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Entschuldigung.« Julia lugte vorsichtig hinter dem Türrahmen hervor. Sie war Anfang zwanzig und noch nicht lange bei der Zeitung.

»Was ist?« Jakob, seit Jahren leitender Redakteur des Blattes, blickte nicht einmal vom Bildschirm auf.

»Da möchte Sie ein Mann am Telefon sprechen.«

»Wer?« Jakob sparte sich die Frage, warum sie den Anrufer nicht gleich durchgestellt hatte. Julia vertrat seine dauerkranke Assistentin seit vergangenem Freitag und bislang machte sie mehr Arbeit, als sie ihm abnahm.

»Ich weiß nicht, wer es ist.«

»Sagen Sie mir, was er will.«

»Er möchte nur mit Ihnen sprechen.«

Oh Mann.

Rein von der Wahrscheinlichkeit her, musste sie doch auch mal etwas richtig machen, aber sie bewies ihm den gesamten Tag über das Gegenteil.

»Geben Sie ihn mir.« Er lehnte sich zurück und nahm das Gespräch entgegen.

»Ja?«

Jakob hörte zu.

»Das ist doch nicht …«

Der Anrufer fiel ihm ins Wort, etwas, das allenfalls der Chefredakteur wagte – und selbst der tat dies selten. Davon abgesehen war Letzterer seit einer Bandscheiben-OP im Frühjahr außer Gefecht. Ein Glück für Jakob, der dadurch neben dem Einzelbüro auch noch zu einer Assistentin kam, die ihm nicht zustand.

Der leitende Redakteur wirkte irritiert, aber er nahm die Informationen des Fremden auf.

»Sind Sie sicher?«

Er hörte noch ein knappes »Natürlich.« Dann war er allein in der Leitung.

»Julia!« Jakob saß perplex im Sessel. »Stand die Nummer des Anrufers auf dem Display oder haben Sie eine Idee, wer das gewesen ist?«

»Tut mir leid.«

»Mir tut auch eine ganze Menge leid.« Am liebsten hätte er ihr an den Kopf geworfen, dass es ihm leidtut, ihrer Einstellung bei der Zeitung jemals zugestimmt zu haben – aber es gab gerade wichtigere Dinge, um die es sich zu kümmern galt.

»Machen Sie mir einen Latte und bringen Sie ihn in den Besprechungsraum.«

Dann rauschte er aus dem Büro.

»So langsam kotzt ihr mich alle an!« Jakob tobte durch die Redaktion. Die Mitarbeiter vermuteten, dass er aus einem Meeting gekommen sein musste, in dem es für ihn nicht gut gelaufen war. Welches, konnten sie nicht erahnen. Im Gegensatz zu den anderen Vorgesetzten schaltete Jakob den Kalender seines PC grundsätzlich für niemanden frei, der in der Hierarchie unter ihm stand.

»Besprechung in zwei Minuten!«

Barbara kramte in der Tasche nach ihrem Diktiergerät. »Der Pressesprecher von Vattenfall wartet auf mich. Ich bin eh zu spät dran. Gebt ihr mir eine Zusammenfassung dessen, was ihr beredet, wenn ich wieder da bin?«

»Denkt ihr alle, ihr könnt mich verarschen?« Jakob wurde laut.

Die Mitarbeiterin kramte weiter.

»Barbara!«

Sie drehte sich um.

»Du hast es nicht ganz verstanden. In zwei Minuten sehe ich jeden von euch.«

»Aber ich warte seit Wochen auf diesen Termin. Wenn ich ihn verpasse, brauch ich mich in der nächsten Zeit nicht mehr dort blicken lassen.«

»Ich würde das nicht tun!« Sein Ton wurde ruhiger.

»Komm schon, Jakob. Das wäre doch wirklich Quatsch.«

»Kurze Info an die unter Ihnen, die derzeit freie Mitarbeiter sind und auf eine Festanstellung bei uns warten«, rief er prollig in die Redaktion. »Eine Mitarbeiterin wägt heute ernsthaft ab, ob sie ihre Stelle freimacht. Wer Interesse hat und nachrücken will, kann sich gern in meinem Büro einfinden.«

Als er fertig war, stand er mit seinem Gesicht keine zwanzig Zentimeter vor Barbaras. »Du schwingst jetzt deinen kleinen Hintern in den Besprechungsraum.«

Zu diesem Zeitpunkt waren in der Redaktion sämtliche Augen auf Jakob gerichtet, auch die von den Mitarbeitern, die zu anderen Teams gehörten.

