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Kapitel 11, Villa Patria, 14. April 373
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Fara war sofort putzmunter, als im Gang des Gefängnisses eine Tür aufgerissen wurde und Schritte im Gang auf ihre Zellentür zukamen.
„Halte mal die Fackel hoch!“, rief eine kräftige Frauenstimme. Im gleichen Moment wurde der Türriegel krachend zur Seite geschoben und die Zellentür aufgerissen.
Draußen war wieder die alte Frau mit dem finsteren Gesicht. „Steh endlich auf, du Miststück!“, rief sie und stürmte in die Zelle hinein.
Sie kam nur bis unter die Tür, dann wischten ihr die Ratten ins Gesicht. Erschrocken kreischte sie auf, warf ihren Oberkörper zurück und rutschte gleichzeitig auf der Blutpfütze aus. Mit einem Plumps saß sie mit ihrem Hintern in dieser Pfütze und die Ratten baumelten über ihr. Der Mann im Gang schwenkte die Fackel in die Zelle, um besser sehen zu können, und löste damit eine der Ratten von der Holzkerbe. Mit einem Klatsch fiel diese auf das verzerrte Gesicht der Frau, weil sie nach oben sah, was ihr da Nasses im Gesicht herumgewischt hatte. Das erste Kreischen war nichts gegen das, was jetzt zu hören war, als die tote Ratte vom Gesicht über ihren Busen auf den Schoß gerutscht war und sie erkannte, was es war.
Über der kreischenden Frau pendelte immer noch die zweite Ratte wie ein Damoklesschwert und wartete darauf, herunterzufallen.
Wachen kamen hereingestürzt mit gezogenen Schwertern und Messern. Alle drängelten sich an der Tür, um sehen zu können. Die sitzende Frau versperrte den Weg hinein.
Fara stand von ihrem Bett auf, kam zu der immer noch kreischenden Frau, hob an dem Faden die Ratte von ihrem Schoß auf, so dass sie vor dem hochroten Gesicht der Frau baumelte. „Bei uns sind Ratten Ungeziefer.“
Die Männer im Gang wussten nicht, ob sie erbost sein oder vor Lachen losbrüllen sollten.
Fara streckte mit unschuldigem Gesicht die Hand nach der alten Frau aus. „Darf ich dir aufhelfen? Ich bin Fara, die neue Küchenmagd.“
Die alte Frau funkelte Fara nur wütend an und ignorierte die hilfreiche Hand.
Fara schaute mit erhobenen Brauen zu den Männern hin. „Dann helft ihr endlich auf. Von unten ist es kalt und nass.“
Der Mann mit der Fackel gab diese seinem Nachbarn und fasste der Frau unter die Arme und hievte sie hoch. Dabei wischte die noch hängende Ratte wieder in ihrem Gesicht herum. Das Kreischen steigerte sich in die höchsten Töne. Wüst schimpfend stieß sie die Männer beiseite und rannte aus dem Gefängnis.
„War das Patricia?“, fragte Fara die Männer.
Einer nickte grinsend. „Das wird kein Spaß für dich heute.“
Patricia war weg und die Männer trollten sich. Fara wusch sich und machte das Messer und ihre Jagdtasche am Gürtel fest. Dann stand sie unschlüssig in ihrer Zelle. Vorsichtig verließ sie das Gefängnis, nickte dem Wachposten zu und schaute sich um. Es waren außer den Wachen nur zwei Frauen zu sehen, die der Küche zustrebten. Rechts war der Pferdestall. Der lag auf dem Weg. Sie beschloss, zuerst nach Ferox zu sehen.
Im Stall war sie die Erste und brachte gleich vom Brunnen einen Eimer voll Wasser mit. Ferox begrüßte sie mit seinem tiefen Räuspern. Eine Zeit lang streichelte Fara den Hengst. Dann ging sie Futter holen. Die anderen Pferde schnaubten in froher Erwartung, als Fara an ihnen vorbei ging. Ein paar Pferden tätschelte sie die Nase, aber sie hatte keine Zeit, sich um alle zu kümmern.
Am Brunnen wusch sie sich die Hände und ging langsam zur großen Küche. Dort rauchte schon der Schornstein dunkle Wolken in den Himmel. Acht Frauen standen in einer Gruppe mitten in der Küche und umringten Patricia. Die hatte sich umgezogen und redete auf die anderen Frauen ein. Als Fara sich der Gruppe langsam näherte, verstummte Patricia und starrte ihr rot vor Wut entgegen. Die Frauen formierten sich um und stellten sich zu beiden Seiten von Patricia auf. Alle betrachteten Fara mit ausdruckslosem, manchmal abweisendem Blick.
„Das ist die Prinzessin, wegen der Octavius von Fürst Vankor gefangen genommen wurde. Ihr wisst, er konnte nur noch mit einem Pfeil im Rücken fliehen und starb kurze Zeit später daran.“ Patricia machte eine Pause, um ihre Worte wirken zu lassen. „Markus konnte zufällig dieses Miststück auf dem Sklavenmarkt kaufen. Wahrscheinlich hat Vankor seine Tochter selbst in die Sklaverei verkauft, weil er ihre fiesen Intrigen nicht mehr aushalten wollte. Ihr seht ja, wie alt die ist. Keiner will diese Prinzessin haben. Markus hat befohlen, dass die ‚Prinzessin‘ ab heute bei uns in der Küche arbeitet. Wir sollen sie zum Putzen und Zwiebelschneiden einsetzen.“
Patricia wandte sich zu der ältesten der Frauen um. „Carmella, verpasse der eine von den alten Schürzen und ein Tuch für den Kopf. Und dann bringe der das Arbeiten bei, der ‚Prinzessin‘.“
Das Wort Prinzessin betonte Patricia besonders abfällig. Sie sagte aber nichts von den Ratten heute Morgen. Fara schwieg betroffen. Das Märchen, das sich Patricia ausgedacht hatte, schrie zum Himmel. Aber was sollte sie machen. Patricia hatte bei denen immer Recht.
„Ich heiße Fara“, sagte sie einfach und wartete ab.
„An die Arbeit“, rief Patricia und klatschte in die Hände.
Carmella marschierte zu einem Schrank in der hinteren Ecke und kam mit Schürze und Kopftuch zurück und warf diese einfach Fara zu. „Da drüben stehen Besen und ein Eimer mit Lappen. Wische die Tische sauber und kehre unter den Tischen und Bänken.“
Die Schürze war wirklich alt. Sie sah verwaschen aus und hatte zwei Löcher.
Fara hatte draußen neben der Küche einen weiteren Brunnen gesehen. Dort holte sie sich mit dem Eimer Wasser und begann die Tische abzuwischen. Danach stellte sie die Sitzbänke auf die Tische, damit das Kehren leichter fiel. Ihr war bewusst, dass die anderen Frauen sie heimlich und überaus kritisch beobachteten. Nach dem Kehren stelle sie alle Bänke wieder ordentlich an die Tische.
Das Ganze hatte nicht lange gedauert. Danach musste sie Wasser für den Wasserkessel holen und Holz neben den Öfen aufschichten.
Dann stand Fara schon wieder vor Carmella. „Dann fängst du eben an, Zwiebeln zu schneiden.“
Drei Eimer voller Zwiebeln standen an einem Tisch an der Wand. Dort sollte Fara die Zwiebeln schälen und in kleine Würfelchen schneiden.
Fara begann, die Zwiebeln zu schälen. Dazu nutzte sie ihr kleines Messer. Ein anderes hatten sie ihr nicht gegeben. Aber sie merkte bald, dass ihr Messer nicht scharf genug war. Außerdem begannen ihre Augen zu brennen und ihr liefen die Tränen über die Wangen. Das war es, was hier alle sehen wollten. Sie sollte Rotz und Wasser heulen!
Nach einer Weile fragte sie eine der jungen Köchinnen, als diese den Rücken entspannend durchdrückte und so ihren schwangeren Bauch vorstreckte. „Habt ihr auch Wetzsteine für die Messer zum Schärfen? Oder habt ihr noch andere größere Messer als dieses kleine hier?“
Die junge Frau schaute Fara skeptisch an. „Größere Messer haben wir nicht. Jeder hat sein eigenes Messer und kommt zurecht. Die Messer lassen wir beim alten Knurrsack schleifen, in der Werkstatt da drüben.“
Eine Küche ohne Wetzstein. Fara konnte es nicht glauben. Woanders war es eben anders.
Fara fing an, die geschälten Zwiebeln klein zu schneiden. Aber mit ihrem kleinen Messer ging das Schneiden nicht, wie sie es gewohnt war. Da sie nichts anderes hatte, wischte sie sich die laufende Nase mit dem Ärmel ihrer Tunika ab.
Hinter ihr wurde es merklich geschäftiger. Stapel von Tellern, Schüsseln und Bechern wurden bereitgestellt. Die Frühstückszeit war heran. Nur ein Tisch wurde mit Tellern und Bechern draußen eingedeckt. Auf den Ausgabetischen konnte Fara Weizenbrot, Eier, Käse, Honig, Obst und Kräuterquark, der hier Moretum genannt wurde, entdecken.
„Du kannst den heißen Tee aus dem Kessel da in die Kannen abfüllen“, sagte Carmella.
