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Kapitel 6, Straße nach Poetovio, 12. April 373

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Markus war schon einige Zeit munter. Draußen auf dem Hof war kein Laut zu hören. Also war es noch nicht Zeit aufzustehen. Er hatte sich zu Fara umgedreht. Die lag auf der Seite, das Gesicht ihm zugewandt. Vorsichtig strich er ihr die wirren Haare aus dem Gesicht. Sie schlief fest. Mit ihrem entspannten Gesicht sah sie so friedlich aus. Aber was sich dahinter abspielte, war ihm ein Rätsel. Was hatte der Sklavenhändler von ihr gesagt? ‚Die hat immer eine Überraschung parat.‘ Das konnte man laut sagen. Dann war auch von ‚Furie‘ die Rede. Wie sanft sie mit Ferox umgegangen war. Umgekehrt war es. Sie hatte die Furie Ferox gezähmt. Na, die Zwiebeln würde sie schon zum Heulen bringen.

Leise stieg er aus dem Bett und ging in die Waschecke. Beim Versuch, den Holzbottich vorzuziehen, blieb er mit dem Hals an Faras gespannter Gürtelschnur hängen.

Zähneknirschend brummte er vor sich hin. „Der Tag hat noch nicht einmal angefangen mit der!“

Fara wurde munter, als sie Wasser plätschern hörte. Schnell wollte sie sich aufsetzen. Das ging nicht. Sie war immer noch eingerollt in zwei Stück Sagum. Durch Hin- und Herrollen versuchte sie, sich auszuwickeln. Aber die große Bettdecke wickelte sich zusätzlich um sie. Die Arme waren an ihren Körper gedrückt. Die bekam sie auch nicht frei. Ihr wurde siedend heiß. Sie war wie gefesselt auf diesem Bett.

Markus hatte sich in der Zwischenzeit angezogen und schloss seinen Gürtel.

„Gib mir mal mein Messer zurück“, forderte er mit ernstem Gesicht. Innerlich aber schmunzelte er. Das war die Rache für die Schnur vorhin.

„Wenn ich nicht dein Sagum zerschneiden soll, dann musst du mich befreien, Herr“, entgegnete sie schnippisch.

„Ich muss gar nichts. Ich kann dich auch so verpackt auf den Wagen werfen lassen. Da erspare ich mir einen Haufen Ärger. Aber bevor du in mein Sagum machst, hole ich dich mal da raus.“

Damit packte Markus ein Sagum an Faras Fußende und hob es hoch über seinen Kopf. Fara hing kopfüber über dem Bett und rutschte nicht heraus. Markus rüttelte und schüttelte das Bündel und Fara landete etwas unsanft auf dem Bett.

Sie stieg aus dem Bett und reichte Markus sein Messer. „Hier. Danke.“

Der steckte es ein. „Ich gehe jetzt frühstücken. Wenn du fertig bist, bringe alles mit runter. Vergiss das Messer von Vitus nicht.“ Markus griff sich seine kleine Holzkiste und verschwand aus der Kammer.

Sie hatten auf der Fahrt die Mittagsrast beendet und die restlichen sieben bis acht Meilen vor sich. Sie planten, am Nachmittag an der Straßenkreuzung zu sein, um Flavius zu treffen. Die Gedanken von Markus kreisten um den Überfall auf die drei Fuhrwerke vor nunmehr einer Woche.

Er hatte Fara gleich die Zügel in die Hand gegeben. „Ich sage dir, wo es entlang geht.“

Vitus hatte tatsächlich den Korb frisch gefüllt mit Proviant zum Wagen gebracht. Nun schlief er wieder hinten auf der Kiste. Wie Vitus zu Markus stand, war Fara nicht klar. Sie schienen einander zu respektieren und gut zu verstehen.

Fara konnte sich am Morgen in der Kammer frisch machen. Ihr fehlte aber ein Kamm. Sie fragte Markus danach. Der zuckte nur mit den Schultern. Die römischen Männer brauchten kaum einen Kamm. Sie trugen ihre Haare relativ kurz geschnitten. Da reichten die fünf Finger am Morgen. Fara hatte sich im Pferdestall einige Stücke dünnen Strick genommen, die dort herumhingen. Damit band sie sich später die Haare hinten zu einem losen Pferdeschwanz zusammen.

