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Kapitel I Familie und Geschwister

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Margrit Fuchs’ Vorfahren kamen väterlicherseits aus Hornussen, mütterlicherseits aus Gipf-Oberfrick. Margrit stand der Mutter eindeutig näher als dem Vater. Ihre Mutter Ida Wilhelmine Fuchs-Hinden kam als sechstes und jüngstes Kind des Johann Baptist Hinden (1834–1906) und der Katharina Schmid (1841–1915) am 2. April 1880 in Gipf-Oberfrick zur Welt. Wie die meisten Bewohner des Dorfs waren die Hindens Bauern – «Landmänner», wie es nicht ohne Berufs- und Standesstolz in den amtlichen Akten verzeichnet wurde. Ihre Geschwister Maria Josefa, Rosa Katharina, Karl August, Alois Albert und Johann Eduard erlangten alle das Erwachsenenalter, was für damalige Verhältnisse eher aussergewöhnlich war. Bemerkenswert ist ausserdem, dass der älteste Bruder Karl August einen Beruf erlernte, nämlich den des Spenglers; er folgte damit nicht der Tradition, als ältester Sohn den elterlichen Bauernbetrieb zu übernehmen.

Nach 1887 besuchte Ida Hinden im Dorfteil Gipf die Schule, denn Gipf und Oberfrick, obwohl schon damals eine politische Gemeinde, hatten noch zwei eigenständige Schulhäuser. Sie war eine sehr fleissige und ordentliche Schülerin, die ausgezeichnete Noten nach Hause brachte. Es scheint, dass sie in Kindheit und Jugend sich zumindest zeitweise nach ihrem zweiten Vornamen Wilhelmine benannte; erst später wechselte sie definitiv auf Ida. Nach der Schulentlassung half sie im elterlichen Betrieb mit und widmete sich daneben der Seidenbandweberei. Nach der obligatorischen Schulzeit bildete sie sich in Haushaltsführung weiter: Im Jahr 1900 besuchte sie zum Beispiel als bereits 20-Jährige einen Koch- und Haushaltungskurs in Gipf. Das war schon eher aussergewöhnlich, denn damals herrschte die Meinung vor, dass Mädchen zu Hause kochen und die Haushaltsführung lernen würden, dafür musste nicht noch teures Geld für zusätzliche Kurse ausgegeben werden. Doch Weiterbildung war Ida Hinden offenbar schon damals sehr wichtig. Wahrscheinlich arbeitete sie sogar zeitweise als Hauswirtschaftslehrerin, als sie noch ledig war, auch wenn sich dafür keine handfesten Belege finden lassen. Am 8. Juni 1908 heiratete sie schliesslich in ihrem Heimatdorf Josef Fuchs.

Ida Fuchs war eine überaus liebenswürdige und verständnisvolle Person, für die die eigene Familie immer im Mittelpunkt stand. Wie erwähnt, lag ihr Bildung sehr am Herzen. Ihre eigene Weiterbildung ist ein Indiz dafür, vor allem aber die Tatsache, dass sie bei allen ihren Töchtern auf einer Ausbildung beharrte, auch bei ihrer Stieftochter Anna. Sie wollte, dass ihre Mädchen ökonomisch auf eigenen Beinen standen. Das war alles andere als selbstverständlich. In der Meinung, Mädchen würden nach der Schule ohnehin bald heiraten und eine Familie gründen, wurde eine Berufsausbildung für junge Frauen vielfach als überflüssig und Geldverschwendung betrachtet.


Der Haushalt war Ida Fuchs Königreich. Solange sie körperlich dazu in der Lage war, besorgte sie ihn selbst. Die Tage, an denen sie die Wäsche machen konnte, waren für sie geradezu Festtage. Das Haus am Kapellenweg in Windisch wurde mit grosser Sorgfalt und Liebe gepflegt – so wurden die Treppen mit Seidenpapier geputzt, um sie zu schonen. Ida Fuchs war einem einfachen, doch überzeugenden Wertekanon verpflichtet: Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit, und Sorgfalt mit materiellen Dingen. Auch Margrit sollte später diesen Wertekanon teilen. «Ich tue es so, wie es mich meine Mutter gelehrt hat», pflegte sie zu sagen. Neben der Familie fand Ida Fuchs offenbar auch Zeit, für Bedürftige zu nähen und zu stricken. Sie stammte aus einer religiösen Familie, war sehr gläubig und engagierte sich in der kirchlichen Freiwilligenarbeit, etwa als Mitglied des Müttervereins. Schliesslich hatte sie einen guten Sinn für Humor, der zumindest auf Margrit und Elisabeth abfärbte. Fotografien aus ihren letzten Lebensjahren zeigen eine Frau mit spärlichem, etwas wirrem weissem Haar, einem faltigem Gesicht und einem gütigem Blick. Als Witwe ist sie ganz in Schwarz gekleidet, die Hände liegen im Schoss, sie sitzt in ihrem «Grossmutter-Stuhl» im Wohnzimmer und strahlt anspruchslose Zufriedenheit aus.