Fara hatte gesehen, wie Carmella mit einer großen Kelle den Tee aus dem Kessel schöpfte und ihn durch ein Sieb in die Kannen goss. Wegen der kleinen Öffnungen an den Kannen matschte der heiße Tee öfter daneben und Carmellas Schürze war schon nass.
Die Teeblätter, die im Kessel schwammen, waren nicht fein gemahlen. Deshalb nahm Fara einfach das Sieb, hielt es vor die Öffnung der Kanne und tauchte die Kanne in den Teekessel. Mit einem Lappen wischte sie die Kanne kurz außen ab, so dass nichts tropfte. Da die Kanne heiß war, trocknete sie außen schnell. So füllte sie in kurzer Zeit eine Kanne nach der anderen, bis keine Kannen mehr da waren. Danach ging sie durch die Tische und sammelte die leeren Kannen wieder ein, spülte sie aus und füllte sie wieder für die nächsten Esser.
Draußen sah sie Markus an dem Tisch sitzen, der am Anfang eingedeckt wurde. Hier saßen auch Swingard und Patricia mit einigen anderen Männern und Frauen. Auch Flavius und Lucius saßen dort. Dieser Tisch wurde von einer der Köchinnen mit Essen und Trinken bedient, während alle anderen sich ihr Essen in der Küche an den Ausgabetischen holten. Fara vermutete, dass hier das Frühstück gleich dazu benutzt wurde, um die Tagesgeschäfte zu koordinieren und Informationen auszutauschen. Das war praktisch von Markus eingerichtet. Aber es konnte nichts besprochen werden, was nicht für alle Ohren bestimmt war.
Als Fara das erste Mal zwischen den Tischen die Kannen einsammelte, drehten sich alle am Tisch zu ihr um. Markus hatte sie sicher in den schwärzesten Farben vorgestellt. Alle schauten ernst und abschätzend.
Nach der Frühstückszeit musste Fara beim Abwaschen helfen und wieder Tische wischen und den Boden kehren. Erst jetzt setzten sich alle Küchenfrauen an einen Tisch und frühstückten selbst. Keiner forderte Fara auf, sich mit an den Tisch zu setzen. Sie holte sich selbst von dem Essen, was übriggeblieben war und setzte sich weit ab an den Rand, wo sie das Leben im Hof besser im Blick hatte.
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Fara hatte sich entschlossen, zu dem Messerschleifer zu gehen, bevor sie wieder mit den Zwiebeln anfing. So sagte sie Carmella nur, dass sie ihr Messer schleifen wollte und marschierte, ohne eine Antwort abzuwarten, zu der Werkstatt über den Hof.
Die Tür war geschlossen, aber die Läden der Fenster waren geöffnet, das Leuchten eines Schmiedefeuers war zu sehen und Hammerschläge auf dem Amboss zu hören.
Fara öffnete die Tür und schaute hinein. Auf der Innenseite der Tür war in groben Umrissen ein Mensch aufgemalt. Drinnen stand ein älterer Mann am Amboss und hämmerte auf ein rotglühendes Schwert ein. Der Mann sah finster auf seine Arbeit. Sein Bart war ungepflegt. Die wirren Haare wurden mit einem speckigen Lederband im Nacken zusammengefasst. Die alte Lederschürze und die schwarzen Hände ließen ihn noch finsterer erscheinen. Der Mann blickte nicht auf, als Fara hereinkam und die Tür wieder schloss.
Eine Weile schaute Fara nur zu. Dann ging sie zum Schmiedefeuer und betätigte den Blasebalg, damit das Feuer die notwendige Hitze behielt.
Als der alte Mann das Schwert wieder in die Glut steckte und keinen Krach mehr machte, sprach Fara ihn an. „Bist du der alte Knurrsack?“
Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaute der Mann Fara kurz an. „Wer will das wissen?“
„Ich bin Fara, die Neue in der Küche.“
„Was willst du Furie hier?“, fragte der Mann. Aha, der wusste Bescheid. Das konnte nur von Vitus stammen.
„Die Furie soll die Zwiebeln schlachten und braucht dazu ein großes Zwiebelmesser.“ Fara deutete auf das Werkstück im Feuer. „Hat jetzt dein Eisen die richtige Farbe zum Schmieden?“
Der alte Mann griff sich sein Schmiedestück und schnauzte. „Hier gibt es keine Zwiebelmesser!“
Damit drehte er sich zum Amboss und hämmerte wieder auf das glühende Schwert ein.
Immer zwischen den Schlägen platzierte Fara ihre Worte und beschrieb ihre Wünsche. „Lang – wie – mein – Unter- arm. Breit - wie - drei – Finger. Schneide – rund.“
Derart abgelenkt, warf der Mann den Hammer auf den Amboss. Die Schläge waren zu kräftig und die Dellen in der Klinge deutlich zu sehen.
„Ich hätte dich in Ketten gelegt und ins Salzbergwerk geschickt, anstatt zum Zwiebeln schneiden. Du intrigante Furie“, knurrte der Mann.
Fara wollten Tränen in die Augen treten. „Ich war damals nicht da, als Octavius beschuldigt und gefesselt wurde.“
„Jetzt will sich die Furie auch noch rausreden!“
Wutentbrannt griff der alte Mann nach zwei schweren, langen Messern, die neben dem Amboss auf einem Tisch lagen, und warf diese nacheinander in Richtung Tür. Das erste Messer traf von der aufgemalten Figur die linke Seite des Bauches und blieb schief stecken. Das zweite Messer krachte mit der Breitseite dagegen und fiel herunter.
Deutlicher konnte es der Alte nicht zeigen, was er von ihr hielt. „Wenn ich das sein soll, dann hättest du mich dünner malen müssen“, murmelte Fara.
Damit ging sie zu der Tür, griff sich den Farbtopf, der neben der Tür stand und malte mit den Fingern der Figur eine Taille und in den Kopf zwei ovale Augen.
„So, das sieht mir schon ähnlicher“, bemerkte sie mehr zu sich selbst und kam mit den zwei Messern zurück.
Als Fara hinter dem Schmiedefeuer war, wirbelte sie zur Tür herum und warf eins der schweren Messer auf die Figur. Die Tür erschütterte und das Messer steckte mitten im Oberkörper.
Der alte Mann hatte seine Augen aufgerissen. Er wusste, wie viel Übung man brauchte, um aus beliebiger Entfernung mit einem Messer zu treffen. Aber mit fremden Messern war das unmöglich.
Fara zog ihr Messer aus dem Gürtel und warf es ebenfalls. Ihr kleines Messer steckt am Rand des rechten Auges.
„Jetzt kannst du mich Furie nennen“, sagte sie zu dem Mann. „Wenn ich gewollt hätte, dass Octavius stirbt, hätte er ein Messer zwischen den Rippen gehabt. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe gehandelt und Octavius zur Flucht verholfen. Die Hetzjagd bis zum Limes konnte ich nicht verhindern.“
Der alte Mann starrte weiterhin auf die Tür mit den zwei Treffern.
„Ich heiße ab heute Fara und wie heißt du wirklich?“ Fara begann ihre Begegnung von vorn.
Der Alten behielt sein finsteres Gesicht bei. „Roccus“, sagte er nach einer Weile. „Von mir bekommst du nichts.“
„Hast du wenigstens einen Schleifstein für mein kleines Messer?“
Roccus deutete nur in eine der hinteren Ecken seiner Werkstatt.
Fara ging zur Tür und zog ihr Messer aus dem Holz. Dabei behielt sie das zweite Wurfmesser von dem Alten in ihrer linken Hand. In der Ecke suchte sie sich aus einer Kiste einen Schleifstein, den sie für brauchbar hielt. Kundig schärfte sie ihr Messer. Das konnte jeder, der in einer Küche arbeitete. Dabei sah sie sich nachdenklich das zweite Wurfmesser an, das sie auf dem Kistenrand abgelegt hatte. Es war fast so lang, wie sie es brauchte. Da die Klinge zwei Schneiden hatte, war es relativ breit. Dadurch waren die Konturen der Schneiden etwas rund. So ähnlich wollte sie es haben. Auch wenn es nicht ideal war.
Fara drehte Roccus ihren Rücken zu, so dass er nicht sah, was sie trieb. Mit dem Daumen untersuchte sie die Schärfe der Schneiden des Wurfmessers. Die Klinge war flach gehämmert. Aber sie musste noch einiges schleifen, bevor die Schneiden scharf genug waren. So wie sie Zwiebeln zerteilen wollte, brauchte sie ein überaus scharfes Messer.
Roccus hämmerte derweilen weiter auf seinem Schwert herum, ohne sich um Fara zu kümmern. Fara schruppte erst mit einem groben Schleifstein, ehe sie mit feineren Steinen die Klinge sauber abzog. An ihren Haarspitzen prüfte sie, wie scharf die Schneiden waren. Zufrieden nickte sie.
Fara lief zur Tür und zog das schief steckende Wurfmesser heraus. Beide Wurfmesser brachte sie zum Amboss. „Deine Wurfmesser sind etwas zu lang und nicht spitz und schmal genug, damit sie zwischen die Rippen passen. Kürzer wären sie auch nicht zu schwer.“
Roccus verzog missmutig den Mund.