Sie durchquerten ein enges Tal. Zu beiden Seiten der Straße waren nur wenige Schritte Platz, ehe es steil nach oben ging. Markus kannte die Stelle. Hier hatte er immer ein mulmiges Gefühl. Da vorn bog die Straße um einen Bergvorsprung. Hier war es ideal für einen Überfall.

Markus klatsche hinter sich Vitus kräftig auf die Schulter. „Vitus, mir ist es zu ruhig hier. Hole mal die zwei Schwerter aus der Kiste.“

Vitus klappte die Kiste auf und kramte darin nach den Waffen. Fara schaute hinter sich. Überrascht sah sie ihren Jagdbogen und ihren Gürtel mit dem Essmesser daran.

Zwanzig Schritt vor den Pferden kippte plötzlich ein Baum auf die Straße. Der war groß genug, dass man nicht mit dem Pferdefuhrwerk darüberfahren konnte. Es gab keine Möglichkeit, schnell den Wagen zu wenden.

Auf der rechen Seite der Straße kamen vier Gestalten aus ihren Verstecken. Alle waren mit Schwertern bewaffnet. Manche hatten Lederbandagen an den Handgelenken oder Armschienen. Einer war sogar mit Schild ausgerüstet. Fara brachte auf einen Wink von Markus die Pferde zum Stehen. Markus und Vitus sprangen vom Wagen und bauten sich daneben auf, um die Männer zu erwarten.

„Was wollt ihr von uns?“, rief ihnen Markus entgegen.

„Was hast du geladen? Gib alles raus und nenne uns deinen Namen“, kam die Antwort zurück.

„Das geht euch einen Dreck an“, antwortete Markus.

In der Zwischenzeit war Fara nach hinten zur großen Kiste geklettert. Sie hatte gesehen, wie der geheime Hebel zu betätigen war, um die Kiste zu öffnen. Sie griff nach ihrem Bogen. Die längliche Tasche mit den Pfeilen war auch da, aber die Bogensehne fehlte. Damit war diese Waffe wertlos. Die Männer verhandelten immer noch. Schnell griff sie nach ihrem Gürtel und schloss ihn gerade, als sie von hinten umfasst wurde. Ein Atem von Knoblauch und Wein wehte ihr ins Gesicht. Sie hatte vor Aufregung nicht gemerkt, wie sich auf der anderen Seite des Wagens Männer angeschlichen hatten.

Fara versuchte, sich zu befreien. Der Mann hinter ihr fasste in die Halsöffnung ihrer Tunika und riss diese vor ihrer Brust auf.

„Wollen wir doch mal sehen, was du da so versteckst,“ röhrte er rau.

Fara kam nicht vorn an ihr Messer, aber sie brachte ihre Hände nach hinten und tastete den Gürtel des Angreifers ab. Jeder hatte ein Messer am Gürtel und der hier hatte beide Hände unter ihrer Tunika. Mit dem Hinterkopf krachte sie gegen dessen Nase und mit ihrer Hacke stampfte sie, so fest sie konnte auf seine Zehen. Vor Wut brüllend lockerte der Mann seinen Griff. Fara hatte endlich dessen Messer erwischt und aus der Scheide gerissen. Wild rammte sie das Messer hinter sich in den Bauch des Mannes. Der Angreifer taumelte zurück, wie es die Ladefläche zuließ, und hielt sich die Hand vor die blutende Öffnung seines Bauches. Fara war frei und wirbelte herum. Ihre Hand mit dem Messer zuckte nach oben und schon steckte es bis zum Heft im Hals. Das Brüllen erstarb abrupt. Blind vor Wut stieß Fara mit beiden Händen den Angreifer über die Bordwand des Wagens.

