Читать книгу Serviert - Roland Trettl - Страница 12
Rambazamba. Warum so viele Köche Choleriker sind
ОглавлениеEs geht das Gerücht, dass Küchenchefs Choleriker sind. Herr Witzigmann hat zum Beispiel gesagt, dass ich noch cholerischer war als er, aber er war bestimmt noch schlimmer als ich – aber daran erinnert er sich nicht mehr.
Ich bin nicht stolz darauf, in der Küche gewütet und Leute nach dem Service zur Sau gemacht zu haben. Stolz bin ich darauf, dass ich mich geändert habe. Stolz bin ich darauf, dass ich gelernt habe, mich selbst infrage zu stellen. Stolz bin ich darauf, dass ich mir angewöhnt habe, Mitarbeitern zuzuhören und sie nicht beim geringsten Widerstand niederzubügeln.
Im „Hangar-7“ hatte ich zum Beispiel einen Mitarbeiter, der hieß Jörg Bruch. Der hat als Commis angefangen und sich bis zum Küchenchef hinaufgearbeitet. Er ist immer noch im „Hangar-7“ und sicher einer der wertvollsten Mitarbeiter dort. Vor ihm hatte jeder meiner Mitarbeiter Respekt. Weil Jörg Bruch einer war, der auch mal Nein gesagt hat, wenn ich ihm etwas angeschafft habe. Was mich natürlich sofort an den Rand der Explosion gebracht hat.
Ich habe ihn zum Beispiel immer wieder gefragt, ob er beim Abschmecken von Gerichten oder bei Garzeiten eh meiner Meinung ist. Er hat auch dann Nein gesagt, wenn sich das kein anderer mehr getraut hätte. Das hat ihm den Respekt der Truppe eingebracht und auch meinen. Er hat seine eigene Meinung behauptet und ist zu Recht zum Küchenchef aufgestiegen.
Natürlich begünstigt die militärische Struktur der Küche cholerische Ausbrüche: Wer höher in der Hierarchie steht, nimmt sich das Recht heraus, laut zu werden. Dieses Recht habe ich in meinen ersten Jahren als Küchenchef reichlich strapaziert. Mit fünfundzwanzig war ich ein komplett Wahnsinniger, verabscheuenswürdig. Ich möchte keinen Film sehen müssen, auf dem festgehalten ist, was für ein Idiot ich war.
Aber immerhin bin ich, zumindest meiner Meinung nach, kein Idiot geblieben. Ich habe am Beispiel von Kollegen gesehen, wie peinlich cholerische Ausbrüche sind. In einem berühmten italienischen Restaurant hat der Küchenchef so laut geschrien, dass die Gäste jedes Wort verstanden haben – das war mir genauso peinlich, wie es jedem Gast peinlich war, und ich musste mir nur kurz vorstellen, es wäre ich, der gerade so herumschreit. Ein Desaster.
Am meisten habe ich aber in Tokio gelernt. Wenn du einen Untergebenen in Tokio so anschreist, wie ich das in Deutschland oder Mallorca gemacht habe, dann begeht der Harakiri, weil er vor seinen Kollegen gedemütigt wird und das Gesicht verliert. Also habe ich mit dem Blödsinn aufgehört. Vielleicht nicht ganz, aber doch meistens.
Nur bei wenigen Anlässen werde ich noch immer laut: Wenn der Mitarbeiter seinen Probierlöffel mehrfach verwendet – weil ich nicht will, dass sich sein Speichel in der Sauce befindet, die ich dem Gast serviere. Wenn er mit dem Finger probiert – weil der Finger im Essen sowieso nichts verloren hat. Wenn er den Teller mit bloßen Händen anfasst und seine Fingerabdrücke auf dem Porzellan hinterlässt. Wenn er schmutzige Fingernägel hat. Wenn er seinen Platz nicht aufräumt.
Das Gleiche hat Herr Witzigmann übrigens in einem denkwürdigen Brief von mir verlangt. Ich habe ihm genau zugehört. Und ich habe den Brief bis heute aufgehoben.