Auf einmal flog die Tür auf und Patricia platzte herein. „Du faules Miststück, drückst dich hier vor der Arbeit. Ist doch klar, dass du alter Knurrsack dahintersteckst.“
Patricia funkelte beide wütend an.
„Störe nicht, du alter Drachen. Soll sie etwa die Zwiebeln mit den Händen schneiden?“ Roccus reckte sein Kinn hoch und fuchtelte mit seinem Schmiedehammer in der Luft herum.
„Wenn sie nicht bald anfängt, die Zwiebeln zu schneiden, dann gibt es heute Abend keine Zwiebelsuppe und alle müssen wegen der da hungrig schlafen gehen.“ Patricia suchte krampfhaft nach weiteren Argumenten. Ihren großen Kochlöffel hatte sie in ihrer Wut vergessen.
„Wir sind schon fertig. Danke für das Messer, Opa Roccus.“ Dabei hielt Fara das geschärfte Wurfmesser hoch. „Es ist jetzt scharf wie ein Rasiermesser. Ich werde es testen und bringe es morgen wieder.“
Fara umrundete Patricia im großen Bogen mit ihrem neuen Messer in der Hand und war schon zur Tür hinaus.
Roccus blickte Patricia finster an. „Du alter Drachen kochst heißer als mein Schmiedefeuer, so rot wie du angelaufen bist.“ Und nach einer kurzen Pause ergänzte er. „Wehe, ich finde zwei Ratten in der Zwiebelsuppe.“
Patricia wechselte zum Dunkelrot und schnappte ein paarmal nach Luft. Alles, was ihr einfiel, war nicht stark genug, um es Roccus heimzuzahlen. So drehte sie sich wütend um und marschierte durch die Tür, die mit einem lauten Knall in den Rahmen krachte. Einen Augenblick später hämmerte ein Schlag von innen gegen die Tür.
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Fara hatte unterdessen ihre Utensilien zum Zwiebelschneiden auf die Terrasse auf einen Tisch geräumt, wo der Wind am meisten wehte. Es war am späten Vormittag so warm geworden, dass der Wind auffrischte. Fara stellte sich an den Tisch und schälte die Zwiebeln mit ausgestreckten Armen. Sie hatte den Mund voll Wasser genommen und die Augenlider gesenkt. Außerdem schnitt sie die Zwiebeln zuerst halb durch. So schälten sie sich leichter. Nachdem sie etliche Zwiebeln geschält hatte, musste Fara immer noch nicht heulen. Der Wind war ihr stärkster Verbündeter.
Jetzt begann Fara, die Zwiebeln kleinzuschneiden. Schneiden war nicht der richtige Ausdruck. Die Zwiebeln wurden gehackt.
‚Tak-tak-tak-tak-tak-tak-tak’. Kurzer Moment zum Drehen der Zwiebelhälfte. ‚Tak-tak-tak-tak-tak-tak-tak’.
Das Klopfen auf das Holzbrett war im ganzen Hof zu hören. Beim Tak-tak brauchte Fara nicht auf ihre Hände zu schauen. Die hämmerten von ganz allein. Die eine Hand, die die Zwiebel hielt, führte das breite Messer sicher Schnitt für Schnitt. Die feingehackten Zwiebeln schob Fara vom Brett in einen Eimer halbvoll mit Wasser. Da trockneten die Zwiebeln nicht aus, und es stank nicht so penetrant. Außerdem konnte das Wasser gleich für die Zwiebelsuppe genutzt werden.
‚Tak-tak-tak-tak-tak-tak-tak’. ‚Tak-tak-tak-tak-tak-tak-tak’. Dieses ungewohnte Klopfen erregte die volle Aufmerksamkeit der Küchenfrauen. Eine nach der anderen kamen sie auf die Terrasse, um Fara zuzusehen. Ein Eimer Zwiebeln war abgearbeitet und Fara musste kaum schniefen.
‚Tak-tak-tak-tak-tak-tak-tak’. Die Werkstatttür vom Waffenmeister ging auf. Aus der Ferne sah Roccus eine Weile Fara beim Zweibelschneiden zu. Fara lächelte kurz Roccus zu, ohne mit dem ‚Tak-tak-tak-tak-tak-tak-tak’ innezuhalten. Dann ging er wieder in seine Werkstatt und schon bald hörte man seinen eigenen Takt auf dem Amboss schlagen.
Als die Mittagszeit heran war, musste Fara die Terrasse für die Esser räumen. Sie sollte die Teller und Schüsseln zusammenräumen und die Essensreste in einen Bottich für die Schweine kippen. Parallel dazu half sie beim Abtrocknen des Steingutgeschirrs und der Holzteller, damit die verspäteten Esser welche abbekamen.
Die schwangere Küchenfrau wusch das Geschirr. Als der Andrang nicht mehr so groß war, wandte sie sich an Fara.
„Du hast nicht zum ersten Mal Zwiebeln geschnitten?“
Fara schreckte aus ihren Gedanken hoch und überlegte, was sie sagen sollte. „Ich war oft bei meiner mütterlichen Freundin in der großen Küche an Vankors Hof. Dort habe ich mitgeholfen, um nicht aus der Küche geworfen zu werden.“
Die Schwangere schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich dachte immer, Prinzessinnen brauchen nichts zu machen. Sie müssen nur schön sein und werden den ganzen Tag bedient.“
Jetzt schüttelte Fara ihren Kopf. „Ja, die ganze Zeit langweilen sie sich und spinnen Intrigen gegen unschuldige Gäste. Frage am besten Patricia darüber. Die weiß das ganz genau. Die war ja auch dabei, als das mit Octavius passierte.“ Fara rannte davon, um neues Geschirr zum Abwaschen zu holen und ließ eine verdatterte Köchin stehen.
Fara kam wieder und ergänzte. „Ich bin hier keine Prinzessin mehr aus adliger Familie, habe keine Freunde und keinen Beschützer. Das Einzige, was zählt, ist das, was ich kann. Wie heißt du?“
„Ich heiße Dina. Wie hast du den alten Knurrsack dazu gebracht, dir so ein scharfes Messer zu geben?“
„Ich habe seinen Blasebalg bedient und nach seinem richtigen Namen gefragt. Das Messer steckte in der Tür und ich habe es mir, sagen wir, ausgeliehen, als Patricia hereinplatzte.“ Fara blickte Dina verschmitzt an.
„Das hätte ich mir nie getraut. Roccus war früher einmal Centurio bei der Legion. Vor dem stehen alle Wachsoldaten hier stramm, wenn der brüllt.“ Dina lugte nach dem neuen Messer, das Fara hinten in einer Schlaufe ihres Kordelendes hängen hatte. „Das muss sehr scharf sein, wenn du die Zwiebeln so hacken kannst.“
„Ja, ich könnte den alten Knurrsack damit rasieren. Nötig hätte es der Zottelbär. Vielleicht hat er Angst vor dem Rasiermesser und brüllt deshalb so laut.“
Beide kicherten bei der Vorstellung.
„Centurio Zottelbär Knurrsack. Herrlich. Nach der Mittagszeit essen wir selbst. Setze dich doch mit zu uns. Manche platzen regelrecht vor Neugier“, lud Dina Fara ein.
Fara zeigte auf Dinas Bauch. „Du bist am Ende vom sechsten Monat. Es wäre besser für dich, wenn du leichtere Arbeiten machen müsstest, als Wasser zu schleppen und Holz zu holen.“
„Ach, das macht mir nichts aus. Das ist hier nicht üblich. Carmella hat alles streng eingeteilt.“
Fara schüttelte den Kopf, war aber froh, endlich jemanden zum Schwatzen zu haben.
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Nachdem die letzten Esser gegangen und die Tische abgeräumt waren, setzten sich alle Frauen an einen langen Tisch auf der Terrasse. Fara setzte sich zaghaft an das Ende des Tisches neben Dina.
Missmutig schauten die älteren Frauen um Carmella herüber. Aber Dina reagierte schnell. „Ich habe Fara eingeladen, mit bei uns zu sitzen. Sie arbeitet ja mit uns zusammen.“
„Die Prinzessin gehört nicht zu uns. Wer schneidet schon Zwiebeln mit einem halben Schwert.“ Das sagte die Köchin rechts neben Carmella.
Dina entgegnete spitz. „Das kannst du sagen, wenn du die Zwiebeln schneller würfeln kannst, ohne zu heulen, und den Tee in die Kannen zauberst wie Fara.“
Damit war erst einmal der Bann gebrochen. Die jüngeren Frauen blickten eher neugierig auf Fara.
„Warum musste es so ein großes Messer zum Zwiebelschneiden sein?“, fragte eine von ihnen.
„Das hat mir die beste Köchin bei uns gezeigt. Das Messer ist schwer genug zum Hacken und so breit, damit man das Messer mit der anderen Hand führen kann, ohne sich zu schneiden. Außerdem kann man das breite Messer als Schaufel benutzen. Wenn eine Schneide verbraucht ist, nehme ich die scharfe Rückseite. Am besten sind aber die Rundungen der Klinge. Damit kann man mit wiegender Bewegung Kräuter und so was fein schneiden“, zählte Fara auf.