Im Unterbewusstsein hörte sie die Männer auf der anderen Seite des Wagens sich lauthals beschimpfen. Da ruckte der Pferdewagen rückwärts. Ferox wieherte und stampfte wie wild. Fara sprang auf die Fuhrmannsbank. Ein weiterer Angreifer war dabei, Ferox auszuspannen. Die äußere Seite des Zuggurtes hatte er schon von dem Brustgeschirr gelöst und jetzt war er dabei, die Verbindung zur vorderen Deichsel zu zerschneiden. Mit einer Hand hatte er das Halfter gepackt, um zu verhindern, dass er von Ferox gebissen wurde. Fara griff nach ihrem Messer am Gürtel und wartete auf den Moment, wo der Mann die Deichselverbindung durchtrennt hatte. Der blickte auf und sah erschrocken Fara. Mit einer blitzschnellen Armbewegung warf sie ihr Messer. In die Brust getroffen, taumelte der Angreifer rücklings von den Pferden weg.

Von der Fuhrmannsbank stieg Fara auf die Deichsel und balancierte darauf an die Stelle, wo der innere Zuggurt am Geschirr von Ferox eingehängt war. Mit einer schnellen Bewegung löste sie die letzte Verbindung zum Wagen und sprang auf den Rücken des Hengstes.

„Heyja, Jago, heyja“, schrie sie und klammerte sich an dessen Mähne fest. Als hätte der Hengst nur darauf gewartet, schoss er vorwärts und riss den Mann mit dem Messer in der Brust um. In vollem Lauf übersprang er den Baum auf der Straße und war im nächsten Augenblick hinter der Straßenbiegung verschwunden.

Irritiert schauten die Räuber hinter dem davonstürmenden Pferd her.

Hinter dem Felsvorsprung standen die Pferde der Angreifer und versperrten die Straße. Davor hielt ein Mann Wache für die Pferde. Deren Zügel hatte er auf eine senkrecht stehende lange Stange gefädelt, die er mit der Hand umklammerte. Als der Räuber Fara angaloppieren sah, legte er die Stange auf den Boden und zog sein Schwert. Fara brachte Ferox mit knapper Not zum Stehen. Der Mann trat an Ferox heran und wollte Fara vom Pferd ziehen. Die sprang auf der anderen Seite herunter. Der Hengst tänzelte aufgeregt und biss nach dem Angreifer. Fara rannte hinter das Pferd und schaute auf der anderen Seite vor zu dem Mann mit dem Schwert. Der ließ das Halfter des Hengstes los und rannte hinter Fara her. Die verschwand von dort wieder auf ihre Seite.

„Jago, pah, pah!“, schrie sie. Der Hengst war frei. Der Angreifer wollte um den Pferdehintern herum auf Faras Seite rennen, da schlug der Hengst mit beiden Hinterläufen aus. Die Hufeisen trafen den Brustkorb. Der Mann flog durch die Luft und krachte auf das Straßenpflaster. Der Hengst drehte sich auf der Hinterhand zu seinem Gegner um und stampfte herausfordernd mit den Vorderhufen. Fara hob rasch das Schwert auf, das der Mann hatte fallen lassen und trat an den Liegenden heran. Blut floss aus dessen Mund. Seine Augen blickten starr in den Himmel. Fara lief zu der langen Stange mit den aufgefädelten Zügeln der Pferde, hob sie auf und überlegte.

„Jago“, rief sie. Der Hengst spitzte die Ohren.

Fara streifte alle Zügel von der Stange ab und hängte sie in ihre Armbeuge. Dann führte sie die vielen Pferde zu Jago. Sie lehnte die Stange gegen das Pferd, fasste mit beiden Händen in das Zuggeschirr und sprang auf den Rücken des großen Pferdes. Die Hand, an deren Arm die Zügel hingen, verkrallte sie am Zuggeschirr des Hengstes. Mit der anderen Hand schnappte sie sich die lange Stange.

„Heyja, Jago, heyja“, rief sie wieder und der Hengst trabte an, eine ganze Herde auf der einen Seite im Schlepptau.

