Читать книгу Antonia - Rolf Becker - Страница 7
Wien, 1867
ОглавлениеDie Kirchenglocken schlugen mit majestätischem Schall den Takt zu großer, feierlicher Orgelmusik.
Fast welke Blüten gelber, rosa und weißer Moosröschen fielen auf das tiefe, dunkle Rot des schweren Kirchenläufers.
Prächtig, voll Glanz und Feierlichkeit war die Hochzeit des Herrn Petrouschek mit Belinda Comtesse von Blumenthal.
Was hatte man nicht alles versucht, um diese Heirat zu verhindern. Immer wieder sollte sich Belinda dem Zuckerbäcker entziehen. Doch sie tat es nicht. Sie liebte ihren Petrouschek, dessen steile Karriere vom schlichten Bäcker zum Hoflieferanten zu vielfacher Bewunderung Anlaß gab.
Es war eine strahlende, große Hochzeit. Daß der größte Anteil der Ausgaben zu diesem stattlichen Fest von Herrn Petrouschek getragen wurde und nicht von der Familie derer von Blumenthal, erfuhr niemand.
Im Brautzuge die Auffallendste und Schönste war entschieden Antonia, deren Robe fast kostbarer erschien als jene der Braut.
Es war das erste Mal, daß Tante Marieluis das hingebungsvolle Opfern ihrer Schwägerin Elisabeth nicht verstand. Erschien die Mutter in übergroßer Schlichtheit, wirkte grau und arm, so sah die Tochter neben ihr wie eine hochvermögende reiche Dame aus. Ein Unterschied, den auch Berthold von Blumenthal wenig fein fand.
»Es ist eine Schande, wie albern dieses Mädchen herausstaffiert wird«, sagte er zu seiner Frau, »während Elisabeth wie eine Waise daherkommt.«
Marieluis schwieg. Sie wußte, daß Antonia ihrer Mutter alles an Geld abforderte, was diese nur entbehren konnte.
Vielleicht, so dachte sie, werde ich durch diese Antonia eines Tages zu allerhöchsten Gnaden aufsteigen.
Denn: Antonias Ziel war Wien, war die Wiener Gesellschaft, der Hof.
Könnte sein, dachte Marieluis weiter, daß sich ein Kaiser in diese üppige Schönheit verliebt. Und dann werde ich es sein, die ihrem Herzen am nächsten steht.
So schwieg sie zu jedem Vorwurf, den man Antonia zu Recht oder Unrecht machen konnte, war liebenswürdig und freundlich zu ihr wie kaum zu ihrer eigenen Tochter.
Der Tag der Hochzeit von Belinda von Blumenthal mit ihrem so geliebten Joseph Petrouschek war ein strahlender Sonnentag.
Belinda hatte nicht die große, hohe Statur ihrer Brüder, sie war eher klein zu nennen und neigte offensichtlich zur Fülle. Ein Umstand, den sie in späteren Lebensjahren mit ihrem Manne nicht zu teilen, sondern gewissermaßen doppelt zu ertragen hatte. Sie war keine schöne, eher eine hübsche, fröhliche Braut, der das endlich Erreichte wohl zu Gesicht stand.
Während des ganzen Weges vom Portal bis zum Altar konnte es Petrouschek nicht unterlassen, ihre kleine, feste Hand kräftig zu drücken. Belinda ihrerseits beantwortete diesen Druck ebenso kräftig und freudig. Die beiden fühlten sich am Ziel ihrer schwer erkämpften Wünsche und freuten sich dessen in aller Offenherzigkeit.
Die Hochzeitsfeier verlief prächtig und mit viel Fröhlichkeit. Man verlas eine eigens zu diesem Zwecke gefertigte Zeitung, in der das schwere Zueinanderfinden der Brautleute reichlich heiter und für Belindas Angehörige nicht gerade schmeichelhaft behandelt wurde, was Marieluis zu einem dezent pikierten Lächeln veranlaßte, während sie Antonia verständnisheischend ansah.
Auch als die üppigen Torten gereicht wurden, trafen sich die Blicke der beiden, und sie mußten lachen. Wenigstens, so fand Antonia, wurde von allem reichlich und in vollendeter Qualität geboten. Die Gäste waren teuer und vornehm gekleidet, wenngleich besonders edler Schmuck fehlte.
Während ihre Blicke die Hochzeitsgesellschaft musterten, bemerkte Antonia einen jungen Mann, dessen große, dunkle Augen sie ansahen, als gelte es, eine himmlische Erscheinung in sich aufzunehmen.
Als er auf stand und sie zum Tanze aufforderte, bemerkte sie, daß er groß war und einen herrlichen Solitär am kleinen Finger trug. Der Ring faszinierte sie, sein Feuer blitzte ihr entgegen, als wolle es sie grüßen.
Mit ihm zu tanzen, machte sie froh; sie fühlte sich warm und wohlig in seinen Armen. Immer wieder holte er sie zum Tanz, jegliche Etikette mißachtend, die ihm auch Tänze mit anderen Damen verschrieb.
Champagnertrunken lachten sie. Der Zauber erster Liebesträume verwandelten Antonias stets ein wenig spöttische Miene in die gelösten Züge eines verliebten jungen Mädchens. Jedermann sah, welch zauberische Verwandlung mit ihr vorging, und der Aberglaube, daß auf einer jeden Hochzeit die nächste Braut mittanzt, fand, lächelnd beklatscht, die ihm bei solchen Anlässen gebührende Beachtung.
Der junge Mann, so erfuhr man schnell, war ein Studiosus der Rechte, Sohn eines begüterten Advokaten sowie ein in der Wiener Gesellschaft gern gesehener Gast. Die Mädchen schwärmten für ihn, die Mütter sahen ihn nicht ungern, die Väter mit Nachsicht. Er verfugte über genügend Charme, überall zur rechten Zeit ein hübsches Blumenbouquet zu dedizieren; kurzum, der junge Herr Karrascz hatte Glück.
»Er hat eine Liebschaft mit der Gräfin Stemblonska«, flüsterte Marieluis Antonia im Vorbeigehen zu.
Antonia nickte nur. Der Name der Gräfin Stemblonska war ihr nicht unbekannt.
Marieluis wußte mehr über sie zu berichten, als die beiden Damen sich refraichierten.
»Sie ist Polin und sehr reich. Die Wiener liegen ihr zu Füßen, von Baron Halmay bis zu den Prinzen«, sagte Marieluis leise, während sie sich das Gesicht mit Puder betupfte. »Sie ist mindestens zehn Jahre älter als er. Aber: Sie hat ihn gemacht!«
Antonia schwieg, sah kritisch in den Spiegel und richtete ihre Frisur.
»Verkehrt er bei Hofe?«
Marieluis lachte. »Natürlich nicht, du Dummchen! Dafür ist er nicht zu gebrauchen.«
Wieder einmal hatten sich die beiden Frauen glänzend verstanden.
Marieluis dachte einen Augenblick daran, ob ihre Tochter Constance, wenn sie dermaleinst zu Balle gehen würde, sich ebenso geschickt anstellen würde wie diese Antonia.
Naja, man würde sehen. Nachhelfen konnte man immer.
Rauschenden Rockes schritt sie hinaus, zurück in den Ballsaal. Hinter ihr Antonia, nun wieder untadelig anzusehen. Kein Härchen fiel ihr in die Stirn, keine noch so winzige Stelle ihrer Haut glänzte von der Erhitzung des Tanzes.
Diese Hochzeit, so befand Antonia, war eine gute Hochzeit.