„Aber für alle Arbeiten kann man so ein langes Messer nicht nehmen“, wandte eine ältere Köchin ein.
„Das ist richtig. Wunna, das war unsere beste Köchin, hatte mehrere spezielle Messer für die verschiedenen Arbeiten“, bestätigte Fara.
Dina fragte leise. „War Wunna deine mütterliche Freundin?“
„Bei ihr in der Küche war es warm und es gab immer zu essen. Im Winter waren die Räume im Palast kalt. Ich wurde deswegen von den anderen Prinzessinnen, mit denen ich zusammenwohnte, beneidet.“ Fara war vorsichtig mit ihren Antworten.
Carmella blickte Fara höhnisch an. „Na, viel zu essen gab es nicht bei euch, so schlank, wie du aussiehst.“
„Ach, weißt du“, entgegnete Fara. „Ich muss mich bei euch Römern bedanken. Dem Sklavenhalter waren plötzlich das Fleisch und die Milch ausgegangen. Nach einem halben Jahr passen mir jetzt wieder alle meine Kleider.“
Carmella lief rot an. Sie war von allen Küchenfrauen die beleibteste.
„Wie viele Mäuler hattet ihr denn zu stopfen, in eurer großen Küche?“, fragte eine der jüngeren Köchinnen.
„Das waren mindestens einhundertzwanzig Köpfe für unsere Küche. Die Krieger hatten eine eigene Küche für etwa sechzig Mann. Wenn es große Feste gab oder andere Fürsten zu Gast waren, mussten wir über zweihundert Menschen verpflegen. Da kamen aus den Dörfern Frauen zum Helfen und es wurden weitere Küchen unter Zelten aufgebaut.“ Fara hatte eher untertrieben.
„Das sind riesige Mengen an Lebensmitteln, wenn so viele das Gleiche gegessen haben“, schätzte die junge Köchin ein.
„Nicht ganz“, entgegnete Fara. „Für die Fürstenfamilie und andere Adlige wurde ein besseres Essen gekocht als für die Handwerksmeister oder für die einfachen Leute. Unsere Heilerin wollte oft ein besonderes Essen für die Kranken haben. Manchmal waren die Küchenfrauen froh, wenn ich mitgeholfen habe.“ Fara lächelte vor sich hin, als sie an die alte Heilerin dachte.
Die Köchinnen mussten erst einmal überdenken, was es zusätzlich für Aufwände gegenüber ihrem Essensplan waren.
„Haben alle Prinzessinnen mit in der Küche helfen müssen?“, fragte Carmella.
„Nein. Ich war die Einzige und ich habe das freiwillig gemacht“, antwortete Fara.
Man sah den Frauen an, dass hier ihre Vorstellungswelt ins Wanken geriet. Einige wiegten skeptisch ihre Köpfe.
Nach dem Essen und Saubermachen baute Fara ihren Zwiebelstand wieder auf der Terrasse auf und hackte die restliche Menge.
Als Fara mit dem Zwiebelschneiden fertig war, kam Dina mit dem Salznapf zu ihr. „Hier, reib deine Hände mit Salz ein und wasche dir ausgiebig die Hände. Damit riechen sie nicht mehr so nach Zwiebel. Salz haben wir ja genug.“
Fara roch an ihren Händen. Ferox würde ausreißen vor ihr, wenn sie ihn streicheln wollte. Sie rümpfte selber über sich die Nase. Also befolgte Fara den Rat.
Bis zum Abendessen war noch Zeit. Fara sagte Carmella einfach, dass sie Ferox versorgen und bei Swingard die Kräuter einpflanzen müsse.
Gleich mit Schürze ging sie zum Pferdestall. Maurus war nicht zu sehen. Gut so. Ferox wieherte laut, als er Fara sah. Erfreut stellte Fara fest, dass Silvius den Hengst gut versorgt hatte. Aber Ferox langweilte sich sichtlich. Er brauchte dringend Bewegung.
Erst streichelte Fara den Hengst ausgiebig. Der sollte sich gleich an ihren neuen Geruch gewöhnen. Sie würde sicher längere Zeit Zwiebelmagd sein.
Dann streifte sie Ferox ein Halfter über den Kopf und führte ihn aus dem Stall.
„Heyja, Jago“, sagte sie bloß und der trabte an.
Fara krallte sich in seiner Mähne fest und schwang sich nach zwei-drei Schritten auf dessen Rücken. Im Galopp jagte sie den ganzen Hof entlang. Wer sie sah, so ohne Sattel leicht vorgebeugt, den Rock der Tunika hochgeschürzt mit nackten Beinen, ein baumelndes langes Messer am Gürtel und das flatternde Haar im Wind, der blieb stehen und starrte hinterher. Das war für eine Frau ungewöhnlich, ja schier unmöglich. Es gehörte sich nicht, sich so aufzuführen.
Am Ende des Hofes, bei den Hühner- und Gänseställen kehrte Fara um, galoppierte zurück zum großen Eingangstor, drehte wieder um und trabte den Hof zurück bis zum Kräutergarten. Dort saß sie ab und ließ Ferox ohne anzubinden stehen.
Die beiden Kästen mit Kräutern von Wisgard standen noch so vor dem Haus von Swingard, wie Vitus und Fara sie abgestellt hatten. Die Kräuter standen den ganzen Tag über in der Sonne und ließen die Blätter traurig hängen.
Fara schnappte sich die erste Kiste und ging in den Kräutergarten. Dort musste sie sich erst einmal umschauen, wo welche Kräuter standen. Das war nicht leicht, denn überall dazwischen wuchs nach besten Kräften Unkraut. Die erdrückten fast die Heilkräuter und nahmen ihnen das Licht.
Fara fand am Wegrand Hacken und Pflanzhölzer. Aber sie musste erst Platz schaffen für die neuen Kräuterpflanzen. Das Unkraut, das sie herausriss, stapelte sie auf zwei verschiedene Haufen.
Nach einer Weile richtete sie sich auf, um nach Ferox zu sehen. Der stand vor der halbhohen Mauer und hängte seinen Hals darüber, um ein paar Blätter vom Kräuterbeet zu zupfen.
„Jago, geh weg. Das ist nicht für dich bestimmt“, schimpfte Fara mit ihm.
„Was willst du in meinem Kräutergarten, Prinzessin!“, rief es erbost hinter ihr.
Fara drehte sich erschrocken um und stand direkt vor Swingard.
Mit ihren schmutzigen Händen zeigte sie auf die Kräuterkisten. „Ich kenne keine Heilerin, die einen solchen Schatz an Heilpflanzen vertrocknen lässt. Ich habe Wisgard versprochen, die Pflanzen heil her zu bringen und damit die Mühe nicht umsonst war, pflanze ich sie jetzt ein.“
„Was weißt du schon von Heilpflanzen. Du wirst sie mir alle ausreißen.“ Damit zeigte Swingard auf die zwei Haufen Unkraut.
Fara schaute Swingard direkt in die Augen. „Du hast Beschwerden beim Aufstehen, du hinkst leicht und du stehst etwas schief. Dein zusammengekniffener Mund sagt mir, dass du Schmerzen hast. Lass mich raten. Dir macht dein Rücken Probleme. Die Einseitigkeit deutet auf Hexenschuss hin. Gartenarbeit ist Gift für dich. Deshalb sehen die Kräuterkästen so aus. Am besten hilft gegen Hexenschuss Pfefferminze, Johanniskraut und Rosmarin in Verbindung mit einer entspannenden Massage in warmer Umgebung.“ Fara deutete auf die Unkrauthaufen. „Zeige mir nur eine Heilpflanze darin. Der Haufen mit dem Löwenzahn besteht aus essbaren Pflanzen und den anderen Haufen werde ich wegwerfen oder den Ziegen dahinten am Ende des Hofes geben.“
Swingard war sprachlos, blickte aber trotzdem Fara finster an.
„Ich suche schnell die drei Heilpflanzen zusammen. Dann kannst du sie vorbereiten und ich komme nachher, wenn ich hier fertig bin zu dir herein für die Massage. Allein geht das schlecht, das weißt du selbst“, fragend schaute Fara die Heilerin an.
Swingard zeigte keine Reaktion. Fara zog ihr Messer und suchte zuerst die Pfefferminze. Die hatte sie schon vorhin entdeckt.
Als sie nach den anderen Kräutern suchte, zeigte Swingard in die hintere Ecke des Kräutergartens. „Rosmarin findest du dort hinten. Johanniskraut blüht nicht so zeitig im Jahr. Das habe ich drinnen in Öl eingelegt.“
Schon hatte Fara die Pflanzenstängel abgeschnitten und gab sie Swingard. „Hast du ein Feuer, um Steine zu erwärmen?“
„Ein Topf mit warmem Wasser tut es auch“, entgegnete Swingard und ging zurück zu ihrem Haus.
Fara band Ferox so an, dass er zwar Gras erwischte, aber nicht den Kräutergarten erreichen konnte. Dann holte sie die zweite Kiste.
Nach kurzer Zeit hatte sie die neuen Kräuter eingepflanzt und die essbaren Unkräuter in einer der Kisten gesammelt.