Als sie um den Bergvorsprung bogen, sah Fara, wie Markus und Vitus sich gegen drei Männer wehrten. Einer der Angreifer lag schon am Boden, einer blutete am Bein.

„Ahiiijahiii!“, schrie sie ihren Schlachtruf, so laut sie vermochte. „Ahiiijahiii!“

Das war Ansporn für den Hengst, volles Tempo aufzunehmen. Der Rest der Pferde musste folgen. Der Herdentrieb, der in jedem Pferd schlummert, brach hervor. Nichts hielt sie mehr auf. Wenn die Ersten zögerten, drängten die anderen weiter. Sie walzten die Baumkrone nieder, die quer die Straße versperrte. Fara senkte die lange Stange wie eine Lanze.

„Ahiiijahiii!“ Und schon waren sie heran. Fara hatte ihren Hengst absichtlich außen, am Rand des Pferdepulks geführt. So waren die Pferde zwischen dem Hengst und dem sich schnell nahenden Pferdewagen gezwängt. Mit der langen Stange als Lanze trachtete sie den Angreifer, der sich mit einem Schwert gegen den Hengst wenden könnte, zu treffen. Markus und Vitus hatten eine Seite des Wagens in ihrem Rücken behalten, um nicht von hinten angegriffen zu werden. Fara hoffte, dass sich beide unter den Wagen in Sicherheit brachten.

Durch ihren Schlachtruf hatte Fara die Angreifer abgelenkt. Die drehten sich zu spät zu den heranrasenden Pferden um. Fara krachte die stumpfe Spitze ihrer Stange dem Räuber an die Schulter, der momentan Markus angriff und die Möglichkeit gehabt hätte, vor den Pferden hinter den Wagen zu flüchten. Dann waren sie schon vorbei. Dem Pferdepulk geriet alles unter die Hufe, was da eben noch gestanden hatte.

Fara ließ erst jetzt die Zügel der anderen Pferde los und trieb ihren Hengst weiter an. Der beschleunigte ungebremst. Fara zog das Schwert aus ihrem Gürtel. Dann hatten sie einen jungen Räuber, der mit Markus‘ kleiner Holzkiste davonkommen wollte, eingeholt und schlug ihn auf den Kopf. Die Kiste krachte auf die Erde, sprang auf und alles Geld, was darin war, verteilte sich im hohen Gras neben der Straße.

Fara bremste den Hengst ab, wendete und kam im Galopp zurück zum Wagen. Der Hengst trabte noch, als sie absprang. Vor dem Wagen, das Schwert in der Hand, schaute sie sich um.

Vitus war schon wieder unter dem Wagen hervorgekommen. Einer der Angreifer, der einen Tritt ins Gesicht bekommen hatte, röchelte noch. Mit zwei Schritten war Vitus heran und schlug ihm sein Schwert in den Hals.

Jetzt erst kam Markus unter dem Wagen hervorgekrochen. Fara stand breitbeinig da, das Schwert in der Hand und mit wildem Blick. Das Blut kochte in ihr. Markus und Vitus trauten sich nicht, ihr Schwert wegzustecken. Alles war so schnell gegangen. Jetzt stand eine Furie vor ihnen, die die Schlacht entscheidend beeinflusst hatte.

Vitus hatte sich als Erster gefangen. „Jetzt schau doch mal, wie du aussiehst. Läuft so eine Prinzessin herum? Die schöne Tunika. Man kann ja fast alles bei dir sehen.“

Verdattert schaute Fara an sich herunter.

Vitus stichelte weiter. „H-Hast du nicht Nadel und F-Faden, um dich o-ordentlich anzuziehen. Ich war g-gerade erst warm geworden. D-u hättest mir einen R-Räuber übriglassen können. Prinzessin F-F-Furie.“ Reden war jetzt besser, als wenn sie so weitermachte.

