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Kapitel 2, Vinea Clarissa, 10. April 373

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Als Markus seinen Pferdewagen erreichte, hatte Vitus die Prinzessin bereits hinten auf die Wagenfläche gelegt. Dort stand nur eine längliche, größere Kiste, die durch die halb hohen Seitenwände des Wagens verdeckt war. Auf einem Stangengestell spannte sich eine dichte Dachleinwand zum Schutz vor Sonne und Regen. Die Seiten waren offen und gewährleisteten einen freien Blick in alle Richtungen. Erst auf Vinea Clarissa, Tante Clarissas Weingut, kamen einige Fässer Wein hinzu. Dieser Pferdewagen war ein kleiner Transportwagen, den Markus gern für schnelles Fortkommen nutzte, wenn er in Geschäften unterwegs war. Solche Reisewagen, deren Kasten gefedert über Lederriemen aufgehängt wurden, waren nur für ein paar Personen geeignet und nicht für schwerere Lasten. Irgendetwas hatte Markus immer zu transportieren. Deshalb bevorzugte er robuste Pferdewagen. Auf den gepflasterten Römerstraßen war ein schnelles Fahren ohne viele Hindernisse, wie Schlamm oder Steine, möglich. Den Krach, den die Hufeisen der Pferde und die stahlbereiften Räder auf den Steinen erzeugten, war er gewohnt.

„D-Du hast den Sklaventreiber g-ganz schön reingelegt. F-F-Freund Brutentius und so. D-Du kannst doch d-den nicht ausstehen?“ Vitus grinste von einem Ohr zum anderen.

Markus kletterte auf die Wagenfläche, zog den geheimen Riegel und schaute in die Holzkiste hinein. Es schien alles in Ordnung zu sein. Er winkte dem Wachsoldaten mit der Hand als Dank und zum Abschied zu. Dann warf er die Sachen und die Jagdausrüstung der Prinzessin hinein, verschloss die Kiste wieder und stieg auf die Fuhrmannsbank zu Vitus, ohne die Prinzessin eines Blickes zu würdigen. Die lag auf der harten Ladefläche, wie sie von Vitus hingelegt wurde. Der Wagen würde sie schon munter rütteln.

„Hast Du gesehen, wie verprügelt die anderen Sklaven an den Pfählen waren? Es ist ein Wunder, dass die Prinzessin keine Peitsche gesehen hat. Fahr endlich los.“ Markus war mit seinen Gedanken noch beim Kauf seiner neuen Sklavin.

Nachdem sie die größte Strecke nach Vinea Clarissa zurückgelegt hatten, drehte sich Markus zur Prinzessin um.

„Sie ist noch nicht aufgewacht. Da brauchen wir wohl doch einen Eimer mit kaltem Wasser?“ Markus wunderte sich, dass die Bewusstlosigkeit so lange anhielt. Er hatte den Trick schon ein paar Mal genutzt, wenn er den Verdacht hatte, dass ein Sklavenhändler ihn betrügen wollte oder er den Preis nicht einsah.

„Fahre da drüben unter den schattigen Baum. Dort gibt es einen Bach. Da kannst du mit dem Ledereimer Wasser holen.“

Gemeinsam hoben sie die Prinzessin vom Wagen und legten sie ins weiche Gras. Vitus holte sein Sagum, die quadratische Decke, die bei kühleren Temperaturen als Mantel um den Körper geschlungen und mit einer Fibel zusammengehalten wurde. Den hatte er bis jetzt zusammengefaltet und zur Sitzunterlage auf dem Fuhrmannsbock genutzt. Dieses Bündel schob er der Prinzessin unter den Kopf und strich ihr die Haare aus dem Gesicht, um sie besser beobachten zu können.

„Dein Sagum muss wohl gewaschen werden? Der wird gleich nass, wenn wir die Prinzessin mit kaltem Wasser einweichen.“ Markus wollte nicht viel Aufhebens mit der Prinzessin machen, ließ aber Vitus gewähren. Tot nützte sie ihm nichts.

„W-wenn du die zu Clarissa bringst, dann h-holt sie sowieso Wisgard. U-und wenn Wisgard die P-Prinzessin klatschnass sieht, d-dann wird sie ihren Stock auf deinem B-Buckel zerbrechen wollen.“ Man sah Vitus an seinem verschmitzten Gesicht an, wie er sich das vorstellte.

Markus wusste, was Vitus meinte. Wisgard konnte richtig wild werden, wenn Menschen auf dem Gut schlecht behandelt wurden, egal ob Sklavin oder Herrin. Dort gab es keine Peitsche, wenn überhaupt, dann nur diesen Stock. Er, Markus, kannte diesen Stock, seit er acht Jahre alt war. Sie war eben Heilerin.

