Читать книгу Entscheidung in New York - Ron Wall - Страница 6

3. Kapitel: Joanna mit Überdosis

Оглавление

Als er nach Hause ging, fühlte sich Michael richtig durchgefroren. Nur das Hemd und der Schal auf dem Weg zu Steffis Wohnung waren bei dieser Kälte eindeutig zu wenig Kleidung gewesen. Seine Hände griffen in die Manteltaschen, um sich aufzuwärmen, und da fühlte er wieder diese Karte, die zwei Tage zuvor in seinem Briefkasten gelegen hatte. Freitag, 18:00 Uhr, raste es durch seinen Kopf, das waren noch knapp 37 Stunden.

5:30 Uhr zeigte seine Uhr, als er vor seinem Haus ankam und den Schlüssel ins Schloss der Haustür steckte.

Die Tür ließ sich nur einen Spalt weit öffnen. Allem Anschein nach blockierte sie etwas. Er stieß fester gegen die Tür und konnte ein paar rote Pumps erkennen. Das waren die Schuhe von Joanna. Michael lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, bis der Spalt groß genug war, um sich durchzuzwängen.

Joanna lag ohnmächtig am Boden und hatte sich erbrochen. Wahrscheinlich hatte sie bei Agostino zu viel Heroin gespritzt oder der Stoff war nicht gut gewesen. Er bückte sich über sie, um sich zu vergewissern, dass sie noch einen Puls hatte. Er war kaum zu spüren, aber regelmäßig, und sie atmete. Michael hob Joanna auf und wollte sie in ihre Wohnung bringen. Es erstaunte ihn, wie leicht dieses kleine Häufchen Frau war. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, sah er sie im hellen Licht der Eingangshalle. Ihr Gesicht konnte man jetzt gut erkennen. Bisher hatten sie sich nur nachts im fahlen Licht des Treppenhauses oder in einer schummrigen Kneipe oder Bar in der Nachbarschaft gesehen. Mit der starken Schminke im Gesicht und den durch jahrelangen Drogenmissbrauch ausgemergelten Wangen sowie den eingefallenen Augenhöhlen sah sie eindeutig älter aus, als sie war. Bisher hatte er ihr Alter so um die 40 geschätzt. Aber jetzt, im hellen Licht der Eingangslampe bemerkte Michael, dass Joanna viel jünger war, als er bisher angenommen hatte. Sie konnte höchstens Mitte bis Ende 20 sein. Er realisierte, dass sie ohne Schminke, ohne Drogen und mit etwas mehr auf den Hüften eigentlich eine bildhübsche junge Frau wäre.

Er trug sie zum Lift. Der war schon wieder kaputt, wie meistens, seit er hier wohnte. Seine bleierne Müdigkeit und Erschöpfung machten ihm beim Treppensteigen zu schaffen. Immerhin waren 44 Stunden seit seinem letzten Schlaf vergangen, und diese Stunden hatten es wirklich in sich gehabt: Zuerst war die Karte gekommen, dann hatte er eines seiner schwierigsten Gemälde fertiggemalt und anschließend war da noch der Ärger mit Mc Cullogh gewesen, Steffi und jetzt noch Joanna. Es war zu viel für seinen Geschmack, viel zu viel. Eigentlich wollte Michael nur noch in seine Wohnung im fünften Stock und schlafen.

Endlich stand er mit der immer noch ohnmächtigen Fixerin in seinen Armen vor deren Wohnungstür im vierten Stock.

"Mist! Mist! Mist, verdammter Mist!", fluchte er.

Erst jetzt war ihm aufgefallen, dass Joannas Handtasche, in welcher sich wahrscheinlich ihre Wohnungsschlüssel befanden fehlte. Die lag vermutlich noch unten im Hausflur. Michael legte Joanna vorsichtig vor ihrer Tür auf den Boden und lief die vier Stockwerke runter und gleich wieder rauf.

Erneut vor dem Appartement mit der Nummer 42 angelangt, schloss er die Tür auf und schleppte sie hinein. Die Wohnung hatte, neben einem für deutsche Verhältnisse winzigen Bad, zwei weitere kleine Räume die aufgeteilt waren in eine Wohnküche und ein Schlafzimmer. Die Schlafzimmertür war zum Glück offen und er konnte die Ohnmächtige zum Bett tragen, ohne sie ein weiteres Mal ablegen zu müssen. Als er mit ihr im Arm vor dem Bett stand, hörte er eine ängstliche Mädchenstimme:

"Mutti, Mutti, bist du es?

Michael antwortete leise: "Ich bin es, Lilly! Mutti ist krank und ich will sie ins Bett bringen."

"Daddy!", rief Lilly, als sie Michaels Stimme erkannte und aus dem Bett sprang.

Er schmunzelte über das Daddy und legte Joanna aufs Bett. Lilly half ihm ihrer Mutter Schuhe und Jacke auszuziehen.

"Hast du eine Schüssel und ein Tuch, um Mutti das Gesicht zu waschen?"

"Ja, haben wir in der Küche. Mutti kotzt in letzter Zeit öfters."

"Erbrechen, Lilly, das heißt erbrechen und nicht kotzen." Michael konnte es nicht ertragen, wenn ein kleines, hübsches achtjähriges Mädchen wie Lilly ordinär redete.

Einige Minuten später hatten sie Joanna mit einem Handtuch und warmem Wasser mehr oder weniger sauber bekommen. Der Versuch, ihr etwas Wasser zu trinken zu geben, scheiterte ebenso wie die Weckversuche. Michael überlegte kurz … er musste unbedingt etwas schlafen, aber in dieser Situation die Wohnung zu verlassen, kam für ihn nicht infrage. So legte er sich angezogen zu Joanna und Lilly ins Bett und schlief sofort ein.

Aus weiter Ferne hörte Michael einen Wecker läuten, der lauter und lauter wurde. Es konnte unmöglich schon 8:00 Uhr sein.

"Daddy, aufstehen, es ist 8:00 Uhr! Ich muss zur Schule," drang Lillys Stimme an sein Ohr. Er öffnete die Augen. Joannas Arm lag immer noch in seiner Hand und ihr Puls war stärker geworden. Er griff an ihre Stirn, um die Temperatur zu fühlen. Alles schien in Ordnung zu sein.

Sie erwachte, drehte sich zu ihm um, öffnete kurz die Augen und murmelte etwas Unverständliches, dann schlief sie gleich wieder ein. Es schien, als wäre sie über den Berg. Als er sich sicher war, dass sie nicht mehr in Lebensgefahr war, ließ er ihr Handgelenk los und drehte sich von ihr weg, um aufzustehen.

Lilly stand bereits fertig angezogen neben dem Bett und wartete darauf, dass er sie zur Schule brachte.

Entscheidung in New York

Подняться наверх