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In den südlichen Niederlanden, dem Herrschaftsgebiet Albrechts und Isabellas, lag mit Löwen auch eine der wichtigsten katholischen Universitäten Nordeuropas. Hier lehrte ab 1590 Justus Lipsius (1547–1606), der als Vertreter der Philosophie des Neustoizismus sowie als Interpret und Kommentator der Werke des römischen Historikers Tacitus Katholiken wie Protestanten gleichermaßen beeinflusste – ein Indiz dafür, dass trotz aller Konflikte zwischen den Konfessionen Europa zumindest für die Gelehrten, aber auch für die sozialen Eliten, eine umfassende intellektuelle Kommunikationsgemeinschaft blieb. Es war gerade die Konkurrenz zwischen inkommensurablen theologischen Wissenssystemen, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts bei vielen Zeitgenossen eine Stimmung des Zweifels und der Skepsis geschaffen hatte. Die Lehre des Neustoizismus mit ihrem Ideal der Selbstdisziplin und Ataraxie sowie ihrer politischen Klugheitslehre versuchte diese Skepsis zu bewältigen. Wie sich am europaweiten Einfluss der Werke von Lipsius zeigen lässt, waren es die Diskurse der humanistischen Gelehrsamkeit, die eine Gewähr dafür boten, dass der Dialog zwischen den verfeindeten Lagern nie ganz abbrach. Das Gleiche galt für die Sprache des Rechtes, aus der sich schrittweise die Prinzipien eines neuen ius publicum Europaeum entwickelten. Ohne diese an der Wende zum 17. Jahrhundert gelegten Fundamente hätte man auch 1648 nicht den Weg zu einem Frieden gefunden, der dann doch zumindest in Mitteleuropa eine Ordnung schuf, die für alle oder fast alle Beteiligten akzeptabel war. Wichtige Grundlagen für diesen Ausgleich wurden schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Epoche der Pax Hispanica geschaffen, auch wenn es einer späteren Generation überlassen blieb, die Früchte dieser Bemühungen zu ernten.

Die ersten zwei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts waren hingegen auch durch den Versuch der großen dynastischen Imperien Europas bestimmt, sich neu zu orientieren und den zentrifugalen Kräften der Destabilisierung, denen sie permanent ausgesetzt waren, zu trotzen. Dass die Politik des Herzogs von Lerma in Madrid wesentlich durch dieses Bemühen bestimmt war, wurde bereits hervorgehoben. Spanien stellt aber nur das prominenteste Beispiel für ein dynastisches Großreich dar, in dem die Beziehungen zwischen den einzelnen Reichsteilen an der Wende zum 17. Jahrhundert neu ausgehandelt werden mussten. Ähnliches galt für das Reich der Stuarts, das nach 1603 England, Schottland und Irland umfasste, und für die Habsburgermonarchie mit ihren Zentren in Prag und Wien, deren Länder und Territorien ein besonders hohes Maß an Heterogenität aufwiesen, nicht nur kulturell und sprachlich, sondern auch, weil hier in vielen Kronländern der Protestantismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Fuß gefasst hatte. Im Fall des spanischen Weltreiches und der Habsburgermonarchie waren es wesentlich die Krisenjahrzehnte der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die über die Zukunft dieser composite monarchies oder dynastic agglomerates entschieden. Ferdinand II. und Ferdinand III. gelang es, das von Wien aus regierte Reich dauerhaft zu festigen, während die spanische Monarchie zwar nicht zerfiel – sie zeigte vielmehr trotz aller Krisen ein bemerkenswertes Maß an Überlebenskraft, auch wenn 1668 die Unabhängigkeit Portugals endgültig anerkannt werden musste –, aber doch ihren Status als potenzielle europäische Hegemonialmacht, der um 1610 noch intakt gewesen war, verlor.

Die Bühne gehörte nun Mächten, deren Aufstieg sich um 1600 bereits deutlich abzeichnete, einerseits der Republik der Niederlande, die sich trotz innerer Krisen in der Zeit des Waffenstillstandes mit Spanien 1609–1621 zu konsolidieren vermochte, und andererseits dem Frankreich der Bourbonen. Die französische Monarchie war nach dem Aussterben des Hauses Valois (1589) genötigt gewesen, sich neu zu erfinden. Eine ausgeprägte Resakralisierung des Königtums war jedoch nur im engen Bündnis mit einem erstarkten Reformkatholizismus möglich. Dieser distanzierte sich jetzt zunehmend von der Militanz und Gewaltbereitschaft der Heiligen Liga, die in der Endphase der französischen Religionskriege gegen eine protestantische Thronfolge und jede Form von Toleranz für Protestanten gekämpft hatte. Doch blieb andererseits das Ideal des Märtyrertums einflussreich und wurde im Kontext einer frühbarocken Frömmigkeit emphatischer denn je inszeniert (siehe unten, S. 121–128). Der Unterschied war jedoch, dass man nun die Märtyrerkrone auch in der Askese und in der Fürsorge für die Kranken und Schwachen zu finden vermochte und nicht notwendigerweise im Kampf gegen Ketzer und Ungläubige. Das Martyrium wurde sublimiert sowie internalisiert und verlor damit seine unmittelbare politische Sprengkraft.

