Читать книгу Gallo rosso - Roman Rausch - Страница 8
3 // Amer
ОглавлениеIn den Gassen der Quartieri Spagnoli heulten die Motorroller der verfeindeten Baby-Gangster um die Wette, Pistolenschüsse überschlugen sich und Salven automatischer Waffen verfingen sich in den eng stehenden Häuserreihen.
Die Rufe der Menschen, die sich zur frühen Abendstunde noch im Touristenviertel befanden, gingen darin nahezu unter.
Diejenigen, die das Schicksal getroffen hatte, lagen reglos in ihrem Blut, andere krochen verletzt auf die ausgestreckte Hand zu, die ihnen aus einem Souvenirgeschäft, Gemüseladen oder einem Restaurant gereicht wurde.
Es roch nach frittierten und gegrillten Scampi, nach Muscheln in Knoblauchsoße, nach frischer Pizza aus dem Holzofen und nach Käse, Schinken und Fisch aus den beliebten Feinschmeckerlokalen, die es an jeder Ecke gab und wo noch eine Minute zuvor fröhlich gegessen und mit einem Glas Rotwein auf das wunderbare Leben angestoßen worden war.
Nun legte sich der beißende Gestank von Abgasen und Pulverrauch darüber, von Schrecken und Todesangst. Türen fielen ins Schloss, hoch über den Köpfen klapperten Fensterläden, Terrakottatöpfe rauschten in die Tiefe und zerbarsten auf dem Kopfsteinpflaster neben umgeworfenen Kartenständern und Verkaufsregalen. Die Alarmanlage eines Autos schlug an. Zu spät. Die Angreifer hatten erreicht, was sie wollten, und waren ihren Verfolgern stets einen Block voraus.
Kilian hielt Abstand zum Geschehen. Er fuhr in gemäßigtem Tempo die Via Toledo entlang und blickte zu beiden Seiten in die Gassen und auf die verwaisten Piazze. Wo war die grün-weiße Straßenmaschine, auf der er Donatello, den Anführer, vermutete?
Er konnte sie im Geflecht der verwinkelten Gassen nicht sehen, nur ihr Röhren aufschnappen, wenn sie abrupt beschleunigte oder bremste – ein typisches Muster, das sie von den PS-schwachen Motorrollern unterschied.
Hinter Schaufenstern und Straßenecken verrenkten sich die Neugierigen und Lebensmüden die Hälse nach den Angreifern und Verfolgern, andere telefonierten aufgeregt oder schüttelten fassungslos die Köpfe. Polizeisirenen hallten wider, Blaulichter zuckten vor ihm auf. Gleich wäre der Spuk vorüber und damit auch die Möglichkeit, Donatello vor den Carabinieri zu fassen.
Es mochte kurz nach der Basilica dello Spirito Santo gewesen sein, als in einem Affentempo das grün-weiße Motorrad kreuzte und in die gegenläufige Richtung einer Einbahnstraße fuhr.
Kilian gab Gas und nahm die Verfolgung auf. Viele Autos kamen ihm nicht entgegen, die Gefahr ging von Fußgängern aus, die plötzlich im Gegenlicht auftauchten. Was er aber ohne große Anstrengung erkannte, war das grellrote Bremslicht des Motorrads.
Der Höllenritt verlor auf Höhe des Castel Nuovo, in unmittelbarer Nähe zum Hafen, an Geschwindigkeit. Für welche Richtung würde sich Donatello entscheiden?
Wenn er die Hafenstraße wählte, würde er mit der schnellen Maschine davonziehen und Kilian hätte das Nachsehen.
Zum Glück nahm er den Tunnel.
Die Maschine beschleunigte nicht mehr so schnell, vor allem schlingerte sie, als ob sie ein Problem hätte.
Oder Donatello.
Weit draußen im Südwesten der Stadt, am Baia Trentaremi, einem beliebten Aussichtspunkt mit Blick auf Meer, Klippen und das nahe gelegene Teatro Greco, trudelte die Maschine aus. Mit ihrem Fahrer fiel sie zur Seite um, der Motor stotterte, erstarb.
Kilian stoppte, ließ den Scheinwerfer an.
Eine frostige Brise fegte über Meer und Klippen, Wellen brachen sich in der Bucht und wirbelten feine Gischt auf, die sich auf Haut und Kleidung legte.
Mit vorgehaltener Pistole ging Kilian auf Donatello zu. Der lag auf dem Rücken und schaute in den finsteren Himmel, seine Hand ging zum Gürtel.
»Lass es!«, drohte Kilian.
Der Kerl stöhnte. »Wer bist du?«
Dort, wo Kilian eine Waffe vermutete, offenbarte das Scheinwerferlicht einen dunklen Fleck, der sich über Lederjacke und Hose ausgebreitet hatte. Vermutlich ein Bauchschuss, es kam einem Wunder gleich, dass es der Kerl bis hierher geschafft hatte.
Kilian holte das Handy hervor, das er dem Nachwuchseinbrecher abgenommen hatte, und rief Donatellos Bild auf. Gebleichte, kurze Haare, kantige Wangenknochen und das tätowierte Kreuz mit Punkten.
Kein Zweifel, er war es.
»Hast du was gegessen?«, fragte Kilian.
