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Der Überfall auf Yashima

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Die überlebenden Taira flohen auf die Insel Shikoku. Den Kindkaiser Antoku nahmen sie mit sich. Dies war für die siegreichen Minamoto der einzige Makel der Schlacht von Ichi-no-Tani, aber in den Augen Yoritomos war dies eher nebensächlich. Zunächst ließ er den Feldzug unterbrechen, um die Kräfte seiner Truppen wiederherzustellen. Außerdem trachtete er danach, die für seinen Geschmack allzu brillant begonnene Laufbahn seines Halbbruders so schnell wie möglich enden zu lassen. Er mißgönnte ihm seinen Erfolg.

Yoshitsune hatte bei Ichi-no-Tani bemerkenswertes taktisches Gespür, Kühnheit und ausgeprägtes Entscheidungsvermögen an den Tag gelegt. Er war ein kalkuliertes Wagnis eingegangen und hatte gewonnen. Sein Wagemut gefiel aber nicht allen. Selbst einige seiner Offiziere machten vor Yoritomo keinen Hehl aus ihren Vorbehalten gegenüber Yoshitsune.

Yoritomo war nun das Oberhaupt des wiederhergestellten Klans. Sein Hauptquartier befand sich in Kamakura. Bei aller Eifersucht auf den Erfolg seines jüngeren Bruders konnte er es ihm natürlich nicht zum Vorwurf machen, auf spektakuläre Weise das Lager des Feindes eingenommen zu haben. So zügelte er seinen Groll und beschloß, zunächst einmal nichts gegen die wachsende Popularität Yoshitsunes zu unternehmen, auch wenn diese seinen eigenen Ambitionen zuwiderlief. Man hatte Yoshitsune einen triumphalen Empfang vor den Toren von Kyôto bereitet. Der ehemalige Kaiser Go-Shirakawa verlieh ihm den Titel eines Offiziers der kaiserlichen Polizei, verbunden mit dem Privileg des Zugangs zur Kammer der Höflinge des Kaisers. Das war ganz und gar nicht im Interesse Yoritomos. Dieser wollte seine Macht auf einer neuartigen Hierarchie gründen, deren Titel er allein verlieh. Er fand die Ehre, die der Ex-Kaiser seinem Bruder zuteil werden ließ, übertrieben, und er warf Yoshitsune, der schließlich von geringerer Geburt war als er selbst, vor, die Ehrungen angenommen zu haben, ohne ihn zuvor um seine Meinung dazu gefragt zu haben. Yoshitsune war auf dem besten Wege, zu einer Gefahr für die neue Ordnung, von der Yoritomo träumte, zu werden. In jedem Fall war er ein ernstzunehmender Konkurrent. Denn es war denkbar, daß das Volk und auch die Samurai dem jüngeren Bruder den Vorzug geben könnten, wenn es darum ging, wer die Macht ausüben sollte. Somit war es eher Furcht und nicht, wie häufig behauptet wird, Haß, welche Yoritomos Handlungen gegen den jungen Helden antrieb.

Zunächst beraubte er Yoshitsune der Früchte seines Erfolges im Kampf gegen die Taira, indem er seinen anderen Halbbruder, Noriyori, der sich ihm gegenüber liebedienerischer verhielt, zum Oberbefehlshaber der Minamoto-Truppen ernannte. Zudem nötigte er den darüber verständlicherweise verärgerten Yoshi­tsune, mehrere Monate lang tatenlos in der Hauptstadt zuzubringen. Doch bereits zu Beginn des darauffolgenden Jahres wurden die Feldzüge gegen die Taira wiederaufgenommen, und erneut gelang es Yoshitsune, sich im Kampf mit Ruhm zu bedecken, während Noriyori mit seinen wenig motivierten Truppen kaum Erfolge vorzuweisen hatte. Doch diesmal hatte Yoritomo dafür gesorgt, daß Kajiwara-no-Kagetoki, einer seiner treuesten Gefolgsleute, sich Yoshitsune anschloß, um ihn zu beobachten und über seine Taten Bericht zu erstatten.