„Vielleicht zwicken wir die Prinzessin, damit sie munter wird.“

Vitus wiegte den Kopf hin und her. „W-Wo willst du sie denn z-zwicken? F-Frische blaue F-Flecke erkennt Wisgard s-sofort.“

Markus betrachtete die Prinzessin. Deren Gesicht war entspannt und das Kinn nach unten gesunken.

„Alle Zähne scheint sie zu haben“, meinte er.

„Dann pass auf, w-wenn sie munter wird. Die h-hat bestimmt großen H-Hunger und bei D-Dir ist viel dran zum A-Abbeißen.“

„Am besten ist es, ihr die Hände wieder zusammenzubinden. Wer weiß, welchen Unsinn sie beim Aufwachen macht. Wenn nur die Hälfte stimmt, was der Sklaventreiber erzählt hat, dann traut sie sich so manches.“

Nachdem Vitus die Hände mit dem Strick vom Pfahl zusammengebunden hatte, standen sie vor ihr und wussten nicht, wie weiter, außer mit kaltem Wasser. Mit Bewusstlosigkeit kannten sie sich kaum aus. So viel Erfahrung besaßen sie nicht, Markus mit seinen zweiundzwanzig Jahren und der drei Jahre ältere Vitus. Mit Verletzten, ob nach einem Schwertkampf oder durch die Arbeit, konnten sie umgehen. Das hier war neu für die beiden.

Markus kniete sich neben die Prinzessin und tätschelte ihr die Wange. Dabei spürte er, dass sich ihre Wangen röteten. Aber sonst war keine Reaktion zu erkennen. Markus zeigte auf die Wangen und Vitus verstand.

„O-Ob sie unsere Sprache v-versteht?“, fragte Vitus.

„Eine Prinzessin hinter dem Donaulimes beherrscht sicherlich Latein“, antwortete Markus.

„V-vielleicht musst du sie w-wachküssen, so wie in den G-Geschichten über Prinzen und Prinzessinnen.“ Vitus schaute genauer ins Gesicht der Prinzessin. Man sah, wie die Halsadern anschwollen. Nun legte er nach. „Markus, jetzt hast d-du die Gelegenheit unter ihre T-Tunika zu gucken. S-Sie hat keinen G-Gürtel, da kann man fast a-alles sehen.“

Augenblicklich waren die Augen der Prinzessin geöffnet und die Knie wurden zusammengepresst. Finster starrte sie erst Markus und dann Vitus an.

„W-Willst du was t-trinken?“, fragte Vitus. Keine Reaktion bei ihr.

Vitus ging zum Pferdewagen, um den Krug mit Wasser und einen Becher unter der Fuhrmannsbank hervor zu holen. Markus zog die Prinzessin an den gefesselten Armen in die Sitzposition und drückte ihr einen Becher voll Wasser in beide Hände. Sie hatte den ganzen Tag am Pfahl in der Sonne gestanden. Da war es nicht weit her mit dem Stolz einer Prinzessin. Gierig trank sie den Becher leer. Vitus sah sie fragend an und deutete noch einmal auf den Krug. Sie nickte kaum merklich und er füllte den Becher erneut. Den zweiten Becher trank sie schon bedächtiger. Hauptsache das Wasser kam nicht wieder heraus, so wenig, wie ihr Magen heute zu tun hatte.

„Dann können wir ja weiterfahren.“ Damit zog Markus die Prinzessin an den Fesseln auf die Füße und führte sie zum Wagen. Dabei achtete er darauf, dass sie nicht an sein Messer herankam.

Mit Gerassel fuhr der Pferdewagen auf den Hof des Weingutes von Tante Clarissa und kam zum Stehen. Der Wagen hielt direkt vor dem Herrenhaus. Es gab eine breite Treppe zur Terrasse vor dem Eingang des Herrenhauses. Oben saßen auf einer Bank in der Sonne des späten Nachmittages die Herrin des Weingutes, Tante Clarissa, und die Heilerin Wisgard. Sie warteten schon eine Weile auf die Ankunft von Markus und der Fürstentochter, falls er sie gefunden hatte.