Dennoch blieb das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Autorität, zwischen imperium und sacerdotium, zu Beginn des 17. Jahrhunderts weiterhin von Spannungen geprägt, und das nicht nur in Frankreich. In einer Zeit radikaler Widerstandstheorien, die oft mit der mangelnden Rechtgläubigkeit weltlicher Herrscher argumentierten, war es umso wichtiger, die Unantastbarkeit einer Monarchie von Gottes Gnaden zu betonen. Das geschah in Frankreich unter Heinrich IV. und seinem Nachfolger genauso wie etwa zur gleichen Zeit in England unter Jakob I. Aber auch in Republiken wie den Niederlanden oder Venedig – über das der Papst 1606 das Interdikt verhängte – sehen wir in dieser Zeit Versuche, eine Delegitimation weltlicher Herrschaftsordnungen durch theologische Argumente grundsätzlich zurückzuweisen und die kirchlichen Autoritäten strikt der weltlichen Obrigkeit unterzuordnen. Die Auseinandersetzungen um das venezianischen Interdikt von 1606 und um den gleichzeitigen englischen Oath of Allegiance in England zeigen, dass die Abgrenzung der weltlichen und der kirchlichen Machtsphäre eines der zentralen Themen der Epoche war, das auch noch in den Verhandlungen der französischen Generalstände von 1614 seinen Widerhall fand. Erst, nachdem es gelungen war, das Aufsichtsrecht des Papstes über weltliche Herrscher ebenso zurückzuweisen wie die „Strafgewalt“ protestantischer Theologen und Synoden, konnte sich auch in den zwischenstaatlichen Beziehungen die Politik von direkten theologischen Vorgaben emanzipieren. Die Voraussetzung dafür war jedoch gerade in einer Monarchie wie Frankreich nicht eine Säkularisierung des monarchischen Herrschaftsanspruches, sondern eine erneute Sakralisierung, die sich freilich auf eine lange Tradition des Sakralkönigtums und eine spezifisch französische religion royale stützen konnte.36 Hier wurden Fundamente gelegt für den emphatischen Herrschaftsanspruch des Königtums im Zeitalter Ludwigs XIV., der oft mit dem Schlagwort des Absolutismus bezeichnet wird.

Auch hier nahmen die ersten zwei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts Entwicklungen vorweg, die erst später, als man sich zum Teil der Genese der dominierenden politischen Legitimationsdiskurse schon gar nicht mehr vollständig bewusst war, in ihrer vollen Tragweite sichtbar wurden.

Es ist der Anspruch dieser Studie, die in die Zukunft verweisenden Tendenzen dieser Epoche zu würdigen, ohne diese Zeit jedoch als bloße Vorgeschichte des Konfliktes, der 1618–1621 ausbrach respektive im Fall der Niederlande wieder ausbrach, erscheinen zu lassen. Das würde den komplexen Konfliktkonstellationen der Wende zum 17. Jahrhundert ebenso wenig gerecht werden wie der Offenheit der politischen ebenso wie der konfessionellen Entwicklungen in diesen Jahren. Es gab um 1610 keinen vorgezeichneten Weg, der in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges führte, weder im Sinne eines Konfessionsfundamentalismus, der jeden Ausgleich unmöglich machte, noch im Sinne machtpolitischer und – im Heiligen Römischen Reich – auch rechtlich-konstitutioneller Konflikte, die sich in keiner Weise mehr hätten beilegen lassen. Allerdings, und das erwies sich als verhängnisvoll, gelangte die spanische Monarchie aus unterschiedlichen Gründen nie wirklich in den Genuss jener „Friedensdividende“, auf die der Herzog von Lerma als leitender Minister gesetzt hatte, was in Madrid ab 1618 die Bereitschaft, zu einer kriegerischen, offensiven Politik zurückzukehren, sicherlich stärkte. Umgekehrt ließen sich allzu viele Zeitgenossen in ihrer Einschätzung der Lage in Europa von einem tiefen Pessimismus, von einem Denken in Kategorien eines Worst-Case-Szenarios leiten, das einen großen Konflikt ohnehin früher oder später unausweichlich erscheinen ließ. Ohne diese Erwartungshaltung lässt sich das Verhalten wichtiger Akteure wie des Fürsten Christian von Anhalt in der Krise der Jahre 1618/19 nicht verstehen, wie zu zeigen sein wird.

Diese Studie erhebt nicht den Anspruch, die Jahre der Wende zum 17. Jahrhundert erschöpfend und in allen Teilaspekten darzustellen. Der Akzent liegt vielmehr einerseits auf der Geschichte der großen Imperien und dynastischen Akteure der Epoche und darüber hinaus auf der politischen Geschichte West- und Mitteleuropas insgesamt. Zum anderen aber sollen jene konfessionellen und geistigen Kräfte gewürdigt werden, die einerseits in der Tat zur Verschärfung bestehender machtpolitischer Gegensätze beitrugen, andererseits aber auch Frontstellungen schufen, die zum Teil quer zu den Linien verliefen, die die konfessionellen Lager trennten. Es mag eine Banalität sein, festzustellen, dass die Epoche der Pax Hispanica eine Zeit der Widersprüche war – welche Epoche ist das am Ende nicht? –, aber angesichts der Versuche, gerade mit Blick auf den Ausbruch des Krieges 1618 die Vorgeschichte dieser Katastrophe in der einen oder anderen Richtung zu vereinfachen, scheint es umso notwendiger, sich die Komplexität der Konfliktlagen in den Vorkriegsjahrzehnten vor Augen zu führen. Nur dann kann man die Voraussetzungen jener Friedenslösung verstehen, die am Ende, 1648, zumindest für das Reich und den spanisch-niederländischen Konflikt gefunden wurde.

Vor dem großen Krieg

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