„Ha. Typisch Männer. Erst palavern und sich an die Brust klopfen. In der Zwischenzeit haben sie hinter eurem Rücken den Wagen ausgeräumt und euren Hengst ausgespannt. Wenn ihr keine Legion bei der Hand habt, lasst ihr lieber eure Frauen Hab und Gut verteidigen. Ha, Römer!“ Das klang so, als ob ‚Römer‘ das schlimmste Schimpfwort war, das Fara kannte.

„Können wir jetzt die Schwerter wegstecken, oder willst du uns auch massakrieren?“, fragte Markus nach einer kleinen Pause. Ein Ärmelende seiner Tunika hing aufgeschlitzt am Arm. Aber Blut war da nicht zu sehen. Nur am Bein hatte er eine kräftige Schramme.

Fara warf vor Wut ihr Schwert hin, „Macht doch euren Mist allein. Du kannst dein ganzes Geld dort aus dem Gras herauslesen, Herr. Ich brauche jetzt mein Messer.“

Markus stutzte. „Wozu brauchst du jetzt ein Messer?“

„Hast du Nadel und Faden?“, fragte sie.

Damit ging Fara zu dem Toten mit ihrem Messer. Das zog sie heraus, wischte es an der Kleidung des Mannes ab und holte sich ihr Sagum. Dann suchte sie sich am Rande des Hanges ein einsames Plätzchen, zog ihre Tunika aus und hängte sich ihr Sagum um. Als sie bequem saß, öffnete sie das Ende ihres hohlen Messerheftes und holte ein kleines Bündel heraus, bei dem sie wusste, dass da Nadel und Faden dabei waren.

Währenddessen umrundeten die beiden Männer den Pferdewagen, um sich das Schlachtfeld und die Schäden anzusehen. Die Räuber, gegen die sie gekämpft hatten, hatten die Pferde zertrampelt.

„Hast du gesehen, wie sie den einen Räuber mit der Stange umgeworfen hat?“, fragte Markus.

„Nein. Ich hatte zu tun, unter den Wagen zu kommen. Aber möchtest du auf dem wilden Ferox freihändig ohne Sattel reiten?“, entgegnete Vitus.

Sie waren auf der anderen Seite des Wagens angelangt. Da lag der Räuber, der Fara auf dem Wagen angegriffen hatte.

„Sieh dir das an. Der musste gleich zweimal sterben, weil er was von ihr wollte. Loch im Bauch und Messer im Hals haben nicht ausgereicht. Auch die Nase hat sie ihm gebrochen. Markus, lass bloß die Hände von der. Das ist eine Furie.“ Vitus blies die Wangen auf.

„Eine Furie für die Räuber hier. Für uns beide war sie Victoria und Nike in einem. Die Göttinnen des Sieges.“

Markus schüttelte sich. Sie hätten kaum eine Chance gehabt. Ihre Gegner waren hervorragende Schwertkämpfer. Vitus hatte in der ganzen Zeit nur einen niederstrecken können. Das wollte etwas heißen. Beinahe hätte einer ihn selbst erwischt.

Als sie vorn ankamen, sahen sie den nächsten Toten in einer großen Blutlache.

Markus überlegte. „Wieso hat sie ein Schwert gehabt, als sie wiederkam? Da hinten soll noch einer mit dem Geld liegen.“

„Ich schätze, hinter dem Bergvorsprung wollte einer die Pferde oder die Lanze nicht hergeben. Frag sie doch. Aber lass sie sich erst etwas anziehen. Dich lässt sie mindestens dreimal sterben“, stichelte Vitus.

Beide gingen in die Richtung, wo sie die Geldkiste vermuteten. Da lag einer mit einem Loch im Schädel auf dem Bauch. Zwei Schritte entfernt, fanden sie den offenen Kasten. Stöhnend knieten sich beide hin und klaubten alle Münzen aus dem Gras. Sie würden sicher nicht alle entdecken. Aber was war das Geld gegen ihr gewonnenes Leben.

Als die Männer zurückkamen, war Fara wieder angezogen. Die Tunika war notdürftig geflickt.