Markus war klar, dass die beiden neugierig waren. Er nannte Clarissa Tante, weil sie die langjährige Freundin seines Vaters war und über zwanzig Jahre älter als er. Wisgard nannte Markus Oma, weil er selber keine Oma gehabt hatte und sie dreißig Jahre älter war. Mit acht Jahren hatte er sich ein Bein gebrochen und musste über sechs Wochen in ihrem Reich der Heilkunst verbringen. Er hatte ihrem geliebten Apfelbaum beim Klettern einen großen Ast abgebrochen und sich dabei einen Beinbruch zugezogen. Zuerst hatte sie ihm mit ihrem Stock gehörig den Hintern versohlt, dann seinen Bruch behandelt und geschient. In den folgenden Wochen merkte er, welche warmherzige und großzügige Frau hinter ihrer rauen Schale steckte. Sie erzählte ihm viele Geschichten aus ihrer alten Heimat. Dann zeigte sie ihm, wie man aus Pflanzen Heilmittel herstellte und wofür sie verwendet wurden. Das brauchte man immer, meinte sie. In den letzten Wochen seiner Genesung musste er ihr im Kräutergarten helfen. Ihn hatte beeindruckt, mit welcher Energie sie um das Wohl eines jeden Patienten kämpfte. Oft hatte sie ihm gesagt, dass man eine Krankheit erst im Kopf des Patienten heilen musste. Erst später verstand er, was sie damit meinte. Aber seit dem Knochenbruch nannte er sie Oma Wisgard und immer, wenn er Vinea Clarissa besuchte, schaute er nach ihr.

Während Markus und Vitus die Prinzessin von der Ladefläche des Pferdewagens herunterholten, kamen die beiden älteren Frauen von der Veranda die Treppe herunter. Beim Gehen stützte sich Wisgard auf ihren Stock.

Vor der Prinzessin blieben sie stehen. Bei ihrem Anblick verfinsterte sich das Gesicht von Wisgard. Die Fürstentochter bemühte sich um eine aufrechte Haltung. Aber die Lumpen, die sie anhatte, der Dreck auf ihrer Haut, ihre verfilzten Haare, der Gestank, die gefesselten Hände und der verunsicherte Blick der jungen Frau zeigten Wisgard, wie sie litt.

„Hast du wenigstens den Sklavenhändler erschlagen?“, fragte sie Markus wütend ohne den Blick von der Prinzessin zu lassen.

„Das hätte ich getan, aber in der Zwischenzeit wäre sie am Pfahl verdurstet.“ Jetzt musste er sich auch noch vor Wisgard verteidigen. Aber er merkte, dass es mit ihrer Attacke um den Kopf der Prinzessin ging. Sie signalisierte Beistand gegen jeglichen Feind und ‚dir wird nichts passieren, mach jetzt keine Dummheiten‘.

Wisgard und die Prinzessin schauten sich die ganze Zeit in die Augen. Clarissa und Markus warteten ab. Vitus ging um den Pferdewagen herum und half dem Stallmeister des Weingutes beim Ausschirren der Pferde. Ihr großer Hengst und der Stallmeister waren nicht die besten Freunde.

„Halte mal meinen Stock, Markus“, sagte Wisgard im Befehlston und hielt ihm diesen hin. Sie hatte eine Patientin und da galt bei ihr weder Rang noch Namen. Dabei hielt sie den Blickkontakt mit der Prinzessin aufrecht. Langsam zog sie ihr Messer aus ihrem Gürtel.

„Halte deine Hände vor, Mädchen. Ich befreie dich von deinen Fesseln“, sprach Wisgard in sanfterem Ton.

Ebenso langsam hob die Prinzessin die Arme und Wisgard schnitt den Strick durch. Die von Fesseln zerschundenen Arme sanken wieder nach unten.

„Clarissa, schickst du mir bitte Rina und Dara? Sie braucht ein Bad, leichtes Essen und neue Kleidung“, sagte Wisgard und zur Prinzessin gewandt, „Komm, Mädchen, wir zaubern einen Menschen aus dir.“

Wisgard schnappte sich ihren Stock aus Markus‘ Händen, ergriff ein Handgelenk der jungen Frau und zog sie in Richtung Badehaus hinter sich her. Die Prinzessin folgte ihr etwas schleppend, als ob sie unschlüssig war, ob sie mitgehen sollte. Aber Wisgard erhöhte entschlossen das Tempo und dann lief sie bereitwillig mit.

In der Badestube war es angenehm warm. Es brannten zwei Kerzen, die einen Tisch mit Bänken und eine große Holzwanne beleuchteten.

„Setz dich da hin.“ Wisgard wies auf eine der Bänke und setzte sich selbst der Prinzessin gegenüber. Den Stock lehnte sie neben sich an die Wand.

