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4. Kapitel
ОглавлениеVatikanstadt
7. Februar 2013
Hinter den Kolonnaden des Petersplatzes, im Palazzo del Sant’Uffizio, dem Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, treffen sich die beiden Padres Kagba und Badadilma. In den Regalen des düsteren mittelalterlichen Raumes stapeln sich die Aktenkonvolute der römischen Inquisition, vatikanische Geheimdokumente, Berichte von Häresien und Denunzianten, Briefe der Inquisitoren, Verhörprotokolle, Gerichtsurteile und Gutachten über die ungezählten Opfer kirchlicher Hetzjagd.
„Wo soll das Geheime Markus-Evangelium aufgetaucht sein?“, fragt Padre Kagba, der in seiner schwarzen Soutane aussieht wie Fleisch, das in eine Wursthaut gepresst wurde.
Er hat das Birett vom Kopf genommen, sodass ein paar Haarsträhnen zu sehen sind, die über sein kahles Haupt verteilt sind.
„Hier im Vatikan“, antwortet der schlankere Padre Badadilma, der sein Scheitelkäppchen, den Pileolus, auf einem Wust von weißen Haaren trägt. „Jemand soll versucht haben, es der Kongregation zu verkaufen.“
„Für wie viel?“, murmelt Kagba in seinen Bart.
„Keine Ahnung“, antwortet Badadilma und zuckt mit den Schultern.
„Wenn das Geheime Markus-Evangelium an die Öffentlichkeit gelangt, dann ist unsere heilige Kirche in Gefahr.“ Kagba lässt den Kopf hängen und sinkt in einen Stuhl.
„Falls es dieses Geheime Markus-Evangelium wirklich gibt, dann wird die Kongregation verhindern, dass es in falsche Hände gerät“, ereifert sich Padre Badadilma.
Stille breitet sich in dem Raum aus.
Als hätte ihn etwas in seinen Hintern gezwickt, stemmt sich der Dicke hastig von seinem Stuhl hoch. Er blickt auf ein Bücherregal, als suche er nach einem lästigen Insekt. Er schwitzt in seiner schwarzen Robe, als er verzweifelt fleht: „Der Schutz der Kirche ist wichtiger als alles andere.“
„Wie äußert sich eigentlich der Heilige Vater dazu?“
Padre Kagba seufzt und geht zum Fenster. Sein Blick schweift über das Gewirr der Dächer.
„Seine Heiligkeit ist zu erschöpft, zu alt, um die Bedrohung zu erfassen.“
„Unterschätze den Heiligen Vater nicht.“
Kagba scheint es nicht zu hören. Er steht am Fenster und blickt in die Ferne. Schließlich wendet er sich um: „Seine Heiligkeit hat nicht mehr die Kraft, an den Riten und Lehren der römisch-katholischen Kirche festzuhalten, die das Zweite Vatikanische Konzil aufgegeben hat. Er hat nicht mehr die Kraft, das Priestertum zu erneuern und die authentische katholische Lehre zu verbreiten und wiederherzustellen. Die vom Konzil geforderte Liturgiereform schreitet Jahr für Jahr voran, die Unauflöslichkeit der Ehe ist in Gefahr, und das Judentum als Heilsweg findet immer mehr Anerkennung.“ Kagba stützt sich schwerfällig auf die Fensterbank und blickt angespannt auf etwas, das sich auf der Straße abspielt. „Was hat Seine Heiligkeit gegen die vorehelichen und außerehelichen Beziehungen getan? Hat er etwas gegen den Vertrieb von empfängnisverhütenden Mitteln unternommen? Gotteslästerung, Homosexualität und Pornographie finden keine Strafen mehr in unserer Kirche.“ Er wendet sich wieder um; seine Augen funkeln. „Die Gewalt in Staat und Gesellschaft darf nicht mehr vom Volk ausgehen, sondern von Gott. An die Stelle der Parteien müssen wieder jene christlichen Männer treten, die sich durch sittliche Reife und Lebenserfahrung, durch Gerechtigkeitssinn und Sorge um das Gemeinwohl auszeichnen. Ich möchte offen reden. Seine Heiligkeit muss sein Gewissen vor Gott prüfen. Danach wird er zur Erkenntnis gelangen, dass seine Kräfte infolge seines vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.“
„Du forderst den Rücktritt des Heiligen Vaters?“, fragt Badadilma und geht zur Tür. Er hört ein schabendes Geräusch auf dem Gang, über das er nicht näher nachdenken will.
„Seine Heiligkeit kann das Schifflein Petri nicht mehr steuern und das Evangelium nicht mehr im Sinne der Kurie verkünden.“
„Und die Gläubigen?“, hakt Badadilma nach und horcht an der Tür.
„Seine Heiligkeit wird selbst sagen, dass sowohl die Kraft seines Körpers als auch die Kraft seines Geistes in den vergangenen Monaten derart abgenommen haben, dass er sein Unvermögen anerkennen muss, den anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen. Die Gläubigen werden das verstehen.“
„Wann werden die Kardinäle mit dem Heiligen Vater darüber sprechen?“, bohrt Badadilma weiter. Er hört eine Tür auf- und wieder zugehen, dann Schritte.
„Der Zeitpunkt ist noch offen, an dem Seine Heiligkeit vor der Weltöffentlichkeit erklären wird, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, zu verzichten“, kündigt Kagba an und macht einige Schritte auf das Bücherregal zu. „Die Kardinäle werden die Zeit nutzen, bis das Konklave zur Wahl des neuen Papstes zusammengerufen werden muss.“
Die beiden Padres treten gemeinsam ans Fenster und blicken über die Dächer von Rom, die in der Morgensonne glitzern.
„Die Kongregation für die Glaubenslehre“, sagt Kagba leise, „muss die Kirche vor den Häresien schützen. Über der Pforte dieses Hauses ließ Pius V. in eine Marmortafel einmeißeln: Dieses Haus wurde errichtet zum Kampf gegen die Häresie und zur Förderung der katholischen Religion. Das gilt heute mehr denn je.“
Auf dem Gang hören sie eine Tür zufallen.