Der Vater Josef Fuchs stammte ebenfalls aus einer Bauernfamilie, und zwar aus Hornussen. Er war das siebte Kind des Josef Fuchs (1821–1897) und der Aloisia Herzog (1837–1887) und kam am 19. Juni 1867 zur Welt. Fuchs ist ein alteingesessenes Hornusser Geschlecht, es lässt sich – zum Teil auch in der Schreibweise «Fux» – bis ins 17. Jahrhundert nachweisen. Josef Fuchs war der erste Bub in der Familie, der überlebte. Zwar war schon etwas mehr als ein Jahr zuvor ein Knabe geboren worden, der den Namen Josef erhalten hatte. Doch war er bereits nach drei Monaten gestorben. Überhaupt war die Kindersterblichkeit bei der Familie Fuchs hoch. Von den acht, möglicherweise neun Kindern des Paares Josef und Aloisia Fuchs-Herzog erreichten nur fünf das Erwachsenenalter. Neben Josef Fuchs’ älterem Bruder starben zwei Mädchen am Tag ihrer Geburt. Unklar ist, ob Aloisia Fuchs-Herzog nach Josef noch einen Knaben gebar, der aber eine Totgeburt war. So wuchs Margrits Vater unter lauter Schwestern auf. Die älteste, Maria Kreszentia, heiratete in Hornussen, wo sie bis zu ihrem Tod 1938 blieb. Dasselbe gilt für seine jüngere, ledige Schwester Lina. Margaretha, die dritte Schwester, zog nach Genf und heiratete Christof Theis aus Graubünden. Einen ungewöhnlichen Lebenslauf hatte schliesslich die Jüngste im Mädchenbund, Elisabeth: Sie brachte 1902, im Alter von 30 Jahren, eine erste uneheliche Tochter namens Klara Margaretha zur Welt und drei Jahre später eine weitere, Maria. Ob der Vater in beiden Fällen derselbe war, lässt sich aus den Ortsbürgerregistern nicht erschliessen; solche «Details» wurden damals nicht aufgezeichnet, und sofern es keine Anerkennung der Vaterschaft gab, liess sich diese auch nicht zweifelsfrei feststellen. Auf jeden Fall sieht dieser Umstand nach einem handfesten Skandal auf dem Land aus, und dies ist vielleicht auch der Grund, weshalb Elisabeth schliesslich nach Stuttgart zog. Sie heiratete dort 1910 und trug fortan den Namen Elisabeth Clavel. Ob sie die Kinder mitnahm, ist unklar; zumindest für eine gewisse Zeit scheinen diese getrennt von der Mutter in der Schweiz gelebt zu haben. Ebenso unklar ist, ob ihr Mann Deutscher oder Franzose war, denn das Bürgerregister von Hornussen führte sie zuerst als deutsche Staatsbürgerin, nach ihrer Rückkehr in die Schweiz aber als Französin. Das legt nahe, dass ihr Mann Elsässer war; das Elsass war bis 1918 deutsch, danach französisch. Dagegen spricht aber, dass Elisabeth Clavel bereits im Oktober 1914, bei ihrer Anmeldung in Zürich, die französische Staatsbürgerschaft besass. Ihr Mann könnte also Franzose gewesen sein, der in Deutschland lebte und nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in die Schweiz, die neutrale Heimat seiner Frau, übersiedelte, vielleicht, um sich dem Militärdienst in Frankreich beziehungsweise der Internierung in Deutschland zu entziehen. Elisabeth Clavel arbeitete zuerst als Zimmermädchen. Doch sie muss schon bald krank geworden sein. Sie war eine Zeit lang in der Klinik Barmelweid in Erlinsbach im Kanton Aargau, danach in zahlreichen Kranken- und Pflegeheimen in der Stadt Zürich untergebracht. Im Mai 1920 verstarb sie mit 48 Jahren im städtischen Krankenhaus Waid in Zürich.

