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Der Blick über den Tellerrand: Warum es wichtig sein kann, einen Porno zu drehen
ОглавлениеManchmal, wenn ich in der Küche stand und darüber wachte, dass ein mittelgutes Gericht eines fremden Kochs von meiner Equipe supergut reproduziert wurde, hatte ich merkwürdige Anwandlungen. In mir arbeitete es. Durch meinen Kopf zogen Bilder und Farben. Auf meiner Zunge spürte ich Aromen, die miteinander etwas Großartiges, noch nie Dagewesenes anstellten. An meinen Fingerkuppen konnte ich Materialien spüren, die ich zu etwas Schönem formen würde. Durch meine Finger liefen Sand und Seide. Ich hörte Musik, die es gar nicht gab.
Kurz, ich merkte, dass mein Motor anfing, im roten Bereich zu laufen. Aber für meinen Job im „Hangar-7“ reichte mir in manchen weniger spektakulären Monaten das Standgas. Selbst wenn ich mit meiner Brigade im August das Kommando übernahm und einen Monat nach Lust und Laune kochen konnte – nach Lust und Laune konnte ich eben doch nicht kochen. So revolutionär das Gastkoch-Konzept des „Hangar-7“ ist, so klar sind die Spielregeln. Die besten Köche der Welt sind die Stars, Fine Dining ist das Konzept, und das revolutionäre Austrettln, wie es so meine Art ist, war eher nicht gefragt. Hätte ich zum Beispiel im „Hangar-7“ einen Monat lang Hühnerteile und Sake serviert wie im „Yardbird“, man hätte mich für verrückt gehalten.
Und das war ja das eigentliche Problem: Denn selbstverständlich bin ich verrückt. Selbstverständlich ist der Koch in mir nur ein Teil meiner multiplen Persönlichkeit. Wäre ich nicht Koch geworden, hätte es eine ganze Menge anderer Berufe gegeben, die mich interessiert hätten – und es war ja auch bloß ein Zufall, dass ich als Fünfzehnjähriger in die Kochlehre geschickt wurde und nicht, zum Beispiel, in die Ausbildung zum Tischler.
Denn diese beiden Möglichkeiten hatte die Familie für mich ausgewählt. Beide interessierten mich nicht besonders, weil mir eine Karriere als Bademeister und Discjockey (wie ich sie ja tatsächlich ausprobiert habe) mindestens so attraktiv erschien. Dass ich dann doch Koch und nicht Tischler wurde, hatte ich auch dem Einfühlungsvermögen meines Großvaters zu verdanken, der meinte, ihm sei ein Enkel lieber, der mit allen Fingern grüßen kann. Für alle, denen ich als Koch und Gastronom auf den Sack gegangen bin: Beschwert euch bei meinem Opa, nicht bei mir.
Aber ich bin eben nicht nur Koch geworden. Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, immer nur einen Teller zu betrachten – dazu interessierte mich alles, was rundherum geschah, viel zu sehr. Mir sprangen schöne Möbel genauso ins Auge wie schöne Kleider, ich konnte an der Kombination von Farben genauso leidenschaftlich herumstudieren wie an der Perfektionierung eines Rezepts.
Nun saß ich mit meinem Job im „Hangar-7“ zuweilen im goldenen Käfig. Ich hätte gern, durfte aber nicht. In diesen Momenten brauchte ich ein Überlaufventil, eine Nebenbühne, wo ich meine Einfälle, meine Ideen, meine Spinnereien in Form bringen konnte – damit habe ich jetzt einen eleganten Bogen um das Wort gemacht, das regelmäßig mit Spitzenköchen assoziiert wird: Kreativität.
Ich bewundere kreative Menschen. Ich bewundere die Kreativen meiner Branche. Aber ich entdecke die Kreativität vielleicht in anderen Facetten ihres Tuns als bloß auf dem Teller – es heißt ja nicht zufällig „über den Tellerrand schauen“.
