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Kapitel III Erwachsenenleben auf der Klosterzelg Hausgemeinschaft am Kapellenweg

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Eine undatierte Schwarz-Weiss-Fotografie aus den 1930er-Jahren zeigt Ida Fuchs mit ihren leiblichen Kindern und Anna an einem sonnigen Tag vor dem Eingang zum Haus am Kapellenweg in Windisch. Sie posieren fürs Familienfoto, allerdings ohne den Vater. In der Mitte sitzt die Mutter, um sie herum die Kinder. Aus den Kleidern zu schliessen, muss es Frühling oder Herbst gewesen sein. Die Mutter blickt etwas nach unten, als ob sie von der Sonne geblendet würde; Margrit, Ida und Elisabeth lächeln, Josef und Anna machen ernste Mienen. Auf einer anderen Fotografie, diesmal ohne Mutter, lachen alle. Josef – Hahn im Korb – geniesst es sichtlich im Kreis seiner Schwestern, Margrit hat ihn sogar untergehakt. Die Töchter der Familie Fuchs haben stattliche Figuren, ziemlich weit weg vom heutigen Schlankheitsideal. Doch es sind hübsche, fröhliche, aufgeweckte junge Frauen, die sich da um ihren Bruder scharen. Anna, die Halbschwester, hebt sich deutlich ab von den anderen. Sie hat dunkleres Haar, einen dunkleren Teint. Auch auf weiteren Fotografien fällt sie sofort auf mit ihrem intensiven, schönen Blick.

Andere Fotografien zeigen die Familie Fuchs auf Ausflügen im ganzen Land – man war offensichtlich unternehmungslustig. Die vergünstigten Fahrkarten des SBB-Angestellten Josef Fuchs mögen da mitgeholfen haben. Doch jetzt, Mitte der 1930er-Jahre, war die Jungmannschaft des Kapellenwegs erwachsen und erwerbstätig, man konnte sich also durchaus auch etwas leisten. Untereinander tauschten sich die Geschwister rege aus, schickten sich gegenseitig Karten von Ausflügen und kleine Briefchen zu Namens-und Geburtstagen. Ida schickt Ostergrüsse aus Genf und Neuenburg, wo sie ihr Welschlandjahr verbrachte. Der Umgangston unter den Schwestern war wie eh und je vertraut und liebevoll, manchmal zärtlich, manchmal aber auch mit dem gewohnten Witz. Adressatin der Schreiben war oft Anna, die mindestens seit Mitte der 1920er-Jahre kränkelte und immer wieder in Kurheime und Sanatorien musste: Amden ob dem Walensee, Wolfhalden im Appenzellischen, dann ab den 1930er-Jahren auch das teurere und höher gelegene Davos, alles bekannte Luftkurorte für Tuberkulosepatienten. In Davos waren es dann schon mehrere Monate, die Anna bleiben musste. Sie erhielt Besuche von einer Freundin, mit der sie sich gemeinsam immer wieder fotografieren liess. Ein Bild aus dem Jahr 1937, fünf Jahre vor ihrem Tod, zeigt sie bereits schwer von der Krankheit gezeichnet: Sie ist erst eine 34-jährige Frau, doch sie geht am Stock, das Gesicht wirkt verhärmt und vorzeitig gealtert. Die einstige Schönheit ist verflogen. Es war wohl nicht ohne Folge für das Leben von Margrit, mitansehen zu müssen, wie ihre 14 Jahre ältere, leidende Halbschwester langsam ihr Lebenslicht verlor. Sie hat vielleicht darum die Korrespondenz mit ihr sorgfältig aufbewahrt.

Auf einer weiteren Fotografie, die wohl ein paar Jahre später entstand, steht die Mutter im Kreis ihrer leiblichen Töchter. Margrit trägt eine Aargauer Tracht – diese taucht in den nächsten Jahren auf Bildern immer wieder auf; sie muss in diesen Jahren ihr Stolz gewesen sein. Sie zeigt vielleicht auch symbolisch Margrits Heimatverbundenheit, die sie später immer wieder an den Tag legte. 1986 schreibt sie in einem Brief an das Organisationskomitee der 100-Jahr-Feier der aargauischen katholischen Landeskirche gewohnt humorig, doch auch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, sie sei «überzeugte, ja fanatische Aargauerin». Auch die Tatsache, dass die Mutter immer wieder im Zentrum von Fotografien steht, ist symbolisch. Sie ist es, welche die Familie zusammenhält.

Der Vater dagegen lebte immer mehr sein eigenes Leben. Zumindest zeitweise scheint er gar nicht mehr am Kapellenweg gewohnt zu haben. Anfang der 1930er-Jahre verkaufte er sein Elternhaus in Hornussen, wofür er rund 7000 Franken löste. Mehr als die Hälfte ging für Schuldentilgung drauf, den Rest beschlagnahmte die Gemeinde und legte 1500 Franken zinstragend für die Kinder an. Josef Fuchs verblieben 1800 Franken, die aber für die Begleichung von Schulden gegenüber der Gemeinde ebenfalls zweckgebunden waren. Dass die Gemeinde sich zu einem solch drastischen Schritt entschloss, zeigt, wie kritisch die Situation angesichts seines Alkoholismus inzwischen war. Ob diese Massnahme mit dem Einverständnis seiner Frau geschah, ist nicht bekannt, aber naheliegend. Für später ist belegt, dass sich der Gemeinderat mit Ida Fuchs beriet, wenn es um Angelegenheiten ihres Mannes ging.