Nach der Schule fand Josef Fuchs eine Anstellung als Bremser bei der Eisenbahn. Vermutlich brachte diese Arbeit es mit sich, dass er viel unterwegs war. Im Mai 1896 zog er nach Brugg, das damals ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt war (siehe «Kontext: Die Region Brugg-Windisch 1917–1970», S. 45). Er wohnte zur Untermiete bei einem Kondukteur Meyer. Am 13. April 1903 heiratete er die 26-jährige Josefina Baldesberger aus Gipf-Oberfrick. Wie Ida Hinden war sie das jüngste von sechs Kindern einer Bauernfamilie aus dem Dorfteil Gipf, der Vater Eduard hatte seinerzeit von Frick her eingeheiratet. Die Braut war zum Zeitpunkt der Eheschliessung schwanger, denn bereits im August, also vier Monate nach der Hochzeit, kam das Töchterchen Anna in Brugg zur Welt. Knapp anderthalb Jahre später folgte ein Sohn, der den väterlichen Namen Josef erhielt. Doch dieser verstarb an seinem ersten Geburtstag. Inzwischen war die Familie von Brugg nach Windisch gezogen. Der Tod verfolgte sie. Am 25. Juni 1907 verschied Josefina Fuchs-Baldesberger und liess Josef Fuchs als Witwer mit einer knapp vierjährigen Tochter zurück. Wegen seines Berufs konnte er sich nicht ausreichend um Annas Erziehung kümmern. Vielleicht war das der Grund, weshalb er sich ziemlich genau ein Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau mit Ida Hinden vermählte. Da beide Frauen aus Gipf-Oberfrick stammten, stellt sich die Frage, ob sich Josef Fuchs und Ida Hinden zu Lebzeiten Josefina Baldesbergers schon kannten. Dafür gibt es allerdings keinen Beweis. Auch gibt es zwischen den Hindens und den Baldesbergers keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Josef Fuchs war bei der Trauung bereits 41 Jahre, Ida Hinden 28 Jahre alt.

Josef Fuchs war, im Gegensatz zu seiner zweiten Frau, ein schwieriger, cholerischer und tyrannischer Mensch. Gegenüber seinen Kindern schreckte er vor Prügel nicht zurück. Das war zwar in jener Zeit nichts Aussergewöhnliches und gehörte bis zu einem gewissen Grad auch zum Rollenverständnis eines Vaters. Im Gegensatz zur Mutter, die Liebe, Nähe und Wärme verkörperte, war der Vater eine entrückte und ferne Autoritätsinstanz. Trotzdem waren nicht alle Väter jener Zeit Tyrannen, und viele Kinder behielten gute Erinnerungen an ihre Väter. Das war bei Josef Fuchs nicht der Fall. Die Geschwister Fuchs sprachen später wenig über ihren Vater, und wenn, dann wenig Gutes. Margrit sagte später bloss, sie habe ihr gutes Gedächtnis und ihre Fähigkeit, sich Geburtstage und Jahrestage merken zu können, von ihrem Vater geerbt. Seine Ehe mit Ida Fuchs war wohl wenig glücklich; letztere tönte diese Schwierigkeiten in Gesprächen mit anderen, wenn auch sehr diskret, zwischendurch an. Im Lauf der Jahre nahm Josef Fuchs’ Alkoholkrankheit mehr und mehr zu. Dazu kamen Schulden. Vor dem Hintergrund dieser Erlebnisse war es für Ida Fuchs umso wichtiger und dringender, dass ihre Mädchen auf eigenen Beinen stehen konnten und sich nicht von einem Mann abhängig machten.

