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Die Schlacht von Ichi-no-Tani

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Nachdem Yoshitsune Kyôto eingenommen hatte, empfing ihn Go-Shirakawa und beherbergte ihn im kaiserlichen Palast. Doch er blieb nur wenige Tage in der Hauptstadt. Yoritomo beauftragte ihn, die verbliebenen Taira-Truppen aus ihren zahlreichen befestigten Schlupfwinkeln an der Küste der Inlandsee zu vertreiben. Diese Festungen galten als uneinnehmbar, und die Taira waren zudem hervorragende Seefahrer. Wer anders als der ungestüme Yoshitsune hätte mit solch einer schwierigen Aufgabe betraut werden sollen?

Die erste Schlacht fand bei Ichi-no-Tani statt, einer von den Taira errichteten Verschanzung, die sich auf einem schmalen Küstenstreifen unterhalb einer schroffen Felswand befand. Nach Süden hin, zum Meer, war das Lager der Taira weit offen. Hier ankerte ihre Flotte. Die Felswand im Norden hinauf führte ein in Serpentinen verlaufender Pfad, der so steil war, daß selbst die behenden Affen ihn mieden. Die üblichen Belagerungsmethoden konnten für diese Seefestung somit nicht angewendet werden.

Yoshitsune befahl seinem Bruder Noriyori, den Gegner aus Richtung Osten kommend an der Küste anzugreifen. Er selbst begab sich in weitem Bogen mit seinen Kriegern auf dem Landweg nach Westen, um so die Festung der Taira in die Zange zu nehmen. Siebentausend seiner Leute setzten den Marsch fort, während Yoshitsune das direkte Kommando über dreitausend von ihnen übernahm, mit denen er den Angriff auf Ichi-no-Tani von hinten, also von Norden aus, wagen wollte. Mitten in der Nacht begab er sich mit diesen in die Berge, weit hinter das Angriffsziel. Eile war geboten, denn der konzertierte Angriff sollte zu Tagesanbruch stattfinden. Im Fackelschein wanderten sie durchs Gebirge, und schließlich standen sie oben auf der Felswand und blickten hinab auf das Lager der schlafenden Taira. Sobald der erste Sonnenstrahl am Horizont sichtbar wurde, drang Kriegsgeschrei aus dem Wald von Ikuta. Noriyori hatte seinen Angriff aus dem Osten begonnen. Yoshitsune beschloß, seinen aberwitzigen Plan in die Tat umzusetzen. Er ließ zwei reiterlose Pferde auf den Pfad, der am Hiyodori-Paß begann, treiben und beobachtete ihren langsamen Abstieg. Als die Tiere unten angelangt waren, gab er den zweihundert besten unter seinen Reitern den Befehl, ihnen zu folgen. Zum Erstaunen seiner Leute wagte er selbst als erster den Weg in den Abgrund, gefolgt vom treuen Benkei. Sein kleiner, sorgfältig ausgewählter Samuraitrupp folgte ihm unverzüglich. Sie ritten so dicht hintereinander, daß immer wieder Geräusche von aufeinandertreffenden Rüstungen und Waffen zu vernehmen waren. Als sie den halben Abstieg hinter sich gebracht hatten, trieben die Samurai, ermutigt durch die Entschlossenheit ihres Anführers, ihre Pferde an und begannen Kampfschreie auszustoßen. Im Lager der Taira, die sich von drei Seiten angegriffen sahen, brach heillose Panik aus. Die waghalsigen Männer Yoshitsunes legten, sobald sie das Lager erreicht hatten, Feuer. Angefacht durch einen kräftigen Westwind breitete es sich rasch in Richtung Meeresküste aus, so daß die Taira fürchteten, daß die Flammen auf ihre Flotte übergreifen könnten. In vollkommener Auflösung flohen die Überlebenden der Schlacht zu ihren Schiffen, um dort Schutz zu suchen. Ihre Stellung auf dem Festland war verloren.

Viele Samuraigeschichten haben ihren Ursprung in dieser Schlacht. Die ergreifendste davon ist jene über den Tod des jungen Samurai Taira-no-Atsumori. Im Lager der Taira herrschte bereits Panik. Wiehernd und in wildem Galopp versuchten die vor Angst kopflosen Pferde, mit oder ohne Reiter, dem Schlachtenlärm, dem Rauch und dem Feuer in Richtung des Meeres zu entkommen. Die letzten Verteidiger von Ichi-no-Tani zerstreuten sich gleich Spinnenkindern, deren schützender Kokon zerrissen war. Kumagai-no-Naozane, ein Yoshitsune nahestehender Samurai, zügelte sein Pferd und musterte die Szenerie mit ruhigem Blick. Er hatte in der Schlacht bereits viele Gegner mit dem Schwert erschlagen, und das sashimono35 mit dem mon36 der Minamoto, das der Wind flatternd gegen seinen Rücken schlug, war blutgetränkt. In leichtem Trab ritt er mit seinem Fuchs den Strand entlang, in der Hoffnung, den Tag mit einem wertvollen Fang beschließen zu können. Da erblickte er einen gegnerischen Reiter, dessen Ausrüstung schön gearbeitet war. Kein Zweifel, es mußte sich um einen Anführer der Taira handeln. Dieser hatte sein Schlachtroß bereits ins Wasser getrieben, um mit ihm eines der in der Bucht ankernden Schiffe zu erreichen. Kumagai galoppierte unverzüglich in seine Richtung. Sobald er in Rufweite des Flüchtenden gekommen war, rief er: »He, du da unten! Komm zurück, wenn du kein Feigling bist! Wage es, um dein Leben zu kämpfen!«