„Ich heiße Wisgard. Ich bin hier die Heilerin und wie heißt du?“, und nach einer kurzen Pause, als keine Antwort kam, „Oder wie soll ich dich nennen? Bestimmt hat dir deine Mutter einen Namen gegeben, der besser zu dir passt, als wenn ich jetzt einen Namen für dich erfinde.“

Fragend sah Wisgard die junge Frau an. Sie sah in ihrem Gesicht, wie diese zwischen Schweigen und Reden schwankte.

„Fara.“ Mehr sagte sie nicht. Aber das Eis war gebrochen.

„Gut, Fara. Bei uns ist es üblich, dass ich die Neuen, also alle, die hier für Clarissa arbeiten und hier wohnen werden, zuerst einmal untersuche. Wenn jemand nicht gesund ist, den kann ich helfen und ihn kurieren. Außerdem sehen wir, wer von Ungeziefer befallen ist und können verhindern, dass sich das bei uns ausbreitet. So bleiben wir alle möglichst gesund.“

Wisgard schaute Fara lange an, bis sie der Meinung war, dass keine negativen Reaktionen zu erwarten waren.

„Gleich kommen zwei Frauen mit heißem Wasser für die Holzwanne dort. Sie werden dir helfen beim Baden, Haarewaschen und Auskämmen. Danach schaue ich mir deine entzündeten Handgelenke an. Du musst recht lange mit Fesseln gelebt haben, so wie die aussehen. Hab keine Angst, dass ein Mann hereinkommt. Das ist hier nicht üblich. Die haben Respekt vor meinem Stock. Fast jeder von den Kerlen hier hat ihn schon zu spüren bekommen. Auch Markus kennt ihn. Deine Tunika werfen wir weg. Die taugt nichts mehr. Du bekommst eine neue und was sonst für eine Frau dazugehört.“

Die Tür zur Badestube wurde geöffnet und zwei Frauen kamen mit je zwei Eimern mit heißem Wasser herein. Wisgard war diese Unterbrechung recht. Da konnte Fara das soeben Gesagte überdenken.

„Das sind Rina und Dara. Die holen mehr heißes und auch kaltes Wasser.“

Die Frauen nickten und gingen wieder hinaus.

„Bist du damit einverstanden, Fara?“, fragte Wisgard direkt.

Fara nickte und Wisgard erzählte weiter. „Während du badest, hole ich meine Kräuter, Salben und was ich sonst dazu brauche.“ Nach einer Pause fuhr sie fort. „Ich weiß nicht, was an eurem Fürstenhof üblich ist. Wenn du Fragen hast oder dir irgendetwas nicht passt, dann sage es einfach. Wir machen hier bestimmt manches anders, als du es gewohnt bist.“

Plötzlich sagte Fara. „Warum habt ihr mich gekauft? Ich habe mir solche Mühe gegeben, niemandem zu gefallen.“ Das Latein von Fara war fließend. Man merkte kaum einen Akzent.

Wisgard überlegte eine Weile, ehe sie antwortete. „Das werden dir Markus und Clarissa beantworten. Ich greife da nicht vor. Vielleicht können wir zwei morgen vor eurer Abfahrt darüber reden.“

„Ich bleibe nicht hier?“, fragte Fara überrascht.

„Nein, du wirst morgen mit Markus nach Villa Patria fahren“, antwortete Wisgard.

„Ha, Patria! ‚Heimat‘ klingt wie ein Hohn.“ Fara stand der Zorn im Gesicht.

„Urteile nicht zu schnell, Fara. Markus wird zuerst etwas herumpoltern. Du wirst schon verstehen warum. Aber in Villa Patria sind mehr Leute aus den Völkern jenseits des Donaulimes als römische. Und alle fühlen sich dort wohl. Da geht es ähnlich gerecht zu wie hier bei Clarissa. Das ist etwas ungewöhnlich, aber Markus und auch Clarissa sind der Meinung, dass die Arbeit mit Sklaven nicht so erfolgreich ist wie mit freien Menschen, die sich durch ihren Ehrgeiz und Ideenreichtum einbringen.“

Faras Blick wanderte zu Wisgards mit Schnitzereien verziertem Stock. „Du bist auch keine Römerin.“

Wisgard sah ebenfalls den kugelförmigen Knauf ihres Stockes an. „Nein, das sind Ornamente der Markomannen. Ich war an einem großen Fürstenhof die Heilerin. Als die Fürstin und ihr Kind bei der Geburt starben, gab der Fürst mir die Schuld dafür. Ich musste fliehen und hatte Glück, dass mich Markus‘ Vater aufgelesen hat und mir anbot, ihm ins Römische Reich zu folgen. So bin ich bei Clarissa untergekommen, weil hier weit und breit keine Heilerin mehr da war. Clarissa hält die Hand schützend über mich, auch wenn ich manchmal recht anstrengend bin. Aber es ist immer zum Wohle von Vinea Clarissa.“

Wieder kamen die zwei Frauen mit Wasser und einem Bündel Sachen herein.