Ida und Josef Fuchs zogen nach Windisch. 1905 hatte die Brugger Baufirma Gottlieb Belart1 im Klosterzelgquartier am nachmaligen Kapellenweg 5 eine Parzelle mit einem zweistöckigen Haus bebaut. Auf dem Grundstück stand zudem noch ein Holzschuppen, der als Waschhäuschen diente. 1907 kaufte ein Büroangestellter namens Severin Keller das Haus. 1910 zog die Familie Fuchs als Mieterin in die Wohnung im ersten Stock. Die Nähe der Klosterzelg zum Bahnhof Brugg war der Grund, weshalb sich viele «Bähnler» in dem neu entstehenden Quartier niederliessen und ihm einen speziellen Charakter verliehen. Noch Ende der 1940er-Jahre waren an der Klosterzelg- und Hauserstrasse von 104 Hausbesitzern nicht weniger als 33 SBB-Angestellte. Die Beziehungen des neuen Quartiers zu den alteingesessenen Windischern waren anfänglich nicht ohne Spannungen. Denn die Bewohner der Klosterzelg wünschten einen möglichst raschen Anschluss an die von Brugg betriebene Gasversorgung: Eisenbahner mit unregelmässigen Arbeitszeiten waren darauf angewiesen, bei jeder Tages- und Nachtzeit eine warme Mahlzeit zubereiten zu können. (Koch-)Gas war da eine grosse Erleichterung: Man musste nicht jedes Mal mühsam und zeitaufwendig den Ofen mit Holz oder Kohle einfeuern. Der neu gegründete, kämpferische Quartierverein Klosterzelg-Reutenen stritt für diesen Anschluss und drohte im Falle der Nichterfüllung der Forderung gar mit Sezession nach Brugg hin; 1912/13 kam der Anschluss an die Gasversorgung.

Die Wohnung im ersten Stock des Hauses am Kapellenweg 5 verfügte über eine Küche, zwei Schlafräume und ein Wohnzimmer. Die Toilette befand sich im Zwischengeschoss und wurde von den Bewohnern beider Stockwerke benutzt. Erst in den 1960er-Jahren baute man in beiden Wohnungen separate Nasszellen ein. Das Haus hat bis heute keine grösseren Umbauten erfahren und befindet sich noch im Originalzustand. Das Waschhäuschen wurde allerdings nach der Anschaffung von Waschmaschinen zu einem gewöhnlichen Geräteschuppen umfunktioniert. Für die wachsende Familie Fuchs müssen die Platzverhältnisse im ersten Stock mit jedem weiteren Kind zunehmend beengend geworden sein. Da eines der Schlafzimmer den Eltern vorbehalten war, mussten sich die vier Mädchen auf den anderen Schlafraum als «ihr» Zimmer beschränken. Der erstgeborene Sohn Josef Fuchs schlief in einer Mansarde im Estrich. Hinzu kam, dass zumindest zeitweise eine Nichte Josef Fuchs’, die uneheliche Tochter Klara Margaretha seiner Schwester Elisabeth, bei ihnen wohnte. Josef Fuchs amtete als Vormund für das Mädchen; allerdings nur zwei Jahre lang. Als Elisabeth schliesslich aus Deutschland zurückkehrte, zog das Mädchen zu seiner Mutter. Möglicherweise brauchte man einfach Platz, nachdem Margrit geboren worden war. Das Pflegekind war eines zu viel.

Der Hausbesitzer Severin Keller starb 1929 und vererbte das Haus an seinen Bruder, der es aber noch am gleichen Tag an Ida Fuchs verkaufte. Vermutlich waren schon vorher entsprechende Abmachungen getroffen worden. Aussergewöhnlich ist, dass als Käuferin Ida und nicht ihr Ehemann Josef auftrat. Offenbar verfügte sie über ein gewisses Vermögen als separates Frauengut, auf das ihr Mann keinen Zugriff hatte. Dieser war zu dem Zeitpunkt bereits dermassen von Geldsorgen geplagt, dass er nicht in der Lage war, das Haus zu kaufen.

Anna, die Josef Fuchs als Vierjährige in die Ehe mitgebracht hatte, arbeitete nach der Schulzeit als Büroangestellte. Sie war ihr Leben lang kränklich und starb nur 39-jährig im Februar 1942 an Tuberkulose. Wie alle anderen Mädchen im Haushalt Fuchs wurde sie mit der Verkleinerungsform ihres Namens angesprochen, Anneli. Obwohl Ida Fuchs ihre Stiefmutter war, legte sie grossen Wert darauf, Anna und ihre leiblichen Kindern gleich zu behandeln – was fast so weit ging, dass sie Anna gegenüber den anderen bevorzugte. Dies könnte mit der Kränklichkeit der Stieftochter zu tun gehabt haben. Gerade aus religiöser Sicht sollte Kranken besondere Aufmerksamkeit zukommen; denn als Leidende galten sie als von Gott mit besonderer Gnade ausgestattet. Auch die drei Stiefschwestern nahmen auf Anna immer wieder Rücksicht: Als Elisabeth einmal mit dem Fahrrad stürzte und dabei ihre neuen Strümpfe zerriss, bat sie Margrit, Anna nichts davon zu erzählen, weil diese sonst in ihren Ferien – in denen Anna sich gerade befand – nicht mehr schlafen könne.

