Читать книгу Das Zwillingsparadoxon - Ron Müller - Страница 5

2

Оглавление

Die Temperatur im Kühlbereich lag einige Grad über null. Der Angestellte hatte den zuvor gelieferten Leichnam entkleidet und auf die Metallbahre von Fach acht gehievt. Mit einem Tuch bedeckte er notdürftig dessen Schritt. Auseinandergefaltet hätte der Stoff auch für den gesamten Körper gereicht, aber die Mühe machte er sich nicht.

Meist ließen sich vom Gesichtsausdruck eines Toten Rückschlüsse auf die Umstände ziehen, unter denen dieser ums Leben gekommen war – in diesem Fall nicht. Doktor Geigers Miene war keineswegs schmerzverzerrt, nicht einmal angsterfüllt. Wüsste man nicht, dass der Tod ausnahmslos etwas Furchtbares sei, müsste man glauben, er habe sich seiner in einem glücklichen Augenblick angenommen.

Mit immenser Kraftanstrengung schob der Angestellte die fünfundachtzig Kilo in Position und legte die Arme eng an das Becken, damit sie in das Fach passten. Bei der acht und der drei waren die Führungsschienen ausgeleiert und hatten so viel Spiel, dass die Bahre nicht mehr in der Waagerechten war. Dort mussten die Verstorbenen somit etwas aufwärts bis in die Arretierung gewuchtet werden. Hielt man dabei nur einen Zentimeter zu früh an, rollte die Bahre wieder heraus und das Ganze begann von vorn. Bis siebzig Kilo mochte es gehen – alles darüber war eine elende Plackerei.

Beim dritten Versuch rastete die Halterung ein. Geschafft warf der Mitarbeiter der Pathologie die Tür des Fachs zu. Der Schwung reichte nicht aus. Einen kleinen Spalt blieb sie offen. Er bemerkte es nicht. Nur noch kurz den Geruch der Verstorbenen von sich abwaschen, der nur Einbildung war, weil nicht mehr als das allgegenwärtige Formalin in die Nase steigen konnte. Danach den Computer herunterfahren und umziehen. Dann wäre er im Wochenende.

Ein dünn geschnittener Teil Tageslicht fiel auf Doktor Oswald Geiger. Sein Körper fing an, die Temperatur des Kühlraumes anzunehmen, langsam, vorerst äußerlich, doch bis zum folgenden Morgen hätte er der Kälte wenig entgegenzusetzen.

Zu Lebzeiten hatte er mehr als ein Mal daran gedacht, notariell zu verfügen, dass ihm nach Feststellung des Todes ein Arzt eine Spritze setzen muss. Ein Giftcocktail, der ihn spätestens dann endgültig aus dem Leben nähme – eine letzte Versicherung.

Es gab nie einen konkreten Anlass, aber die Furcht irgendwann in einem Sarg unter der Erde aufzuwachen, wurde alle paar Jahre durch zweifelhafte Geschichten belebt.

Das Zwillingsparadoxon

Подняться наверх