Wisgard streckte die Hand nach Fara aus. „Komm, Fara, gib die alten Lumpen her. Ich werde sie verbrennen. Damit kannst Du symbolisch die schreckliche Zeit beim Sklavenhändler abschließen.“

Nach kurzem Zögern nickte Fara und streifte die Tunika über den Kopf und blickte nackt zur Holzwanne. Rina und Dara schüttelten nur mitleidig den Kopf, weil Fara so verdreckt und von Ungeziefer zerstochen war.

Wisgard schnappte sich die verdreckten Lumpen, nahm ihren Stock und ging ihre Kräuter holen. Ihr Weg führte an der Küche vorbei, wo sie Faras Tunika in das Feuer für den Wasserkessel warf. Dann beauftragte sie eine Küchenfrau, leichtes Essen und Minztee in die Badestube zu bringen.

Mit einem Korb beladen, trat Wisgard wieder in die Badestube. Dort stand schon das Essen auf dem Tisch. Fara saß relativ entspannt in der Wanne und ließ sich die Haare waschen. Rina nickte Wisgard zu und deutete mit dem Kamm auf die Haare.

Wisgard wandte sich an Fara. „Ich habe hier einen kleinen Krug mit Weinessig. Der hilft gegen das Ungeziefer in deinen Haaren. Das riecht etwas streng, aber es hilft meist mit nur einer Behandlung. Bist du einverstanden, Fara?“

Fara nickte. „Ich weiß, dass ich Läuse und Flöhe habe. Wenn der Filz in meinen Haaren nicht heraus zu kämmen ist, dann schneidet sie ab. Aber lass, bitte, so viel Haare übrig, wie es geht, Rina.“

Wisgard wies auf das Essen. „Ich habe leichtes Essen bringen lassen und Minztee. So hungrig, wie du bist, solltest du vorsichtig mit dem ersten Essen sein, sonst bringst du das alles wieder heraus.“

„Das weiß ich“, sagte Fara, stieg aus der Holzwanne und wurde von Dara mit Leinentüchern abgetrocknet.

Wisgard trat mit einer Kerze an Fara heran und bat sie, sich langsam zu drehen. „Tut dir irgendetwas weh, was man von außen nicht sieht?“

„Nein, nichts. Nur die Handgelenke sind entzündet“, beantwortete Fara die Frage.

„Gut, dann ziehe die neuen Sachen hier an. Das hier ist eine Art Unterkleidung unter der Tunika. Ich weiß nicht, ob du das kennst. Das Eine ist ein Brustband und das Andere ist ein Subligaculum. Du klemmst das Tuch zwischen die Beine und bindest die Tuchenden über den Hüften links und rechts zusammen. Ich finde es sinnvoll. Die Tunika hat weite Ärmel und reicht bis fast zu den Füßen. Diese Kordel kannst du als Gürtel verwenden wie Dara hier. Da sind Sandalen und ein Sagum. Abends und nachts ist es noch recht kalt.“ Dara half beim Anlegen der Unterkleidung, die bei den Barbaren nicht üblich war. Das wusste Wisgard und wartete geduldig, bis Fara angezogen war.

„Iss‘ ein wenig. Rina kann dabei deine Haare weiter kämmen. Jetzt sehe ich mir deine Handgelenke an. Die Entzündung muss ich mit ausgewählten Kräutern behandeln, damit sie zurückgeht.“

„Welche Kräuter verwendest du dazu?“, fragte Fara.

„Es ist schwierig, in dieser frühen Jahreszeit passende frische Kräuter zu finden. Ich habe über das ganze Jahr die Kräuter kleingehackt und mit Öl übergossen, damit sie nicht faulen. Ich werde Arnika und Thymian auf deine Wunden streichen.“ Wisgard zeigte die Töpfe und schob sie Fara hin. Die nahm jedes Gefäß und roch daran.

„Da ist ein Hauch Melisse dabei. Wir legen unsere Kräuter oft in Honig ein.“ Fara schaute Wisgard fragend an.

