Читать книгу Scrittura Segreta - Roman Odermatt - Страница 10

6. Kapitel

Оглавление

Vatikanstadt

7. Februar 2013

Papst Benedikt XVI. steht an einem offenen Fenster im Vatikanischen Geheimarchiv und blickt in den Hof hinunter. Eine Lampe beleuchtet sein Gesicht von der Seite mit einem fahlen Schein. Er beugt sich über die Fensterbank. Der Kurienerzbischof steht noch an der Tür des Archivs.

Tonlos verkündet die Stimme des Papstes: „Hart liegt die Hand des Herrn auf uns.“

Eine Dirne wird im Hof von einem Mann angesprochen. Der Papst schließt verbittert das Fenster; stumm geht sein Blick zu einem Gemälde des Erzengels Michael, der Schwert und Schild über Rom und die Kirche hält. Er tritt vor das Bild, das neben dem Fenster an der Wand hängt, und steht eine Weile regungslos davor.

„Handelt es sich tatsächlich um das Geheime Markus-Evangelium, Eure Heiligkeit?“, fragt der Kurienerzbischof sichtlich bedrückt und faltet die Hände, als würde er beten.

„Ja, Eure Exzellenz.“ Benedikt winkt den Bischof zu sich heran und zeigt auf den Erzengel. „Er ist der Vorkämpfer Gottes, seiner Transzendenz und Macht. Michael kämpft, um die göttliche Gerechtigkeit wieder herzustellen. Er verteidigt das Volk Gottes vor seinen Feinden und vor allem vor seinem größten Feind, dem Teufel. Und der heilige Michael siegt, da in ihm Gott handelt.“ Der Papst greift in die Innentasche seiner weißen Soutane und holt einige Papierschnipsel heraus, betrachtet sie gedankenverloren und richtet seinen Blick wieder auf das Gemälde. „Dieses Bild vom Erzengel Michael, Eure Exzellenz, ruft uns in Erinnerung, dass das Böse besiegt ist. Der Ankläger ist entlarvt, sein Haupt zerdrückt, da sich das Heil ein für alle Mal im Blut Christi erfüllt hat.“ Ein Papierschnitzel gleitet dem Papst aus der Hand und segelt langsam auf den Boden. Ehrerbietig klaubt der Bischof das Schnipsel auf. „Auch wenn der Teufel immer versucht, das Antlitz des Erzengels und das Antlitz des Menschen zu zerkratzen“, fährt Benedikt fort, „ist Gott stärker. Sein ist der Sieg und sein Heil ist allen Menschen angeboten.“

„Auf dem Weg und in den Prüfungen des Lebens sind wir nicht allein, Eure Heiligkeit, sondern von den Engeln Gottes begleitet und getragen“, teilt der Kurienerzbischof den Schmerz des Heiligen Vaters und betrachtet demütig das Schnipsel, „die ihre Flügel anbieten, um uns zu helfen, die vielen Gefahren zu überwinden, um gegenüber jenen Wirklichkeiten in die Höhe fliegen zu können, die unser Leben belasten oder uns hinabziehen können.“

Vice Commissario Giacomo Casanova fährt mit seinem hellblauen Alfa Romeo Giulietta Sprint in Richtung Vatikanstadt. Vor ihm wälzt sich eine Blechlawine nach Sankt Peter. Alles drängt zum Petersplatz.

Casanova steuert den Wagen zum Palazzo del Tribunale e uffici Gendarmeria, der direkt hinter der Apsis des Petersdoms liegt. Auf der Piazza Santo Stefano drängen sich die Menschen. Rote Kardinalshüte und die Soutanen von Erzbischöfen schieben sich zur Piazza San Pietro hinüber. Schweizergardisten stehen auf dem Platz; aus den Gassen strömen die Pilger und Touristen heran. Die Offiziere haben alle Hände voll zu tun, mit den Gardisten Augenkontakt zu halten. Jubelnd brechen die Pilger und Touristen ins Ewige Rom ein.

Der Regen strömt in Stößen auf den Palazzo del Tribunale nieder. Nass klatscht das Banner des Vatikans an die Fahnenstange, die vor dem Palast steht, in dem Giacomo die Büros des Gendarmeriekorps der Vatikanstadt vermutet. Ein Vatikanischer Gendarm, der den Eingang bewacht, versperrt ihm den Weg. Mit der Dienstmarke der Polizia di Stato legitimiert sich Giacomo. Als er sieht, dass der Gendarm süffisant vor sich hin grinst, während er die Dienstmarke betrachtet, kehrt der Vice Commissario ihm demonstrativ den Rücken zu und heftet den Blick auf die Pilgerströme.

„Was führt Sie in den Vatikan, Herr Kollege?“, beeilt sich der Gendarm zu fragen, als er bemerkt, dass ihn Giacomo nicht mehr ansieht.

„Was genau wollen Sie wissen?“ Giacomo bemüht sich, jeden Anflug von Zittern aus seiner Stimme herauszuhalten und so ruhig wie möglich zu bleiben, während er sich umdreht.

„Was Sie in den Vatikan führt?“

„Tut mir Leid, das darf ich nicht sagen“, antwortet Giacomo kühl.

