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5 // Kotor Trans

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Das Blut zweier Menschen floss unter der Dusche an ihm herab. Die Mutter hatte er nicht retten können, ihren Mörder schon.

Kilian hätte kotzen können vor Scham.

Er drehte die vergoldeten Wasserhähne zu, griff nach dem Handtuch und setzte den Fuß auf wohlig warme Marmorfliesen. Die gesamte Villa mit ihren acht Zimmern war damit gepflastert. Eine Fußbodenheizung sorgte für kuschelige Winterabende am Meer, und wenn es mal ganz stimmungsvoll sein sollte, warf man den Kamin an.

Dann würde der gestresste Dr. Kohlschreiber einen Brunello dekantieren, sich aufs Ledersofa fallen lassen und seiner Gattin von den Träumen erzählen, die er als Student noch hatte. Von seinen Reisen nach Goa und Angkor Wat, von den erlebten Abenteuern, den Menschen, die er getroffen und der Erleuchtung, die er im Sonnenaufgang am Strand von Bali erfahren hatte.

Heute spritzte er seinen wohlhabenden Kunden Botox ins Gesicht. Von etwas musste man schließlich leben.

Mit einem Wisch sorgte Kilian für freie Sicht im Spiegel. Vor ihm stand ein bärtiger und langhaariger Mitfünfziger, wie sie in Werbespots großer Baumärkte gezeigt wurden, bei guter Pflege und einem Haarschnitt hätte er auch als Hipster durchgehen können. Oberkörper und Arme waren definiert, die Arbeit am Haus hatte überschüssige Pfunde schmelzen und Muskeln sprießen lassen. Körperlich war er in Topform, Vergleiche mit Jüngeren musste er nicht scheuen.

Das Handy klingelte.

»Herr Dr. Kohlschreiber …«

»Endlich, Kilian. Warum rufen Sie nicht zurück?« Im Hintergrund wurde gefeiert. Man trank und sang zum Hüttenzauber, eine schrille Trillerpfeife kündigte die nächste Runde an. »Einen Moment.« Kohlschreiber bahnte sich einen Weg durch feiernde Skigäste aus aller Welt.

Kilian verließ seinerseits das Badezimmer, rubbelte sich die Haare trocken und versuchte, keins der vielen Kunstwerke umzustoßen, die sich im Gang aneinanderreihten. Irgendwas Etruskisches oder sonst was, das sich nur eine gelangweilte Gattin ausdenken konnte.

Er schob den Vorhang am Panaromafenster einen Spalt weit auf. In der Nachbarvilla, die sich über drei Ebenen erstreckte und zum Meer hin entfaltete, ging es hoch her. Die Nutten tanzten und ein Gast ballerte sich den Verstand mit Koks weg.

Wusste der Idiot nicht, dass er sich in einem Gästehaus der Camorra befand, in dem jede Sünde in HD-Qualität aufgezeichnet wurde?

»So, jetzt«, atmete Kohlschreiber auf. »Hier in Ischgl geht der Punk ab. Echt der Wahnsinn.«

»Ich hätte mich später noch gemeldet«, entschuldigte sich Kilian. »Musste den Ganoven erst bei den Carabinieri abliefern.«

»Wie groß ist der Schaden? Ich habe seit gestern keinen Zugriff auf die Kameras mehr.«

Kein Wunder. Der Bengel hatte die Kabel durchgeschnitten.

»Der Schreibtisch ist aufgebrochen, Regale sind umgeworfen …«

»Und der Safe?«, unterbrach Kohlschreiber. »Der im Keller, hinter dem Wein?«

Natürlich. Da lagerten die Geheimnisse des Giftspritzers.

»War mein erster Weg. Alles in Ordnung.«

Ein langes Seufzen. »Gott sei es gedankt. Und Ihnen, Kilian. Was würde ich nur ohne Sie tun?«

»Kein Problem, dafür bin ich ja da. Sie haben meine Kontonummer?«

»Sicher, sicher. Bitte checken Sie die Kameras im Garten und im Haus. Hab nur noch Schwarz auf meinem Handy.«

»Ich beauftrage einen vertrauenswürdigen Handwerker mit der Reparatur.«

»Ich vertraue Ihnen voll und ganz.«

So sollte es sein.