„Das stimmt. Ich mische oft verschiedene Kräuter, um die Wirkung zu verstärken. Manchmal hilft das Eine und dann das Andere. Das mit dem Honig kenne ich auch. Aber Olivenöl haben wir hier im Überfluss.“ Wisgard war überrascht, dass Fara die Melisse erkannt hatte. „Welche Kräuter werden bei euch genommen?“, fragte sie.

„Zu denen, die du genannt hast, verwenden wir Schafgarbe, Spitzwegerich oder Kamille. Was man im Wald eben findet.“ Fara zuckte vielsagend mit den Schultern.

Wisgard stutzte. „Habt ihr denn keinen Kräutergarten?“

„Dafür ist kein Platz in der Burg. Außerhalb der Burg fressen die Pferde alles Grüne weg. Deshalb suchen wir im Wald. Dort kennen wir die Stellen, an welchen Kräuter wachsen.“

„Du kennst dich recht gut mit den Heilkräutern aus“, stellte Wisgard fest.

Fara zuckte wieder mit den Schultern. „Ich wollte so viel wie möglich über die Heilkunst wissen. Deshalb bin ich oft mit unserer Heilerin mitgegangen.“

In der Zwischenzeit hatte Wisgard aus ihren Töpfchen etwas ölige Kräuterpaste auf einen Leinenstreifen gestrichen. Diesen wickelte sie um Faras Handgelenk und band ihn mit einer dünnen Schnur viermal über Kreuz gewickelt fest. Am Ende sahen beide Handgelenke aus, als ob diese mit weißen Schmuckbändern verziert waren.

„So. Fertig! Morgen erneuern wir die Kräuter und dann dauert es ein paar Tage, bis alles verheilt ist.“ Wisgard war mit ihrem Werk sichtlich zufrieden.

„Danke“, sagte Fara leise.

Wisgard schaute Fara prüfend an. „Deine Haare sind fast trocken. Clarissa und Markus werden schon ungeduldig auf uns warten. Wir nehmen das restliche Essen mit.“

Draußen war es schon dunkel und die wärmende Sonne verlor ihre Macht an die abendliche Kühle. Dankbar raffte Fara das Sagum um ihre Schultern.

Die Heilerin führte Fara über den Hof ins Herrenhaus. Am Eingang brannte eine Fackel. Durch einen Gang mit bemalten Wänden gelangten sie zum Atrium mit Säulengängen. Rechts unter einer Tür war ein Lichtschein zu sehen. Wisgard öffnete diese Tür und schob Fara hinein.

Das Zimmer, das sie betraten, war reich ausgestattet mit Liegen, Bänken und Truhen. Es brannten vier Fackeln an den Wänden, so dass ausreichend Licht war. In der Mitte stand eine Steinfigur. Fara schaute den dargestellten Mann fasziniert an. Er schien Wein zu lieben, denn er hielt eine Weintraube in einer Hand und in der anderen einen Weinkrug. Um die Hüften war er mit Weinranken verziert.

„Das ist der Wein- und Fruchtbarkeitsgott Bacchus“, sagte Clarissa, die dem Blick von Fara gefolgt war. Sie und Markus hatten je eine Liege in Beschlag genommen.

Wisgard hatte beruhigend einen Arm um Fara gelegt. „Das ist Prinzessin Fara.“

Damit deutete sie an, dass Fara ihr Schweigen aufgegeben hatte.

„Setz dich hier auf die Bank. Clarissa, darf ich bleiben?“, fragte Wisgard ihre Herrin.

„Nimm Platz und stell das Essen auf den Tisch neben euch. Wie geht es den Handgelenken?“, fragte Clarissa Fara.

„Das braucht ein paar Tage“, sagte Fara leise.

So, wie sie da auf der Bank saß, war das eine andere Fara als in der Badestube. Wisgard ärgerte sich, dass sie nicht ein Band in deren Haare binden ließ. Jetzt hatte Fara den Kopf leicht gesenkt und saß etwas zusammengesunken auf ihrem Stuhl. Dadurch fielen ein paar Haarsträhnen nach vorn und ihr Gesicht lag im Schatten. So wirkte sie unscheinbar und sie selbst war in der Lage alles genau zu beobachten, ohne dass die anderen kaum eine Regung in ihrem Gesicht sahen.

Markus eröffnete das Gespräch. „Wie viele Prinzessinnen gab es am Hof von Fürst Vankor?“ Markus‘ Gesicht war ausdruckslos, obwohl es in ihm brodelte.

„Fünf, Herr“, antwortete Fara. Sie war jetzt in dieser Männerwelt eine Sklavin.

