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Das »Hangar-7«-Konzept
ОглавлениеAls ich noch in Tokio arbeitete, bekam ich einen Anruf, dass eine Firma namens „Red Bull“ ein neues Restaurant plant und mich als Küchenchef in Erwägung zieht. Herr Witzigmann hatte als Patron schon zugesagt. Ich flog zweimal von Tokio nach München, hatte dort am Flughafen Besprechungen. Aber ich hatte überhaupt keine Ahnung, was „Red Bull“ tatsächlich vorhatte. Ich dachte mir, die wollen ein ganz normales Restaurant mit Herrn Witzigmann und mit mir, gute Idee.
Aber dann traf ich zum ersten Mal Herrn Mateschitz. Er hatte mich zu sich nach Hause eingeladen, um mich kennenzulernen. Dort erzählte er mir dann, dass ein ganz normales Spitzenrestaurant für „Red Bull“ nicht genug sei. Da brauche es schon mehr. Eine Vision.
Und er hatte eine Vision. Das Restaurant sollte international sein, nicht zu vergleichen mit irgendeinem anderen Restaurant.
Okay, dachte ich, und in meinem Bauch zog sich alles zusammen. Denn ich hatte keine Vision. Lass mich doch einfach kochen, dachte ich, dann bekommst du schon etwas Spitzenmäßiges. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass es eine Vision geben könnte, die größer ist als ein Restaurant mit mir als Küchenchef.
Aber Herr Mateschitz hatte andere Vorstellungen. Wie es denn wäre, fragte er mich, wenn berühmte Restaurants in aller Welt für drei Monate zusperren und mit Sack und Pack, inklusive aller Mitarbeiter und der ganzen Ausrüstung, nach Salzburg in den „Hangar-7“ übersiedeln? Und nach diesen drei Monaten kommt das nächste Restaurant. Und so weiter. Und ich sollte die Gesamtleitung von dem Ganzen übernehmen.
Ich war starr vor Schreck.
„Das geht nicht“, sagte ich.
Da hatten wir schon die erste Krise. Denn wenn Dietrich Mateschitz etwas nicht akzeptiert, dann die Bemerkung: Das geht nicht.
„Geht nicht, gibt‘s nicht“, sagte er. Einer seiner geflügelten Sätze, den bestimmt jeder „Red-Bull“-Mitarbeiter schon einmal aus seinem Mund gehört hat.
Da stand das Projekt für einen Augenblick auf des Messers Schneide. Denn ich bin auch stur und blieb bei meiner Meinung, dass sich diese Idee nicht verwirklichen lässt. Dann sagte Herr Mateschitz bereits: „Wenn Sie meinen, dass sich die Idee nicht verwirklichen lässt, sind Sie wahrscheinlich der Falsche für uns.“
Aber ich hatte damals das Selbstvertrauen mit dem Löffel gefressen und entgegnete: „Herr Mateschitz, Sie werden aber keinen Besseren als mich für dieses Projekt finden. Wenn ich hier weg bin, haben Sie ein Problem …“
Ich habe damals doch noch in Tokio gearbeitet. Und dort habe ich gelernt, solche Ansagen zu machen, denn die Japaner testen dich immer so aus. Außerdem gibt es keinen besseren Moment, um offen mit einem möglichen Arbeitgeber zu reden, als das erste Treffen. Denn entweder kommt deine Botschaft an oder nicht – und passieren kann dir ja nichts.
Ich sagte also, dass ich die Grundidee zwar verstanden habe, aber bei meiner Einschätzung bleibe, dass sie sich so nicht verwirklichen lässt. Aber ich bot an, gemeinsam mit Herrn Witzigmann darüber nachzudenken, was sich verwirklichen lässt.
Herr Mateschitz gab uns eine Woche Zeit.
Nach dieser Woche präsentierten wir unseren Vorschlag.