1934 stellte Josef Fuchs bei der Gemeinde den Antrag auf die Herausgabe des Geldes, das nach dem Hausverkauf für die Kinder blockiert worden war. Er schaltete sogar einen Anwalt ein. Das Gemeinderatsprotokoll hält fest: «Die Angelegenheit wird eingehend besprochen und dabei festgestellt, dass, wenn Fuchs den Betrag erhält, das Geld von ihm restlos in Alkohol umgewandelt wird. Seinen Angehörigen will er alles entziehen.»

Man fand einen Kompromiss: 1000 Franken gingen an die kranke Anna, 500 verblieben dem Vater. Alle Parteien erklärten sich damit – nolens volens – einverstanden. Da der Vater mit seiner Frau und den Kindern unter einem Dach wohnte, muss die Situation belastend gewesen sein. In der Korrespondenz, die Margrit während ihres Belgien-Aufenthalts mit ihren Geschwistern führte, finden sich zwar davon kaum Spuren. Doch ist es naheliegend, dass jedes Kind die gemachten Erfahrungen auf seine eigene Art verarbeitete. Möglicherweise gewann Margrit hier die Stärke, mit der sie später durchs Leben ging. Vielleicht hat die Präsenz eines tyrannischen Vaters auch dazu geführt, dass die Kinder eigentlich erst relativ spät von zu Hause auszogen – obwohl es damals viel üblicher war als heute, dass Kinder bis zur eigenen Heirat den Hausstand mit ihren Eltern teilten.

Josef war der Erste, der ausflog: 1930 verliess er Windisch in Richtung Brugg. Allerdings blieb er nur sehr kurze Zeit und kehrte nach wenigen Monaten zurück. Er absolvierte die Rekrutenschule und diente als Korporal bei der Artillerie. Bis zu seiner Heirat im Jahr 1942 blieb er in Windisch am Kapellenweg angemeldet. Ida, die älteste Schwester, kehrte 1930 nach einem längeren Aufenthalt aus der Westschweiz zurück. Wie ihre Schwestern war sie kirchlich engagiert und sass im Vorstand der Marianischen Kongregation, allerdings nur kurz. 1938 zog sie schliesslich nach Zug und von dort später nach Luzern. Elisabeth arbeitete nach der Schule einige Jahre in ihrem erlernten Beruf als Näherin. Von 1934 bis 1938 war sie Kassierin der Marianischen Kongregation. 1940 trat sie schliesslich bei den Ingenbohler Schwestern ein. Anna meldete sich im November 1932 nach Montana im Wallis ab. Vermutlich war es die Höhenluft, die sie ins Wallis zog. Trotzdem schritt die Krankheit weiter voran und machte weitere, «richtige» Kuraufenthalte nötig. Anna kehrte schliesslich wieder nach Windisch ins Elternhaus zurück, wo sie von ihrer Mutter und den Schwestern Elisabeth und Margrit gepflegt werden konnte.

Es ist auffällig, dass von den fünf Kindern im Haushalt nur eines heiratete und eine Familie gründete: Josef. Die Mädchen blieben alle ledig. Ihre guten Ausbildungen und beruflichen Positionen ermöglichten es ihnen, selbstständig für ihren Lebensunterhalt aufzukommen; sie waren also, im Gegensatz zu vielen ihrer Geschlechtsgenossinnen jener Zeit, nicht aus wirtschaftlichen Gründen auf die Ehe angewiesen. Doch es stellt sich die Frage, ob es noch weitere Gründe gab, weshalb keine der Töchter eine Familie gründete. Elisabeth trat ins Kloster ein, was eine Ehe ausschloss. Bei Anna mag das frühzeitige Auftreten der Krankheit ein Hinderungsgrund gewesen sein. Doch auch Ida und Margrit verzichteten auf eine Heirat. Die Ehe von Vater und Mutter muss abschreckend gewirkt haben. Das heisst nicht, dass es keine Verehrer und Bewerber gegeben hätte – Margrit hat bestätigt, dass sie «Möglichkeiten» zur Ehe gehabt hätte. Doch sie entschied sich gegen den Schritt. Nachdem 1942 der Bruder als Letzter ausgezogen und Anna im gleichen Jahr verstorben war, war sie – damals 25 Jahre jung – die Letzte, die noch zu Hause wohnte. Die Bindung zur Mutter war eng. Vielleicht hat sie auch aus diesen Gründen auf eine Heirat verzichtet. Und möglicherweise spielte die Religion eine Rolle. Viele Jahre trug Margrit an der linken Hand einen Goldring, der einem Ehering sehr ähnlich sah. Später, in Ruanda, schmückte sie ihn mit einem Goldstück. Nonnen tragen oft einen Ehering, da sie mit Gott beziehungsweise Jesus Christus «verheiratet» sind. Margrit entschied sich letztlich gegen den Eintritt ins Kloster. Doch es ist nicht auszuschliessen, dass sie sich – zumindest in jüngeren Jahren – einer Nonne nicht unähnlich als mit Jesus verheiratet sah, auch wenn sie das so wahrscheinlich nicht gesagt hätte.

Ein Leben für Ruanda

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