„Wie heißt denn die andere Prinzessin, die der Sklavenhändler nach Rom verkauft hat?“

„Oda.“

Markus wunderte sich. „Heißt die nur Oda? Die wievielte Tochter von Vankor war sie denn?“

„Prinzessin Odalind Vankor. Sie ist seine zweite Tochter.“

„Fara. Wie heißt denn dein Name vollständig?“

„Faralis, Herr.“ Fara wurde mit ihren Antworten immer vorsichtiger. Irgendetwas bewegte ihren neuen Herrn, sonst hätte man sie nicht nach Vinea Clarissa geholt.

Markus war sich bewusst, dass er die Informationen, die er wissen wollte, nur schleppend bekam. „Warum hat denn Gordian euch beide in die Sklaverei verkauft?“

„Oda sollte einen Sohn des Königs der Quaden heiraten. Deswegen war Vankor zur Verhandlung der Brautbeigaben.“ Fara stockte.

Markus hakte nach. „Das ist doch kein Grund, euch zu verkaufen. Oda wäre doch dann weg.“

Fara holte tief Luft. „Mit dieser Heirat würde Oda höher als Gordian stehen, wenn der den Hof seines Vaters einmal übernimmt. Dann hätte Oda leicht Gelegenheit, sich für die fiesen Gemeinheiten von Gordian zu rächen.“

„Warum hat Gordian nicht nur Oda verkauft?“ Markus war nicht überrascht, dass hinter so viel Leid menschliche Schwächen steckten.

„Ich habe Oda vor seinen Intrigen beschützt. Ich hätte ihn verraten.“ Fara wurde immer leiser. Die Sache schien sie zu belasteten.

Jetzt wollte Markus langsam auf seinen Vater kommen. „War Vankor auch so gemein und intrigant wie Gordian?“

Fara schüttelte heftig mit dem Kopf. „Vankor ist gerecht, Herr. Es bedrückt ihn sehr, wie sein erster Sohn sich verhält.“

„Kommt es oft vor, dass Prinzessinnen geraubt werden?“

Fara wurde stutzig. Es gab an Vankors Hof nur einen Vorfall. Das war aber kein Raub, sondern nur eine Behauptung aufgrund einer Intrige von Gordian, die er gemeinsam mit Oda angezettelt hatte. Das Opfer war damals ein römischer Händler. Was wusste Markus oder was wollte er?

„Nein. Nie.“

„Oder wurde einmal versucht, eine zu rauben?“ Markus ließ nicht locker.

„Nein.“

Markus brüllte los. „Wie kommt es dann, dass mein Vater Octavius dessen beschuldigt wurde und die Flucht nur mit einem Pfeil im Rücken gelang?“

Fara zuckte zusammen. Das war der Grund, warum sie hier war!

„Wo war Vankors Gerechtigkeit, als eine von euch Prinzessinnen behauptet hat, er plante sie zu entführen?“ Die gesamte aufgestaute Wut brach aus Markus heraus. „Warum musste er wegen einer Prinzessin sterben? Prinzessin Faralis?“

Die letzten beiden Worte hatte er voller Hass ausgestoßen.

Fara verspannte sich innerlich. Sie würde kein Wort mehr sagen. Jede Rechtfertigung oder Klarstellung würde er ihr nicht abnehmen.

Markus sprang auf. „In eurem Rattennest scheint es drunter und drüber zu gehen. Dein überaus gerechter Vankor, dein Vater, ist seit einem halben Jahr tot. Jetzt ist Gordian der Fürst. Wenigstens eine kleine Gerechtigkeit. Das macht meinen Vater aber nicht mehr lebendig.“ Von seinen Emotionen übermannt, rannte er aus dem Zimmer.

Tränen rannen über Faras Gesicht. Die konnte sie nicht verhindern. Vankor hatte sich immer schützend vor sie gestellt. Er war tot. Oda, die sie beschützen sollte, war in der Sklaverei. Ihre Welt war zusammengebrochen. Sie hatte kein Zuhause mehr. Sie war jetzt eine Sklavin.

Clarissa blickte ernst und abwesend vor sich hin. Auch sie hatte Octavius verloren. Was und warum das passiert war, würde sie wohl nie erfahren.

Wisgard drückte Fara das Essen in die Hände und griff sich eine Fackel. Fara hatte in der Zwischenzeit nichts mehr vom Essen angerührt. „Komm, Fara. Ich bringe dich in ein Zimmer für die Nacht.“

Langsam trottete Fara hinter Wisgard her. Sie umrundeten im Säulengang das Atrium, um in einen Gang abzubiegen. An dessen Ende öffnete Wisgard eine Tür. Hier war eine kleine Kammer ohne Fenster mit einem breiten Bett. Auf einem kleinen Tisch entzündete sie mit der Fackel eine Öllampe.