Nach ihrer Niederlage bei Ichi-no-Tani hatten die Taira ihr neues Hauptlager in Yashima, auf der Insel Shikoku, eingerichtet. Zwar waren die Taira auf dem Land besiegt worden, aber auf dem Meer hatten sie ihre Vorherrschaft bewahren können. Sie waren keineswegs gewillt, die Macht aufzugeben, und so hatten sie sogar am Fuße des Yashima-Gebirges einen Palast errichtet, wo der 7jährige Antoku residierte, der trotz seiner jungen Jahre noch immer als offizieller Kaiser galt.

Die Aussicht, mit den Taira auf deren Terrain, dem Meer, konfrontiert zu werden, schreckte die Minamoto-Samurai, die sich vor allem als gute Reiter auszeichneten und deren bevorzugtes Gelände die Berge waren. Nichtsdestotrotz wurde an der Küste von Watanabe, auf der Shikoku gegenüberliegenden Seite der Inlandsee, eine Flottille zusammengestellt. Doch es war keineswegs die Absicht Yoshitsunes, den Taira den Vorteil einer offenen Seeschlacht zu verschaffen. Tatsächlich wollte er erneut aus unverhoffter Richtung über den Feind herfallen, um ihn so der Möglichkeit gut organisierter Verteidigung zu berauben.

Die Vorbereitungen für den Angriff führten zu einem heftigen Streit mit Kajiwara Kagetoki, den von Yoritomo eingesetzten Spion. »Ich denke, daß unsere Schiffe mit Rudern ausgerüstet werden sollten«, sagte Kajiwara.

Yoshitsune erwiderte: »Wozu soll das gut sein?«

»Damit unsere Schiffe auch umkehren können.«

Mit schneidender Stimme sagte Yoshitsune: »Umkehren? An dem Tag, an dem Ihr das Kommando übernehmt, könnt Ihr die Schiffe mit so vielen Rudern ausrüsten, wie Ihr wollt. Aber solange ich die Verantwortung trage, weigere ich mich, irgend etwas zu unternehmen, das auch nur die Möglichkeit eines Rückzugs in sich birgt!«

»Wollt Ihr etwa meinen Sachverstand und meine Loyalität in Frage stellen?« schrie Kajiwara, rot im Gesicht vor Scham und Wut. Es fehlte wenig, und die beiden hätten sich geschlagen.

Am 22. März 1185 waren die Vorbereitungen abgeschlossen, und die Flottille stach in See. Sie näherte sich ihrem Ziel in einem weiten Bogen, südlich an der Insel Awaji vorbei, um auf Shikoku in der Provinz Awa zu landen und Yashima auf diese Weise von hinten erreichen zu können.

Die Taira wiegten sich in jener Nacht in Sicherheit, denn es wütete ein Taifun, der eine Landung unmöglich zu machen schien. Doch die Truppen Yo­shi­tsunes gelangten ohne Schwierigkeiten ans Ufer, schwangen sich sogleich auf ihre Pferde und ritten nach Yashima, wo man die Flotte der Minamoto noch immer in Watanabe wähnte. Gleich einem Tsunami stürmten die Krieger das Lager der Taira. Sie setzten die Küstenanlagen in Brand, aber dennoch war es zuvor zahlreichen Taira gelungen, sich auf ihre Schiffe zu flüchten und den jungen Kaiser und seine Mutter mitzunehmen. Die Flotte der Taira blieb jedoch in unmittelbarer Nähe der Küste, und ihre Bogenschützen beschossen die Minamoto-Krieger, die nun die gesamte Küste eingenommen hatten, mit Pfeilen. Auf diese Weise entspann sich eine ebenso ungewöhnliche wie heftige Schlacht zwischen Seefahrern und Kavallerie.

Unter Ausnutzung der Ebbe näherten sich die Minamoto mit ihren Pferden soweit wie möglich den Schiffen. Bis zur Brust trieben sie die Kampfrosse ins Wasser. Yoshitsune kämpfte an vorderster Front. Als die Schlacht am heftigsten tobte, lenkte Noritsune, der als bester Bogenschütze der Taira galt, sein Schiff in Richtung Küste. Er hatte den jungen Anführer der Minamoto und seinen treuen Begleiter Benkei inmitten ihrer tapferen Krieger ausfindig gemacht und war ihnen sehr nahe gekommen. Unbeeindruckt vom Schlachtengetümmel spannte er seinen Bogen und zielte in aller Seelenruhe auf Yoshitsune. Der Samurai Sato Tsuginobu sah dies und schrie, um Yoshitsune zu warnen, aber es war zu spät. Kurzentschlossen warf er sich mit seinem Körper in die Flugbahn des Pfeils. Er starb auf der Stelle. Yoshitsune trauerte sehr um seinen Lebensretter, der bereits zu der Zeit, als er in der Provinz Mutsu weilte, zu seinen Getreuen gezählt hatte und den er in all den Jahren hoch zu schätzen gelernt hatte.