Zum Beispiel war ich total von den Socken, als Sergio Herman ein Kochbuch herausbrachte, dem ein MP3-Player beilag, auf dem gesprochene Texte und Musik gespeichert waren, mit denen Sergio seine Gerichte besser beschreiben konnte als mit Bildern und Rezepten. Coole Idee.
Ich empfand es als Ausdruck von Kreativität, als ich im „Septime“ in Paris eine Crew antraf, die auf die verstaubten Umgangsformen mit Anzügen und Krawatten pfiff und das Essen in Jeans servierte. Ein Geistesblitz, der die Stimmung im Lokal augenblicklich in die Höhe schießen lässt.
Mir gefielen diese Abschweifungen, weil sie mir vor Augen führten, dass es Leute gibt, die ihre Träume nicht nur träumen, sondern auch Wirklichkeit werden lassen. Dass es auch in meiner Branche Menschen gibt, die über den Tellerrand schauen und die Eier haben, Regeln zu brechen – oder ihren Herd Herd sein zu lassen und plötzlich etwas ganz anderes zu machen.
Als mein Motor wieder einmal im roten Bereich lief, habe ich mit meinem Freund Helge Kirchberger ein neues Genre erfunden: Fashion Food. Die Idee bestand darin, schöne junge Frauen mit den wunderschönen, lebendigen Formen zu kombinieren, wie sie nur Lebensmittel – Gemüse, Obst, Fisch, Fleisch – bieten können. Wir kleideten die Models in alle möglichen Kreationen, hüllten sie in Schweinsnetz, steckten ihnen ein Krustentier als Brosche ins Haar, ließen statt Haaren das anarchische Durcheinander eines kleinblättrigen Salats wuchern. Organische Formen vereinen sich mit organischen Formen, ergänzen einander, bilden in der Vereinigung etwas Neues, Spannendes, Sinnliches.
Fashion Food ist eines meiner kreativen Überlaufventile geworden. Wir haben unzählige Motive gestaltet, ein Buch mit eigenwilligen, noch nie zuvor gesehenen Fotos gefüllt und in Düsseldorf, Hof, Rumänien und im Museum für Kommunikation in Berlin Ausstellungen gehabt.
Diese spezifische Beschäftigung mit Schönheit, mit Strukturen und Farben ist ein Sidestep in meiner Karriere – und gehört trotzdem untrennbar dazu. Der Erfolg hat mir Mut gemacht, nicht nur im Hauptberuf kreativ zu sein – sozusagen kreativ erster Klasse –, sondern auch Disziplinen anzupacken, in denen ich keine Ausbildung habe. Meine Ausflüge in die Bildhauerei (bei Aron Demetz), in die Schneiderei (bei Markus Meindl) oder die Tischlerei (im Holzwerk in Wals) haben mich unglaublich bereichert, weil ich nicht nur meinen Sicherheiten, sondern auch meinen Unsicherheiten nachspüren konnte – was wiederum die beste Voraussetzung dafür ist, auch auf dem gewohnten Terrain einen Schritt weiterzukommen. So durfte ich für die Firma Lohberger einen Herdblock designen, der so abgefahren ist, wie ich mir einen Herdblock immer gewünscht habe – jetzt gibt es ihn, endlich.
Interessant wird es immer dann, wenn man nicht weiß, ob der Boden, auf den der nächste Schritt führt, auch trägt. Das herauszufinden ist für mich die wahre Kreativität – oder soll ich sagen: echtes Glück?
Ich kann nur jedem raten, seinen Teller Teller sein zu lassen und auszuprobieren, wo das Glück vielleicht sonst noch wohnt. Macht doch, was ihr immer schon mal machen wolltet: Wandert quer durch die Alpen. Lernt Geige spielen. Kauft euch eine Filmkamera und dreht einen Porno. Meinen Segen habt ihr.
Fashion food: Pulpohaut als Kopfschmuck