Am Brunnen wusch sich Fara die Hände und stellte Ferox einen Eimer mit Wasser hin. Dann ging sie hinein zu Swingard.
Swingard erwartete sie schon und sprach sie auf Markomannisch an. „Gehörten Kräuter zur Ausbildung bei den Prinzessinnen? Ich bin zwar bald zwanzig Jahre von den Markomannen fort, aber das wäre mir neu.“
„Nein. Unsere Heilerin war schon alt und sie freute sich, dass sie ihr Wissen weitergeben konnte. Man weiß ja nie, wohin man verheiratet wird. Da ist es immer besser, so viel wie möglich zu wissen. Es gibt auch Heiler, die nur so tun, als ob sie heilen könnten. Denen wollte ich nicht ausgeliefert sein.“ Fara schloss die Türen und die Fensterläden.
Sie zeigte auf die Liege in Swingards Zimmer. „Jetzt bist du der Patient.“
Fara holte den Topf mit warmem Wasser vom Ofen. Dann schob sie Swingards Röcke hoch. „Wo tut‘s denn weh?“
Nach dem Aufwärmen massierte sie die Stelle mit den vorbereiteten Heilkräutertinkturen ein. Dabei erzählte Fara, wie sie oft mit ihrer alten Heilerin mit einem kleinen Pferdewagen in die Dörfer gefahren war, um zu helfen. Auch schwärmte sie von dem großen gepflegten Kräutergarten von Wisgard im Vergleich zu ihrer mühsamen Suche nach Kräutern im Wald.
Nachdem Fara die Massage beendet hatte, sagte sie zu Swingard. „Ich gieße noch die neuen Pflanzen. Morgen komme ich um die gleiche Zeit wieder. Ferox braucht sowieso Auslauf. Und jetzt schön liegenbleiben und entspannen.“ Fara verschwand nach draußen, ohne eine Antwort abzuwarten.
Auf Ferox mit der Holzkiste reiten, ging nicht. Deshalb trug sie die Kiste und Ferox stapfte hinter ihr her.
Ein Handwerker rief ihr aus dem Fenster nach. „Jetzt hat der Gaul dich wohl abgeworfen, so ohne Sattel.“
„Nein“, rief sie zurück. „Er hat fast einen Schuh verloren, jetzt müssen wir zum Schuhmacher. Wo finde ich den Hufschmied?“
„Der ist gleich neben dem Waffenmeister Roccus, da vorn.“ Der Handwerker zeigte in die Richtung, in die sie lief.
Als Fara an der Küche vorbeikam, stellte sie im Schatten ihre Kiste ab. Das Abendessen hatte noch Zeit.
Beim Hufschmied war das Tor offen. Ein großer, kräftiger Mann von etwa vierzig Jahren stand am Feuer und erwärmte ein Hufeisen.
„Salve“, rief Fara in die Schmiede, während sie Ferox am Tor stehen ließ. „Bist du der Hufschmied?“
„Ich bin der Hufschmied, aber nicht für Ferox“, sagte der Mann abweisend und zeigte mit seiner Zange nach dem Hengst. Dann drehte er Fara demonstrativ seinen Rücken zu und brummelte vor sich hin.
„Was hast du gegen Ferox?“, bohrte Fara weiter.
Der Riese blickte nur über seine Schulter. „Weil Ferox grundsätzlich Probleme beim Anpassen und Annageln der Hufeisen macht. Das letzte Mal hätte er mich beinahe erwischt, als er heftig nach hinten ausgekeilt hat. Wieso gibst du dich mit dem unberechenbaren Ungeheuer ab?“
„Ich heiße Fara und bin die neue Zwiebelmagd. Wie heißt du?“, fragte Fara.
„Tabor. Den Gaul mache ich nicht“, sagte der Hufschmied entschieden.
„Ich soll mich um Ferox kümmern, hat Markus gesagt. Bei mir folgt er und er braucht dringend neue Hufeisen“, entgegnete Fara.
„Dann finde einen anderen Dummen, der ihn beschlägt.“
„Hast du wenigstens Hufeisenrohlinge für Ferox? Dann mache ich das Anpassen und das Beschlagen selbst“, behauptete Fara.
Tabor hob seine buschigen Augenbrauen. „Du bist wohl lebensmüde. Das ist nichts für Frauen. Hufeisen für Ferox sind da. Der hatte uns das letzte Mal nicht mehr rangelassen. Nicht mal vier Stallknechte konnten ihn halten. Als Maurus mit der Peitsche kam, hat er sich losgerissen und ist abgehauen. Und du kleines Mädel, willst diesem wilden Kerl die Hufeisen verpassen? Iss erst mal kräftig. So schlank, wie du aussiehst, schleift dich Ferox durch ganz Pannonien.“
„Ach, der wird schon stillhalten, wenn ich ihn ganz lieb darum bitte. Kann ich morgen oder übermorgen mit Ferox kommen?“, fragte Fara zurück.
„Ich muss die Hufeisen erst suchen. Komm übermorgen vorbei. Morgen beschlage ich die Pferde, die die nächsten Salzlieferungen ziehen werden.“ Damit wandte sich Tabor wieder dem Schmiedefeuer zu und brummte vor sich hin. „Ignorantes Weibervolk. Pferde beschlagen. Je jünger, umso dümmer!“
Fara hängte Ferox die Zügel über seinen Hals und stapfte in Richtung Stall davon. Ferox lief nach einem Augenblick hinter ihr her und stupste sie sanft mit der Nase in ihren Rücken.
Über seine Schulter schaute Tabor hinter Fara her und schüttelte missbilligend den Kopf.
Im Stall hatte Silvius die Zeit genutzt und den Stellplatz von Ferox ausgemistet und neues Stroh herangeschafft. Fara nahm dem Hengst das Zaumzeug ab und schloss die Tür. Dann suchte sie Silvius.
„Ich danke dir für das Ausmisten. Wie kommst du mit Ferox zurecht?“, begrüßte sie ihn.
„Das braucht sicher einige Zeit. Aber so bissig ist er nicht mehr wie früher. Du tust ihm gut, denke ich.“ Silvius lächelte Fara zu. „Obwohl Maurus nicht gern sieht, dass Ferox so gut behandelt wird.“ Dann zeigte er zum Eingang des Stalles. „Wir haben gleich am Eingang noch so einen, der um sich beißt und nicht folgen will. Kannst du ihn dir mal ansehen?“
Fara überlegte. „Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Aber zeige ihn mir. Man muss sich einige Zeit mit dem Pferd beschäftigen, um sich eine Meinung zu bilden. Behandle ihn erst mal so wie Ferox jetzt. Ich schaue morgen nach ihm.“
Im Hinausgehen deutete Silvius auf einen schwarzen, knochigen Hengst. „Er heißt Nigrum, Schwarzer.“
Fara hielt schon mal ihre Hand in die Richtung der Nase von Nigrum und sah ihm einige Zeit in die Augen. „Halte die dominanten Hengste im Stall immer weit auseinander. Sonst kommen sie nie zur Ruhe.“
Fara nickte Silvius zu und ging dann zur Küche.
In der Küche waren die Vorbereitungen für das Abendessen schon voll im Gange. Die Schüsseln und Bretter mit den Löffeln wurden bereitgestellt und Brot in Stücke geschnitten.
„Wo bleibst du denn. Immer, wenn die meiste Arbeit ist, bist du verschwunden“, zeterte Carmella. „Mach wieder die Teekannen fertig und den Rest wie zu Mittag.“
Fara setzte die Kiste mit den Unkräutern ab und langte nach den ersten Kannen. Schnell hatte sie einen Vorrat bereitgestellt und wusch nebenbei die Unkräuter. Sie beobachtete alle anderen Köchinnen, um sich die Abläufe besser einzuprägen. Das Kleinschneiden der Brote ging mit den relativ kleinen Messern der anderen etwas umständlich. Darum half sie, wenn sie Zeit hatte, mit ihrem langen Messer aus. Dann nahm sie Dina die schweren Wassereimer für den großen Wasserkessel ab, weil sie merkte, dass Dina vom langen Tag schon erschöpft war.
Als Markus, Lucius und Flavius an ihren Tisch kamen, stellte Fara gleich zwei volle Kannen Tee auf den Tisch und goss die Becher voll. Sie machte das etwas umständlich, um länger Zeit zu haben, die Gespräche zu belauschen.
„Lucius, hast du endlich die Liste mit den Fuhrwerken der letzten Wochen zusammengestellt?“, fragte Markus etwas aufgebracht.
„Ich verstehe nicht, wieso dich das plötzlich so interessiert. Bisher hat doch alles geklappt, oder?“ Lucius wollte sich, so schien es, davor drücken.
„Ich habe dafür eben meine Gründe. Du wirst doch wohl wissen, wie viele Fuhrwerke mit welchen Waren und welchen Fuhrleuten du in die Welt schickst. Wie viele Fuhrwerke haben wir überhaupt im Einsatz?“ Markus ließ nicht locker. Flavius beobachtete bei dem Wortwechsel Lucius aus den Augenwinkeln. Es hatte den Anschein, dass sich Markus und Flavius vorher abgesprochen hatten.