Der Bogenschütze Nasu Munetaka schießt einen Fächer vom Mast eines Taira-Schiffes. Holzschnitt von Yôshû Chikanobu.

Wenig später, während er in einen Schwertkampf verwickelt war, verlor Yo­shi­tsune seinen Bogen. Obwohl die Taira ihn mit Pfeilen beschossen und Haken nach ihm schleuderten, um ihn zu ihren Schiffen ziehen zu können, suchte er in aller Seelenruhe nach der verlorenen Waffe. Seine Offiziere flehten ihn an, die lebensgefährliche Suche aufzugeben. Doch Yoshitsune hörte nicht auf sie und fand den Bogen endlich im Wasser wieder. Später, nachdem er die Schlacht unversehrt überstanden hatte, erklärte er ihnen lachend den Grund für seine Hartnäckigkeit: »Ja, wäre dieser Bogen einer von der Sorte gewesen, wie ihn mein Onkel Tametomo37 benutzt, dann hätte ich ihn dem Feind bedenkenlos überlassen. Um so einen Bogen zu spannen, braucht man die Kraft von zwei oder drei Männern. Aber mein Bogen ist schwach und von geringer Reichweite. Ich hätte mich in den Augen des Feindes lächerlich gemacht, wenn ihnen eine so gewöhnliche Waffe in die Hände gefallen wäre!«

Eine weitere Episode aus dieser Schlacht wurde bis in unsere Tage überliefert, die Geschichte der unglaublichen Tat des Nasu-no-Yoichi Munetaka. Die Taira hatten an einem am Bug eines ihrer Schlachtschiffe aufgestellten Mast einen roten Fächer angebracht. Dies war zum einen eine Provokation für die Bogenschützen der Minamoto und zum anderen ein geschickter Schachzug, durch den sie veranlaßt wurden, ihre Pfeile zu vergeuden. Tatsächlich hatten die Bogenschützen der Minamoto bald nichts anderes mehr im Auge als den in der Luft flatternden Fächer, auf den eine goldene Sonne gemalt war, und sie wetteiferten darum, ihn zu treffen. Aber der Fächer stellte alles andere als ein leichtes Ziel dar, und die Taira auf ihren Schiffen spotteten über das Ungeschick der Minamoto. Unter diesen befand sich jedoch der 18jährige Samurai Nasu Munetaka, der trotz seiner jungen Jahre ein Meister im Bogenschießen war. Er beschloß, sein Glück zu versuchen, während um ihn herum eine ganze Armee ebenso wütend wie vergeblich versuchte, den provokanten Fächer abzuschießen. Mit großer Sorgfalt legte er einen Pfeil an die Sehne, atmete ein, spannte den Bogen und schoß den Pfeil ab, während er zugleich einen Schrei, der aus seinem tiefsten Innern kam, ausstieß. Einen Augenblick darauf zerfetzte sein Pfeil den Fächer und die Bruchstücke fielen in die Wogen. Es gab großen Beifall für den Meisterschuß, selbst die gegnerischen Bogenschützen auf ihren Schiffen kamen nicht umhin, zu applaudieren. Die Nachkommen Munetakas erhielten das Recht, in ihrem Familienwappen, dem mon, einen Fächer, auf den eine Zielscheibe gezeichnet war, darzustellen.

Als die Sonne sank, war die Schlacht entschieden. Die Flotte der Taira zog sich in den Schutz der weiter östlich gelegenen Shido-Bucht zurück. Die Minamoto verbanden ihre Wunden am Strand von Yashima und wuschen das Salz von ihren vom Meerwasser getränkten Rüstungen, damit diese nicht rosteten.

Einige Tage später nahmen die Taira Kurs auf die Westspitze von Kyûshû, um ihre letzte Zuflucht, Kagoshima, zu erreichen. Damit entfernten sie sich noch weiter von Kyôto, der Hauptstadt, die sie dem Feind hatten überlassen müssen.

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