„Die Öllampe kannst du brennen lassen, damit es nicht stockfinster ist. Stell das Essen da auf den Tisch.“

Umständlich setzte sich Wisgard auf das Bett, klemmte sich den Stock zwischen die Beine und stützte ihr Kinn darauf ab. Ihr Blick verlor sich hinter der Zimmerwand. Fara stand weiterhin nur da. Die Arme hingen ihr kraftlos an den Seiten herunter.

Wisgard blickte zu ihr hinüber. „Hatte Vankor wirklich fünf Töchter?“

Lange Zeit rührte sich Fara nicht. Dann schüttelte sie leicht verneinend den Kopf. „Vier Töchter. Die älteste ist vor langer Zeit gestorben.“

„Ist Oda jünger als du?“

Dieses Mal nickte Fara zögerlich.

Wisgard klopfte leicht neben sich auf das Bett. „Komm, setz dich, Fara.“

Langsam, wie abwesend, setzte sie sich. Wisgard rückte an sie heran und umarmte Fara.

„Weißt du, die Frauen haben es immer schwer bei den Männern. Zuerst herrscht der Vater im Hause. Er befiehlt über die Familie und darf alle prügeln, wie es ihm beliebt. Dann entscheidet er, wen wir heiraten und der Ehemann ist wieder der Herr. Es ist, als ob du eine Gefangene bist oder als eine Geisel an einem anderen Hof lebst. Du hast immer zu gehorchen und kannst nie tun, was du willst. Wenn du Glück hast, ist man gerecht, wenn nicht, gibt es Prügel und Schlimmeres. Somit liegt es an dir, ob man zufrieden ist mit dir und dich schätzt oder man auf dir herum trampelt. Diesen Faden musst du mit jedem Mann selbst spinnen und immer wieder neu knüpfen. Ob eine Tochter, Ehefrau, Geisel oder Sklavin, du musst dir täglich deinen Teppich selbst knüpfen, um deine Würde zu behaupten. Ganz egal, wo du auch bist.“

Wisgard schwieg. Für lange Zeit sagte niemand etwas. Jede hing ihren Gedanken nach und Erinnerungen wurden lebendig.

Wisgard wechselte das Thema. „Markus hat schon früh seine Mutter verloren. Darum wurde Clarissa eine enge Vertraute von seinem Vater. Clarissa war schon lange Witwe. Deshalb waren Octavius und Markus öfter bei uns. In Villa Patria hatte Patricia, die Küchenmeisterin, Markus unter ihre Fittiche genommen, wenn Octavius geschäftlich auf Reisen war. So ein Bengel hat ja immer Hunger. Patricia führt dort den Haushalt, alles, was nicht zum Handel oder zur Herstellung von Handelsgütern gehört. Villa Patria ist fast so groß wie ein Fürstenhof. Es wird dir manches bekannt vorkommen.“ Sie drückte Fara leicht an sich. „Morgen früh werden wir beide Kräuterpflanzen aus meinem Kräutergarten ausgraben. Die gebe ich dir für Swingard mit. Sie ist dort die Heilerin und wie ich eine Markomannin. Sie hat es mit dem Rücken und ihr Kräutergarten verkümmert immer mehr. Deshalb schicke ich ihr ab und zu ein paar Pflanzen. Vielleicht kannst du ihr etwas helfen. Es ist zu selten, dass wir uns besuchen und austauschen dürfen.“

Wisgard erhob sich umständlich und nahm die Fackel.

„So, leg dich schlafen. Der Tag war sicher belastend für dich. Ich gehe mich auch ausruhen. Das Alter zwickt immer mehr.“ Damit schlurfte Wisgard zur Tür und schloss sie von außen.

Fara blieb allein zurück. Lange saß sie so da, wie Wisgard sie verlassen hatte. Die Neuigkeiten veränderten ihr ganzes Leben und Ängste kamen auf. Wie würde es ihr in Zukunft ergehen? Sie stimmte zwar Wisgard zu, mit dem Leben unter der Männerherrschaft. Aber die Rechte und die Stellung, die sie jetzt als Sklavin hatte, waren doch anders als die einer Ehefrau oder einer Geisel-Prinzessin. Sie hatte überhaupt keine Rechte mehr.

Mit den Ängsten kamen die Tränen. Fara rollte sich auf dem Bett zusammen und verkroch sich unter der Bettdecke.

Fara - Kampf um Villa Patria

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