Wir schlugen vor, nicht nur alle drei Monate ein neues Restaurant zu präsentieren, sondern jeden Monat. Da ich aber wusste, dass kein Restaurant der Welt das Stammhaus zusperrt, um geschlossen an einen anderen Ort zu übersiedeln, empfahl ich, dass wir in Salzburg ein Team zusammenstellen, das die Aufgabe übernimmt, das Menü des jeweiligen Restaurants perfekt nachzukochen. Dass ich diese Restaurants auswähle, besuche und die Köche zur Eröffnung nach Salzburg bringe.
Mit der Idee konnte sich Herr Mateschitz anfreunden.
Als ich realisierte, was ich mir da gerade für eine Aufgabe ans Bein gebunden hatte, wäre ich am liebsten für immer nach Tokio ausgewandert. Denn ich hatte natürlich keine Ahnung, wie sich das alles tatsächlich in die Realität umsetzen lässt. Das war im April 2003, und der Termin für die Eröffnung stand schon fest: der 21. August 2003.
Wir haben uns dafür entschieden, im August und September noch selbst zu kochen. Aber im Oktober musste der erste Gastkoch vor Ort sein.
Das hat mich in eine gewisse Panik versetzt. Weil jeder Koch, den du anrufst und einladen möchtest, denkt, dass du einen Vollschuss hast. Also habe ich am Anfang nur Köche angerufen, die schon wussten, dass ich einen Vollschuss habe. Und man darf nicht außer Acht lassen, dass auch der Name Witzigmann im Spiel war. Das hat zu Beginn sehr geholfen. Wo ein Witzigmann ist, steht bekanntlich auch Qualität dahinter.
Als Ersten rief ich Gerhard Schwaiger vom „Tristán“ an, den kannte ich aus meiner Zeit in Mallorca.
Der sagte bloß: „Kein Problem. Du musst mir nur sagen, was ich zu tun habe.“
Jörg Sackmann aus Baiersbronn, der bei Herrn Witzigmann in der „Aubergine“ gearbeitet hatte, war der Zweite.
Martin Dalsass, ein Südtiroler, der sein Restaurant „Santabbondio“ bei Lugano hatte, kam als Dritter.
Wir standen ja am Anfang unter extremem Zeitdruck, konnten kaum vorausplanen. Deshalb war es großartig, dass wir auf unsere persönlichen Netzwerke zugreifen konnten. Aber dann begann die Sache immer besser zu laufen, wohl auch deshalb, weil sich in der Branche herumsprach, dass meine Brigade in Salzburg einen großartigen Job machte. So gelang es uns, Anfang 2004 Carlo Cracco aus Mailand zu engagieren, den ich persönlich noch nie getroffen hatte. Im April kam Dieter Koschina aus der „Vila Joya“ in Portugal, im Monat darauf Lea Linster aus Luxemburg, dann André Jäger aus der „Fischerzunft“ in Schaffhausen, Norbert Niederkofler aus Alta Badia und Thomas Kammeier aus Berlin.
Und dann hatten wir – durch Vermittlung unseres General Managers Herbert Pliessnig – den ersten echten Weltstar: Jean-Georges Vongerichten aus New York. Das war eine Sensation, denn damit waren wir in eine neue Spielklasse aufgestiegen. Plötzlich arbeiteten wir nicht nur mit den besten Köchen Europas, sondern mit dem wahrscheinlich komplettesten Gastronomen der Welt. Der sich im Übrigen als unglaublich freundlicher und verbindlicher Charakter zeigte und in jeder Sekunde vermittelte, dass bei ihm kein Handgriff zufällig passiert.
Über Herbert Pliessnig bekam ich auch Zugang zu Gray Kunz vom „Café Gray“ in New York, und im selben Jahr bekamen wir noch die Zusagen von David Thompson, dem besten Thai-Koch der Welt, und von Rainer Becker, der in London das legendäre „Zuma“ eröffnet hatte.