Lucius überlegte einige Zeit. „Das müssen so fünfunddreißig bis vierzig Wagen sein. Wenn alle Wagen da wären, würde der Hof platzen.“
Markus bemerkte, dass Fara das Gespräch mithörte. Als erriet er ihre Gedanken, fragte er Lucius. „Haben die Wagen eigentlich Nummern oder Namen?“
Lucius schüttelte nur den Kopf. In erster Linie sicher über die unsinnige Frage, denn bisher war das nicht üblich und notwendig. In zweiter Hinsicht war es schon eine versteckte Kritik, weil er die genaue Anzahl parat hatte.
Jetzt setzten sich weitere Personen an den Tisch. Zuerst kamen Vitus und Roccus.
Dann erschienen Patricia und noch eine ältere Frau, die Fara aufmerksam zu betrachten schien. Fara schenkte auch denen Tee in die Becher und sauste zurück zu ihren Teekannen.
Patricia hatte ihr keinen Blick gewürdigt. Das war auch nicht zu erwarten. Die andere ältere Frau, die Fara zum ersten Mal sah, musste diese Marada sein, von der Markus erzählt hatte.
Fara fiel auf, dass die dritte ältere Frau an diesem Tisch, Swingard, fehlte.
Etwas später sah Fara Tabor an einem Tisch mit drei anderen Männern sitzen. Sie unterhielten sich angeregt, wobei Tabor mit seinem Löffel ab und zu in Richtung Fara wies.
Fara schnappte sich eine Teekanne und marschierte zu diesem Tisch. „Möchte einer von euch Tee haben?“
Tabor wandte sich an die Männer am Tisch. „Das ist die Neue, die dem wilden Ferox die Hufe beschlagen will. Schaut sie euch noch einmal genau an. Übermorgen flitzt sie nicht mehr so leichtfüßig um die Tische. Wenn sie dann überhaupt wieder laufen kann.“
Alle Männer am Tisch waren Handwerker, nach der Bekleidung und den Holzspänen, die daran anhafteten, zu urteilen.
Fara schenkte ungefragt den Männern Tee ein.
„Warum sitzt ihr vier so abseits von den anderen Handwerkern? Gehört ihr etwa nicht dazu?“
Der mit den meisten Holzspänen an seiner Tunika schüttelte den Kopf. „Wir sind aus Dakien hergekommen. Die anderen römischen Handwerker denken, sie sind etwas Besseres als wir Barbaren.“
„Dabei sprecht ihr relativ gut Latein“, meinte Fara.
„Na ja. Dakien war schon zu lange römische Provinz. Dort wird kaum noch Dakisch gesprochen.“
Fara sammelte die leeren Teller ein. „Wenn ihr von selbst Abstand haltet, lernen die Einheimischen Euch nie richtig kennen und schätzen. Ich bin auch von den Barbaren. Wir kommen nun mal in ihre Welt und müssen uns in dieser einfügen. Sie werden ganz sicher nicht unsere Gepflogenheiten annehmen.“
„Die gucken uns meist scheel an“, erwiderte der Holzspanmann.
„Vielleicht sind sie selbst nur etwas verunsichert, weil sie zu wenig über euch wissen“, sagte Fara.
Damit drehte sie sich um und balancierte das Geschirr zum Abwasch.
Tabor schaute ihr hinterher. „Ha, das sagt sich so leicht daher.“
Als Fara das Geschirr an Markus‘ Tisch abräumte, fragte Marada, ob sie wüsste, warum Swingard nicht zum Abendessen erschienen war.
Patricia hob ihre Schultern und schüttelte den Kopf. Marada erhob sich schwerfällig und verließ die Terrasse. Einen kurzen Moment überlegte Fara, ob sie etwas sagen sollte, und lief dann hinter ihr her.
„Swingard hat Hexenschuss. Ich habe ihr vorhin ihre Kräutertinktur einmassiert. Sie wollte sich ein wenig ausruhen und den Rücken entspannen“, erzählte Fara.
Die ältere Frau hob überrascht die Augenbrauen. „Du? Sie hat sich von dir behandeln lassen?“ Marada hatte schlohweiße Haare, die im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst waren. Vor ihren Ohren hingen kleine Zöpfe, damit die vorderen Haare nicht in ihr Gesicht fielen. Sie war groß, relativ dünn und stand selbstbewusst mit geradem Rücken und erhobenem Haupt vor Fara.
Als Fara stumm nickte, sagte sie. „Ich heiße Marada. Ist es so schlimm, dass Swingard nicht laufen kann?“
„Nein. Ich vermute eher, dass Swingard entspannt auf ihrer Liege eingeschlafen ist“, entgegnete Fara.
„Dann werde ich gleich mal meiner Freundin einen Besuch abstatten.“ Marada wollte schon weitergehen.
Fara hielt sie auf. „Warte bitte, einen Moment. Ich hole nur schnell etwas zu essen für Swingard. Wenn du es ihr bringen könntest, muss sie heute Abend nicht bis hierherlaufen.“
Fara flitzte los und sammelte von den Ausgabetischen eine Essensportion und einiges Gemüse zusammen. Sie stellte alles auf ein größeres Brett und eine Kanne Tee dazu. Das alles brachte sie Marada. Diese nickte ihr zu und machte sich auf, ihre Freundin zu besuchen.
Nach dem Abwaschen wurden die Tische blank geputzt. Fara schnitt sich einen Salat aus den mitgebrachten essbaren Unkräutern. Verfeinert mit Zwiebel, Salz und Olivenöl, nahm sie die Schüssel mit zum großen Tisch, an dem schon alle Köchinnen zum Abendessen Platz genommen hatten. Mit einem Löffel schaufelte sich Fara den Salat in den Mund und aß dazu einen Kanten Brot. Abfällig sahen sich die älteren Köchinnen an.
„Gab es bei euch am Fürstenhof nichts Ordentlicheres zu essen als diesen Löwenzahn und andere Unkräuter? Eure Sprache klingt vielleicht deshalb wie meckernde Ziegen“, Carmella sprach aus, was manche dachten.
„Beim Sklavenhändler habe ich kaum Gemüse oder Obst zu essen bekommen. Jetzt ist das erste Grün am saftigsten und gesündesten. Die Göttinnen Demeter oder Gaia stecken nach ihrer Winterruhe alle Kraft der Sonne in die erwachende Natur. Die Heilkräuter sind zu schade, um sie zum Sattwerden zu benutzen. Aber es gibt genügend andere essbare Pflanzen. Als Unkraut würde ich sie nicht bezeichnen. Ihr könnt gerne einmal kosten. Es ist genügend da.“ Fara deutete mit dem Löffel auf die gefüllte Schüssel.
Abwehrend hob Carmella die Hände. „Bleib mir bloß mit deinem Barbarenfraß vom Leibe. Da könnte man sich gleich zu den Schafen auf die Wiese knien. Wer weiß, was für hässliche Wirkungen das Kraut hat oder welche davon giftig sind.“
Fara zuckte nur mit den Schultern. „Wer zu wenig Grünes ist, dem fallen die Zähne aus. Deswegen zischt es so durch deine Zahnlücken, wenn du sprichst. Da meckere ich lieber ein wenig und danke Gaia, dass ich gesund bleibe.“
„Ich habe noch nie von solchen Barbarengöttern gehört. Kein Wunder, dass sie unseren römischen Göttern nicht widerstehen können“, Carmella schaute Beifall heischend um sich.
Fara kaute erst ihren Löffel voll Salat hinter, ehe sie antwortete. „Demeter und Gaia sind alte griechische Götter und entsprechen euren Göttern Ceres und Terra Mater. Die Römer haben die Götterfamilie von den Griechen übernommen und den Göttern neue Namen gegeben. Heute verlieren die römischen Götter zunehmend ihren Einfluss auf die Menschen an Jesus Christus. Den Barbaren geht es ebenso.“
„Und wieso dankst du dann den alten Göttern, wenn sie am Untergehen sind?“, fragte eine der jüngeren Köchinnen.
Fara schaute zu ihr hinüber. „Alles Leben kommt aus der Erde und bezieht seine Kraft von der Wärme und vom Licht der Sonne. Am Ende wird das Leben wieder zur Erde. So einfach ist das. Warum sollte ich dann Mars danken, der als Gott des Krieges alles zerstört und tötet? Ein Gott, der für alles da ist, für Tag und Nacht, für Frieden und Krieg, für Leben und Tod, bei dem weiß ich nicht, was er wirklich will und ob er alles allein zum Besten schafft.“
„Noch so eine, die keine Ahnung von Jesus Christus hat“, murmelte eine der alten Köchinnen neben Carmella.
Dina schaute eine Weile zu, wie Fara ihren Salat in sich hinein schaufelte. „Kann ich mal kosten?“, fragte sie Fara.
Fara schob die Schüssel zu ihr hinüber. „Der Salat ist etwas herb, aber das Salz und das Öl mildern es.“
Dina hatte wegen ihrer Schwangerschaft öfters einen Heißhunger auf verrückte Abwechslungen. Mit ihrem Löffel angelte sie sich ein einzelnes Blatt mit ein paar Zwiebelbrocken heraus und kaute vorsichtig darauf herum. Leicht mit dem Kopf wiegend, überlegte sie, woran sie der Geschmack erinnerte. Da sie sich nicht im Klaren darüber war, verkostete sie einen weiteren Löffel voll Salat. Eigentlich war fast alles bekannt, nur die Kombination war für sie ungewöhnlich. Beim dritten Löffel tauchte ein weiterer Löffel von einer jungen Köchin gegenüber in der Schüssel auf. Die Geschmacksneugierde griff um sich. Zum Schluss tauchten vier Löffel einschließlich der von Fara immer wieder in die Schüssel, bis sie leer war.