»Grüße an die Gattin«, sagte Kilian, »und wenn Sie mich wieder brauchen: Eine kurze Nachricht genügt, und ich mache mich auf den Weg.«

»Grazie mille. Und ich empfehle Sie weiter an meine Freunde und Kollegen, da können Sie sicher sein.«

Einen verlässlichen Helfer in der Not konnte jeder seiner Freunde und Kollegen brauchen, die ihr Schwarzgeld in Häuser, Wohnungen und Nobelkarren in Italien investiert hatten. Die Zahl der Diebstähle und Einbrüche war in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt, außerdem musste niemand wissen, was da in Safes und doppelten Böden gebunkert wurde.

Solche Probleme hatte der Besitzer der Nachbarvilla nicht, er war Gauner, Polizist und Richter in einer Person. Ein derart kostspieliges Anwesen unterhielt er nicht aus Lust und Tollerei, es gehörte zum Anlagevermögen seiner Gesellschaft, eine Betriebsstätte.

Hin und wieder auch Richtstätte für Plappermäuler.

Ein Wagen fuhr vor, das schmiedeeiserne Tor öffnete sich wie von Geisterhand. Der Hausherr begrüßte seinen Gast mit offenen Armen.

»Mein Minister. Geht es dir gut?«

»Giulio, mein Lieblingsitaliener«, antwortete der mit schwäbischem Einschlag, »tutto bene

Amigos unter sich.

Kilian schenkte sich einen Cardinal Mendoza ein, fläzte sich in die Kissen der Ledercouch und entsperrte Donatellos Handy. Die Flammen des Kaminfeuers züngelten, Schatten huschten über die Ölbilder der neuen Meister an den Wänden, die laut Kohlschreiber eine sichere Anlage in den heraufziehenden stürmischen Zeiten waren.

Oder den Finanzbehörden zum Opfer fallen würden.

Die Chats flogen unter Kilians unruhigen Daumen vorbei, das Meiste in Form von Satzfragmenten, Kraftausdrücken und Emojis. Ein wirres Sammelsurium von Derbheit und geistiger Armut. Dazwischen Nachrichten eines oder einer Amer, ohne Profilbild und in einer anderen Sprache, inhaltlich wahrscheinlich das Gleiche wie von Gabriele, Achille und Mauro – Kohle, Sex und Prahlerei.

Kilian startete eine Suchanfrage nach Gallo … zwei Treffer!

Die eine Nachricht stammte von Donatello, die zweite, als Antwort, von … Amer. Er kopierte die Texte in eine Suchmaschine.

Bei der Sprache handelte sich um Bosnisch … oder Montenegrinisch, da wollte sich die Software nicht festlegen oder war, ähnlich wie Kilian, paralysiert von dem wirren Geschreibsel.

Donatello fragte nach Gallo, er habe von ihm gehört.

Es gibt keinen Gallo, antwortete Amer, nimm seinen Namen nie wieder in den Mund, sonst … der Ausdruck konnte nicht übersetzt werden.

Für die tatsächliche Existenz Gallos hätte es kaum eine überzeugendere Bestätigung geben können.

Kilian nahm sich alle Nachrichten von Amer vor, und das waren einige, kopierte sie in die Suchmaschine und versuchte darin einen Hinweis zu ihm zu finden, wer er war, was er tat und in welcher Beziehung er zu Donatello stand, dem Baby-Gangster aus der Sanità.

Es brauchte Zeit und zahlreiche Versuche, bis er endlich etwas fand: Donatello habe sich im Büro von Kotor Trans in Bari einzufinden, Amer erwarte ihn. Es gebe Probleme mit einem Fahrer …

Bari, die Stadt in Apulien, knapp 300 Kilometer von Neapel entfernt. Fahrzeit bei Nacht mindestens drei Stunden, eher mehr, bei Tag weniger.

Dann besser im Morgengrauen los, beim ersten Hahnenschrei.

Zuvor die blutverschmierten Klamotten in die Waschmaschine, packen, eine Mütze Schlaf …

Das Handy klingelte erneut. Was wollte Kohlschreiber denn noch?

Aber der war es nicht, sondern ein anderes Gespenst aus längst vergangenen Tagen.

Heinlein.

Sie hatten sich seit Jahren nicht gesprochen, weder zu Geburtstagen noch zu Weihnachten oder Neujahr. Nicht einmal eine SMS. Wie vergessen und gelöscht.

Und jetzt auf einmal?

Später, irgendwann, wenn er einen Kopf dafür hatte.

Und wischte ihn weg.

Gallo rosso

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