Das war ein ganz guter Lauf für den Anfang. Besser gesagt: Wir hatten das Konzept im „Hangar-7“ so beschleunigt, dass es abheben und fliegen konnte. Wir produzierten jetzt für kulinarisch interessierte Menschen eine monatliche Wundertüte, die es – wie es sich Herr Mateschitz gewünscht hatte – auf der ganzen Welt nicht gab.
Ich konnte jetzt also die Angst ablegen, dass es uns nicht gelingen würde, Köche nach Salzburg zu holen. Das hatten wir im Griff. Jetzt konnte ich mir Sorgen machen, ob die Leute überhaupt Lust auf ein Restaurant haben, das jeden Monat eine neue Küche präsentiert.
Das „Hangar-7“-Konzept läuft doch allen Konventionen des Restaurantbusiness zuwider. Der Gast ist ein Gewohnheitstier. Er geht zum Italiener, um die Spaghetti so zu bekommen, wie er sie mag. Er geht ins Wirtshaus, das ihm die besten Grammelknödel kocht. Auf Entdeckungsreisen geht er, wenn überhaupt, im Urlaub. Das „Hangar-7“-Konzept aber war eine einzige Entdeckungsreise.
Der Schlüssel, mit dem wir unsere Gäste für uns eingenommen haben, war Qualität. Sie haben zwar nicht gewusst, was sie bei uns bekommen, aber sie wussten, es wird gut sein. Auch die Presse hat ja ein paar Jahre lang nicht kapiert, was wir da eigentlich machen, wir waren also völlig auf Mundpropaganda angewiesen. Es hat schließlich ein paar Jahre gedauert, bis die kulinarisch interessierte Öffentlichkeit verstanden hat, was in Salzburg Monat für Monat abgeht.
Und wir hatten gar nicht so wenige Plätze. Wir konnten siebzig, achtzig Gäste bekochen, in Ausnahmefällen sogar hundertzwanzig. Und wir hatten schnell echte Fans, Stammgäste, die uns Monat für Monat besuchten. Die waren unsere besten Werbeträger, denn sie erzählten überall herum, dass man bei uns grandios essen kann, ohne ein Flugticket nach New York, Sydney oder Singapur zu kaufen.
Natürlich war auch entscheidend, dass die Gastköche mit der Performance meines Teams zufrieden waren und das weitererzählten. Denn die wussten, was für einen ungeheuren Aufwand es darstellt, wenn man Monat für Monat ein neues Restaurant eröffnet – und nichts anderes war der harte Schnitt vom einen zum nächsten Gastkoch. Von einem Tag auf den anderen wechseln die Produkte, die Aromen, alle Handgriffe, für die man gerade ein bisschen Routine gewonnen hat. Die Temperaturen der Teller sind anders, der Aufwand verändert sich, man braucht neues Geschirr, neue Zutaten, neue Fonds, manchmal auch neue Zubereitungsweisen, von denen keiner von uns noch ein paar Monate zuvor eine Ahnung gehabt hatte.
Aber auch das wurde leichter. Nach dem ersten Thaikoch wussten wir über die Basisgeometrie der Thaiküche schon Bescheid, hatten einen Crashkurs in roten, grünen und gelben Currys absolviert. Kannten die Gewürze. Konnten uns auf weitere Feinheiten konzentrieren.
So begann die große Reise, auf deren Grundlage dieses Buch entstanden ist. Eine Reise, die mich viele Male rund um die Welt geführt hat. Eine Reise, die mich mit vielen wichtigen und interessanten Menschen zusammengebracht hat, die mir Gelegenheit gab, in die unterschiedlichsten Kulturen, Traditionen und Geschmäcke einzutauchen. Monat für Monat habe ich dazugelernt. Erst nach einhundertzwanzig Gastköchen ging die wilde Fahrt für mich zu Ende, als ich im Dezember 2013 diesen Brief verschickte:
It´s time to say goodbye ...