Markus fragte Fara ohne Vorwurf in der Stimme. „Warum hast du Ferox laufen lassen? Den kriegen wir nie wieder. Der war schon einmal abgehauen.“

„Dein Ferox sucht seine Herde zusammen, Herr. Sie werden erst irgendwo grasen. Dann treibt er sie alle hierher.“

„Wieso bist du dir so sicher?“, fragt Markus.

„Ich gehöre auch zu seiner Herde, die er beschützen muss. Ferox ist ein sehr dominanter Hengst. Mit euch Männern wird er immer auf Kriegsfuß stehen, schon weil ihr wie Männer riecht und ihm mit Gewalt euren Willen aufzwingen wollt.“

„Wieso bist du überhaupt zurückgekommen? Du hättest mit Ferox schon weit weg sein können.“ Markus hatte tausend Fragen.

„Bei uns werden Pferdediebe aufgehängt, Herr“, antwortete Fara kleinlaut.

Dann ging sie los und sammelte die Waffen der Angreifer ein. Gleichzeitig schaute sie sich die Toten genauer an. Das waren in ihren Augen keine typischen Räuber. Alle hatten ein Schwert und ein Pferd mit Sattel.

„W-Was machen wir mit den T-Toten?“, fragte Vitus.

Markus zuckte ratlos mit den Schultern. „Wir schleppen sie hier neben die Straße. In der Nacht kommen dann die Wölfe.“

Als Markus später die Geldkiste in die große Kiste auf dem Wagen legen wollte, fiel ihm auf, dass das kleine Säckchen mit den Bernsteinen fehlte.

„Verflucht, jetzt sind die Bernsteine weg. Gab es etwa noch einen Räuber, der abhauen konnte?“ Markus blickte sich auf dem ganzen Wagen um.

„Fara, wie viele Pferde standen dort hinter der Straßenbiegung?“, rief er zu ihr hinüber.

„Acht.“

„Aber die Bernsteine sind weg“, brüllte er aufgeregt mit hochrotem Kopf.

Fara schaute zu ihm herüber, dann ging sie zu dem Räuber, der die Geldkiste wegschleppen wollte. Den drehte sie auf den Rücken und durchsuchte seine Sachen. Neben dem kleinen Säckchen entdeckte sie auch ihre Jagdtasche unter seiner vorn offenen Tunika.

„Es gab nur einen, der länger Zeit hatte, in der großen Kiste zu kramen“, sagte sie zu Markus, als sie zurückkam.

Es dauerte eine Weile, aber dann kam Ferox mit dem Rest der Pferde. Die zwei weiteren Hengste hatten sich untergeordnet. Die Rangfolge hatte er schon geklärt.

Fara sah sich die fremden Pferde genau an. Dann sattelte sie alle ab und warf die Sättel auf den Pferdewagen. Eines der neuen Pferde spannte sie vor den Wagen, nachdem sie Ferox das Brustgeschirr abgenommen hatte. Die Zügel der anderen Pferde knüpfte sie so, dass sie in zwei Reihen hintereinander hinter dem Wagen herliefen. Ausgenommen Ferox. Der behielt sein Halfter und bekam einen Sattel.

Die Männer hatten die Toten beiseite geräumt und den Baum von der Straße gezogen. Vitus war hinter dem Bergvorsprung verschwunden, um den achten Räuber von der Straße zu zerren. Möglicherweise gab es weitere Gepäckstücke der Angreifer.

Markus durchstöberte die Bündel, die an den Sätteln befestigt waren. Er fand nichts Interessantes außer bei einem einen kleinen Beutel Münzen. Der musste dem Anführer der Räuber gehört haben.

Markus deutete auf Ferox. „Wieso hast du ihn nicht vor den Wagen gespannt?“

„Ferox wäre beleidigt, wenn ich das getan hätte. Er hat fast sechs Räuber umgebracht, dir das Leben gerettet und eine Herde für sich erobert. Lass ihm einfach seine Natur. Er kann nicht anders. Du könntest ihm einen neuen Satz Hufeisen schenken, Herr. Die hat er dringend nötig.“

„Die hätte er schon bekommen, wenn er es zuließe“, meinte Markus.