Der Taira-Reiter wendete unverzüglich sein Pferd und kam zum Ufer zurück. Wie er aus den Wogen auftauchte, zeigte sich eine schlanke Silhouette, gehüllt in eine violette Rüstung, die mit schwarzem Leder geschnürt war und in der sich Lichtreflexe spiegelten. Auf seinem Rücken, hinter dem Helm mit dem roten Pfeilschutz, der auf seine Schultern fiel, trug er einen Bogen und Pfeile mit schwarzen Federn. Zweifelsohne ein Glücksgriff, sagte sich Kumagai. Dennoch, als er den langsam näherkommenden Gegner genauer musterte, beschlich ihn ein ungutes Gefühl, dessen Ursache ihm unklar war. Als der Reiter das Festland erreicht hatte, sprang er von seinem Pferd, legte seinen Köcher ab und zog sein Schwert. Auch Kumagai ließ sich rasch aus dem Sattel gleiten und kreuzte unverzüglich mit dem Gegner die Klinge. Schließlich rollten sie aneinandergeklammert im Sand, wobei Kumagai schnell die Oberhand gewann. Sein Gegner lag reglos unter seinem schweren Körper, und Kumagai nahm ihm den Helm ab, um ihm den Kopf abzutrennen. Unverhofft blickte er in das ruhige Antlitz eines Jünglings von 16 Jahren. Er dachte an seinen eigenen Sohn, der das gleiche Alter hatte und auch an der Schlacht teilgenommen hatte. »Dein Name«, sagte er, »nenn mir deinen Namen, und ich verschone dich.«

»Das spielt keine Rolle. Aber wisse, daß ich kein unwürdiger Gegner für dich bin. Nimm meinen Kopf und zeige ihn den Minamoto. Es wird welche geben, die mich erkennen werden.«

Verwirrt zögerte Kumagai. Doch um sie herum wimmelte es von Minamoto-Rittern, und wenn er den jungen Taira nicht tötete, würde es einer von ihnen tun. Er faßte einen Entschluß. »Wenn du schon sterben mußt, so soll es von meiner Hand geschehen. Ich werde dafür sorgen, daß für dich gebetet wird, damit du mit einem besseren Karma wiedergeboren wirst.«

»Dann laß es geschehen.«

Ein trüber Schleier legte sich für einen Moment vor die Augen Kumagais, als er sein Schwert mit zitternder Hand hob. Er mußte all die Selbstbeherrschung eines alten Kriegers aufbringen, um sich zu zwingen, die Klinge auf das Genick des Jünglings herabfallen zu lassen. Dieser starb, ohne auch nur die leiseste Geste zu seiner Verteidigung gemacht zu haben.

Als er das abgetrennte Haupt in ein Stück Tuch wickelte, entdeckte er eine Flöte, die im Gürtel des Enthaupteten steckte. Und Kumagai brach in Tränen aus. Dieser Jüngling war es also gewesen, der in der Nacht vor der Schlacht auf so wunderbare Weise Flöte gespielt hatte. Er erinnerte sich an die leichten Töne, die aus dem schlafenden Lager aufgestiegen waren und die ihn einen Moment lang in Träumerei versetzt hatten. Kumagai Naozane verfluchte sich dafür, den Jüngling herausgefordert zu haben, wo er doch bereits auf dem besten Wege gewesen war, das rettende Schiff zu erreichen.

Es war niemand anders als Yoshitsune, der ihm den Namen seines jungen Opfers nennen konnte. »Das ist Atsumori, ein Enkel von Taira Tadamori.« Und gedankenverloren streichelte Yoshitsune die Flöte, von der er wußte, daß sie direkt vom ehemaligen Kaiser Toba stammte, und er erinnerte sich an seine eigene Kindheit auf dem Berg Kurama.

Von diesem Tag an war Kumagai Naozane ein anderer Mensch. Er trug Trauerkleidung für Taira Atsumori. Schließlich wurde er unter dem Namen Rensho Mönch, um den Weg des Friedens zu suchen.

Die Schlacht von Ichi-no-Tani endete für die Taira in einem Desaster. Einer der Söhne von Kiyomori, Taira Tomomori, derselbe, der 1180 in der Schlacht am Fluß Uji über Minamoto Yorimasa den Sieg errungen hatte, war der Oberbefehlshaber der Stellung gewesen. Seine Bogenschützen hatten so lange wie möglich dem direkten Angriff der Truppen von Noriyori standgehalten, mußten sich aber schließlich auch auf die Schiffe zurückziehen. Tomomori war der letzte der Taira, der das Festland verließ. Es gelang ihm nicht, sein Pferd mit aufs Schiff zu nehmen. Aber anstatt den prächtigen Hengst zu töten, damit er dem Feind nicht in die Hände fiele, ließ er ihn zum Strand zurückkehren. Die Minamoto brachten das Tier in die kaiserlichen Pferdeställe, denn es war ein Schlachtroß von hohem Wert.

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