Nach über zehn Jahren als Executive Chef im „Hangar-7“, nach mehr als einhundertzwanzig Gastköchen, nach Tausenden Gerichten und Gängen und nach Millionen von Flugkilometern ist es an der Zeit, Abschied zu nehmen – und den Ikarus-Staffelstab an meinen langjährigen Wegbegleiter Martin Klein weiterzureichen.
Als wäre es erst gestern gewesen, kann ich mich noch heute exakt an das tiefe Gefühl bei meinem ersten Arbeitstag im „Hangar-7“ erinnern: Es war eine Mischung aus Stolz und Respekt.
Stolz darüber, in diesem großartigen architektonischen Ensemble ein weltweit einzigartiges kulinarisches Konzept umsetzen zu dürfen. Respekt wegen des Wissens, dass es für diese Aufgabe keine Vorbilder, keine Leitlinien gibt und dass diese gewaltige Aufgabe nur durch eigene Standards definiert werden kann.
Ich verneige mich bis auf den heutigen Tag vor meinem großen Lehrherrn Eckart Witzigmann in dem dankbaren Bewusstsein, dass er es war, der mich für diese Aufgabe ausersehen hat. Sein Vertrauen in mich berührt mich bis heute.
Und ich schulde Dietrich Mateschitz höchstmöglichen Dank und Respekt für seine bedingungslose Unterstützung auf dem Weg, seine Ikarus-Vision mit so prallem Leben erfüllen zu dürfen. Ideen und Konzepte haben viele, eine solche Entschlossenheit und Beharrlichkeit nur die wenigsten!
Ich verdanke Dietrich Mateschitz und seiner Vision einen weltweit einzigartig tiefen, ja intimen Einblick in die Küchen der namhaftesten Spitzenköche. Und ich verdanke diesen verehrten Kollegen, dass sie mir über elf Jahre hinweg ungeschminkten, nahezu selbstverleugnenden Einblick gewährten. Einblick in alles, was ihr Können ausmacht. Einblick in alles, was ihren überwältigenden Erfolg bedingte.
Ihre Hilfestellungen, ihre Unterstützung, ihre Gerichte, Rezepte und Produkte stellten über ein Jahrzehnt hinweg einen Monat für Monat anwachsenden, unermesslichen Schatz dar. Unermesslich und doch gering im Vergleich zu den vielen tiefen Freundschaften, die ich weltweit schließen durfte.
Natürlich – und keiner weiß das besser als ich – gelingt ein solcher internationaler Gipfelsturm nur, wenn man sich um das Basislager keine Sorgen zu machen braucht. Auch hier muss ich mich verneigen: Natürlich und zuallererst vor unseren Gästen, viele von ihnen wurden zu Stammgästen – ein größeres Kompliment kann es bei diesem auf ständigen Wechsel angelegten Konzept nicht geben.
Verneigung aber ebenso vor meinen begabten wie belastbaren Kollegenin der Ikarus-Küche. Ihr profundes Können, verbunden mit dem Willen, sich Monat für Monat neuen und schwierigsten Anforderungen zu unterwerfen, stellen seit nunmehr über zehn Jahren die unverzichtbare, alles tragende Säule dieses Konzeptes. Ihnen gilt mein dankbarer Respekt, ebenso wie dem hingebungsvollen Service im Restaurant und den herausragenden Kräften im „Hangar-7“. Sie alle werde ich ebenso sehr vermissen, wie ich mir sicher sein kann, dass Martin Klein um Ihre, Eure Klasse weiß.
In der festen Überzeugung, dass das Ikarus-Gastkoch-Konzept im „Hangar-7“ eine einzigartige Erfolgsgeschichte ist, mache ich mich frohgemut auf, den Blick auf neue Aufgaben und Ziele gerichtet.
Mögen sich dabei unsere Wege immer wieder kreuzen …
Ihr/Euer dankbarer