Читать книгу Sakaya - Roland Simm - Страница 4
Zu Hause
ОглавлениеPanisch schreckte Thos auf. Er sah sich um – und war in seiner Wohnung. Er lag in seinem abgedunkelten Schlafzimmer auf dem Bett. Kein fremder Planet, kein Kollisionskurs – alles ok. Auch seine türkissilbrige Zimmerpflanze hatte den Albtraum überlebt. Erleichterung stellte sich ein und ersetzte die empfundene Furcht. Thos überlegte. Heute musste er den Artikel gegen die Personalpolitik seiner Regierung fertigstellen. Seit der Lehrakademie schrieb er für das länderübergreifende Netzwerk „Egson“, das sich für Demokratie in Sakaya einsetzte. Diese Tätigkeit hatte ihm immer viel bedeutet, auch wenn sie nur gering bezahlt wurde. Er stand auf.
Im Bad seiner kleinen Zweizimmerwohnung im Erdgeschoss der Mehrparteiensiedlung zog er sich aus und stellte sich unter den Ganzkörperultraschallreiniger. Er drückte Start - das Summen des Gerätes erweckte das vertraute Gefühl, zu Hause zu sein. Schön, dachte Thos und reinigte sich – bis es stoppte. Er drückte erneut auf den Startknopf. Ohne Erfolg. Was war das denn jetzt... Er versuchte, das Gerät durch die Tasten zurückzusetzen. Keine Änderung. Ein kaputter Ultraschallreiniger, das konnte sein Monatsbudget sprengen... Mürrisch verließ er das Gerät und ging in die Mitte des Bades. Er würde wohl ein paar Bauteile vom Reparaturmarkt holen müssen.
Im Spiegel betrachtete er sich selbst. Er war jetzt 36 Jahre, 1,81 m, schwarze, etwas struppige Haare, gesunder bläulicher Teint - fürs Erste alles o.k. Aber Thos störte etwas. Gut, früher hatte er etwas mehr Muskeln am Körper gehabt, aber das war es nicht. Im Spiegel sah er einen recht gesunden Mann, aber sonst – niemanden. Es stand keine Frau neben ihm. Thos war wieder – immer noch – alleine. Er wurde langsam alt, aber eine Partnerin war außer Sichtweite. Eine eigene Familie erst recht.
Zurück im Schlafzimmer suchte er sich ein paar Kleider zusammen. Es war ein bisschen unordentlich bei ihm, aber nicht schmutzig. Leicht angezogen setzte er sich an seine Computerkonsole und begann zu arbeiten. Er fand in seinem politischen Nachrichtennetzwerk immer viel zu tun, auch wenn der finanzielle Erfolg manchmal ausgeblieben war. Visionen und Ausdauer hatten Thos immer ausgezeichnet bis in letzter Zeit. Seit den hundert Tagen, die die konservative Regierung unter Naimr Naron in Gerszan an der Macht war, spürte er Resignation in sich. Er versuchte, trotzdem zu arbeiten. Immerhin konnte er etwas dagegen tun, sein Artikel würde Narons Personalpolitik beleuchten. Thos hatte herausgefunden, dass der Regierungschef wichtige Posten mit Personen besetzte, die mit Naron eine gemeinsame Vergangenheit teilten. Weiterhin störte ihn, dass Naron die Wirtschaft hofierte und die Armen im Land nicht besser versorgte.
Obwohl er gerade aufgestanden war, fühlte er wieder diese Erschöpfung in sich. Aber er konnte sich nicht mehr hinlegen, auch wenn es früh war. Er schaute aus dem Fenster – tausende vernetzte Wohnungen in der Morgendämmerung. Es schien friedlich – aber Thos wusste um die Probleme des Landes. Er liebte seine Mitbürger, die Sakayaner. Traurig, dass in der Realpolitik vieles unterging. Und Narons Stil gefiel ihm nicht. Letztens hatte der Regierungschef eine Initiative ins Leben gerufen, die Volksbefragungen begrenzen sollte, – seiner Meinung nach repräsentierten Experten das Land besser als das Volk. Doch dadurch schränkte er die Mitbestimmung ein. Thos musste etwas dagegen tun. Mit seiner Konsole erfasste er die aktuellen Nachrichten.
Um halbwegs wach arbeiten zu können, hatte er sich ein Nemeg gemacht. Auch diesmal ließ er die beliebten Geschmackszusätze weg, ihm reichte die aufweckende Wirkung ohne Kalorien. Hatte er es jemals anders getrunken? Das Nemeg zeigte ein bisschen die Wirkung, auf die er spekuliert hatte – auch wenn er von einem fröhlichen Morgen weit entfernt war.
Schließlich schloss er die Nachrichtenrecherche ab. Naron hatte wie erwartet das Einschränken von Volksbefragungen verteidigt – er konnte in der Koalition mit der kleinen Kema-Partei auf eine absolute Mehrheit vertrauen. Der Regierungschef war auch gegen Transparenz – vorgeblich, um weniger angreifbar von Kriminellen und Terroristen zu sein. Thos vermutete, dass es ihm jedoch in erster Linie darum ging, uneingeschränkter regieren zu können. Der Wirtschaft des Landes ging es gut – auch etwas, das ihm in die Hände spielen würde, dachte Thos grimmig. Naron war für fünf Sonnenumläufe gewählt! Der Artikel musste geschrieben werden. Thos wusste, dass er etwas bewirken konnte – aber seine Stimmung war wie eingefroren. Er schaute auf die Uhr. Lange war er noch nicht wach, aber immer noch erledigt. Wenn das länger gehen sollte, musste er sich wohl um seine Gesundheit sorgen. Aber seine Arbeit rief. Er würde also wieder für eine gerechte Demokratie schreiben. Thos seufzte und startete das Textverarbeitungsprogramm.