Fara schaute verträumt Ferox nach, wie er frei mit hoch erhobenem Kopf um den Wagen und die Pferde trabte. Er war bereit.

Fara nahm die Zügel in die Hand. „Wie sagt ihr Römer? Hüh?“

Damit schwang sie wie Markus gestern mit den Zügeln und der Wagen setzte sich in Bewegung. Hinter dem Bergvorsprung sprang Fara von der Fuhrmannsbank, um Platz für Vitus zu machen. Dann ging sie zu Ferox und fasste mit beiden Händen an den Sattel.

„Heyja, Jago“, sagte sie leise.

Der Hengst trabte an. Fara lief drei, vier Schritte neben ihm mit. Dann sprang sie ab und saß in einem Schwung im Sattel. Ferox preschte vorwärts, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Dann kamen sie zurückgaloppiert. Mit einer Wendung auf der Hinterhand schwenkte der Hengst in Fahrtrichtung ein und setzte sich an die Spitze des Zuges. Ferox war das Leittier. Er musste der Erste sein.

„Da reisen wir“, sagte Markus zu Vitus. „Die Herrin und ihre zwei Fuhrleute.“

„Zwei Furien, die sich einig sind. Bloß gut, dass sie in uns keine Feinde sehen. Der Räuber, der auf die Pferde aufgepasst hat, sah fürchterlich aus“, sagte Vitus mehr zu sich.

Fara war kurze Zeit auf Ferox vornweg geritten. Jetzt wich sie zur Seite aus und wartete, bis der Pferdewagen auf gleicher Höhe war.

„Es ist besser, Herr, wenn du Ferox bis zur Kreuzung reitest“, sagte sie.

„Verstehe einer die Weiber“, brummte Markus zu Vitus hinüber.

„Ferox mag dich wohl nicht mehr?“, fragte Markus.

Fara überging die spitze Bemerkung. „Es bringt nur unnützes Gerede, wenn eine Frau reitet, Herr.“

Vitus stieß ihm leicht den Ellenbogen in die Seite. „W-Wo sie Recht hat, h-hat sie Recht. D-Du musst dir deine Position nicht erst erstreiten. Sie gibt sie d-dir freiwillig.“

Missmutig schniefend stieg Markus vom Wagen. Fara war abgesessen und hielt Ferox am Zügel.

„Gib mir deine Hand“, sagte sie leise.

„Denkst du, ich kann nicht allein aufsteigen?“, fragte er bissig.

„Nein, er soll dich akzeptieren.“ Sie nahm seine Hand und hielt diese gemeinsam mit ihrer an die Nase des Hengstes. Dabei murmelte sie in dieser geheimnisvollen Hexensprache. Dann nickte Fara nur und Markus schwang sich auf das Pferd.

„Heyja“, sagte Fara leise und Ferox setzte sich wieder an die Spitze des Zuges. Die üblichen Marotten, Markus zu ärgern, schien er vergessen zu haben.

Fara kletterte schnell auf die Fuhrmannsbank, ehe es weiterging.

Vitus überlegte hin und her.

„D-Danke, dass du z-zurückgekommen b-bist.“

Als Fara darauf nichts sagte, platzte er heraus. „Kennst Du diesen Gaul?“ Dabei deutete er nach vorn.

Fara drehte sich zu ihm um. „Kann es sein, dass du gar nicht stotterst?“

Erschrocken blickte Vitus starr geradeaus. „I-Ich stottere sch-schon mein g-ganzes L-Leben lang.“

„Du stotterst immer an einer anderen Stelle und manchmal gar nicht. Leute die stottern, stolpern mit der Zunge meist über die gleichen Laute. Wenn sie aufgeregt sind, stottern sie umso mehr, während du dann das Stottern vergisst. Warum machst du das? Wer bist du überhaupt?“, fragte Fara direkt.

Vitus überlegte eine Weile. Sie hatte ihn durchschaut. Er konnte es kaum fassen. Nur Markus wusste Bescheid. Die Prinzessin wurde ihm unheimlich. Sie würde nur weiterbohren, bis sie die Wahrheit bestätigt bekam.