„Das war endlich einmal etwas anderes zum Abendessen. Wir haben ein ordentliches Essen, aber diese Abwechslung hat mir gefallen“, sagte Dina mehr zu sich selbst und leckte ausgiebig ihren Löffel ab.
Die meisten Köchinnen verließen den Tisch. Fara saß satt da und überlegte, ob sie Vitus suchen sollte. Aber sie war zum Umfallen müde. Sie hatte die halbe letzte Nacht nicht geschlafen. Alles war neu und der ganze Tag war anstrengend. Sie beschloss, nach Ferox zu sehen und sich dann gleich schlafen zu legen.
Im Pferdestall holte Fara zwei Äpfel aus ihrer Tasche, die sie sich heimlich in der Küche eingesteckt hatte. Sie biss zweimal kräftig ab und hielt den angebissenen Apfel dem Hengst Nigrum hin.
Vor sich hin kauend, murmelte Fara in ihrer Pferdehexensprache zu ihm. Nigrum stellte die Ohren auf und musterte Fara eine Weile. Fara hielt den Apfel am Stiel fest. Sie wusste nicht, wie der fremde Hengst reagieren und womöglich nach dem Apfel samt ihrer Hand schnappen würde. Vorsichtig roch er an dem Apfel, der sich mit Faras Duft vermischt hatte, und zupfte ihn mit seinen Lippen aus Faras Fingern, ohne diese zu berühren.
Fara sprach weiter mit Nigrum, schaute ihm dabei in die Augen und hielt ihre Hand in Richtung Nase. Auch als der Apfel schon längst gefressen war, lauschte der Hengst weiter ihrer sanften Stimme.
Erst als sich Nigrum abwendete, ging Fara weiter zu Ferox. Hier spielte sich das gleiche Ritual ab. Pferde waren für Fara unvoreingenommen und hörten auf die Melodie ihrer Stimme. Hier gab es keine verbalen Lügen. Sie spürten den Charakter der Menschen. Trotzdem war es ein Kräftespiel, wer sich am Ende unterordnete.
Als Fara zum Gefängnis kam, stand am Eingang ein neuer Wachposten. Der hatte eine stämmige Figur und schmunzelte wissend in sich hinein, als er Fara sah.
„Wie heißt du?“, fragte ihn Fara.
„Alban. Und du bist die Prinzessin, die Patricia heute Morgen erschreckt hat“, kam zur Antwort.
„Ich bin Fara. Was habt ihr euch für diese Nacht ausgedacht? Mäuse oder Kröten? Aber du weißt, dass du als Gefängniswärter nicht nur aufpassen musst, dass keine Insassen ausreißen. Du bist außerdem verantwortlich für deren Sicherheit. Also enttäusche mich nicht.“
Albans Gesicht verlor sein verschmitztes Grinsen. So hatte er seine Aufgabe als Gefängniswächter nie gesehen.
Jetzt lächelte Fara. „Und nicht durch die Türklappe gucken. Es ist sowieso zu dunkel, da siehst du nichts.“
Gemeinsam gingen sie zu ihrer Zelle und Alban verriegelte die Tür von außen. Es war zwar schon dämmrig draußen, aber Fara brauchte einige Zeit, ehe sich ihre Augen an das kleine Licht der Öllampe gewöhnten. Erst dann entdeckte sie den Stapel von Kleidungsstücken auf ihrem Bett. Niemand hatte ihr gesagt, dass sie neue Sachen bekommen sollte. Das oberste Stück war sicher eine Tunika, die sogar am Rand mit einem Stickmuster verziert war. Erfreut griff Fara danach, um es zu entfalten.
Ein Schatten fiel auf den Fußboden. Erschrocken stieß Fara einen Schrei aus. Auf dem Boden wand sich eine Schlange, die den Kopf erhoben hatte und sie mit ihren schwarzen Augen anstarrte. Fara warf das Kleidungsstück auf die Schlange und rannte zur Tür.
„Alban“, schrie sie hysterisch und hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür. „Albaaaan.“
Einen Augenblick später krachte der Türriegel und die Tür wurde aufgerissen. Augenblicklich war Fara draußen. Mit hochrotem Kopf und ihr Messer in der Hand schrie sie keuchend Alban an. „Ich sollte dir die Kehle durchschneiden, du hinterhältiger Hund!“
Alban blieb gelassen stehen. „Was hat dich denn gebissen, dass du so schreist?“
„Du weißt also Bescheid, wenn du von Beißen redest.“ Fara setzte die Klinge an Albans Hals.
Albans Gesicht verfinsterte sich. „Bevor du etwas Dummes tust, sage lieber was los ist.“
„Geh doch rein. Wie viele Giftschlangen hast du denn versteckt, in den Sachen und im Bett“, zischte Fara gefährlich.
„Schlangen? Ich habe meine Wache angetreten, als du gekommen bist. Ich hatte nicht einmal die Zeit, die Zellen zu kontrollieren“, verteidigte sich Alban.
„Und warum hast du meine Zelle dann nicht kontrolliert, bevor ich hineingegangen bin?“ Fara hielt immer noch das Messer an seine Kehle.
„Du hast so müde ausgesehen und hattest es eilig, in deine Zelle zu kommen.“
„Wer hat dir den Auftrag gegeben, die Schlangen in den neuen Sachen zu verstecken?“
Alban holte tief Luft. „Welche Sachen? Den ganzen Tag über war keine Wache für das Gefängnis eingeteilt, weil keiner drinsaß. Du warst in der Küche oder sonst wo. Da konnte jeder etwas hier hineinbringen. Flavius hat mich extra für heute Nacht eingesetzt, um mögliche Störungen zu vermeiden.“
Fara schaute ihn nur weiter an. Sie war sich unschlüssig, ob sie Alban vertrauen sollte.
„Jetzt nimm das Messer weg und gib mir die Fackel. Ich gehe nachsehen, wie viele Schlangen versteckt sind. Bleib hier draußen, damit ich Bewegungsfreiheit habe“, sagte Alban und sah Fara fragend an.
Fara ließ ihr Messer sinken. Es schien, als ob sie durch Alban hindurchsah. Zu viele Gedanken stürmten auf sie ein.
Langsam holte sich Alban eine neue Fackel und zündete sie an der im Gang an. Erst als er in der Zelle von Fara war, zog er sein Schwert. So vermied er den Eindruck, als ob er vorhätte, Fara anzugreifen. Systematisch durchsuchte er die Zelle, von der Tür beginnend. Auf dem Fußboden lag die Tunika. Bewaffnet mit Fackel und Schwert, hatte er aber keine Hand mehr frei, die Kleider und Decken auf dem Bett hochzuheben.
„Kannst du mal die Fackel halten, Prinzessin? Oder willst du die Sachen und Decken hochheben und ausschütteln?“
Fara schüttelte verneinend den Kopf. „Ich gehe keinen Schritt in die Zelle.“
„Dann halte wenigstens die Fackel an der Tür oder ich muss dich wieder hier einsperren und jemanden holen.“
Fara überlegte. „Nein bleib hier. Je weniger davon wissen, umso leichter ist es, herauszubekommen, wer mich umbringen will. Gib mir die Fackel.“
Alban hatte nun eine Hand frei. Auf dem Bett war keine Schlange zu entdecken. Nicht, dass die Schlange nur eine Finte war. Wenn sie jetzt die Zellentür zuschlug und den Riegel vorschob, konnte sie unbeaufsichtigt verschwinden. Aber Fara blieb und hielt von der Tür aus die Fackel hoch.
Vorsichtig hob Alban mit seiner freien Hand das Kleidungsstück auf, das Fara auf den Fußboden geworfen hatte. Alban schüttelte das Kleidungsstück und wirklich, dort ringelte sich eine Schlange. Sie hatte eine bräunlich gezackte Wellenlinie auf ihrem Rücken und ihren Kopf drohend in Richtung Alban erhoben. Die längliche Spitze der Nase reckte sie dabei in die Höhe. Eine Hornotter! Das war südlich der Alpen die mit Abstand giftigste Schlangenart. Blitzschnell schlug Alban mit dem Schwert zu. Die Schlange wand sich reflexartig zusammen und blieb dann reglos liegen.
Nun wandte sich Alban den Sachen auf dem Bett zu. In den zwei restlichen Sachen des Kleiderstapels war keine Schlange versteckt. Aber als er Faras Sagum, das als Kopfkissen diente, anhob, lag eine weitere Schlange darunter. Alban wischte sie mit dem Schwert vom Bett und schlug erneut zu. Als Letztes lag die Bettdecke auf dem Bett. Alban hob sie hoch und faltete sie voll auseinander. Nichts.
„Hast du auch hinter dem Bottich und der Waschschüssel nachgesehen?“, fragte Fara.