Das erste leibliche Kind von Ida und Josef Fuchs war ein Sohn. Er wurde 1909 geboren und auf den Namen Josef getauft, damit der väterliche Name weitergegeben werden konnte – der erste Sohn mit Namen Josef aus der Ehe mit Josefina Baldesberger, der Bruder der kleinen Anna, war ja ein Jahr nach seiner Geburt gestorben. Nach dem Abschluss der Schulen machte Josef eine Lehre als Schlosser und arbeitete anschliessend als Mechaniker beim damaligen Industriegiganten BBC in Baden. Er heiratete 1942 Maria Hermine Kempten in Wallisellen. Das Paar hatte drei Kinder: Josef, Marianne und Margrit. Die Familie wohnte in Wettingen, zuerst an der Landstrasse, bevor sie 1950 in einen BBC-eigenen Wohnblock umzog. Wie sein Vater war Josef Fuchs nicht immer einfach im Umgang und neigte zu cholerischen Ausbrüchen. Seinen Kindern schenkte er zu Weihnachten jeweils Silva-Bücher zu exotischen Ländern. Diese Bücher waren damals in der Schweiz überaus populär: Auf zahlreichen Verpackungen von Nahrungsmitteln und anderen Gebrauchsgegenständen, die man kaufte, fanden sich Silva-Punkte, die ausgeschnitten und als Beitrag an den Erwerb der Bücher verwendet werden konnten.

Nach Josef wurde Ida geboren. In einigen späteren Dokumenten taucht die etwas merkwürdige Schreibform «Idda» für ihren Namen auf, und sie unterschrieb manchmal auch so. Sie wird als eine grosse, kräftige Frau und reservierte Person geschildert, die manchmal schon fast verbittert wirkte. Sie arbeitete als Telefonistin beim staatlichen Post- und Telefonmonopolisten PTT, der Vorläuferorganisation der Swisscom, in Luzern. Telefonistinnen waren für damalige Verhältnisse gut bezahlt, und Ida Fuchs machte eine für eine Frau zu jener Zeit beeindruckende Karriere. Ihr bestimmtes und strenges Auftreten trug ihr den Spitznamen «Generalin im Telefonamt» ein; sie bewegte sich «beruflich souverän». Sie stieg schliesslich bis in die Leitung der Telefonbuchredaktion auf. Ida war aber offenbar auch in Handarbeit nicht unbegabt und verfertigte eigenen Weihnachtsbaumschmuck. Sie war die Patin von Josef Fuchs, dem Erstgeborenen ihres Bruders Josefs. Unter der rauen Schale schlug offenbar ein weiches Herz: Ida unterstützte, wenn auch heimlich, ab und zu die Frau ihres Bruders finanziell, da Josef Fuchs mit dem Haushaltsgeld knausrig war. Auch gab es für die Töchter von Josef gelegentlich Ferien bei «Tante Ida». Einmal stellte sie für ihre Nichten ein eindrückliches Programm zusammen, inklusive Fahrten auf dem Vierwaldstättersee. Die Herbheit, die Ida ausstrahlte, mag auch dazu beigetragen haben, dass sie – im Gegensatz zu ihren Schwestern – nicht mit der Verkleinerungsform ihres Namens angesprochen wurde.

Die 1914 geborene Elisabeth, auch «Liseli» oder «Lisel» genannt, lernte Damenschneiderin. Doch fühlte sie sich zum geistlichen Leben hingezogen und trat in die Gemeinschaft der Ingenbohler Schwestern ein, wo sie den Schwesternnamen Ida-Rosa annahm und 1945 die Profess – das Gelübde beim endgültigen Ordenseintritt – ablegte. Schwester Ida-Rosa wirkte zuerst als Haushaltungslehrerin in Bremgarten und später in gleicher Funktion in Appenzell und Schwyz. 1961 beorderte man sie ins Mutterhaus nach Ingenbohl zurück, wo sie, als gelernte Damenschneiderin, im Nähzimmer des Klosters und später des Generalats2 ihrer Gemeinschaft von grossem Nutzen war. Das Klosterleben war keine aussergewöhnliche Wahl im weiteren Familienkreis der Fuchs-Hinden: Auch eine etwas ältere Cousine mütterlicherseits, Bertha Mettauer, war Kapuzinerin im Kloster Maria Hilf auf dem zugerischen Gubel; sie nannte sich Schwester Mathilde. Und etliche Jahre später vollzog dann eine Nichte mütterlicherseits den Schritt, den Margrit nicht hatte tun können – oder wollen – und wurde Ordensfrau bei den Ursulinen in Belgien, allerdings nicht in Vilvoorde, sondern in St. Trond.