„Ich bin der Fechtlehrer und manchmal Leibwächter von Markus. Und sein Freund. Wir kennen uns schon vier Jahre. Sein Vater hatte mich angeworben, um ihn zu unterrichten. Wir verstehen uns ziemlich gut, denke ich.“

„Deine Größe lässt nicht vermuten, dass du Leibwächter bist. Du täuschst mit dem Stottern“, stellte sie fest. „Das ist deine Tarnung.“

Vitus nickte nur. Dem einfältigen Stotterer traute man nichts zu.

Nach einer Weile deutete Fara auf den Hengst mit Markus. „Bei uns zu Hause lernt man zuerst reiten, ehe man laufen lernt. Pferde sind, wie bei jedem Reitervolk, der Mittelpunkt des Lebens. Alles hängt mit den Pferden zusammen. Die Zucht, das Abrichten, Transport, Fleisch, Felle, Reiterkrieger usw. Es liegt mir im Blut, Pferde zu beurteilen und zu beherrschen.“

Vitus nickte bedächtig. Vollständig überzeugt war er nicht. Er kannte sich mit Pferden nicht besonders aus, aber was Fara mit Ferox gezeigt hatte, war wie blindes Verstehen. Ferox, diesen aufsässigen, bissigen Gaul, besaßen sie ungefähr seit drei Jahren, etwa seit der Zeit als Markus Vater, Octavius, gestorben war.

Vitus richtete sich auf und sah Fara an. War das nicht das Pferd, mit dem Octavius die Flucht von Vankors Hof geglückt war? Den hatte der Hengst trotz Verletzung nicht abgeworfen. Vitus schaute nach vorn, wie Markus problemlos auf ihm reiten durfte.

Jetzt erkannte er ihr Geheimnis. Sie wollte es nicht preisgeben und nahm lieber die schwere Schuld auf sich. Welche Gründe Fara auch dafür hatte, er bezweifelte, dass Markus ihm glauben würde, wenn er ihm das erzählte.

„Hat Octavius zufällig Ferox für seine Flucht erwischt?“, fragte Vitus leise.

Fara schaute Vitus lange an, ehe sie antwortete. „Nur mit dem schnellsten Pferd hatte er eine Chance zu entkommen.“

Fara schaute abwesend in die Ferne, holte dann tief Luft. „Sage Markus nichts davon. Er will momentan die Wahrheit gar nicht wissen. Er will seine aufgestaute Wut abreagieren.“

„Beim heiligen Jupiter, hast du Mut.“ Vitus schüttelte den Kopf.

Jeder hing seinen Gedanken nach.

„Es ist besser“, meinte Fara, „wenn ihr nichts von mir heute bei dem Überfall erzählt. Es waren eben ein paar Strauchdiebe, die gestohlene Pferde dabeihatten. Ich werde dein Geheimnis niemandem verraten. Bitte halte dafür mein Geheimnis vor Markus und allen anderen verborgen.“

„Warum so zurückhaltend? Es war dein Sieg!“, entgegnete Vitus.

„Ich denke nicht an heute. Ich denke an später. Das ist eben meine Tarnung.“

Fara sah Vitus fragend an. Der nickte stumm.

„Kannst du das Markus beibringen, ehe wir diesen Flavius treffen? Und ihr müsst mir die Männer vom Leibe halten.“

Vitus schmunzelte. „I-Ich weiß schon. G-Gleich zweifacher T-Tod.“

„Du hast die gebrochene Nase und zertrampelten Zehen vergessen. Wie lange ist es bis zur Kreuzung?“, fragte Fara.

„N-Noch eine Meile.“

Fara kletterte nach hinten auf die Ladefläche. Dort schwang sie ihr Sagum um die Schultern, setzte sich in eine Ecke, löste ihren Pferdeschwanz auf und schüttelte ihre Haare, bis ihr Gesicht kaum zu erkennen war. Dann sank sie in sich zusammen und war nun ein Häuflein Unglück.

Fara - Kampf um Villa Patria

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