Den Grundgedanken habt ihr noch nicht verinnerlicht, oder? Um es noch mal zu verdeutlichen: Ihr seid nicht nur Redakteure.« Mit zu viel Adrenalin im Blut ging er an der Fensterfront auf und ab. Es erinnerte an eine der Großkatzen im Zoo, deren Gehege zu knapp bemessen war. »Ihr seid Netzwerker. Wenn euer Netzwerk nicht funktioniert, dann sind eure Schreibtalente überflüssig. Ist das endlich mal in den Köpfen angekommen?«

Es gab Mitarbeiter im Team, die deutlich länger im Geschäft waren als Jakob und über mehr Erfahrung verfügten, doch zu diesem Zeitpunkt konzentrierten sich alle auf das, was er zu sagen hatte.

»Also! Als ich von der Geigersache Wind bekam, hatte Martin Order, bei der Beerdigung aufzukreuzen. Da gab es nichts zu berichten. Gut, das passiert.« Das Blut in Jakobs Adern pochte. »Und dann gab es Vernehmungen der Polizei, noch am gleichen Abend.«

»An dem Tag war Redaktionsstammtisch«, wagte sich jemand aus der Deckung. Eines der älteren Semester.

»Aber das hindert ja wohl niemanden daran, Augen und Ohren offen zu halten. Sonst kann ich den Scheiß hier auch alleine machen!«, brüllte der leitende Redakteur.

Am Besprechungstisch verkniffen sich die fünf, die es betraf, eine Antwort. Wer ihn aufgebracht kannte, vermied in solchen Situationen direkten Augenkontakt – gerade jetzt, wo Jakob seit Monaten den Chefredakteur vertrat und an der Höhenluft Gefallen fand.

»Wollt ihr, dass die Informationen bei der Konkurrenz aufschlagen und der Pressespiegel eine Geschichte zum Thema schreibt? Wir sind die, die Geigers Nachrichten exklusiv veröffentlichen. Wann kapiert ihr das endlich?! Wie habt ihr euch das denn vorgestellt? Die Leser sehen am Kiosk in unserem Blatt eine neue Notiz vom Doktor und kaufen sich dann den Pressespiegel, um zu erfahren, was sie bedeutet oder welche Hintergrundgeschichten es dazu gibt?«

Wutschnaubend steckte sich Jakob eine Zigarette an.

»Und gerade eben bekomme ich einen Anruf von einem Wichtigtuer, der behauptet, Geiger hätte irgendwelche Versuche mit seinen Patienten gemacht? Warum kriegt ihr das nicht raus? Jetzt mal ohne Quatsch. Ist niemandem zu Ohren gekommen, dass in der Nacht nicht nur einer zu Tode kam? Es gab vier weitere Opfer und ausreichend Gerüchte, um dem Doktor das eine oder andere zu unterstellen. Allein damit hätte ich Seite eins gefüllt. Aber ihr schafft das ja nicht! Der Doktor hatte obendrein Hilfe. Sein Komplize wurde aufgegriffen und war eine Zeit lang im Polizeipräsidium. Ein gewisser Steiner. Kennt den jemand? … Nein? … War ja klar.«

Jakob sah nach und nach jedem Mitarbeiter in die Augen.

»Ich erwarte, dass die Sache höchste Priorität bekommt. Wenn es bei den Geigers Neues gibt, will ich das erfahren. Wenn die Ermittlungen vorangehen, dann will ich das verdammt noch mal auch wissen. Verabschiedet euch von dem Gedanken, dass ihr hier täglich eure acht, neun Stunden abreißt und danach wieder verschwindet. Ich erinnere nur daran, wie wackelig die Bilanz der Zeitung letztes Jahr aussah. Ich kann versprechen, sobald wir eine Nummer wie diese in den Sand setzen, wird im nächsten Stellenplan der Platz für einen von euch fehlen. So … und die Schlussredaktion, liebe Freunde …«

Jakob fuchtelte wütend mit dem Zeigefinger herum.

»Die Schlussredaktion wird heute und bis zum Ende der Woche sehr zeitig in den Feierabend gehen, weil ihr die Spätschicht übernehmt. Wer zu christlichen Zeiten keine Ergebnisse bringt, bekommt bei mir dazu abends Gelegenheit.«

Das Zwillingsparadoxon

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