Falls ja, dann war er ohne eine sofortige OP kaum noch zu retten. Alle Sanitätsfahrzeuge waren in den Quartieri Spagnoli im Einsatz, um die Opfer seiner Attacke zu versorgen. Bevor auch nur ein Rettungswagen den Weg hierher fand, war Donatello kalt wie ein Fisch. Es würde ein qualvoller Tod werden, und Kilian kam gar nicht erst auf die Idee, Mitleid für den Massenmörder zu empfinden.
»Burger und Chips«, presste Donatello gegen den Schmerz an.
Und das in Italien.
Kilian öffnete ihm die Jacke. Alles durchnässt, keine Waffe. In den Taschen weder Geldbörse noch Ausweis, dafür ein Bündel Fünfziger, ein paar Tütchen mit Pillen und Koks.
Und ein Handy.
»Entsperr es«, forderte Kilian.
Donatello hustete. »Fick dich.«
»Werden wir gleich sehen, wer hier wen fickt.« Kilian schaltete sein Handy an und startete die Aufnahme.
»Was soll das?«
»Wird ein Hammer-Video. Die letzten erbärmlichen Minuten von Donatello, wie er Rotz und Wasser heult, sich vor Angst in die Hose macht, bettelt und winselt: Einen Arzt! Oder doch die Mami?«
»Hurensohn!«
»Ist heute Abend auf Youtube. Die Calabroni werden sich totlachen. Du und dein Clan – ein Witz. Keine Ehre, Mann.«
»Mach aus!« Donatello forderte sein Handy zurück.
Kilian achtete darauf, wie er es entsperrte. Keine PIN, sondern eine Form, die einer Sanduhr glich. Ein verwegenes Selbstporträt als Hintergrundbild. Kilian nahm ihm das Handy ab.
48 Nachrichten. Von Mattia, Gabriele, Andrea und so weiter. Der Gesuchte war nicht darunter.
»Wer ist Gallo?«, fragte Kilian.
Donatello stöhnte. »Kenn ich nicht.«
»Wer ist Gallo?«
»Ich sag doch …«
»Lüg mich nicht an.«
»Ich kenn keinen Gallo.«
»Dann zurück auf Start und … Showtime!« Ein weiterer Versuch, ihn zum Reden zu bringen. »Die Bitches werden den Scheiß lieben.« Er zündete sich ein Zigarillo an und rief, während die Aufnahme lief, die Nachrichten auf Donatellos Handy auf.
Wo bist du, Mann?
Achille und Brazzo hat es erwischt.
Haben die Wichser gekillt!
»Gallo ist ein Gespenst«, lenkte Donatello endlich ein, »ein Märchen. Nur Kinder und Idioten glauben daran.«
»Yo, Mann, Legende.«
»Glaub mir doch!«
Die nächste Nachricht ein Video, das vor zehn Minuten gepostet worden war. Vor der Kulisse einer Diskothek mit dumpf hämmernden Technobeats posierten drei seiner Gangsterbrüder mit Kippen im Mund und Waffen in der Hand.
»Calabroni vernichtet!«, brüllte einer, ein anderer etwas, das wie »Sanità!« klang, man verstand kaum ein Wort.
Aber das war nicht der Punkt, es ging um etwas ganz anderes – die Message, und die ging so:
Nach einem Überfall fuhren sie in einen angesagten Klub und feierten die Bilder des Coups in den Abendnachrichten und sozialen Netzwerken mit Champagner, Koks und Nutten.
Vor laufenden Handykameras warfen sie sich in Pose, prahlten mit ihren Waffen, Tätowierungen, Goldketten, Geldscheinen und gekauften Frauen. Die ganze Welt sollte von ihnen erfahren, wer sie waren, was sie getan hatten und was sie jederzeit an jedem beliebigen Ort wieder tun konnten.
In Neapel. Ihrer Stadt!
Hört gut zu, das ist unsere Nachricht.
Die Polizei, dein Freund und Helfer?
Ein Haufen lächerlicher Witzfiguren, die nichts auf die Reihe bringen. Ihr wisst, wo ihr uns findet. Wir erwarten euch.
Der Clan in deinem Viertel, der Capo, dein Schutzherr?
Hat er er dich beschützen können? Dein Geschäft, Kunden und Angestellte? Wer zahlt für die Einrichtung, den entgangenen Umsatz, Arzt und Krankenhaus, den Pfarrer für deine Beerdigung, den Leichenschmaus?
Wofür zahlst du eigentlich den Pizzo, du Idiot?
Wir sind die neue Macht! Dein neuer Herr! Ab sofort zahlst du den Pizzo an uns! Letzte Warnung.
Die Sprüche waren Teil der Einschüchterung, Phase eins vor einem Angriff. Die Chancen, dass tatsächlich etwas passierte, variierten … je nach Grad der Bewaffnung.
Donatello atmete flach, lange würde er es nicht mehr machen.
»Wer ist Gallo?«, fragte Kilian.
Keine Antwort.
Die nächste Nachricht. Sie stammte von einem Amer und war in einer fremden Sprache verfasst.
»Was steht hier?« Kilian hielt ihm das Handy hin.
Donatello antwortete nicht.
»Hey?!«
Regte sich nicht.
Am Zwerchfell war kaum noch Bewegung zu spüren.
Eigentlich hatte es der Schweinehund überhaupt nicht verdient …