Kopfschüttelnd ging Alban zu der Waschschüssel und hob sie hoch. Keine Schlange. Die wäre zu groß, um dahinter versteckt zu werden. Danach trat er mit dem Fuß gegen den Kübel, um dahinter nachzusehen. Nichts. Doch als er den Deckel des Kübels anhob, zuckte er zurück. Dort lag auf dem dunklen Grund eine dritte Schlange. Ohne den hellen Schein der Fackel hätte er da nichts entdeckt.
„Drei Schlangen. Da wollte jemand aber absolut sicher sein“, murmelte Alban eher zu sich selbst.
„Kannst du mein Sagum mitbringen? Ich gehe hier keinen Schritt mehr hinein“, bat Fara. Die Fackel in ihrer Hand zitterte heftig.
Alban brachte das Sagum mit. „Wo willst du denn dann schlafen? In einer anderen Zelle?“
„Nein, ich bleibe bei dir. Ich will nicht mehr allein sein.“ Fara schaute Alban an. „Warum? Wer will mich denn hier lieber tot sehen? Ich habe doch niemandem etwas getan. Wem bin ich denn hier im Wege?“
„Und Octavius?“, fragte Alban.
Fara stutzte. „Du hast Recht. Mit Octavius fing alles an. Dann der Überfall. Jetzt die Schlangen. Ich bin die Einzige, die weiß, was an Vankors Hof wirklich passiert ist und das stört hier jemanden.“
„Jetzt blicke ich gar nicht mehr durch.“ Alban schaute Fara fragend an. „Und was für einen Überfall meinst du?“
„Ich muss morgen unbedingt mit Markus reden. Es gab einen Überfall auf Markus und Vitus, der ungewöhnlich war.“
Stumm hob Alban seine Schultern. Aber wegen der Hornottern war er ebenso betroffen. Während seiner Wache wäre Fara in der Zelle zu Tode gekommen. Flavius und Markus hätten ihm schwere Vorwürfe gemacht. Er wusste, dass Markus mit Fara etwas Eigenes vorhatte, aber der sichere Tod war da nicht dabei. Fara hatte Recht. Je weniger von dem Anschlag wussten, umso besser. In Villa Patria verfolgte jemand hinter Markus‘ Rücken seine eigenen Ziele.
„Dann komm mit Prinzessin. Am Eingang gibt es eine Wachstube mit Stühlen und einem langen Tisch. Ich hole ein paar Decken aus den Zellen. Dann kannst du auf dem Tisch schlafen.“
„Ich bin hier keine Prinzessin mehr“, sagte Fara leise und Tränen rannen ihr über die Wangen als sie Alban, den Gang entlang folgte.
Alban blickte Fara über die Schulter an. „Wie soll ich dich denn sonst nennen? Zwiebelchen? Oder Tak-Tak-Tak? Pferdehexe? Oder so wie Vitus dich nennt, Furie?“
„Du bist ziemlich gut informiert nach einem Tag“, antwortete Fara schniefend.
„Ich bin schon länger hier in Villa Patria. Da hat man so seinen Freundeskreis. Vitus und manchmal Roccus gehören dazu. Ich bin einer der Stellvertreter von Flavius und bekomme meistens die ungewöhnlichen Aufgaben.“
„Fara. Ich heiße einfach nur Fara“, sagte sie.
„Hast du denn keinen richtigen langen Namen?“, fragte Alban.
„Hier bin ich die Sklavin Fara. Das andere gehört zu meinem früheren Leben und das ist wohl endgültig vorbei.“ Fara wickelte sich in ihr Sagum ein, hockte sich zusammengesunken auf einen Stuhl in der Wachstube und blickte trübsinnig in irgendeine Ecke des Zimmers. Tränen rollten wieder über ihr Gesicht. Das war heute zu viel für sie. Alles neu. Alle gegen sie. Man wollte sie sogar umbringen.
Als Alban Fara so traurig und weinend sitzen sah, ging er zu ihr hin und wollte tröstend seinen Arm um sie legen.
„Fass mich nicht an“, fauchte Fara und richtete sich mit ihrem Messer in der Hand auf.
„Ich wollte dich doch nur trösten“, verteidigte sich Alban.
„Die Art von Trösten kenne ich. Das will jeder Mann. Aber nicht bei mir“, fauchte Fara.
„Ich habe schon eine Prinzessin. Dafür brauche ich dich nicht. Vitus hat Recht. Du bist ‚Prinzessin-rühr-mich-nicht-an‘ und hasst die Männer bis auf den Tod.“ Alban setzte sich auf einen Stuhl weit weg von Fara.
Verblüfft schaute Fara ihn an. „Das ist nicht wahr. Ich hasse sie nicht. Nur die, die sich mit Gewalt alles nehmen. Für die werde ich zur Furie. Drei von denen haben es nicht überlebt. Soweit stimmt schon ‚bis auf den Tod‘.“
Alban riss die Augen auf.
„Eine Prinzessin wird nur als Jungfrau verheiratet. Sonst gilt man als Hure. Schon deshalb ist das so“, ergänzte Fara leise.
Lange Zeit sprach keiner. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Fara hatte aufgehört zu weinen. „Gibt es keine Herrin hier in Villa Patria?“
Alban überlegte eine Weile. „So genau weiß ich es nicht. Aber wir hatten nach dem Tod von Octavius schon zwei angehende Herrinnen.“
Fara hob die Augenbrauen.
Alban erzählte weiter. „Markus war bei den feinen Familien schon immer ein gern gesehener Gast, vor allem bei den Töchtern auch weil er reich ist. Die Zeit nach dem Tod seines Vaters war für ihn schwer. Lucius wollte die Mercatoria Salinum übernehmen, weil er die neuen Ideen von Markus als Spinnerei ansah. Dann machte auf einmal das Bankhaus Probleme. Aber ich schweife ab. Zuerst brachte er eine Schönheit von Mädel an, natürlich von begüterten Eltern. Die wollte von früh bis spät bedient werden, hatte die extravagantesten Wünsche und wenn ihr etwas nicht passte, hatte sie Kopfschmerzen. Im Grunde langweilte sie sich in Villa Patria. Als Markus öfter geschäftlich auf Reisen war, ging sie wieder zu ihren Eltern zurück.“
Alban marschierte in den Gang hinaus. Dort schloss er das Eingangstor zum Gefängnis und löschte die Fackel im Gang. Als er zurückkam, machte er es sich wieder auf seinem Stuhl bequem.
Fara versuchte, Alban zum Weitererzählen zu bewegen. „Was war mit der zweiten Frau?“
„Erst nach einem halben Jahr erschien bei uns eine Neue“, begann Alban. „Die kam mit zwei eigenen Pferden, die sie abgöttisch liebte. Fast täglich ritt sie mit ihnen aus. Wir mussten laufend eine Wachmannschaft für sie zur Begleitung bereitstellen. Die große Schönheit war sie nicht, aber sie ging in den allerfeinsten Kleidern. Sie besuchte alle Gladiatorenkämpfe, die in der Gegend stattfanden. Selbst bis Aquileia ist sie deshalb geritten. Das Schlimmste aber war, dass sie ständig eine Peitsche bei sich trug und gern auf alle einschlug, ob nun Sklave oder Freier. Ausgerechnet in Villa Patria, wo seit Jahrzehnten durch Octavius und Markus die Peitsche und Sklavenantreiber verpönt waren. Als die ersten freien Handwerker Villa Patria verlassen wollten und es fast zu einer Revolte kam, hat Markus sie fortgeschickt. Seitdem versucht unsere Dorfschönheit, Amelia, bei Markus zu landen. Die hält sich wegen ihrer Schönheit für etwas Besseres und wäre gerne hier die Herrin. Aber Markus hatte die Schnauze voll von den Weibern. Deshalb hat sich Amelia jetzt an Lucius gehängt.“
Alban sann einen Moment nach. „Aber nicht, dass du denkst, du als Prinzessin könntest dich an Markus heranmachen. Der hat so eine Wut auf dich.“
„Meine Befürchtung war eher, dass ich als Prinzessin bei einer Herrin ein Dorn im Auge bin, weil Markus mich hergebracht hat. Obwohl es eine Menge drastischere Möglichkeiten für ihn gibt, sich an mir zu rächen“, entgegnete Fara.
„Das habe ich auch erwartet. Markus kann, wenn notwendig, hart werden. Aber bei dir? Irgendetwas passt da nicht zusammen“, sinnierte Alban.
Fara sah zu Alban hinüber. „Bitte zeige morgen früh nur Markus die Schlangen. Er sollte wissen, was hier in Villa Patria so passiert.“
„Hm, das hätte ich sowieso gemacht“, bestätigte Alban. „Jetzt versuche zu schlafen. Ich soll dich schon in der Morgendämmerung wecken.“
Fara kletterte auf den Tisch und versuchte, sich so bequem wie möglich hinzulegen. Unter ihrem Sagum hatte sie weiterhin ein Messer in der Hand.
Alban saß weiterhin auf seinem Stuhl. Ihm fielen mit der Zeit die Augen zu.
„Alban?“, fragte Fara leise.
„Hm?“ Alban schreckte aus seinen Gedanken hoch.
„Danke.“