„Hier Ihre Dienstmarke, Herr Kollege“, zischt der Gendarm, wirft dem Commissario einen bösen Blick zu und gibt ihm die Erkennungsmarke zurück. „Sie wissen ja Bescheid: Die Polizia di Stato ist hier im Vatikan nicht zuständig.“

Giacomo schnalzt missbilligend mit der Zunge und eilt mit unsicheren Schritten in den Palast.

Drinnen geht es lebhaft zu. Auf und ab schwellen die Stimmen der Beamten und Besucher.

„Was ist der Grund Ihres Besuches in der Vatikanstadt?“, erkundigt sich der Gendarm, der gelangweilt hinter seinem Schreibtisch sitzt und Giacomo herablassend fixiert.

„Ich möchte einige Erkundigungen einziehen über einen Schweizer algerischer Herkunft, der vor seiner Ermordung Kontakt mit dem Vatikan aufgenommen hatte.“

„Der Mord im Carcer Tullianus?“ Der Gendarm nimmt seine Brille ab und beugt sich vor. Ohne Brille wirken seine Gesichtszüge kantiger.

„Sie haben von dem Mordfall schon gehört?“, wundert sich Giacomo.

„Ich habe da meine Kontakte“, bestätigt der Gendarm, und seine Miene verdüstert sich, „aber gemäß der Lateranverträge garantiert der italienische Staat die politische und territoriale Souveränität des Vatikans.“

„Mit anderen Worten: Sie wollen mir nicht helfen?“

Der Gendarm zieht eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Hemds und schiebt sie über den Schreibtisch zu Giacomo herüber. „Carlo Goldoni. Er ist der Leiter des Gendarmeriekorps. Vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen.“

Giacomo zieht die Visitenkarte zu sich heran. „Carlo Goldoni.“

Der Vice Commissario dreht sich auf dem Absatz um und eilt wütend aus dem Palast.

Auf der Piazza Santa Marta sammeln sich spanische Pilger; sie sind zum großen Appell befohlen. Und vor dem Haus der heiligen Martha treten die italienischen Pilger an. Ein ungeschlachter, riesenhafter Kerl mit grauem verfilztem Haar steckt die beiden Zeigefinger in den Mund und stößt einen grellen Pfiff aus. Drüben am Eingang zum Ospizio di Santa Marta setzt sich eine zweite Pilgerschar in Bewegung.

„Hier gibt es was zu saufen!“, grölt der Riese, und sofort bildet sich ein Kreis um ihn.

Giacomo muss sich durchzwängen und strebt dem Palazzo del Sant’Uffizio zu.

Eben kommt ein Dominikanermönch aus dem Palazzo.

„Wo bleiben Sie denn?“, fragt der Dominikaner.

„Ich bin von den Pilgern aufgehalten worden“, antwortet Giacomo geistesgegenwärtig, da er vermutet, dass der Mann ihn verwechselt, ihm dadurch jedoch eine gute Möglichkeit eröffnet.

„Kommen Sie schon, wir warten auf Sie!“

Giacomo ist gespannt, wer da auf ihn wartet und folgt dem Mönch in den Palazzo del Sant’Uffizio.

Der Dominikaner führt Giacomo durch scheinbar endlose Gänge und Korridore. Der Mönch spricht kein Wort, und die Männer, die ihnen unterwegs begegnen, starren den Uniformierten überrascht an. Der Dominikaner biegt nach links in einen schmalen, hohen Korridor, dessen Wände mit den Porträts der Großinquisitoren, Sekretären des Heiligen Offiziums und Präfekten der Kongregation geschmückt sind. Giacomo verlangsamt seinen Schritt, um die in Goldtäfelchen gravierten Inschriften im Vorübergehen zu lesen:

GIAN PIETRO KARDINAL CARAFA, CAMILLO KARDINAL BORGHESE, JOSEPH KARDINAL RATZINGER.

Der Dominikanermönch weist auf eine Tür, die halb offen steht. Der Vice Commissario tritt ein.

„Da sind sie endlich, Signore!“, sagt Padre Kagba, wendet sich ab und stellt das Buch in seiner Hand wieder ins Regal zurück. „Wir müssen Ihnen eine Erpressung melden.“

„Können Sie mir sagen, wer Sie erpresst?“, fragt Casanova mit völlig ausdrucksloser, leiser Stimme, als habe er sich, noch bevor die Worte seinen Mund verlassen haben, bereits damit abgefunden, dass sie sowieso nichts bewirken würden.

Erst jetzt beginnen die beiden Padres den Uniformierten mit ihren Blicken zu durchbohren.

„Wer sind Sie, Signore?“, fragt Padre Badadilma.

„Mein Name ist Giacomo Casanova, Vice Commissario, Polizia di Stato“, leiert er routiniert herunter.

„Verzeihen Sie, Signore. Ich habe Sie mit einem Vatikanischen Gendarm verwechselt“, sagt Padre Kagba. „Wer hat Sie eigentlich hereingelassen?“

„Einer Ihrer Mönche war so freundlich.“

„Einer unserer Brüder! Aber Sie entschuldigen uns jetzt, Signore“, erklären die Padres hastig und haben es auf einmal furchtbar eilig, den Raum zu verlassen.

Scrittura Segreta

Подняться наверх