Читать книгу Ein Leben für Ruanda - Rolf Tanner - Страница 18
Erfüllung im Beruf
ОглавлениеIm Jahr 1900 siedelte das Schweizerische Bauernsekretariat von Bern nach Brugg über. Dies aus einem simplen Grund: Die aus Brugg stammende Frau des Sekretariatsleiters und ETH-Professors Ernst Laur wollte nicht wegziehen, und Laur selbst besass in Effingen ein schönes Landgut. Brugg wurde damit zur Schweizer «Bauernhauptstadt». Laur war eine charismatische Persönlichkeit, die den Schweizerischen Bauernverband in vier Jahrzehnten zu einer schlagkräftigen wirtschaftspolitischen Organisation formte. Obwohl er nie ein parlamentarisches Mandat bekleidete, galt er als «achter» Bundesrat. So weitete er die Tätigkeit des Bauernsekretariats laufend aus und gründete neue Unterabteilungen und Fachstellen, um die vielfältigen Bedürfnisse von Bauern und Behörden zu bedienen. Bereits in den 1920er-Jahren beschäftigte der Bauernverband mit seinen Zweigstellen 60 Personen. Die verschiedenen Abteilungen waren in immer mehr Liegenschaften zwischen Eisi und Freudenstein untergebracht, was Reibungsverluste mit sich brachte. Deshalb wurde an der heutigen Laurstrasse 10 in Brugg das stattliche Verwaltungsgebäude «Haus des Schweizerbauern» gebaut, das 1947 eingeweiht und bezogen werden konnte.
In einer dieser Zweigstellen, dem Landwirtschaftlichen Bauamt, begann Margrit am 1. September 1937 als kaufmännische Angestellte. Sie arbeitete sehr gerne dort und sollte dem Bauernverband und angegliederten Organisationen 26 Jahren treu bleiben. Das Bauamt, in der alten Post am Eisi-Platz eingemietet, beschäftigte sich mit Architekturarbeiten für landwirtschaftliche Ökonomiegebäude, Käsereien, Mostereien und Lagerhäuser. Margrit blieb acht Jahre im Bauamt und wechselte danach als Bürogehilfin zur Kasse des Bauernverbands, wo sie indes nur sehr kurz verweilte. Per 9. März 1947 trat sie in den Schweizerischen Schlachtviehproduzentenverband (SPV) ein, wo sie bis 1958 blieb.
Als kaufmännische Angestellte war Margrit beim SPV für das Abrechnungswesen zuständig. Das war nicht immer einfach, gab es doch unter den Bauern zahlreiche säumige Zahler. Ein Schwerpunkt des SPV in den 1950er-Jahren war die Ausmerzung der Rindertuberkulose: Anfällige Tiere wurden systematisch aufgekauft und insbesondere an italienische Salamifabriken, aber auch an die italienische Kriegsmarine verkauft – was heute wohl undenkbar wäre. Margrit galt als zuverlässige, verschwiegene «Schafferin». Ihre Tätigkeit in der Buchhaltung brachte es mit sich, dass sie regelmässig an den Viehauktionen in der ehemaligen Markthalle hinter dem Brugger Bahnhof teilnahm. 1956 wurde sie zur Sekretärin des SPV-Geschäftsführers Albin Schwaller befördert. Margrit hatte ein gutes und vertrautes Verhältnis zu ihrem neuen Chef, der sie wegen ihrer Tüchtigkeit schätzte. Margrits Nähe zur Kirche half ihr bei der Organisation des jährlichen Mittagessens mit den Spitzen des SPV und den von der Kirche eingesetzten «Bauernseelsorgern».
Tüchtig und zielstrebig, zeigte Margrit im Geschäft auch ihre soziale und mütterliche Seite. «Sie schaute zu den Leuten», drückte es ein ehemaliger Vorgesetzter aus. Ihm hatte sie jeden Morgen einen Blumenstrauss auf den Tisch gestellt. Die Belegschaft des SPV war klein und übersichtlich – während der elfjährigen Tätigkeit Margrits wuchs sie von acht auf etwas mehr als ein Dutzend. Unter den Angestellten befand sich seit 1948 auch der Lehrling Walter Tanner. Der 17-Jährige war eben aus dem Kanton Bern zugezogen und hatte noch kaum sozialen Anschluss. Als guter Fussballer fand er zwar beim FC Brugg Unterschlupf, doch seine seit Langem verwitwete Mutter hatte kurz vorher nochmals geheiratet; mit dem Stiefvater hatte er seine Mühe, auch wenn er sich mit ihm arrangierte. Margrit nahm den jungen Mann unter ihre Fittiche. Sie wurde für meinen Vater zu einer wichtigen Bezugsperson. In den WK schickte sie ihm «Fresspäckli». Als 1952 eine Cécile Schneider aus Würenlingen beim SPV als Stenotypistin begann und sich zwischen ihr und Walter Tanner eine zarte Romanze entwickelte, beobachtete Margrit die werdende Liaison anfänglich mit Argusaugen – sie wollte offenbar sicherstellen, dass ihr Schützling nicht an «die Falsche» geriet. Als sie aber den Ernst der Sache und die gegenseitige Aufrichtigkeit erkannte, gab sie der Verbindung ihren Segen – und wurde zu einer guten Freundin des Paares. In der Freizeit unternahmen sie zu dritt Ausflüge, so etwa ins Engadin. Als Walter und Cécile 1960 heirateten, erhielt Margrit die Zusicherung, sie werde Taufpatin des erstgeborenen Kindes sein. Im Gegenzug versprach sie, sie werde ihm – sollte es ein Bub sein – die ersten Fussballschuhe kaufen. Ein Versprechen, das sie nie einlösen musste, da sich mein Talent als Fussballer in Grenzen hielt.
1958 trat SPV-Geschäftsführer Albin Schwaller zurück, nachdem finanzielle Ungereimtheiten zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Verbandsvorstand unter dem Luzerner Ständerat Christian Clavadetscher geführt hatten. Schwallers erzwungener Rücktritt traf Margrit hart. Für seinen Nachfolger konnte oder wollte sie nicht arbeiten. Sie wechselte deshalb zur ebenfalls in Brugg ansässigen Aargauischen Genossenschaft für Schlacht- und Nutzviehvermittlung (AGS). Dort blieb sie knapp fünf Jahre.