Elisabeth, oder eben Schwester Ida-Rosa, wird als jene geschildert, die in Wesen und Gemüt ihrer Mutter am meisten glich. Wie letztere, und wie auch Margrit, hatte sie einen sehr guten Sinn für Humor. Nach einem Sturz mit dem Fahrrad, der sie die Strümpfe kostete, schrieb sie in einem augenzwinkernd-feierlichen Ton: «Am 1. Juni 1934 morgens neun Uhr machte Elisabeth Fuchs ihren 1. Sturzflug mit dem Velo in der neuen Strasse.» Und dann, nach dem Fast-Zusammenstoss mit einem Auto: «Ich nahm das Velo, sass auf und fuhr zum Spiess ein paar neue Strümpfe zu holen die [ich] dann gerade dort anzog. Das ist traurig nicht wahr!!!?» Sie hatte auch eine Vorliebe für Anekdoten, Kehrreime und Wortspiele. Dazu muss sie wie Margrit über ein gutes Zahlengedächtnis sowie ein ausgeprägtes Erinnerungsvermögen für Jahrestage und dergleichen verfügt haben. Ihr Neffe erinnert sich, dass sie einmal ihn und seine Frau zum Hochzeitstag anrief und gratulierte. Er selbst habe den Hochzeitstag vergessen gehabt. Trotz ihrer Wahl, ins Kloster zu gehen, war Elisabeth sehr weltoffen. Die Beziehung zwischen Elisabeth und Margrit – den beiden jüngsten im Hause Fuchs – war in Kindheit und Jugendjahren eng: In einem Brief an Margrit betitelt Elisabeth diese als «Mein innigstgeliebter vom Himmel heruntergepurzelter Herzkäfer». Und schliesst das Schreiben mit «…Deine Dich liebende nie vergessende viel an Dich denkende Schwester».

Bei der Namensgebung in den weiteren Familien Fuchs und Hinden fällt auf, dass immer wieder die gleichen Namen auftauchen. Damals folgte die Namensgebung strengen Regeln innerhalb der Familien, wobei Traditionen und die Gedenktage von Heiligen eine grosse Rolle spielten. Fiel die Geburt eines Kindes auf den Gedenktag eines oder einer berühmten und verehrten Heiligen, erhielt das Neugeborene oft dessen oder deren Namen. Bei den Buben war wichtig, dass einer von ihnen den Namen des Vaters weitertrug, vorzugsweise der Erstgeborene, sonst jener Nächstgeborene, der überlebte. Da war kein Platz für falsche Sentimentalitäten – starb der Inhaber eines Vaternamens, wurde der nächstgeborene Sohn wieder auf den Vaternamen getauft.

Auch bei den Mädchen galt die Regel, das älteste nach der Mutter zu benennen, doch wurde das etwas weniger streng gehandhabt. Allerdings kam es bei den Mädchen auch vor, dass eine Generation übersprungen wurde: So wurde Ida Fuchs’ älteste Schwester, Maria Josefa Hinden, nach der Grossmutter mütterlicherseits benannt. Und Josef Fuchs’ älteste Schwester war nach der Grossmutter väterlicherseits benannt. Viele Mädchen wurden zudem gewohnheitsmässig auf den Erstnamen Maria getauft wobei sie im Alltag aber bloss bei ihrem Zweitnamen gerufen wurden. Auch sonst zirkulierten in den Familien Fuchs und Hinden immer wieder gleiche oder ähnliche Namensverbindungen: Ida Fuchs hatte zum Beispiel eine Nichte aus der zweiten Ehe ihres Bruders Alois Albert Hinden, die wie sie mit Vornamen Ida Wilhelmine hiess. Erst wenn der «Vorrat» an familientypischen Namen aufgebraucht war, wagte man etwas Neues: Der erwähnte Alois Albert taufte sein letztes Kind Lidia Franziska – zwei Namen, die bislang im Universum der Hinden nicht aufgetaucht waren. Allerdings war nicht jede Namenswahl von der Tradition diktiert: Josef Fuchs und seine erste Frau Josefa tauften ihr erstes Kind Anna – was zwar damals ein sehr populärer Name war, jedoch bis dahin weder in der Familie Fuchs noch in der Familie Baldesberger vorgekommen war.

Ein Leben für Ruanda

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