Das Display seines Computers meldete einen Anruf. Hm, jetzt auch noch eine Störung. Sollte er drangehen? Es war eine ausländische Nummer. Das Programm ordnete einen Segg Dikaun zu. Seggi? Thos nahm ab.
„Hey, alter Nabba...“
„Mensch Seggi, mit dir hab ich jetzt echt nicht gerechnet...“
„Ich dachte, ich melde mich mal. Wie geht’s dir in Gerszan?“
Thos und Seggi waren zusammen an der Lehrakademie gewesen, einer weiterführenden Hochschule. Aus beruflichen Gründen war Seggi nach Elmekon ausgewandert, einem kleineren Nachbarland.
„Naja, die Regierung macht viel Arbeit.“
„Euer Naron ist ungerecht? Komm zu uns, da hast du die Probleme nicht!“
„Hm, ich kann jetzt nicht einfach weglaufen. Wir müssen das Volk unterstützen.“
„Ja, du und die Gerechtigkeit. Dann ist ja alles beim Alten!“
„Und du, warum rufst du nicht per Video an?“
„Bitte keine unsinnige Datenanhäufung.“
„Ah, ganz der Alte“, grinste Thos.
Seggi musste lachen. „O.k., du hast Recht.“
„Hackst du dich immer noch durch die Welt...?“, wollte Thos wissen.
„Nun, ich bin nicht immer auf normalen Netzwerkseiten. Aber in der Firma läuft’s gut.“ „Ach ja, du bist ja jetzt Computerbeauftragter für Sicherheitsfragen.“
„Ja, ist ‘ne feine Sache.“
„Schön. Ich weiß nicht, ich bin immer noch bei Egson. Ist schon gut, aber in letzter Zeit... Ich kann schreiben, was ich möchte, Geld, naja, aber mir fehlt irgendwie die Freude an der Sache. Trotz aller meiner Möglichkeiten.“
„Bist du noch alleine?“, fragte Seggi.
„Ja.“
„Hattest du nicht letztens ein Date?“
„Mit Nari? Das ist jetzt schon ein halbes Jahr her...“ Thos dachte an das Treffen. Es war nicht schlecht gewesen, aber es war nicht das, was er wollte. Nari war gerade dabei gewesen, sich in ihren neuen Job einzuarbeiten, und Thos hatte bemerkt, dass sie dabei war, etwas für sich aufzubauen, das aus finanzieller Sicht Sinn machte – ohne dabei für eine Sache wirklich zu kämpfen.
„Ich brauche schon jemanden mit manchen Einstellungen. Zu sehr das normale Wirtschaftsleben ist nichts für mich.“
„Ich kann mir aber auch vorstellen, dass sich dauernd über die Regierung aufregen auch nicht glücklich macht.“
Thos dachte nach. „Aber Naron hinnehmen? Er will nur Macht. Die Wirtschaft stimmt das Volk freundlich. Unsere Demokratie wird abgebaut! Ich werde darüber schreiben.“ Da war sie wieder, diese Energie. Gemischt mit Wut, aber Thos genoss es gerade, Kraft zu schöpfen. Danke, Seggi... „Von diesen korrupten Beamten bei der Polizei gehört auch der eine oder andere ins Gefängnis!“
„Na, pass aber auf. Naron wird sich wehren, und wenn er schmutzige Methoden benutzt, könntest du der Leidtragende sein“, gab Seggi zu bedenken.
„Es ist wichtig, dem Bürger die wahren Probleme zu zeigen. Naron ist nicht der Weg, weißt du...“
„Also... hört sich so an, als ob bei dir noch nicht alles verloren ist... Weißt du noch, wie du die politischen Plakate in unsere Lehrakademie gebracht hast, gegen den Willen unseres Direktors?“
„Plakate? Ach ja... gegen die Genständegesellschaft... mein Vater war vielleicht sauer! Ich sehe ihn nächste Woche... aber er will bestimmt wieder irgendwas, dass die Monarchie wieder eingeführt wird oder so...“
„Er ist dein Vater. Ihr solltet irgendwie miteinander auskommen.“
„Ja... es ist nicht immer einfach.“
„Ich weiß...“
Eine kleine Pause entstand, bis sich Thos entschloss, schwere Gedanken bei einer anderen Gelegenheit aufzuarbeiten. „Du, gestern hab ich was gefunden... das Videomak, das wir zum drahtlosen Übertragen von Filmen gebaut hatten... hast du das auch noch?“
„Kann sein. Geht es denn noch?“
„Scheint so. Das wär doch mal witzig, mal zu schauen, ob wir das noch hinbekommen...“ „Ich guck mal... Muss irgendwo im Keller sein...“
Thos sah auf die Uhr. Er hatte Nea Tirasand, seiner Redakteurin, versprochen, den Artikel heute Abend online zu stellen. „Du, Seggi, ich muss noch schreiben. Rufen wir uns die Tage mal an?“
„Ist o.k.“
„War nett, dich zu hören.“
„Ja, wir setzen das fort. Viel Erfolg noch!“
„Danke. Bis dann...“ Thos legte auf. Schön, dass Seggi sich mal meldet... das war gut. Thos atmete ein. Ja, wir telefonieren bald wieder. Er sah auf das leuchtende Display seiner Computerkonsole und setzte sich mit etwas besserer Laune an seine Arbeit.