rechnen, Monate oder sogar Jahre hier zu verbringen. Ich glaube, das halte ich nicht aus!“ Noch nie hatte er eine solche Erfahrung über seine Psyche gemacht. Immer war er der Aktive, immer hatte er alles unter Kontrolle. Diese Hilflosigkeit war ein ganz neues Gefühl für ihn. Er wusste schon nicht mehr, wie lange er hier in Selbstmitleid schwelgte, als ihn ein Signal aus der Lethargie riss. Ein Funkspruch von Nathan. Sofort machte er einen Teil seines Bildschirms frei und begann zu lesen.

„Oh nein! Das darf doch nicht wahr sein! Was bin ich für ein Vollidiot! Das hätte mir nicht passieren dürfen. Kann man sich denn noch dummer dran stellen? Ich habe wirklich den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen.“

Er meldete sich über Funk bei Nathan. „Hier spricht Mandela, nach einem letzten Kurzsprung stehe ich jetzt fünf Lichtsekunden vor der Erde. Alle Systeme funktionieren einwandfrei. Auch der Gravitationsantrieb zeigt keinerlei Mängel. Ich fliege direkt zum Heimathafen der Explorer auf Madagaskar. Die Erprobung des Überlichtantriebes war ein voller Erfolg. Ein ausführlicher Bericht und meine Verbesserungsvorschläge schicke ich dir, wenn ich angekommen bin.“

Nathan erkannte die etwas kleinlauten Nuancen in Mandelas Ausdrucksweise. Wäre er ein Mensch, hätte er jetzt gegrinst. Mandela war das Erlebnis im Kuipergürtel echt peinlich. Aber es zeigte mal wieder, dass das menschliche Gehirn große Probleme damit hat, fünfdimensionale Zusammenhänge zu erkennen. Für die Zukunft müssen hier Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Auch sprach er sich einen kleinen Teil der Schuld an der Krise selbst zu. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Mandela so weit hinausspringen würde. Er hätte ihn warnen sollen. Aber glücklicherweise ist noch einmal alles gut gegangen.

Mandela programmierte den Landeanflug, dann hatte er mal wieder eine große Pause. Das Schiff würde den Rest des Weges entlang des Leitstrahls selbstständig zurücklegen. Auf Kontrollen konnte er verzichten. Es funktionierte wieder alles einwandfrei hier in der Nähe der Erde und der Sonne. Er lehnte sich zurück und ließ die Ereignisse noch mal Revue passieren. Die Nachricht Nathans hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet, zumindest Jahre davon. Auf diese einfache Lösung wäre er wohl kaum selbst gekommen. Der Inhalt der Nachricht war eigentlich ganz kurz. Zuerst schlug Nathan das vor, was Mandela schon selbst herausgefunden hatte. Die Sicherheitseinrichtung abschalten und den Tunnel direkt vor das Schiff setzen. Als er damals weiter las, traute er seinen Augen nicht. Er dachte, Nathan hätte den Verstand verloren, oder ein Stück der Nachricht fehlte. Er sollte einfach die Koordinaten eingeben, wohin er springen wolle. Eine Zeit lang grübelte er über diesen Vorschlag, bis ihm die Einsicht kam.

Der Tunnel existierte nicht in unserem Raum, er war Bestandteil des Hyperraums. Und dort gab es weder oben oder unten, noch vorne oder hinten! Es war beim Tunnelaufbau vollkommen egal, in welche Richtung sich das Schiff bewegte. Der Sprung würde die Flugrichtung kompensieren. Nur die Anfangsgeschwindigkeit blieb erhalten. Mandela brauchte nur die gewünschten Koordinaten für das Ziel einzugeben, ganz gleich, ob sie in Flugrichtung oder entgegengesetzt lagen. Diese Lehre in fünfdimensionaler Denkweise würde Mandela so schnell nicht vergessen.

„Jetzt kommt wieder der anstrengende Alltag auf mich zu. Die Auswertung aller Daten. Dann muss die ganze Maschine wesentlich verkleinert werden. Es nützt wohl nichts, wenn nur eine Person solche Spaziergänge vollführen kann. Da soll Sampi noch mal antreten, er hatte immer die besten Ideen, um Verbesserungen umzusetzen.“

Der Regent II

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